Nach unseren wirklich unschönen Erlebnissen mit den mafiösen Strukturen der korrupten Touristenpolizei in Minya kamen wir in der „Hostelblase“ in Luxor an. Wir suchten einen Ort, um dem Wahnsinn der täglichen Belästigungen, Betrügereien und Lügen der Ägypter zu entgehen. Zumindest, solange wir uns in der „Hostelblase“ bewegten. Wir checkten ein und statt uns „in der freien Wildbahn“ um Essen zu kümmern (und um nachträglich berechnete „Zusatzleistungen“ auf der Rechnung zu bekämpfen), entschieden wir uns, das angebotene Abendessen in der „Hostelblase“ auf der Dachterrasse zu probieren: Nilfisch mit Gemüse, Reis, Salat, Suppe und Brot zum Festpreis von 3,30€. Durchatmen!

Am nächsten Morgen erledigten wir ein paar Dinge, waren im Reisebüro, Jan beim koptischen Friseur, organisierten die kommenden Tage und fanden sogar ein Café, in dem der Kaffee kein Nescafé war! Am späten Nachmittag schauten wir uns das Luxor Museum an. Das Gebäude ist von 1975, aber die Ausstellungsstücke darin alle kaum länger als 20 Jahre ausgegraben. Uns stellte sich da die Frage: was macht man mit den Ausstellungsstücken, die man vorher für ausstellungswürdig hielt? Kommen die in den Schuppen? Auf den Dachboden? In den Keller? In Ägypten werden fast täglich neue Highlights ausgegraben. Man sucht beispielsweise immer noch nach dem Grab der Nofretete!

Luxor Tempel

Kurz vor Sonnenuntergang fuhren wir zum Luxor Tempel, der besonders schön in weichem Licht wirkt. Hier gaben sich alle die Klinke in die Hand: unter anderen Hatschepsut, Ramses II, Tutenchamun und zuletzt die Römer und Alexander der Große. Sie fügten alle ein Stück hinzu – oder gestalteten um.

1997 sind die Gräben für die Kabel der Beleuchtung noch offen

Auch ich selbst habe eine „Umgestaltung“ am Tempel erlebt: bei meinem ersten Besuch 1997 wurden gerade die Kabelkanäle für die Beleuchtung gebuddelt, die wir nun im Dunkeln genießen konnten. Wir schlenderten die „Sphinx Allee“ entlang, eine Straße, die in 2,5km vom Luxor Tempel zum Karnak Tempel führt und von 365 Sphinxen gesäumt wird.

26 Jahre später ist die Beleuchtung immer noch intakt!

Die Stimmung in der Tempelanlage war besonders kurz vor Schließung um 21 Uhr besonders schön: nur wenige Menschen waren noch dort, um zu fotografieren und einige wenige Pärchen wie wir, die die Beleuchtung für einen wirklich romantischen Abendspaziergang nutzen. Ganz entspannt und wie in einer eigenen Welt.

Die Realität traf uns dann auf dem rund 1,5km langen Rückweg zum Hostel. Keine fünf Meter kann man in Luxor laufen, ohne von irgendwem wegen irgendwas angelabert zu werden: Kutschfahrt? Taxifahrt? Guide? Postkarten? Ausflug? In unseren über 90 bereisten Ländern setzt Ägypten wirklich allen Nervtötern die Krone auf. Wenn man googelt, findet man Einträge wie „Luxor ist die Belästigungs-Hauptstadt der Welt“ oder „Ägypten nerviger als Indien“. Wir waren froh, zurück in der „Hostelblase“ auf der Dachterrasse zu Abend zu essen. Nochmal: wir sind beide nicht neu in Afrika, haben beide über 90 Länder Erfahrung als Individualreisende und haben, außer Australien, alle Kontinente bereist. Ägypten hat wirklich eine Sonderstellung in Hinsicht auf “Lug, Betrug und Nervtöter”.

Karnak Tempel bei Nacht

Mit der Zeit erinnert man sich natürlich nur an das Gute und da Nervtöter z.B. in den Pyramiden seit 2018 verboten sind, dachte ich in den ersten Tagen hier noch, das Nervtöter-Problem in Ägypten hätte sich tatsächlich beruhigt. Je länger wir in Ägypten sind, desto mehr der Erinnerungen an schlechte Erlebnisse kommen zurück. In Hinblick auf die dauerhaften Belästigungen und auch in Hinblick auf den Massentourismus.

1997 in den Touristenmassen am Hatschepsut Tempel: aus Fehlern lernen.

Je mehr Touristen, desto größer das Problem. Und in Luxor ist das touristische Mekka Ägyptens. Ich schaute mir meine Fotos von 1997 an und sah mich am Hatschepsut Tempel inmitten von Menschenmassen mit einem gequälten Lächeln. Da fiel der Groschen: nie wieder so!

Allein im Grab von Ramses

Wir fanden heraus, dass das Tal der Könige um 6 Uhr morgens öffnet, alle Touren dorthin aber erst um 8 Uhr starten. Von Luxor bis zum Tal der Könige braucht man 45 Minuten. Das hieß: wenn wir um 6 Uhr am Eingang stehen, haben wir rund drei Stunden Zeit, um die Highlights ohne Menschenmassen zu erleben. Gesagt, getan, wir investierten 60$ in ein Taxi samt Fahrer und persönlichem Guide. Und das Geld war so gut investiert! Wir kamen am Tal der Könige an, als gerade das Computersystem hochgefahren wurde und waren die ersten, die Eintrittskarten kauften. Und das bedeutete: wir hatten alle Gräber für uns allein! Was ein unbeschreibliches Erlebnis, in allen drei Gräbern ganz allein zu sein! Nur wir in den Grabkammern! Wir haben uns gefühlt wie Entdecker und konnten ganz in Ruhe und nur für uns allein alles genießen!

Unbeschreiblich!

1997 hat man vor lauter Menschenmassen fast nichts gesehen und man durfte auch nicht fotografieren. Heutzutage sind Handyfotos erlaubt und so früh am Morgen hat sich außer uns niemand aus dem Bett geschält, um Ramses I, Ramses III und Ramses IV zu besuchen. Die Bilder können das Gefühl nicht beschreiben, aber vielleicht einen kleinen Eindruck von der farbenfrohen Schönheit der Grabkammern verschaffen…

An den Wänden der Grabkammern ist in Hieroglyphen der Lebenslauf des Pharaos geschrieben.

Es war so unglaublich zauberhaft, so unwirklich schön, so besonders, vor allem vor dem Hintergrund, wenn man wie ich die Erfahrung gemacht hat, wie wenig man sieht und erlebt, wenn man sich mit den Massen durch den schmalen Gang in den Fels schiebt, durch die Grabkammer quetscht und sich wieder aus dem Grab herausdrücken lässt. Mir fehlen bis heute die Worte. Das Tal der Könige komplett leer. Nur ein paar Archäologen auf der Suche nach Nofretetes Grab. Einmalig!

Als wir aus dem Tal der Könige hinausliefen, kamen uns die ersten Besucher des Tages entgegen: diejenigen, die zu Sonnenaufgang mit den Heißluftballons über das Tal der Könige gefahren waren und nun in der üblichen Reihenfolge das Besichtigungsprogramm starteten. Wir fuhren zum Hatschepsut Tempel weiter.

Der Hatschepsut Tempel

Der Hatschepsut Tempel ist aus mehreren Gründen ganz besonders und emotional: erstens ist er eine ungewöhnliche, weil dreistöckige Anlage, zweitens war ich 1997 ganz kurz vor dem furchtbaren Massaker dort und drittens ist Königin Hatschepsut einfach grundsätzlich besonders und unser liebster Pharao:

Sphinx mit Hatschepsut Gesicht und falschem Bart

Sie regierte 22 Jahre lang als Frau Ägypten, trug dabei aber einen falschen Bart, um besser akzeptiert zu werden. Sie führte Ägypten in eine wirtschaftlich besonders gute und friedliche Zeit. Was sie uns und speziell mir besonders sympathisch macht: als Königin nahm sie an diversen Expeditionen auf dem Land- oder Seeweg ins In- und Ausland teil, immer auf der Suche nach wertvollen Rohstoffen und Edelsteinen wie zum Beispiel Smaragden. Vielleicht wäre sie 3000 Jahre später auch eine weltreisende Dipl. Geo. geworden?

Auch hier: nur wenige Menschen und nur der Vorgeschmack der Hitze, die vom Gestein des Tempels im Laufe des Tages gespeichert und wie aus einem Backofen wieder abgegeben wird. Was mich etwas störte war, dass unser Guide das Massaker lapidar als „Unfall“ bezeichnete. Lest mal nach, wie brutal dort damals Touristen abgeschlachtet wurden: Massaker von Luxor

Farbenfroher Habu Tempel

Der letzte Tempel auf dem Westufer, den wir uns anschauen wollten war der Habu Tempel. Den kannte ich nämlich noch nicht. Und er ist besonders schön, denn er zeigt: Auch die Tempel waren farbig, nicht nur die Grabkammern! Der „Habu Tempel“ ist richtig gut erhalten. Er war der Tempel Ramses III, in dessen Grabkammer wir im Tal der Könige waren.

Tief eingeritzte Hieroglyphen

Weil es öfter zu Intrigen kam (Ramses III wurde wegen einer „Haremsverschwörung“ ermordet) und nachfolgende Pharaonen dann gerne die Hieroglyphen im Tempel des Vorgängers durch „Überschreiben“ veränderten, hat Ramses III die gesamte Dekoration und alle Hieroglyphen besonders tief in den Stein hauen lassen. So stellte er sicher, dass kein Nachfolger seine glorreiche (Kriegs-) Geschichte umschrieb und hat damit bis heute Erfolg.

Den Sklaven wurden die Hände abgehackt. Die Hände stapeln sich auf dem Haufen.

Die Farben sind im Original vorhanden und machen den riesigen Tempel besonders schön. Auch hier: wir „arbeiteten“ die Sehenswürdigkeiten in der richtigen Reihenfolge ab, immer mindestens eine Stunde vor den ersten Busladungen anderer Besucher und von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit eine Steigerung. Der Hatschepsut Tempel ist (fast) gar nicht farbig, der Habu Tempel zwar kleiner, aber dafür umso bunter.

Karnak Tempel

Nach rund sechs Stunden waren wir zurück im Hostel in unserer „Hosteblase“, entspannten auf der Dachterrasse und machten uns dann auf zum Karnak Tempel. Da ist uns dann doch ein kleiner „Fehler in der Choreografie“ unterlaufen. Der Karnak Tempel in Luxor ist mit 30 Hektar (!) der größte Tempel Ägyptens und ist über die 2,5km lange Sphinx Allee mit dem Luxor Tempel verbunden, den wir unter anderem bei Nacht gesehen hatten.

Die größte Tempelanlage Ägyptens.

Eigentlich ist er schon riesig genug, aber 2017 wurden neue Entdeckungen gemacht, die bis heute ausgegraben werden. Der Tempel ist deshalb so riesig, weil (wie auch beim Luxor Tempel) jeder Pharao ein Stück angebaut hat, um den vorherigen Pharao durch noch imposantere Anbauten zu übertreffen. Er ist dem höchsten und wichtigsten Gott, Amun-Re, gewidmet, der die Gottheiten für Sonne (Re), Wind und Fruchtbarkeit (Amun) in sich vereint.

Wir waren, nachdem wir den Habu Tempel zuvor besucht hatten, leider nicht mehr ganz so zu begeistern. Das war unser „Fehler in der Choreographie“: wir hätten den Karnak Tempel als allererstes besuchen sollen. Einzig die 134 (!) bunten Säulen haben uns beeindruckt. Und die Besuchermassen, vor denen wir letztendlich dann auch geflüchtet sind. Vorher haben wir noch zwei Fotos von 1997 nachgestellt. Schaut mal, wie die kleine Palme in den 26 Jahren gewachsen ist!

In der „Hostelblase“ sprachen wir mit eine Deutschen (der sich ausnahmslos alle Tempel, Gräber und Ruinen anschaute!), der uns mit großer Begeisterung vom Dendera Tempel erzählte. Der sei das absolute Highlight aller Tempel. Und weil er alle anschaue, könne er das auch wirklich beurteilen. Wir glaubten ihm (und anderen, die wir zur Sicherheit nochmal fragten) und organisierten uns für den nächsten Tag ein Taxi, was uns am nächsten Morgen wieder als Erste zum Ticketschalter bringen sollte.

Der Dendera Tempel: “wie neu”!

Der Plan ging auf: wir hatten wieder die gesamte Anlage für uns ganz privat! Der Dendera Tempel hat uns an gewisse Bauten in Deutschland erinnert… Er wird komischerweise hauptsächlich von Russen besucht, sodass die Beschilderung auch auf Russisch ist. Als wir später die Anlage verließen, strömten uns Busladungen voll russischer Reisegruppen und russischer Familien entgegen.

Ägyptische “Comics”

Warum wir keine anderen Nationen dort getroffen haben, ist uns unerklärlich, denn für uns ist er der schönste Tempel rund um Luxor, den wir gesehen haben! Wun-der-schön und perfekt erhalten! Sogar das Dach ist noch drauf und man erlebt die ganze Pracht „ägyptischer Comics“: was auf den ersten Blick aussieht wie „hübsche Wanddeko“ zeigt in Wirklichkeit in vielen Details, wie dort die Göttin Hathor gefeiert und verehrt wurde.

Hathors Kopf ziert die vielen Säulenkapitelle, jedoch haben später Christen die Gesichter ausgeschlagen, weil nach christlichem Glauben Gott kein Gesicht haben darf. Der Tempel wurde in einer politisch instabilen Zeit gebaut, weswegen die Steinmetze Leerstellen setzten, wo normalerweise der Name des Pharaos in Hieroglyphen gemeißelt würde. Sie waren sich nicht sicher, wer Ägypten regiert, wenn der Tempel fertig ist. Erinnert uns ein wenig an einen Bahnhof in Süddeutschland oder einen Hauptstadtflughafen…

Außer Russen weiß irgendwie niemand von diesem Highlight.

Den Rest des Tages verbrachten wir in der „Hostelblase“, ließen Wäsche waschen, saßen am PC und ließen uns das Abendessen liefern, um nicht mehr rauszumüssen, wo uns bei jedem Schritt ein Ägypter nervte. Im Hostel liegen auf jedem Zimmer Zettel mit Hinweisen dazu. Beispielsweise, dass kein Mitarbeiter Gäste auf der Straße ansprechen würde. Natürlich passiert genau das: „Hello my friend! I know you! I work in your hostel!“ Jaja… du mich auch.

Diese Riesen standen da so rum.

Wir fuhren mit dem Zug weiter nach Assuan. Der Zug hatte Verspätung und ein Bahnbediensteter kümmerte sich ausnahmsweise ohne finanzielle Hintergedanken darum, dass wir trotzdem das richtige Gleis und den richtigen Waggon fanden. Solche Menschen gibt es hier natürlich auch und es tut der Seele immer richtig gut, wenn man einen Spießroutenlauf durch den Bahnhof läuft (nein, wir laufen gerade in den Bahnhof hinein und brauchen daher bestimmt weder Taxi noch Kutsche noch Tour noch Guide noch…) und dann auf solche Menschen trifft. Vielleicht ein Kopte? Wir reisten zu dritt. Mit uns eine pakistanische Vollzeitreisende und Digitalnomadin wie wir. Wir alle extrem reiseerfahren und extrem genervt von Ägyptern. Sie spricht sogar etwas arabisch und kaum verließen wir den Bahnhof, wurden wir attackiert von Ägyptern, die uns Taxifahrten für 300 (Normalpreis sind 40-50) anboten und aggressiv reagierten, wenn wir sie nur ignorierten. Es war die Hölle. Jeder log uns ins Gesicht, jeder brüllte in unsere Richtung, jeder wollte uns betrügen.

Man könnte fast sagen: Gott sei Dank bemerkte Jan mitten im Gewimmel der Nervtöter, dass sein Handy weg war. Während Nabila und ich uns in den Eingang einer Bank zurückzogen, lief Jan zurück zum Zug, wo er das Telefon auf dem Sitz liegengelassen hatte. Der Zug hatte in Assuan Endstation und das Reinigungspersonal half bei der erfolglosen Suche. Als Jan ohne Telefon zurück durch den Bahnhof lief, kam ihm ein Mann entgegen und reichte ihm sein Telefon. In Assuan wie im Rest des Landes liegen Abzocke und Menschlichkeit sehr nah beieinander. Leider ist es im gesamten Land so: die Halsabschneider, Lügner, Betrüger und Abzocker trüben das Bild des Landes, in dem es auch so liebe und ehrliche Menschen gibt, die man kaum wahrnehmen kann, weil man nie Ruhe vor Nervtötern hat. Während Jan sein Telefon suchte und Nabila und ich uns im Eingang der Bank zurückgezogen hatten, waren die meisten Abzocker vom Taxistand verschwunden und ein älterer Herr parkte gerade sei altes Taxi ein. Er hatte ehrliche Augen, akzeptierte 50 Pfund sofort und fuhr uns ohne Lügengeschichten zum Hostel. Sein Auto war dekoriert mit Heiligenbildchen von Jesus und der heiligen Jungfrau Maria. Ein Kopte. Natürlich.

Im Hostel hatten wir zwei Betten im Schlafsaal gebucht. Assuan ist zwar unglaublich touristisch, steht aber nicht bei allen Reisenden und Reiseveranstaltern auf der Agenda, sodass die Konkurrenz unter den Unterkünften nicht so groß ist wie in Luxor. Dementsprechend teuer waren Zimmer – ohne jedoch dem Preis angemessenen Gegenwert zu bieten. 30€ für ein Zimmer mit Gemeinschaftsbad in einem Hostel am Stadtrand empfinden wir als Abzocke, wenn in Kairo ein Doppelzimmer mit Privatbad und mitten im Zentrum 10€ weniger kostet. 7€ pro Bett im Schlafsaal ist für uns jedoch akzeptabel.

Blick von der Dachterrasse des Hostels

In unserem Schlafsaal saß ein Amerikaner, der so gar nicht in ein Hostel passte: über 60, elegant in Chinos, Hemd und Slipper gekleidet und völlig fertig mit der Welt. Er sei gerade auf der Straße von Kindern mit Steinen beworfen worden, weil er ihnen keine Dollar geben wollte. Und er sei nur im Hostel, um dem „Wahnsinn“ zu entfliehen. Zu Beginn seiner Reise hatte er in Hotels übernachtet, man habe dort aber ständig versucht, ihn zu betrügen. Er habe dann die Erfahrung gemacht, dass das in der „Hostelblase“ nicht passiert und seitdem er von Hostel zu Hostel reist, ist nur die Welt außerhalb der Blase unerträglich. Wir konnten ihn so verstehen. Wir saßen unter Gleichgesinnten, jammerten uns gegenseitig unsere Erlebnisse mit Lug und Betrug vor und ließen uns Essen liefern. Kaum jemand war motiviert, das Hostel zu verlassen, weil schon vor dem Tor des Hostels Kinder „Money, money!“ rufen. Es muss in den Genen liegen. Seit über 150 Jahren kommen Touristen nach Ägypten und irgendwann scheint es ein vererbbarer Automatismus zu werden. Wobei die Gene sich da streng an Ethnie und Religionen halten, wie wir lernten und am eigenen Leib erfuhren.

Am nächsten Tag begingen wir den größten Fehler unserer Ägyptenreise: wir fuhren mit der vom Hostel organisierten Tour nach Abu Simbel. Ursprünglich hatten wir gedacht, wir würden nach Abu Simbel fahren, dort übernachten und wie überall sonst auch, morgens die ersten Besucher in den Tempeln sein. Doch die Unterkünfte in Abu Simbel sind ziemlich teuer und für das viele Geld bekommt man ziemlich dreckige Löcher und die 300km Strecke von Assuan nach Abu Simbel ist für Ausländer nur von 5-17 Uhr erlaubt und man muss ein Permit beantragen. Mit einer Tour vom Hostel war es billiger und weniger aufwändig.

Wir dachten, wenn wir um 4 Uhr morgens losfahren, sind wir gegen 9 Uhr dort und dann ist es noch nicht so voll. Leider haben wir da falsch gedacht: um kurz vor fünf sammelte sich ein riesiger Konvoi aus vielleicht 50 Bussen, Autos und Minibussen voll Ausländer vor dem Checkpoint. Alle hatten den gleichen Plan – und alle kamen gleichzeitig in Abu Simbel an. Alle hatten den gleichen Zeitplan (nur 1,5 Stunden vor Ort!) und alle trampelten im daraus entstehenden Stress aufeinander herum.

Uns blieb nichts anderes übrig, als uns mit den Massen anzustellen, mit den Massen durch Abu Simbel schieben zu lassen, uns auf die Füße treten zu lassen und kaum etwas zu sehen. Da ich nicht wirklich groß bin, sah ich mehr Hinterköpfe und Sonnenhüte fremder Menschen als irgendetwas von den Tempeln von Abu Simbel.

Abu Simbel ist heute nicht mehr da, wo es 3300 Jahre stand. Durch den Bau des Assuan-Damms ist der Nasser-See entstanden und dessen Wasserspiegel hätte die berühmte Tempelanlage unter sich begraben. Deswegen wurde alles in vorsichtiger Handarbeit abgebaut und für 80 Millionen Dollar (!) 1968 oberhalb der ursprünglichen Stelle in eine künstliche (Beton-) Felswand wieder aufgebaut. Und das so originalgetreu, dass man die umgekippte Statue wieder hingelegt hat, statt sie aufzurichten.

Trotzdem wirkte die Anlage etwas künstlich auf uns. Im Original wurden die Tempel aus einer Steilwand herausgearbeitet, nun hat man künstliche Hügel aus Beton gebaut, in die die Tempel neu aufgebaut wurden. Mitten auf einer Ebene wirkt das schon komisch. Später haben wir uns eine absolut sehenswerte Doku angeschaut (im Bett und nicht im Besucherzentrum, dafür blieb keine Zeit in den 1,5 Stunden), in der gezeigt wurde, wie man damals nicht nur Abu Simbel in einer beispiellosen Rettungsaktion vor dem Versinken gerettet hat.

Nach 600km Fahrt, fast acht Stunden im Minibus, 1,5 Stunden Herumgeschubse und nur einem kleinen Frühstückssnack kamen wir in Assuan an und machten erstmal Mittagsschlaf. Enttäuscht, dass Abu Simbel nicht das Highlight Ägyptens war, müde und erschlagen von Menschenmassen und traurig über unsere eigene Fehlplanung. Als wir 2018 losgezogen sind, hatten wir den Vorsatz, nichts auf „später“ zu verschieben, weil man nie weiß, wann „später“ ist. Und Abu Simbel ist nicht etwas, was man „jederzeit wieder“ machen kann. Dazu ist es wirklich zu weit entfernt von allem. Vielleicht ist es in ein paar Jahren möglich, über Äthiopien zu reisen, vielleicht ist im Sudan dann wieder Frieden und vielleicht bekommen wir dann noch eine zweite Chance auf Abu Simbel. Vielleicht können wir unseren Fehler dann durch ein tolles Erlebnis überschreiben!

Wir verbrachten den Rest des Tages mit Leidensgenossen in der „Hostelblase“, ließen wieder Essen liefern und verschwanden früh im Bett. Beim Bezahlen der Unterkunft wurde selbst in der „Hostelblase“ ein phantasievoller Wechselkurs zugrunde gelegt, der uns die Laune wieder verdarb. Ägypten ist nervenzehrend. Die meisten Gäste im Hostel sind insgesamt nur zwei Wochen im Land und schon fertig mit der Welt, wir sind seit über drei Wochen hier und brauchten dringend Pause von Ägyptern. Wir hatten gehört, Nubier seien anders. Im Nubia Museum in Assuan hatten wir gelernt, dass die Nubier sogar einen Gott für „Ehrlichkeit und Gerechtigkeit“ hatten. Ob das bis heute wirkt?

Blick auf Assuan: das ohrenbetäubende Dröhnen der unzähligen Kreuzfahrtschiffe entlang des Nils ist allgegenwärtig

Die Nubier sind ein „Volk ohne Land“ wie so viele Ethnien dieser Erde. Das Volk der Nubier wurde durch Grenzziehungen zwischen Sudan und Ägypten getrennt und lebt bis heute ihre starke Identität und Traditionen. Sie sind ein afrikanisches Volk, das sich für uns wie eine Mischung aus Mali, Sudan, Tschad und Äthiopien anfühlt. Nubier sind dunkelhäutiger als arabische Ägypter, sprechen einen anderen Dialekt, haben ihre eigene (für unsere Ohren sudanesische) Musik und Kultur. Da wir dringend Pause von Ägyptern brauchten (die Nubier selbst bezeichnen sich nicht als Ägypter, sondern haben nur ägyptische/sudanesische Staatsbürgerschaft), beschlossen wir, drei Nächte in ein nubisches Dorf in ein nubisches Homestay zu ziehen. Zuvor trafen wir uns noch mit einem nubischen Felucca- Kapitän, mit dem wir im Anschluss an unsere Auszeit den Nil hinunterschippern wollen. Wir hatten uns im KFC-Restaurant verabredet, wo wir an der Kasse ganz selbstverständlich um 2 Pfund betrogen wurden. Einfach so. Wechselgeld wird immer falsch herausgegeben, das ist Standard. Man versucht es bei jedem noch so kleinen Einkauf. Der Taxifahrer, der uns dann zur Fähre brachte, mit der wir auf die andere Seite des Nils übersetzen, belog uns während der Fahrt sehr eindringlich, dass die Fähre 500 (statt 5) koste und er uns daher über die (14km entfernte) Brücke fahren müsse. Später hatte er angeblich kein Wechselgeld für den per App vereinbarten Fahrtpreis und verlangte Trinkgeld. Trinkgeld für Lügengeschichten? So geht es hier den ganzen Tag. Seit drei Wochen. Die Pause in Nubien war dringend nötig.

Auf der Fähre belästigte uns niemand, im Dorf angekommen hieß es „Willkommen in Nubien!“. Wir bekamen erstmal kalten Hibiskus Tee serviert und bezogen dann unser Zimmer. Ständig auf der Hut, wieder belogen und betrogen zu werden, entwickelte sich dann ein Missverständnis rund ums Abendessen. Letztendlich hockten wir aber dann im Kreis mit unseren Gastgebern auf dem Boden der Dachterrasse rund um ein Tablett mit nubischer Hausmannskost. Serviert wie in Äthiopien unter einer bunt geflochtenen Glocke.

Es gab zweifach gebackene Brotstücke in heißer Knoblauchbrühe eingeweicht mit Tomaten-Knoblauchsauce, dazu Minizwiebeln in Tomatensauce, Reis und Fladenbrot und ein paar Stücke richtig zartes Lamm. Einfach, aber lecker. Später gab’s Kaffee. Die Zubereitung ähnelte für uns sehr der äthiopischen Kaffeezeremonie, auch die Kaffeekanne sieht identisch aus.

Zuerst werden die rohen Bohnen auf dem Feuer geröstet und dann mit richtig viel getrocknetem Ingwer gemörsert. Den Ingwer gibt’s in Äthiopien nicht im Kaffee, dort wird Salz verwendet. Das Ingwer-Kaffee-Pulver wird dann mit Wasser in der Kanne auf der Glut aufgekocht. Äthiopier kochen 3x auf und lassen den Kaffeesatz dann absinken, Nubier kochen nur 1x auf und stopfen dann das Stroh der Dattelpalme in die Kanne, das wie ein Kaffeefilter wirkt. Der Kaffee schmeckt wunderbar scharf nach Ingwer. Herrlich!

Unser Zimmer in Nubien zur Erholung von Ägyptern

Wir saßen mit unseren Gastgebern bei 35°C im lauen Abendwind auf der Dachterrasse und er erzählte uns von Nubien und den Nubiern. Ein Teil seiner Familie wohnt im Sudan, als ägyptische Staatsbürger braucht sein in Ägypten wohnender Teil der Familie teure und komplizierte Visa, um den anderen Teil der Familie zu sehen. Das Internet habe es einfacher gemacht, mit der Familie auf der anderen Seite der Grenze verbunden zu bleiben, aber das mit dem Visum mache kein Nubier. „Unser Volk weiß mehr über die Wüste als Polizei und Militär“. Je nach Mondphase wird sich über die Wüste oder über den Nasser-See besucht. Ganz einfach ohne Visum. Schließlich sei man ja ein Volk.

Wir entspannen hier in Nubien gerade, ruhen uns von den Ägyptern aus und sammeln Kraft für das letzte Ägypten-Kapitel. Aber angeblich, so erfahren wir von anderen Reisenden, haben wir den Horror schon hinter uns und ab jetzt soll es besser werden. Wir erholen noch ein bisschen unsere Nerven und reisen dann weiter!

Euch gefällt unser Blog? Schön! Dann unterstützt uns und sagt Danke! Das geht ganz einfach aus fremden Taschen:

  • Abonniert unseren YouTube channel: unser YouTube Kanal
  • Kauft über unseren Amazon Affiliate Link ein: Amazon.de
  • Bucht Reisen und Unterkünfte über unser Booking Affiliate: Booking.com
  • Lest oder verschenkt unser EISREISE Buch (und hinterlasst eine Bewertung): unser EISREISE Buch
  • Designt über diesen Link T-Shirts und mehr für Euch oder als Geschenk: https://travelove.myspreadshop.de/
  • Oder zückt Euer eigenes Portemonnaie und ladet uns virtuell zum Kafee ein. Paypal Spende: https://www.paypal.me/travelove4u
  • Möchtest Du uns regelmäßig auf ein Käffchen einladen, schau mal hier: Steady
  • Überweisung: Jan-Hendrik Neumann, IBAN: LT44 3500 0100 111 0300 BIC: EVIULT2VXXX (Bank: Paysera LT, UAB)
  • Wir gehen mit der Zeit und akzeptieren auch Bitcoins. 🙂 Unser Wallet: 3PVxaabSZGwfWwzFykxLJqTwV7rYrpqjK8

Als Dankeschön für die Spende gibt’s ein Foto von uns mit Deinem Namen und dem “Investitionsgut”. Du findest Dich dann in dieser Galerie wieder.

Danke, dass Ihr nicht nur unsere Inhalte konsumiert, sondern uns auch dabei unterstützt, die Kosten für Website & Co zu decken.