Alexandria, insbesondere nach dem Müll-Loch Port Said, kam uns vor wie die „Perle des Mittelmeers“ von Ägypten: altehrwürdige Gebäude, über hundert Jahre alte, wunderschöne Kaffeehäuser, saubere Grünanlagen und eine lebendige Uferpromenade entlang der Corniche. Uns hat es unglaublich gut gefallen!
Alexandria wurde – der Name weist darauf hin – von Alexander dem Großen gegründet. In und um Alexandria befinden sich unzählige römische und griechische Stätten, Ruinen und Museen. Für uns, die wir dieses Jahr schon in Tunesien die für uns besten römischen Städten (Karthago und Thugga, sowie das Amphitheater in El Jem) gesehen hatten, keine Reise wert. Wenn man die Superlative gesehen hat, ist alles andere meist nur ein müder Abklatsch. Wir nennen es das „Wasserfall-Syndrom“: wenn man Iguazú, den Angel Fall, die Victoria Falls und die Niagara Falls schon gesehen hat, sind andere Wasserfälle halt auch schön, bieten aber nicht mehr das riesengroße „Wow-Erlebnis“. Deswegen haben wir uns die Römer und Griechen Alexandrias „geschenkt“.
Wir waren da, um das tolle Flair der Stadt zu erleben, die Promenade entlangzulaufen, mit den Städtern abends im Park zu sitzen oder Falafel zu essen, in einem der mondänen Kaffeehäuser von anno dazumal einen Kaffee zu genießen und die berühmte Bibliothek anzuschauen. Das Alexandria der Antike war berühmt für die damals größte Bibliothek der Welt, in der tausende Schriftrollen aufbewahrt wurden. Als der Platz ausging, wurde die damalige Bibliothek zwei Mal erweitert. Bis Julius Caesar kam und alles niederbrannte. So zumindest die Legende. Wer die Bibliothek samt den Schriftrollen wirklich niedergebrannt hat, ist nicht mit Sicherheit überliefert.
Seit 20 Jahren gibt es in Alexandria nun wieder eine Bibliothek mit imposanter Architektur und imposanten Ausmaßen: sie ist auf die Anzahl der Bücher (1,8 Millionen) bezogen nicht die größte Bibliothek der Welt (noch nicht, aber man arbeitet daran), aber es gibt dort den weltgrößten Lesesaal mit Platz für 3000 Bücherwürmer! 300 dieser Leseplätze sind mit modernen Computern und Internet ausgestattet. Kostenlos versteht sich. Wir standen auf einer der oberen Plattformen und staunten: 11 Etagen Bücher in einer unglaublich angenehmen Atmosphäre!
Wir machten eine Führung durch die Bibliothek mit und erfuhren, dass die ältesten Schriftrollen Ägyptens nicht dort sind, wo sie hingehören, sondern in Wien. In der Bibliotheca Alexandrina ist nur eine Kopie zu sehen. Wie so oft wunderten wir uns: wäre nicht vor 20 Jahren, zur Eröffnung der Bibliothek, der passende Zeitpunkt gewesen, die Schriftrollen zurückzugeben und stattdessen in Wien die Kopien auszustellen? Die EU hat sich finanziell am Bau beteiligt und die Franzosen haben viele Bücher gespendet. Ist doch auch toll, oder nicht? Die für Ägypter emotional wichtigen Dinge werden unter den Teppich gekehrt, beziehungsweise: bleiben einkassiert. Ein weiteres, weitaus emotionaleres Beispiel, erlebten wir ein paar Tage später.
Die Bibliothek geht mit der Zeit und digitalisiert den gesamten Buchbestand. Jeden Tag werden rund 100 Bücher digitalisiert, die dann weltweit online verfügbar sind. Das digitale Archiv der Bibliothek beschäftigt sich auch mit Dingen ägyptischer Geschichte, zum Beispiel dem Suezkanal. Es gibt ein Archiv über den Kanal, in dem die Bibliothek eigentlich alle Schiffe auflisten möchte, die jemals durch den Suezkanal gefahren sind. Doch diese Info gibt’s auch für die Bibliotheca Alexandrina nicht von der Kanalbehörde. Der Kanal ist also nicht nur für uns Touristen ein „großes Geheimnis“ (siehe letzter Blogpost), auch die renommierte Bibliothek bekommt seit rund 50 Jahren keine Auskunft mehr, wie wir erfuhren.
Wir schlenderten an der Corniche entlang, saßen zu Sonnenuntergang im Park, tranken Kaffee im edlen, historischen „Café Trianon“, futterten Falafel und Bohnen zu Fladenbrot von verbeulten Tellern aus Edelstahl inmitten ägyptischer Familien und schlürften frischen Mangosaft vom Saftstand um die Ecke. Alexandria hatte sich in unser Herz geschlichen: lebendig und quirlig, mondän und historisch, für afrikanische Verhältnisse sehr „sauber und ordentlich“ und von mediterranem Flair. Richtig schön, richtig angenehm!
Nach zwei Nächten fuhren wir weiter nach El Alamein, beziehungsweise: nach „Neu Alamein“, einer Planstadt, die weder mit dem kleinen Örtchen „El Alamein“ noch mit der Bahnstation aus dem 2. Weltkrieg irgendwelche Gemeinsamkeiten hat. Ägypten baut ja nicht nur eine neue (noch namenlose) Hauptstadt östlich von Kairo für 8,5 Millionen Menschen, sondern auch eine Planstadt bei El Alamein, in der mal 3 Millionen Menschen leben sollen. Noch leben dort erst ein paar Tausend und die 10-spurigen (zehnspurig in eine Richtung!) Autobahnen sind recht leer. Überall entstehen Hochhäuser und Apartmentkomplexe, die zukünftige Millionenstadt staubt vor lauter Baustellen, aber es wird zumindest in einem Stil gebaut, der uns gefällt: keine hässlichen hohen Wohnsilos, sondern überall hübsche Mehrfamilienhäuser mit viel Platz dazwischen.
Wir wollten zur Gedenkstätte für deutsche Kriegsgefallene, in welchem über 3000 deutsche Soldaten, die bei El Alamein im zweiten Weltkrieg fielen, begraben wurden. Auch mein Großonkel liegt da und ich hatte das Bedürfnis, mich dort stellvertretend für meine Oma von ihrem geliebten kleinen Bruder zu verabschieden. Die Gedenkstäte wird von einem Polizisten bewacht, der sofort den „Hausmeister“ rief, um uns aufzuschließen.
Der „Hausmeister“ fragte, ob wir „nur so“ da seien, oder ob wir jemanden suchten. Als ich erzählte, ich sei wegen des Bruders meiner Oma da, holte er ein dickes Buch, in dem alle Gefallenen samt Grabstätte aufgelistet sind. Mein Großonkel Ernst war Wachtmeister und der „Hausmeister“ brachte mich zu seinem Grab. Während ich dort stand, verschwand der Beduine kurz und kam mit ein paar Zweigen blühendem Oleander zurück, die er mir überreichte, damit ich Blumen zum Niederlegen hatte. Ich hoffe, dass ich mit der Geste nun den Kreis geschlossen habe und bin mir sicher, dass Omi das irgendwie mitbekommen hat und es ihr hilft.
Später zeigte er mir auf seinem Handy, dass kürzlich erst wieder sechs Deutsche in der Wüste gefunden wurden. Für sie und jeden weiteren Fund wurde dann die Gruft wieder geöffnet und die Soldaten bei ihren Kameraden im betreffenden Grab (sortiert nach Regionen) beigesetzt. Während des Krieges wurden die Gefallenen nur provisorisch verscharrt, später in einem Massengrab „gesammelt“ und dann 1954 an ihren jetzigen Ruheort umgebettet. Wobei „Ruheort“ relativ ist: früher lag die Gedenkstätte mitten in der Wüste (so wie damals auch die Bahnstation, nach der der Ort des Dramas benannt wurde), heute erstreckt sich ein Neubaugebiet von Neu Alamein unterhalb der Gedenkstätte und der Muezzin ruft ziemlich eindringlich und energisch laut. Das gefiel mir nicht.
Ich war mir erst nicht sicher, ob ich diese Familiengeschichte öffentlich teilen soll, habe mich dann aber entschieden, sie in wenig Details öffentlich zu machen und bin überrascht, wie viele Menschen dieser kleine Einblick motiviert hat, jetzt doch nochmal nach ihren Angehörigen zu suchen, auch „den Kreis zu schließen“ und wie viele Menschen im näheren Bekanntenkreis dort ebenfalls Verwandte hatten und wie viele Familien in unserem sozialen Umfeld „El Alamein“ und der zweite Weltkrieg bis heute beschäftigt. Der Vater eines Freundes (ein Brite) war beispielsweise auch in El Alamein und obwohl er theoretisch derjenige gewesen sein könnte, der Leid über meine Familie brachte, bleiben wir natürlich weiter Freunde. Das Zwischenmenschliche war sowieso das Absurde der Schlacht: außerhalb vom Schlachtfeld sah man sich als Mensch, während der Kampfhandlungen als abzuschlachtendes Monster. Wurde Lili Marleen gespielt, hat man die Kampfhandlungen gestoppt und zu beiden Seiten Tote und Verletzte geborgen. Hörte die Musik auf zu spielen, wurde sich weiter abgeschlachtet.
Eigentlich wollten wir im Anschluss noch in ein Museum, in dem jede Nation (Deutsche, Briten, Italiener, …) einen Saal hat, in dem Dokumente, Artefakte und Videoaufnahmen der Schlacht gezeigt werden, doch am Ende lagen wir im Hotel auf dem Bett und zogen uns bei YouTube eine Dokusendung nach der anderen rein. Wie im letzten Blogpost beschrieben, ist in Ägypten Lug und Betrug an der Tagesordnung. Deswegen muss an Museen und Sehenswürdigkeiten grundsätzlich per Kreditkarte gezahlt werden. Am Museum in El Alamein war das „zufällig“ nicht möglich. Und genauso „zufällig“ gab es auch keine Eintrittskarten mit aufgedrucktem Preis, sondern „zufällig“ nur ein Buch, in dem die Besucher eingetragen werden sollten. So viele „Zufälle“ und dann auch noch ein angeblicher Eintrittspreis von 10$ pro Person war uns dann doch den Besuch nicht wert. Selbst die Pyramiden haben nur 7,50€ Eintritt gekostet! Wir spielen ja solche Spiele grundsätzlich nicht mit und fuhren deswegen zum Hotel, um dort Dokusendungen zu schauen.
Die billigste Unterkunft, die wir finden konnten, lag zwischen Neu Alamein und El Alamein und stammte aus der Zeit, als es nur eine Landstraße gab und keine zehnspurige Autobahn. Heute liegt das Hotel direkt am Autobahnkreuz, welches über die Hotelterrasse gebaut wurde. Die Eingangstreppe des Hotels endet heute auf dem Standstreifen der Autobahn, um zum Hotel zu gelangen, muss man quasi über den Hinterhof rumpeln. Unser Balkon hatte beste Aussicht auf das Autobahnkreuz, aber bei geschlossener Balkontür konnten wir YouTube schauen und mit Ohrenstöpseln auch schlafen.
Nach fünf Tagen mit dem Mietwagen hatten wir alles abgeklappert, was mit ÖPNV nicht möglich war, und es war Zeit, nach Kairo zurückzufahren und das Auto zurückzugeben. Dann waren wir wieder Backpacker und kauften sofort ein Zugticket. Seit wenigen Wochen müssen Ausländer ihre Bahntickets in Dollar bar bezahlen, weil die ägyptische Bahn damit harte Währung in die Kassen spülen möchte, um ihre Strecken zu betreiben und auszubauen. 3x dürft ihr raten, wer Vertragspartner dazu ist: Die Deutsche Bahn, die im Ausland immer noch allerbesten Ruf genießt!
Unser Zug nach Minya fuhr pünktlich ab, Toilette, Bordbistrot und Klimaanlage funktionierten während der gesamten Fahrt. Leider zu gut, denn die Klimaanlage kühlte so weit herunter, dass wir am Ende sogar unsere Jacken anhatten und heißen Tee vom Bordservice bestellten. Und der wurde dann in Pappbechern serviert, auf denen auf Bulgarisch „Alles Gute zum Geburtstag“ stand. Verrückte Welt!
In Minya angekommen, begann sofort der große Ärger. Wegen häufiger islamistischer Terroranschläge auf Christen in und um Minya müssen sich Touristen dort mit Polizeischutz bewegen. Dazu gibt es eine eigene „Touristenpolizei“. So weit, so gut. Kennen wir auch aus anderen Ländern und eigentlich soll das ja dazu dienen, den Touristen zu helfen und ihre Sicherheit zu garantieren. In Minya war das allerdings anders. Kaum waren wir aus dem Zug gestiegen, fragten uns die Polizisten, ob wir eine Hotelreservierung hätten. Hatten wir nicht, weil in Ägypten die im Internet gelisteten Hotels die der teuren Preisklasse (so ab 35€) sind und die billigen Unterkünfte es ohne Internetportale machen. Auch die im Internet gelisteten Unterkünfte sind direkt an der Rezeption grundsätzlich um rund 5€ pro Nacht günstiger als online gebucht, sodass wir in Ägypten reisen wie vor dem Internet-Zeitalter. Wir hatten aber ein paar Adressen von Unterkünften in der „bis 15€ Kategorie“, was der Polizei aber nicht gefiel. Sie wollten uns ins „Hotel am Platze“, das Savoy bringen. Wir brauchen aber keine goldenen Wasserhähne und Silberbesteck und lehnten ab.

Die Bahnhofskioske in Ägypten meinen es ernst. 🙂
Während wir unsere Bahnfahrkarten für den nächsten Tag kauften, telefonierten die Polizisten um uns herum die Leitungen heiß. Dass wir nicht in den Sterneschuppen am Bahnhofsvorplatz wollten, gefiel ihnen definitiv nicht. Wir liefen in Begleitung eines etwas fußlahmen Polizisten zur ersten unserer günstigen Adressen. Als wir dort mit dem Polizisten im Schlepptau auftauchten, hieß es sofort „leider ausgebucht“. Kann ja mal passieren, dachten wir da noch und liefen, weiterhin mit dem Polizisten im Schlepptau, zur nächsten Adresse. Blöderweise hatten wir dem Polizisten gesagt, was unsere nächste Anlaufstelle war, und blöderweise griff der dann sofort zum Telefon. Wir liefen schneller als er (egal, weil er ja eh wusste, wohin wir wollten) und – so ein Zufall – trafen beim Hotel unserer Wahl auf einen Polizisten, der uns mitteilte: „Leider ausgebucht!“. Der Rezeptionist nickte und beide schickten uns zum Hotel um die Ecke, was sowieso unsere nächste Wahl gewesen wäre. Kaum trafen wir dort ein, wurden wir schon vom Rezeptionisten erwartet. „Leider ist eben gerade das allerletzte Zimmer vermietet worden. Leider, leider!“ Wir rochen den Braten, den Polizisten im Nacken, und ich fragte frei heraus, ob das „letzte verfügbare Zimmer“ an den Polizisten vermietet wurde. Da bei der Touristenpolizei sowieso kein Mensch Englisch konnte, war auch das egal. Der Rezeptionist lächelte vielsagend und verneinte das nicht. Immerhin telefonierte er (und leider auch der Polizist) herum, auf der Suche nach einem Bett für uns. Das sollte es um die Ecke in einer wirklichen Bruchbude für 50$ geben. Jetzt trapste die Nachtigall nicht mehr, sie polterte laut… Nicht mit uns! Eine letzte Chance auf unserer Liste war das abgewrackteste Hotel der ganzen Stadt mit sanitären Anlagen, die wahrscheinlich seit Eröffnung vor 50 Jahren zuletzt geputzt wurden. Dort stand der Rezeptionist vor dem vollen Schlüsselbord und behauptete mit Blick auf den Polizisten: „leider alles ausgebucht!“. Die Touristenpolizei hat die Unterkünfte der Stadt voll im Griff. Wer keine „Vermittlungsgebühr“ an die Herren in Weiß (die ägyptische Polizeiuniform ist wirklich schön!) zahlen möchte, ist „leider ausgebucht“. Mittlerweile waren geschlagene drei (drei!) Stunden vergangen und wir hatten immer noch kein Bett für die Nacht. Auf „wundersame Weise“ waren mittlerweile auch alle Unterkünfte bei booking.com „leider ausgebucht“, sodass wir unserem Begleiter mitteilten, wir müssten dann wohl leider bei ihm im Büro schlafen. Daraufhin telefonierte er wild herum und nahm uns tatsächlich mit in sein Büro, wo wir es uns demonstrativ häuslich einrichteten.
Irgendwann war Schichtwechsel und der neue Kollege fand es nicht so toll, Gäste in seinem Büro zu beherbergen und hing sich nochmal ans Telefon. Plötzlich ging es ganz schnell. Es gäbe jetzt doch noch ein Hotel für 20$ und dahin würde er uns bringen. Die dortige Rezeptionistin (verlauster Haarschopf) wirkte extrem genervt vom Polizeibesuch, gab uns aber anstandslos ein Zimmer. Dort verlief eine Ameisenstraße übers Bett, aber immerhin hatten wir endlich ein Bett! Kaum hatten wir unser Gepäck abgestellt, klingelte das Telefon auf dem Nachttisch: was wir essen und unternehmen wollten? An der Rezeption klärten wir über die englischsprachige Rezeptionistin, dass wir für den nächsten Morgen einen Polizisten für unser Ausflugsprogramm bräuchten und seit dem Frühstück (es war mittlerweile 21 Uhr) nichts gegessen hatten und jetzt um die Ecke etwas essen wollten. Da der anwesende Polizist uns aber nicht begleiten konnte oder wollte, bat uns der Uniformierte, eine halbe Stunde auf seinen Kollegen zu warten. Wir ließen ihm übersetzen, dass er und seine Kollegen uns über drei Stunden ohne eine Geste des Willkommens, ohne ein paar Tropfen Wasser oder Gelegenheit, irgendwo anzukommen, durch die Stadt gescheucht hatten (gut, dass wir nur Handgepäck haben!) und dass sein Kollege gerne ins Restaurant nachkommen könne, wenn er selbst dazu nicht in der Lage sei. Als Kompromiss schickte er dann den Kofferträger des Hotels als Begleitschutz mit, mit dem wir unser Essen nicht mal teilen durften, so schüchtern war er. Die Restaurant-Crew vom syrischen Hühnchenrestaurant freute sich so dermaßen über uns, dass wir einen dritten Teller mit leckeren Sachen geschenkt bekamen und am Ende sogar nicht den vollen Rechnungsbetrag zahlen durften. „Welcome to Egypt!“. Die Menschen in Minya, die nicht bei der Polizei arbeiten, sind ehrlich und lieb.
Am nächsten Morgen fiel es uns wie Schuppen von den Augen: das Personal im Frühstücksraum überschlug sich vor Freude, uns zu bewirten. Wir bekamen mehr Falafel, als wir essen konnten und mehr Wünsche von den Augen abgelesen, als wir hatten. Wir aßen an Stofftischdecken mit großem Logo der größten Brauerei, im Kühlschrank stand Bier und an den Wänden hing Bierwerbung. Bis auf die Putzfrau zeigte das gesamte weibliche Personal wallende Haare und die „Kooperation“ mit der Polizei wurde auf das gesetzlich vorgeschriebene Minimum beschränkt, der Übernachtungspreis war fair. Fällt auch bei Euch der Groschen? Unserer schepperte laut: wir waren in einem koptischen Hotel!
Unser Begleitpolizist erschien in Zivil aber bewaffnet und machte für uns ein Taxi klar. Wir hatten uns vorher ein Maximum überlegt, was wir auf Grundlage der Taxipreise aus Kairo plus Wartezeit für den Fahrer zu zahlen bereit waren. Der Polizist fand exakt zu diesem Preis einen Fahrer und wir düsten los. Am vermeintlichen Ziel angekommen (es gab im Vorfeld Kommunikationsprobleme, weil die Touristenpolizei weder Karte lesen noch Englisch kann), wartete schon weitere Polizei auf uns und auch ein englischsprachiger Guide. Welch Freude! Bloß war der überrascht, dass wir gar nicht da hin wollten, wohin er uns führen wollte, sondern wir ihm und dem erstaunten Polizisten zeigten, was (auch) für Touristen interessant ist: in Minya ist die größte, aktive (!) Totenstadt Ägyptens und eine der größten Nekropolen der Welt! Zufällig liegt diese direkt neben der erst 2017 entdeckten pharaonischen Grabanlage mit Stufenpyramide, zu der uns der nette Guide eigentlich hatte führen wollen. Doch weil die Ausgrabungen noch im vollen Gange waren und man eher Erdhaufen und Absperrband besichtigte, ist das noch nicht ganz eine Sehenswürdigkeit, die wir anschauen würden.
Die Nekropole „Zawiyyet Al Mayyiteen“ ist rund 4km lang und 200 Jahre alt und wird mit jeder neu zugezogenen Familie vergrößert. Jede Familie baut ein „Häuschen“ mit Kuppeldach und bestattet darin, in Tücher eingewickelt, die Toten der Familie. Die Körper werden mit den Füßen gen Mekka und dem Gesicht nach oben ausgerichtet auf den Boden des „Häuschens“ gelegt und dieses dann zugemauert. Der durch die Dachöffnung hereinblasende trockene Wüstenwind trocknet den Körper aus und wenn das nächste Familienmitglied stirbt, wird die Mauer wieder geöffnet und die Körper nebeneinander aufgereiht.
Der Polizist war plötzlich auch ganz interessiert, der Guide etwas belustigt und der Wachmann der archäologischen Ausgrabungsstätte, der uns mit seinem Gewehr gefolgt war, wurde plötzlich zum Fremdenführer. Er war der einzige unseres Begleittrupps, der sich mit der Nekropole auskannte und blühte ob seines „Jobwechsels“ sichtlich auf. Er fand für uns eine frisch gebaute, noch „unbewohnte Familiengruft“ und ich kletterte mit ihm (und dem sehr neugierigen Polizisten) hinein. Mittlerweile werden die „Häuschen“ aus normalen Steinen und Mörtel vom Baustoffhändler gebaut, früher wurde mit Lehmziegeln gemauert.
Wir ließen den Fremdenführer den Taxifahrer bitten, uns noch zum neuen Museum der Stadt Minya zu fahren. Der Polizist reagierte irritiert, aber aufgrund der Sprachbarriere konnten wir ihm nicht ganz vermitteln, dass wir nur ein Foto von dem Bau machen wollten. Das Museum wird nämlich höchstwahrscheinlich nie eröffnet, denn das Hauptausstellungsstück befindet sich in deutscher Hand und wird es auch bleiben, trotz diplomatischem Konflikt deswegen. Minya ist nämlich die Heimat der Nofretete. Hier hat sie gelebt, hier hat sie regiert, hier gehört sie hin. Die ganze Stadt ist wahnsinnig stolz auf „ihre Nofretete“ und „alles“ ist dort nach ihr benannt, „überall“ ist sie abgebildet. Ihre berühmte Büste befindet sich jedoch in Berlin, wohin sie zu britischen Kolonialzeiten unter Gekungel von Briten, Deutschen und Franzosen auf verschlungenen Wegen geschmuggelt wurde. Ägypten und die Stadt Minya haben Deutschland eine originalgetreue Kopie inklusive Marketingkampagne für das „Neue Museum“ in Berlin angeboten, aber das Museum in Minya wird voraussichtlich eher verfallen als eröffnet. Wer mehr dazu lernen möchte, liest hier weiter: Nefertiti: The beautiful Pharaoh who went from Egypt to Berlin
Nach unserer Besichtigungstour sahen wir, wie der Taxifahrer dem Polizisten einen Teil des von uns gerade bezahlten Honorars weitergeben musste. In der Stadt hat die Touristenpolizei wirklich mafiöse Strukturen entwickelt und ist somit kein „Freund und Helfer“, sondern eine Art „Endgegner“ für Touristen und Hotels, die solche korrupten Spiele nicht mitspielen möchten. Wir verzogen uns die Stunden bis zur Abfahrt in den Wartesaal des Bahnhofs, vor dem dann ein Polizist zur Wache saß. Die Klofrauen und ich waren seit dem Vortrag schon „best buddies“ und ich musste nicht mehr bezahlen, unzählige Selfies mit ihnen machen und bekam jedes Mal die Toilette frisch gewischt. Ägypten ist wirklich extrem in zwei Lager gespalten: die eine Seite ist ehrlich und unglaublich gastfreundlich, die andere Seite unvorstellbar korrupt und dauernd versucht, zu betrügen. Für uns ein anstrengendes Wechselbad, ständig auf der Hut zu sein. Wir haben beide Afrika intensiv bereist und zusammengerechnet mehrere Jahre auf diesem Kontinent verbracht: reisend und arbeitend. Jeder von uns hat über 90 Länder dieser Welt kennengelernt und wir beide sind uns einig: so viel „Lug uns Betrug“ und Nervtöter gibt’s nirgendwo. Außer im Senegal, da gibt’s auch überdurchschnittlich viele Nervtöter, aber weder Lug noch Betrug oder Korruption in dem Ausmaß wie in Ägypten.
Wir fuhren mit dem Zug sechs Stunden weiter gen Süden nach Luxor und freuten uns nach zwei Wochen Individualtourismus mit Mietwagen und Polizeischutz darauf, ein wenig in der „Hostelblase“ zu entspannen. Hostelbetreiber wissen, wie ihre Mitmenschen auf das Nervenkostüm ihrer Gäste wirken und schützen Reisende in ihrer Blase, soweit es geht. Wir wurden direkt vom Bahnhof abgeholt und mussten nicht mit Taxifahrern über Fahrpreise, Routen und Wechselgeld streiten. Auf der Dachterrasse gab es Abendessen zum erschwinglichen Festpreis, ohne mit Kellnern über „Zusatzleistungen“ oder sonstige Phantasiepreise diskutieren zu müssen. Man kann an der Rezeption Ausflüge und Taxifahrer zum Festpreis buchen und sich komplett „pampern“ lassen. Eigentlich „betreutes Reisen“, aber mit geringem Budget. Wer sich in Ägypten in einer solchen „Hostelblase“ bewegt, spart viel Nerven, bekommt aber nur das zu sehen, was der Durchschnittsreisende in seinen zwei Wochen Ägyptenurlaub halt so zeitlich schafft. Da wir mehr Zeit haben und mehr sehen wollten, mussten wir die ersten beiden Wochen ohne „Hostelblase“ reisen und bekamen die „volle Packung“. In Luxor leben 80% der Ägypter vom Tourismus und so ist der Gang auf die Straße ein Spießroutenlauf, nach dem es guttut, jederzeit in eine solche „Blase“ zurückkommen zu können. Wir buchten vier Nächte. Was wir rund um diese vier Nächte in der erholsamen „Hostelblase“ spektakuläres erlebt haben, erzählen wir Euch nächste Woche.
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