Wir sind ein Land und eine Sackgasse weiter – oder ein Land weiter rückwärts, denn um nach Gabun zu kommen, mussten wir über 800km in die „falsche“ Richtung fahren. Als wir das letzte Mal Motorrad gefahren sind, bevor wir auf dem Frachtschiff den Kongo hinuntergeschippert sind, wussten wir, dass wir in eine Sackgasse fahren. Diesmal hätten wir es wissen können, haben aber nicht daran gedacht. Und hier fließt kein Fluss, der uns da wieder herausbringt…

850km in die „falsche“ Richtung

Wir verließen Brazzaville, die Hauptstadt vom „kleinen“ und „guten“ Kongo gen Norden, denn wir wollten nach Gabun, einem kleineren, oft übersehenen Land zwischen der Republik Kongo, Äquatorialguinea und Kamerun. Wir sind in den letzten Tagen oft gefragt worden: musste das sein? Warum so ein komplizierter Umweg? Weil wir „Blaunasenaffen“ (Mandrills) sehen wollten und weil wir nicht auf der Flucht durch Afrika sind, sondern den Kontinent kennenlernen möchten. Dazu gehören auch Umwege, komplizierte oder teure Visa – und Sackgassen.

492km an einem Tag

Wir reisen normalerweise langsam mit kurzen Tagesetappen. Über 250km an einem Tag sind bei uns selten. Meist gibt es vorher schon wieder irgendetwas zu sehen, zu erleben oder zu machen – oder wir verlieren schlichtweg die Lust am Fahren und halten an, um den Fahrtag zu beenden. Doch weil wir unserem eigenen Zeitplan 2-3 Wochen hinterher hinken, mussten wir diesmal ein wenig „Tempo machen“ und sind deswegen 500km an einem Tag gefahren. So viel wie schon seit vielen Jahren nicht mehr!

Als Autofahrer lacht man darüber, als Fahrer einer fetten, schweren „Reise“-Enduro auch. Doch auf einem kleinen Motorrad ohne Windschutz, mit wenig Kubik und hoher Drehzahl sind 500km nicht wirklich das, was man täglich machen möchte. Und die Landschaft tat ihr übriges: langweilig. Einfach nur langweilig. Rechts nichts, links nichts. Grünes Gras bis zum Horizont, die Straße geradeaus. Selten andere Fahrzeuge, selten Ortschaften. Wir überholten uns mehrmals gegenseitig mit einem Auto, an einer Tankstelle schwätzten wir miteinander und stellten fest: das wird die nächsten 300km so weiter gehen, wir haben dasselbe Tagesziel. Es kam nicht so, denn wir mussten quasi an jeder Tankstelle halten, um nach Benzin zu fragen, da wir nur 400km Reichweite haben und wussten: Sprit ist im Kongo schwierig. Oft haben Tankstellen gar nichts und winken weiter, manchmal gibt es nur Diesel oder nur Benzin und manchmal nur ein Limit pro Person in Litern oder Geld. Wir schafften es, nach 200, dann nach 80 und später nach 120km Benzin zu finden und hatten außer diesen Tankstellen keine Abwechslung auf der gesamten Fahrt. Es war zäh. Sehr zäh.

Nach 500km kamen wir an unserem Etappenziel an und fanden eine Unterkunft, die kongolesischer nicht sein könnte: in keinem Land seit Mauretanien sind wir überall so herzlich und warm aufgenommen worden. So auch dort: die Dame der Unterkunft strahlte uns an, als seien ihre liebsten Verwandten gerade zu Besuch gekommen, gab uns ein super sauberes Zimmer und kochte ein Huhn mit Reis, das ausnahmsweise richtig lecker war, weil es in Gemüsesauce schwamm. Wir hatten Abschiedsschmerz vom Kongo.

Am zweiten Fahrtag lagen 350km vor uns. Die Landschaft blieb gleich zäh und hätte auch in Brasilien sein können: den Regenwald sah man nur in der Ferne, entlang der Straßen war alles abgeholzt und zu Grasland für Kühe gemacht worden. Alle paar Kilometer ging es zu einer Farm, das war’s auch an Abwechslung.

Der Regen sorgte schon für mehr Abwechslung: Regensachen an, Regensachen aus. Bei den Temperaturen möchte man zwischen den Gewittern nicht in Membranjacken fahren! An einer Polizeikontrolle wurden wir nett ins Büro gebeten und saßen da, bis der Regen aufgehört hatte. Weil kein anderer Verkehr war, hatte der Polizist Zeit, mit uns zu plaudern. Auf Portugiesisch, weil er in Angola gelebt hat und Jan ihm verraten hatte, dass ich auch Portugiesisch kann. Wie viele Länder uns noch fehlen, wollte er wissen und tippte auf 80. Sehr guter Tipp: zu dem Zeitpunkt fehlten mir noch 79 UN-Mitgliedsstaaten.

Keine 50km später fehlten mir nur noch 78 Länder, denn wir stempelten in Gabun ein. Über uns rumpelte es böse in den schwarzen Wolken, sodass der Zöllner davon absah, uns alles auspacken zu lassen und wir über eine grüne Hochebene ins 115., beziehungsweise 117. Land rollten. Die Hochebene war eigentlich ganz schön, aber wir flohen vor dem nächsten Gewitter: Regenzeug wieder an und Gas geben, denn auf einer kahlen Hochebene bei Gewitter ist man der höchste Punkt auf weiter Ebene…

Nach 350km kamen wir am Etappenziel Moanda an: müde, mit wehem Po, nassen Füßen, nassen Handschuhen mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern und mental ziemlich demoralisiert: am Vorabend hatten wir gemerkt, dass wir uns gerade 850km in eine Sackgasse hinein manövrieren. Und das alles nur wegen „Blaunasenaffen“! Das angedachte Hotel stellte sich als totaler Reinfall heraus, es dämmerte bereits und das nächste Gewitter war im Anmarsch. Wir hatten keine Simkarten und damit kein Internet, sodass wir auch nicht nach einer Hotelalternative googeln konnten. Das nächstgelegene Hotel auf der Karte war ein Sterneschuppen. Jan beschloss: irgendwann muss der Tag auch mal enden – und zwar jetzt – und legte die Kreditkarte auf den Rezeptionstresen. Im luxuriösen Zimmer duschte er dann so lange so heiß, dass er das Bad in eine Dampfsauna verwandelt und seine von 850km auf einer Wettbewerbsenduro verspannten Muskeln weich gekocht hatte.

Wir saßen am nachts beleuchteten Pool und überdachten unsere Lage: die Hauptverkehrsstraße, die Gabun von Ost nach West quert und zur Hauptstadt Libreville führt, ist nicht asphaltiert und aufgrund unserer 2-3 Wochen Verspätung waren wir mittlerweile in der sogenannten „kleinen Regenzeit“ gelandet. Das war uns bei Abfahrt in Brazzaville auch bewusst gewesen. Was wir aber völlig vergessen hatten: die „barrières de pluie“. Diese „Regensperren“ sind Schranken, die bei Regen und matschiger Straße geschlossen werden, um zu verhindern, dass sich Fahrzeuge im bodenlosen Matsch festfahren und dort bis zum Ende der Regenzeit feststecken, weil es keine Fahrzeuge gibt, die sie bergen könnten. Gab es im Kongo schon und gibt es natürlich auch in Gabun. Wir hatten es nur vergessen. Und da wir jetzt in der Regenzeit sind, regnet es natürlich täglich und die Schranken sind meistens zu. Mit Zeit könnte man einfach häppchenweise fahren und Streckensperrungen aussitzen, aber wir haben aufgrund von Visafristen keine Zeit. Und weil auf der Strecke schwere Holz-LKW fahren, die die Straße in Matschhöllen verwandeln und weil es keine Motorräder im Land gibt, die wie in anderen Ländern gute Umfahrungen als eine Art „Trampelpfad“ anlegen, ist das Fahren auch kein Spaß, wenn die Straße geöffnet wird. Tja, was dann? Dann fahren wir halt Zug!

Das Problem haben ja nicht nur wir, sondern auch Einheimische und deswegen bietet die Bahn täglich einen Autoreisezug an, der einmal quer durchs Land zur Hauptstadt fährt. Tolle Idee, also los zum Bahnhof! Der Bahnhof von Moanda liegt 13km außerhalb der Stadt inmitten der zweitgrößten Mine der Welt für Mangan. Mangan braucht man insbesondere zur Herstellung von Stahl und die Wahrscheinlichkeit, dass in Eurem Auto ein Stück Gabun steckt, ist groß. Oder Euer Handy, Laptop, E-Auto oder Akkuschrauber einen Lithium-Ionen-Akku hat, in dem auch ein Stück Gabun enthalten ist. Zurück zum Bahnhof in der Mine: der Zug, egal ob Autoreisezug oder Passagierzug war natürlich für die nächsten 10 Tage schon ausgebucht. Die Einheimischen kennen das Spiel mit der Straße ja schon und buchen langfristig.

Nur wenige Monate im Jahr befahrbar

Nun, dann erstmal Simkarte kaufen, Instant-Cappuccino beim Bäcker trinken und nachdenken. Was gibt es noch für Möglichkeiten? Wenn der Landweg nicht geht, der Zug ausgebucht ist, es keinen Fluss für den Wasserweg gibt, bleibt nur noch der Luftweg! Glücklicherweise gibt es genügend Flüge pro Tag und wir buchten uns Tickets. Die Motorräder lassen wir natürlich in Moanda stehen, die fliegen nicht mit. Zufrieden kauften wir unglaublich gute, saftige Rosinenschnecken und fuhren zurück zum Hotel. Wir hatten einen Plan!

Doch erstmal stand das auf dem Programm, weswegen wir überhaupt in diese Sackgasse gefahren waren: die „Blaunasenaffen“. Die heißen natürlich in Wirklichkeit Mandrills, aber Jans Eltern haben einen Bildband, in dem der kleine Jan vor mindestens 40 Jahren geblättert und davon geträumt hat, all diese „Wunder der Erde“ irgendwann mit eigenen Augen zu sehen. Und in diesem Bildband war ein Bild eines „Blaunasenaffen“ und wir waren hier, um sie zu sehen! Mandrills leben nur in einer sehr kleinen Region dieser Erde: in Restpopulationen im südlichen Kamerun und nördlichen Kongo, aber hauptsächlich in Äquatorialguinea und Gabun. Sonst nirgends. Wir hatten uns in einem Naturschutzpark angemeldet, damit die Ranger dort die Affen für uns aufspüren können, bis wir kommen.

Eine Weißnasenmeerkatze. Fotoscheu wie immer.

Wir fuhren frühmorgens los. Die Landschaft wandelte sich kurz nach der Stadt zu wunderschönem Regenwald – in dem die Mandrills ja auch leben. Wir waren wie immer die einzigen Gäste im gesamten Naturschutzgebiet und wurden vom Guide mit dem Auto abgeholt. Er hatte schlechte Nachrichten: seine Kollegen hätten die Mandrills nicht aufspüren können und das auch schon zwei Wochen lang nicht. Aber er würde mit uns eine kleine Safari machen, die wir auch nicht bezahlen müssten, weil wir ja wegen der Mandrills da waren.

Wir fuhren durch den Park, sahen Impalas und andere Gazellen, Weißnasenmeerkatzen und Waldbüffel. Die Gesellen kannten wir aber alle schon. Wir waren wegen der Mandrills da und so war die Stimmung im Auto etwas gedämpft. Obwohl die Waldbüffel ja wirklich süß sind! Es gibt sie nur in West- und Zentralafrika und weil sie im dichten Regenwald leben, ist bisher noch nicht viel über sie bekannt. Über ihre Verwandten, die schwarzen „Safari“ Büffel, weiß man (fast) alles. Die Waldbüffel fressen gerne Gras und weil das entlang von Wegen und auf Waldlichtungen wächst, sind das die einzigen Orte, wo man sie sehen kann. Und wir sahen viele von ihnen! Wir finden sie auch wirklich niedlicher als ihre „Safari-Kollegen“…

Dann beschloss der Ranger, mit dem wir unterwegs waren, dass 1,5 Stunden „dumm herumfahren“ genug seien und brachte uns zurück zum Ausgang. Wir kennen das ja schon mit Tieren und hatten deswegen extra noch einen zweiten Tag eingeplant, falls wir am ersten Tag keine blauen Nasen sehen. Wir tauschten mit dem Ranger Telefonnummern aus und liefen zum Tor, als sein Handy klingelte: seine Kollegen hatten die Affen gefunden! Schnell zurück zum Auto und im Expressgang über die Pisten geflogen. Wir hatten so ein Glück! Meistens halten sich die Affen im tiefen Wald auf und man muss ein paar Stunden laufen, um sie zu sehen, doch die Spotter hatten eine Gruppe Mandrills in der Nähe eines Waldweges entdeckt!

Wir konnten es kaum glauben: vor uns, mitten auf dem Waldweg, turnten etwa 20 Mandrills herum! Als wir kamen, warfen die Ranger ein paar Bananen auf den Weg, die noch mehr Affen aus dem Wald lockten. Wow! So viele auf einmal! Und, was wir gar nicht wussten: nicht nur ihre Nasen waren leuchtend blau und knallrot, auch ihre Pos und Geschlechtsteile leuchteten in grellem pink – lila! Und ich schreibe bewusst „leuchteten“ und nicht „gefärbt“, denn das ist das Besondere an den Mandrills.

Ihre grellen Farben sind nicht farbige Haut oder Haare, sondern spezielle Lichtreflexe. Wikipedia nennt das „strukturelle, kohärente Interferenz“, was bedeutet, dass in der Haut der Affen Kollagenfasern so angeordnet sind, dass das Licht so gestreut wird, dass es blau oder pink oder lila reflektiert. Bei Aufregung intensiviert sich die Farbe, da die Kollagenfasern straffer werden. Und die Tiere waren aufgeregt, schließlich gab es ja Bananen!

Wir waren völlig mit Staunen, Filmen und Fotografieren beschäftigt, die Ranger damit, die wilde Affenbande mit gezielten Würfen von Bananen weit genug von uns weg zu halten, denn wir standen fast mittendrin – manche Affen trauten sich fast 1m nah an uns heran, die wir wie versteinert, völlig gebannt vom sich uns bietenden Schauspiel, auf dem Waldweg standen.

Was wir auch nicht auf dem Schirm hatten: die Mandrills sind größer als gedacht! Wenn sie auf allen Vieren laufen (und das tun sie hauptsächlich, weil sie nicht so gute Klettermaxe sind), sind sie einen halben Meter hoch. Stellen sie sich auf, sind sie 1m groß. Und weil die Mandrills zur Gattung der Paviane gehören, sind sie damit nicht ganz ungefährlich: Ihre Eckzähne sind ungefähr 6,5cm lang!

Mindestens zwei Weibchen trugen ihren Nachwuchs unter dem Bauch und drehten die Jungen scheu weg, als sie uns sahen und insbesondere immer dann, wenn Jan fotografieren wollte. Ähnlich, wie eine deutsche Menschenmama es macht, wenn Fremde ihr Kind fotografieren. Absolut faszinierende Tiere!

Baby an Bord – Foto unerwünscht 🙂

Wir waren so froh, sie doch noch gesehen zu haben und auch froh, vor unserem Besuch uns nicht die Zeit genommen zu haben, über die Tiere zu recherchieren. So konnten uns die grellen Farben und ihr außergewöhnliches Leuchten noch richtig überraschen und wir haben erst später nachgelesen, welches physikalische Phänomen dahintersteckt. Auf der Rückfahrt vom Park hat es natürlich wieder geregnet, aber das war egal: wir hatten die Mandrills gesehen. Die langen, zähen 850km Fahrt hatten sich absolut gelohnt. Jeder Kilometer davon! Wir haben das Foto aus dem Bildband aus Jans Kindheit lebendig gemacht und  ganz besondere Tiere in freier Wildbahn gesehen, die es nur auf einem kleinen Flecken dieser riesengroßen Erde gibt. Für solche Erlebnisse reisen wir, für solche Erlebnisse lohnt sich jede Strapaze. Und jetzt, wo wir schonmal in Gabun sind, entdecken wir das Land trotz Regen, trotz gesperrter Straßen und trotz Visadruck. Es gibt noch mehr in Gabun als „Blaunasenaffen“! Während Ihr das hier lest, sind wir schon unterwegs zu den nächsten Tieren. Ohne blauen Nasen – aber mit besonders langen!

 

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