„Seid Ihr jetzt sesshaft? Ist die Reise zu Ende? Bleibt Ihr jetzt für immer in Bulgarien?“ Nein, nein und nein. Die Reise ist nicht zu Ende und wir bleiben auch nicht für immer in Bulgarien. Wir machen Zwangspause aus vielerlei Gründen.

Die Gründe sind administrativer Art (Visa, Papierkram) und logistischer Art (Liefer-Engpässe). Denn wir wechseln die Reisefahrzeuge. Im Mai hatte ich eine neue Honda CRF300L bestellt, im Juni meine Yamaha WR250F dafür in Zahlung gegeben und mittlerweile fährt dieHonda mit bulgarischen Kennzeichen durch den Sommer. Jan hat sich für seine KTM EXC500 entschieden und auch sie hat mittlerweile bulgarische Kennzeichen. Da können wir doch jetzt weiter, oder? Nein.

Jans KTM hat ein Tankvolumen von 8,5l, meine Honda hat nur 7,8l Sprit im Tank. Weiter als bis zur Eisdiele kommen wir damit nicht. Man konnte früher, als Europa noch etwas runder lief, einfach große Tanks kaufen. Das geht heutzutage nicht mehr. Wir warten seit Mai auf unsere größeren Motorradtanks. Und weil die kleine Honda ohne ernsthaftes Fahrwerk ausgeliefert wird, warte ich auch auf Gabelkartuschen und Federbein. Liefertermin für das Fahrwerk: September. Liefertermin für die Tanks: Juni. Juni 2022, also vor zwei Monaten. Es macht nicht wirklich Spaß.

Rot: unsere neuen Isomatten im Vergleich zu den alten Therm-a-Rest

Wir nutzen den Fahrzeugwechsel und die Zwangspause, um unsere Ausrüstung Teil für Teil zu sortieren und gewisse Dinge zu ersetzen. Nach 25 Jahren schicken wir unsere Therm-a-Rests in Ruhestand, gönnen uns ein etwas größeres und dennoch um 1,7kg leichteres Zelt, sortieren die an den Ellenbogen durchgewetzten und von der Sonne ausgebleichten Fleece-/Softshelljacken nach über vier Jahren Dauereinsatz aus und tauschen Daunenjacken, Daunenschlafsack und Daunendecke gegen Kunstfaser. Das nächste Reisekapitel wird tropisch, die letzten Jahre waren wir in eher trockenen Klimaten unterwegs. Und auch hier zeigt sich: in Deutschland ist keine Outdoor- oder Motorradausrüstung aus den oberen Regalfächern lieferbar. Wir haben den Outdoor-Laden in Sofia „leer gekauft“ und lassen uns aus Polen (Jacke), Thailand (Auspuff, Federbein), USA (Zelt), UK (Gepäckträger), Australien (Luftfilter, Tanksocke), Italien (Gabelkartuschen, Motorschutz), China (Sitzbankbezug), Österreich (Ersatzteile KTM), Holland (Motorrad, Hondateile) und Frankreich (Hose) beliefern. Lange Postlaufzeiten inklusive, aber immerhin ist dort mehr lieferbar!

Kein Wohnsitz in Deutschland, aber ohne den gibt’s keine neuen internationalen deutschen Führerscheine. Immer nur 2 Jahre Gültigkeit ist blöd.

Wenn nicht das Problem mit den nicht lieferbaren Tanks wäre, könnten wir auch aus „administrativen Gründen“ nicht weiter. Anfang April hatten wir ja US-Visa beantragt und erst Ende August einen Termin zum Interview auf der US-Botschaft in Sofia ergattert. Plus Wartezeit danach für die Ausstellung des Visums. Dann ist auch noch einer meiner Pässe vollgestempelt und dafür wartet man fünf Wochen auf einen Termin zur Abgabe des Passantrages und 6-8 Wochen, bis der Pass dann abgeholt werden kann. Außerdem sind unsere internationalen Führerscheine abgelaufen und da diese nur in Kombination mit dem deutschen Führerschein und nicht in bulgarisch-deutscher Kombination gültig sind, müssen wir den in Deutschland neu ausstellen lassen. Und das geht nur mit Wohnsitz, den wir in Deutschland aber gar nicht haben dürfen. Tadaa! Irgendwie wird am Ende alles gut. Meistens.

Wir haben also viel Freude in der „Reise-Zwangspause“. Nicht. Dafür bekommen wir aber haufenweise lieben Besuch! Patenkind Lici kam nochmal vorbei, um mit uns zu ihrem ersten Motorad-Reisetreffen zu fahren, dem Horizons Unlimited Treffen hier in Bulgarien. Ein lehrreiches Wochenende mit steiler Lernkurve für Lici! Unsere Freundin Heike kam auf der Rückfahrt aus dem Iran zu Besuch und da sie Fahrlehrerin ist, bekam Lici gleich Fahrstunden on- und offroad auf unseren diversen Motorrädern. Unsere neuen holländischen Freunde (seit drei Jahren unterwegs und mittlerweile auch mit Wohnsitz in Bulgarien) bekamen gleich auch Fahrstunden mit unserem VW Passat Hans, bzw. Aukje, um Jeroen nicht weiter allein das Fahren zu überlassen. Und weil Lici voller Stolz über ihre Fahrkünste ihren Papa, meinen Freund Dieter dazu rief (er war eigentlich ganz wo anders in Bulgarien unterwegs), herrschte hier ein ständiges buntes Kommen und Gehen lieber Reisender. Wir trafen auch endlich Axel und Suse auf ihrer “Heimreise” aus Indien mit ihren Suzuki DRs, mit denen wir seit vier Jahren über Facebook in Kontakt waren und saßen mit ihnen und weiteren Motorradreisenden rund um das erste Lagerfeuer in unserem Garten.

Dieter und Heike verstanden sich dann so gut, dass Jan nach einer gemeinsamen Ausfahrt zum “Ufo” Buzludzha sein Motorrad an Dieter verlieh und die beiden erstmal eine Runde gemeinsam durch Rumänien knatterten. Bis sie zurück waren, schaute noch ein Motorradfreund aus Deutschland vorbei, mit dem wir uns zuletzt in Trabzon zum Abendessen getroffen hatten und ein Freund aus Norddeutschland stellte seinen VW Crafter zwei Nächte neben Hans in die Freiheit mit Blick auf die Berge. Wir schlafen jede Nacht im Freien und nutzen unser Steinhaus eigentlich nur zum Duschen und zum Arbeiten mit Glasfaser-Internet. Ihr fahrt morgens ins “Büro” und abends nach Hause, wir auch. So ähnlich.

Ja, da ist noch Platz. Nein, das ist nicht ausreichend für ein Visum.

Zwischenzeitlich hatten wir wieder ein „deutsches Hass-Erlebnis“: nach 5 Wochen Wartezeit stand der Termin in der deutschen Botschaft Sofia an, um meinen vollgestempelten Pass zu ersetzen. Ich kenne deutsche Amtsschimmel und es kam, wie es kommen musste: ich durfte keinen neuen Pass beantragen. Das nette bulgarische Lieschen am Schalter gab die Parolen ihres deutschen Bosses piepsend weiter, bis ich den teigigen Beamten selbst zu sprechen bekam: mein Pass sei ja noch gültig (richtig, aber voll) und außerdem seien noch zwei leere Seiten da. Es sind sogar drei leere Seiten, aber es sind Einzelseiten und für die Beantragung von Visa braucht man jeweils eine Doppelseite. Eine Einzelseite ist okay für den Pauschalurlaub in Ägypten, aber zum Reisen in visapflichtige Länder leider völlig nutzlos. Aber sowas kann man als Inhaber eines Diplomatenpasses sicher nicht wissen… Und außerdem sei das ja nur mein Zweitpass und der Erstpass hätte ja sicher noch ein wenig mehr Platz (hat er, aber dass ich „berechtigtes Interesse“ am Zweitpass habe und ich definitiv brauche und ein Recht darauf habe, hatte ich in einem Schreiben dargelegt, welches der Deutsche nicht mal lesen wollte).

Überdies sei meine Abmeldebescheinigung aus Deutschland keine Abmeldebescheinigung, denn da stehe nur, dass wir „ins Ausland verzogen“ seien, aber es sei halt nur eine Melde- und keine ABmeldebescheinigung. Das wissen wir schon lange, aber das Einwohnermeldeamt in Deutschland ist „systembedingt“ trotz persönlichem Besuch von Jan und langem Betteln nicht in der Lage, eine „richtige“ Abmeldebescheinigung auszustellen. Digitalisierung. Neuland, Jaja. Und deswegen hängt man dann auf der Botschaft und bekommt Ärger. Kostet übrigens 60€ extra, ohne “richtige” Abmeldebescheinigung, für die wir nix können, weil das Einwohnermeldeamt es verbockt hat. Pass kostet 103€. Aber so weit kam ich nicht, ich bekam resolut alle Unterlagen samt Passantrag zurückgeschoben. So geht das alles nicht! Kein Pass für mich!

Rauswurf aus der deutschen Botschaft. Ich saß heulend im Auto. Genau das war Jan vor exakt zwei Jahren mehrmals in der Botschaft Taschkent passiert. Das Argument der Deutschen dort: der Pass war noch vier Monate gültig, Jan sollte wiederkommen, wenn der Pass abgelaufen ist. Dass man aber, um aus Usbekistan herauszukommen und um sich in Usbekistan aufhalten zu dürfen, einen Pass braucht, der mindestens noch sechs Monate gültig ist (ist eigentlich weltweit Standard), auch das war dem Diplomatenpass-Inhaber unbekannt oder egal. Jan hat damals 7 Wochen darum gestritten, den Passantrag stellen zu dürfen und konnte den Antrag nur deshalb einreichen, weil er eine Verwaltungs- und Dringlichkeitsklage am Amtsgericht Berlin vorbereitet und die Kopie dem Botschafter persönlich hat zukommen lassen. Dafür fehlt uns jetzt dann doch die Zeit, denn 5 Wochen Wartezeit auf einen Termin plus 7 Wochen Rechtsstreit plus 6-8 Wochen Wartezeit bedeuten, dieses Jahr nirgendwohin reisen zu können. Ich rief in der deutschen Botschaft in Bukarest an.

Deswegen braucht man Doppelseiten für Visa: links das Visum, rechts die Ein-/Ausreisen

Die Dame dort verstand das Benehmen ihres Kollegen in Sofia überhaupt nicht und versicherte, es spräche nichts dagegen, mir einen neuen Pass auszustellen. Sie bot sogar einen Termin am nächsten Morgen an, den wir dankbar annahmen. Bloß dass wir ja gar nicht in Bukarest waren, sondern in Sofia. Aber wir haben ja Hans und bei den aktuellen Spritpreisen fahren wir doch gerne mal 1000km durch Europa, um einen Passantrag einreichen zu dürfen! Nicht wirklich, aber eine andere Möglichkeit hatten wir nicht, als Hans die Sporen zu geben und mal eben von Sofia nach Bukarest zu düsen. Völlig k.o. kamen wir spät in Bukarest an und ich erschien pünktlich zum Termin auf der Botschaft. Und da war alles überhaupt kein Problem. Gar keins. Der Vorgesetzte der süßen Rumänin am Schalter interessierte sich mehr für die Stempel im vollen Pass als um Details wie die „richtige“ Abmeldebescheinigung. Ganz entspannt! Was für eine Wohltat! So sollte es immer laufen, aber leider ist das eine große Ausnahme.

Den Pass und die deutschen Behörden können wir uns nicht aussuchen. Lebenslänglich.

Leider ist man der deutschen Willkür solcher Typen wie in der deutschen Botschaft in Sofia ausgeliefert. Nein, den deutschen Pass können wir nicht abgeben und nein, auch keine andere Staatsangehörigkeit annehmen. In Zeiten von Google und Co wundert es uns doch sehr, dass wir das von Euch immer und immer wieder vorgeschlagen bekommen… Diesmal hatten wir glücklicherweise die Möglichkeit, das Land zu wechseln, aber meist geht das nicht, denn oft braucht man für Nachbarländer Visa, die man natürlich nicht hat, um „mal eben“ einen Pass zu beantragen. Schon gar nicht, wenn der Pass voll ist oder nicht mehr lange genug gültig ist, haha. Ich fühlte eine riesige Dankbarkeit für den netten Deutschen der Passstelle in Bukarest, obwohl er mir eigentlich nur mein Recht zugestanden hat.

Jeden Morgen wachen wir in dieser Kulisse auf. Seelenbalsam nach der Behördenqual!

Drei Tage später waren wir zurück in unserer „Base“ in Bulgarien. „Nur mal eben nen neuen Pass beantragen“ kostete zwei Hotelübernachtungen in zwei verschiedenen Hauptstädten (63€ gesamt), über 1000km und den Sprit dafür (will ich gar nicht wissen wie teuer das war), viele Tränen und wenig Schlaf und im Vorfeld viel Geduld, bis man die verlangten Papiere zusammen hat. Denn beglaubigte Auszüge aus Geburts- (15€) und Eheregister (8€) haben ein Ablaufdatum. Richtig gelesen. Älter als 6 Monate dürfen diese Zettel nicht sein, damit der Amtsschimmel auch ordentlich was zu tun hat und da es mit der Digitalisierung ja noch nicht wirklich klappt, dauert das eben mit dem Ausdrucken. Und mit dem Postweg auch. In meinem Fall hätte die Geburtsurkunde aus Braunschweig per Briefpost nur bis Berlin zum Büro des Kuriers nach Bulgarien gemusst. Weil die Behörde aber eine regionale Privatpost (spezialisiert auf Ost-Niedersachsen) nutzt und Berlin nicht in Niedersachsen liegt, war der Brief eine Woche bis Berlin unterwegs. In der Zeit wäre ich zu Fuß schneller gewesen auf den 230km… Ja, wir wissen, dass Ihr diese Dokumente noch nie zum Passantrag beschaffen musstet. Schön für Euch, wir müssen uns an die Vorschriften der deutschen Botschaften halten und nicht an Eure Erfahrungen. Könnt Ihr gerne hier nachlesen: Unterlagen Passantrag

Ihr seht: wir reisen zwar eigentlich seit Juni nicht weiter, aber wir kommen trotzdem ganz schön rum. Und warten. Und warten. Und warten. Wir hoffen sehr, dass wir im September (Jan hofft auf Oktober) neuen Pass, US-Visum, große Tanks, Fahrwerk und Zelt haben und dann das nächste Kapitel unserer Reise starten können. Ahnt Ihr schon, wohin es geht?

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