Wir sind in Nigeria! Das Land wird von Overlandern im Konvoi auf dem kürzesten Weg und so schnell wie möglich durchquert. Reisende, die das Land entdecken, gibt es kaum. Aber wer das Land in Ruhe entdeckt, reist meist völlig begeistert wieder aus. Wir waren skeptisch, denn selbst der Reiseführer schreibt „(…) es gibt in Nigeria kaum Sehenswürdigkeiten und der wahre Spaß am Reisen hier ist die Begegnung mit den kulturell vielfältigen Menschen. Die historischen Sehenswürdigkeiten, die es gibt, sind sehr verfallen, schlecht gepflegt oder werden ignoriert und die Nigerianer haben im Allgemeinen wenig Interesse an ihrem historischen Erbe.“.
Vorurteile gegen Nigeria gibt es mehr als positive Berichte. Die Mail vom „Prinzen aus Nigeria“ hat bestimmt schon jeder mindestens einmal bekommen und dass aus Nigeria unglaublich viele Betrügereien kommen führt dazu, dass europäische Banken Kreditkarten oft schon beim Bezahlen des Visums oder ersten Einsatz im Land sperren. Ist uns auch gleich am ersten Tag passiert, aber wir waren vorbereitet und es war nur eine virtuelle Kreditkarte. Auch unsere diversen Online Accounts für E-Mail, Shopping, Reise etc. verlangen seitdem wir in Nigeria sind, nervig viele Authentifizierungen. Nachdem wir einen Inlandsflug mit der Kreditkarte gezahlt hatten, wurde diese gleich 5x missbraucht. Willkommen im Land, das den Ruf als „Betrügerstaat“ nicht zu Unrecht hat: willkommen in Nigeria!
So ziemlich das ganze Gebiet des Landes ist mit einer mehr oder weniger dringlichen Reisewarnung „dekoriert“, weswegen Overlander in Konvois von immer gleichem Übernachtungsplatz zu Übernachtungsplatz fahren. Unsere Überlegung ist aber die, dass wir glauben, als Einzelreisende weniger auffällig zu sein als im Konvoi mit extrem auffälligen Expeditionsfahrzeugen. Unsere Motorräder sind klein und wir werden meist erst in allerletzter Sekunde als Fremde erkannt. Unser Plan, ist auch andere Unterkünfte anzufahren als in einschlägigen Apps empfohlen und Einheimische satt Facebook oder WhatsApp nach aktuellen Infos zu fragen. Das erscheint uns alles sicherer, als den „Overlander Trek“ abzufahren, der mittlerweile auch dem dümmsten Entführer oder Terroristen bekannt sein dürfte. Außerdem haben wir beschlossen, das Land nicht nur stumpf zu durchqueren und nur Tankstellen und Übernachtungsplätze zu sehen, sondern uns Zeit zu nehmen, um das Land kennenzulernen. Schließlich war das Visum schwierig genug und wir wissen nicht, ob wir jemals wieder die Chance bekommen.
Schon bei der Einreise bestätigte sich eins der vielen „Nigeria-Klischees“: Korruption. Ein Beamter, der optisch alle Vorstellungen eines korrupten Grenzers erfüllte (Sonnenbrille, kahl rasierter Schädel, bulliger Körperbau), verlangte von jedem Reisenden „something“. Wer nicht wusste, wie viel „something“ war, dem gab er Anweisung „put 1000 in your passport“. Je nach Währung (Naira oder CFA) sind das 1,50€ oder 0.63€. Da wir lange Papiere ausfüllen mussten, sahen wir, wie viel Scheine in Pässe wanderten. Außer bei uns. Es gab vorletztes Jahr einen kleinen „Vorfall“ einer holländischen Motorradreisenden (Itchy Boots), die an einem korrupten Checkpoint die vehemente Forderung nach Geld mit der Helmkamera gefilmt und online gestellt hatte. Ihr Video ging viral und führte zu einem Schauprozess, bei dem die beiden Beamten vor laufender Kamera unehrenhaft entlassen wurden ihre Uniform ausziehen und Dienstmarken abgeben mussten. Seitdem werden Reisende nur noch sehr selten um Schmiergeld gebeten.
Die Sicherheitslage im Land ist volatil, sodass es unzählige Checkpoints gibt, an denen bewaffnete Uniformierte Fahrzeuge überprüfen. Das führt zu Verzögerungen, aber wir wurden bis jetzt immer freundlich durchgewunken und bekamen „Welcome to Nigeria!“ zugerufen. Wir mussten Lagos fast komplett durchqueren und obwohl uns irgendwie jeder Schauermärchen davon erzählt hatte, kamen wir ziemlich flüssig durch. Lagos hat rund 16 Millionen Einwohner plus das Umland, durch das wir seit dem Grenzübertritt fuhren. Die größten Verkehrshindernisse dort sind „Kittymobile“ und „Sunshines“, denn der ÖPNV wird in Lagos mit VW T4 und LT28 abgewickelt. Leider sehen die allesamt furchtbar aus, denn rund um Lagos gibt es die „area boys“, kriminelle junge Männer, die von den Fahrern solcher Kleinbusse „Maut“ verlangen und diese „Maut“ dadurch eintreiben, dass sie mit Plastikrohren wild auf die Fahrzeuge einschlagen, bis das Geld geflossen ist. Wir sahen so viele VW-Busse, die garantiert in Deutschland nicht bezahlt wurden, bevor sie aufs Schiff gingen. Für den ÖPNV werden die Busse alle gelb umlackiert (welche Farbe sonst ), aber die Scheiben zieren noch diverse „Vanlife“ typische Aufkleber von Vanlife Treffen, Surferbuden, dänischen Campingplätzen oder Strandcafés. Das Gerücht, dass in Westdeutschland geklaute T4 Busse schon am nächsten Morgen in Holland auf dem Schiff stehen, können wir als Fakt bestätigen. Wie das sein kann? Nun, nicht nur in Afrika gibt es Korruption und in Europa interessiert das auch so gut wie kein staatliches Organ… Liebe mitlesenden Vanlifer: eure Bullis möchtet Ihr nicht zurück, die sind hier wirklich in einem jämmerlichen Zustand, weil sie von „area boys“ tagtäglich verprügelt werden…

Mehr Schein als Sein. Schummeln Volkssport!
Wir erreichten unser Hotel im Osten der Millionenmetropole, parkten unsere Motoräder im streng bewachten Hof und bezogen unser Zimmer. Schummeln scheint nicht nur digital Volkssport zu sein, denn die Bettwäsche war nach dem vorherigen Gast nur auf Links gedreht worden und auch die Handtücher sahen eher nach „neu gefaltet“ statt nach „frisch gewaschen“ aus. Uns aber erstmal egal, die hohe Luftfeuchtigkeit und Hitze bei geringem Fahrtempo durch die Stadt hatte uns beide in den dicken Moppedklamotten ziemlich geschlaucht und wir lagen nach dem Duschen erstmal nur platt auf dem Bett. Das Hotelrestaurant hatte Besuch vom Kammerjäger und war geschlossen, sodass wir uns Essen aufs Zimmer liefern ließen und früh einschliefen.
Am nächsten Morgen brachten wir die Motorräder samt Gepäck zu Ade, einem deutsch-nigerianischen Musiker, der mit seiner französischen Ehefrau und ihren Zwillingen in Lagos wohnt. Ade ist ein Bekannter von Carlos aus Bissau und derjenige, der uns das Einladungsschreiben für das Visum geschrieben hat. Aus „nur mal eben schnell die Motorräder im Hof abstellen“ wurden fünf gemeinsame Stunden, denn wir verstanden uns auf Anhieb.

Der größte Schein ist 0,63€ wert.
Ade half uns auch, Geld zu tauschen, denn das ist in Nigeria nicht so trivial: Als Ausländer kann man nicht einfach zur Bank spazieren und Geld tauschen, denn dazu braucht man ein nigerianisches Bankkonto. Man kann auch kein Bargeld aus dem Automaten ziehen, denn erstens spuckt der Automat nur den Gegenwert von maximal fünf Euro aus und zweitens sperren europäische Banken die Karten gerne beim Einsatz in Nigeria. Drittens gibt es in Nigeria kaum Bargeld, denn so ziemlich alles läuft hier digital: man zahlt, auch beim Gemüsehändler auf dem Markt, auch Kleinstbeträge per App, Karte oder Sofortüberweisung. Logisch, dass wir mittelalterlichen Europäer da wie in China nicht mitspielen können. Um an Bargeld zu kommen, muss man entweder einen schlechten Kurs bei den Geldwechslern an der Grenze in Kauf nehmen oder jemanden kennen. Und wir kannten nun Ade und der brachte uns zu „seinem“ Geldwechsler, bei dem wir ein Anfangsbudget Bargeld in einer Plastiktüte ergatterten.

Preisniveau in Nigeria: günstig.
Mit gefühlt drei Umwegen können wir auch in Nigeria digital zahlen, aber im Gegensatz zu Nigerianern brauchen wir dazu „Trick 17“ und ein wenig Zeit: wir haben eine virtuelle Wise Kreditkarte, die wir per App entweder entsperren oder neu erstellen können. In unserem Wise Account haben wir ein Konto in nigerianischen Naira, um in Landeswährung zahlen zu können. Diese virtuelle Wise Kreditkarte ist dann mit einer weiteren App, Remitly, verknüpft, über die wir von unserem Naira Konto Echtzeitüberweisungen innerhalb Nigerias machen können. Wenn man sich überlegt, wie lange noch bis Ende letzten Jahres eine innerdeutsche Überweisung dauerte, so sind die Wartezeiten hier ein Witz: wir haben bisher zwischen drei und acht Minuten gewartet, bis das Geld beim Empfänger in Nigeria war. Um weiterhin Bargeld zu sparen, haben wir in allen möglichen Apps (Uber, Bolt etc.) eben jene virtuelle Wise Karte hinterlegt, um so viel wie möglich digital statt bar zu zahlen. So hoffen wir, mit möglichst geringem Einsatz von Devisen durch Nigeria zu kommen.
Nachmittags fuhren wir noch in die größte Kunstgalerie Westafrikas, die Nike Art Gallery. Auf vier Stockwerken stapelt sich dort Kunst nigerianischer Künstler. Das Besondere daran: jedes Gemälde, jede Skulptur, jedes Kunstwerk gehört der Inhaberin, die mit dem Direktkauf ihre Künstlerkollegen unterstützt. Als Besucher kann man ganz in Ruhe alles anschauen, Fotos machen und dann den Preis erfragen.
Die Inhaberin, Nike Okundaye, ist selbst international anerkannte Künstlerin, die ursprünglich als Textildesignerin anfing, nun aber ihre Gemälde (die auch als Textildesigns wunderschön wären) zu „internationalen“ Preisen weltweit verkauft. In ihrer Galerie hat letztes Jahr der marokkanische König einen Großeinkauf getätigt, weil er seinen Palast ein wenig umdekorieren wollte.
Die meisten Motive zeigen Szenen aus Nigeria: die kunstvoll geschmückten Pferde des Nordens, tropische Pflanzen des Südens, Szenen mit Booten und Strand und viele, viele VW-Busse. Es gibt ganze Serien zu gelben VW-Bussen unterschiedlicher Künstler: mal mit dem Fokus auf den Bussen, mal als Straßenszene, mal romantisch zu Sonnenuntergang, mal mit Spiegelungen auf regennasser Fahrbahn… wir hätten so einige Gemälde gekauft, wären wir nicht mit Motorrädern unterwegs und hätten den Platz für so großformatige Kunstwerke. Nach Preisen haben wir nicht gefragt.
Abends trafen wir uns mit einer spanischen Reisenden und ihrem Ivorischen Mann in einem kleinen Park zum Essen und verbrachten einen lauen Abend im ach so gefährlichen Lagos. Auch im Dunkeln fühlt sich für uns Lagos nicht anders an als jede andere afrikanische Großstadt. Als wir im Uber auf der Rückfahrt ins Hotel mit Schlafliedern beschallt wurden, entwickelte sich tatsächlich ein Gefühl von „angekommen“. Afrika ist uns nicht fremd und Nigeria flößt nur denen Angst ein, die in Afrika nicht zuhause sind.
Wir hatten einen Flug nach Kano, ganz im Norden Nigerias gebucht und deshalb Motorräder und Gepäck eingelagert. Kano ist rund 1000km von Lagos entfernt und das bedeutet für uns eine tagelange An- und Abreise auf nicht ungefährlichen Straßen. Selbst Einheimische bevorzugen aus Sicherheitsgründen den Luft- statt den Landweg. Da der Flug nur 70€ kostet – warum sollten wir uns dem Risiko aussetzen und dafür auch noch mehr Geld ausgeben? Wir hatten „Peace Air“ gewählt und erst nach der Buchung gelernt, dass die nicht gerade mit Zuverlässigkeit glänzten. Unsere Flugzeiten änderten sich (wie bei Icelandair letzten Sommer) täglich und weil wir von der Spanierin wussten, dass gerne auch Abflugzeiten kurzfristig vorverlegt werden (das ist den beiden nämlich passiert), fuhren wir zur ursprünglich geplanten Abflugzeit zum Flughafen. Der Flieger ging dann tatsächlich entsprechend der in der letzten Mail kommunizierten Uhrzeit, aber sicher ist sicher!
Beim Einsteigen begrüßte uns ein Asiate, die weiße Farbe am Winglet bröckelte und man sah orangenen Lack darunter vorblitzen. Die Hälfte der Crew war asiatisch und trug orangene Uniform, die nicht zu Peace Air passte und auch im Cockpit saßen Asiaten. Die Sicherheitshinweise waren auch in orange statt weiß-blau gehalten und auf… Mongolisch! War die Crew etwa auch aus der Mongolei? Als die Stewardess Getränke verteilte, bedankte ich mich auf Mongolisch, woraufhin die Frau sich irritiert 2x zu mir umdrehte, als habe sie sich verhört. Beim Aussteigen verabschiedete ich mich auf Mongolisch vom Purser und sah in seinem Gesicht die Sonne über der Mongolei aufgehen, so sehr strahlte er mich an, als er sich auf Mongolisch dankend verabschiedete. Peace Air hat tatsächlich zwei Flieger samt Crew von der mongolischen Fluggesellschaft „eznis airways“ gechartert! Unglaublich…
Leider blies der Harmattan unsäglich, sodass man weder beim Abflug aus Lagos noch bei Ankunft in Kano irgendetwas sehen konnte außer braungelbem Staub. Wir landeten bei Sonnenuntergang in Kano und liefen zu Fuß zum Flughafengebäude übers Rollfeld. Eine magische Stimmung mit dem Harmattan-verhangenen Himmel und Licht des Sonnenuntergangs. Wir waren zurück im Sahel, unserer zweitliebsten Landschaft Afrikas!

Ehemalige britische Kolonien haben merkwürdiges Essen: Schoko-Vanille Toast zu Omelette.
Wie an jedem Flughafen dieser Welt belogen uns auch dort alle Taxifahrer, sodass wir in die Nacht losspazierten, um außerhalb des Flughafengeländes ein Taxi zu nehmen. Das wirkt immer: alle 500m reduzierte sich der Taxipreis, bis wir ein akzeptables Angebot bekamen. Dass sich der Fahrer bei Ankunft an diesen Preis nicht mehr erinnern konnte und uns bis zur Rezeption des Hotels hinterherlief, ist uns allerdings noch nie passiert. Wir ließen ihn stehen und bezogen unser Zimmer, warteten dort ein wenig, bis er abgezogen war und gingen dann etwas essen.
Die nächsten Tage in Kano wurden märchenhaft, doch davon erzählen wir Euch im nächsten Beitrag. Unser Reisetempo war die letzten Tage sehr hoch, weil wir unbedingt an einem Freitag in Kano sein wollten – und das hat sich definitiv ausgezahlt. Seid gespannt!
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