„Mauretanien ist doch eh nur Sand“, hörten wir im Vorfeld. Und es ist tatsächlich derzeit schwer (aber durchaus möglich!), an Informationen zu touristischen Zielen in Mauretanien zu kommen. Wir haben einen Lonely Planet von 2006, eine App der UNESCO zu Weltkulturerbestätten und verfolgen ein paar Profile auf Social Media von Reisenden, die wie wir mehr von einem Land sehen möchten. Und so sind wir letztendlich in Ouadane und Chinguetti gelandet, zwei UNESCO Weltkulturerbe „Städte“.
Doch zunächst brauchten wir Benzin und das ist in Mauretanien ja eine Herausforderung, wenn man nicht auf der Transritroute in den Senegal unterwegs ist. Es gibt viele Tankstellen, aber die meisten haben erst gar keine Zapfsäule für Benzin. Siehe Foto. Wozu auch? Braucht ja keiner. Ganz wenige Tankstellen in „größeren“ Städten haben Benzin – Zapfsäulen, aber dass da auch Benzin rauskommt, haben wir bisher nur in Noadhibou und Nouakschott erlebt. In Atar, der nächstgelegenen Stadt zu Ouadane und Chinguetti gab’s kein Benzin von der Tankstelle.
Doch der Campingplatzwart telefonierte für uns herum und fand aus Algerien geschmuggeltes Benzin für uns in der üblichen Verpackungseinheit von 20l Speiseölkanister. Der Preis war extrem gut (um die 1,75€), sodass wir gleich 60 Liter nahmen und 40 Liter auf unsere Rückkehr in Atar warteten. Wir fuhren los, 186km Waschbrettpiste bis Ouadane. Unser Vorsatz, benzinsparend zu fahren, war schnell vergessen, dazu sind wir doch zu lange Rallye gefahren und es macht einfach keinen Sinn, auf tiefem Waschbrett langsamer als 80km/h zu fahren. Das neue Fahrwerk der kleinen Honda konnte zeigen, was es draufhat, und ich war begeistert! Jetzt noch nen Lenkungsdämpfer dran (den es aber nicht gibt), dann fährt die Kleine auf Schienen. Tut sie nicht und „schwänzelt“ mit ihrem kurzen Radstand hinter Jans KTM (mit Lenkungsdämpfer) hinterher. Gewöhnungssache.
Ouadane wurde 1147 als Handelsstützpunkt auf den Karawanenrouten durch die Sahara gegründet. Timbuktu wurde übrigens erst rund 200 Jahre später Handelsstützpunkt, also viel, viel später! Handelsgüter waren Steinsalz (aus der Region rund um F’Derick, Mauretanien), Gold aus dem Sudan und Datteln. Die damalige Stadt ist heute größtenteils zerfallen und erinnert an Gom im Iran vor (!) der „Disneyland-Restaurierung“ nach dem Erdbeben. Ein paar Menschen leben heute noch in den uralten Gemäuern mit den wunderschönen alten Holztüren, doch die meisten Einwohner nutzen nur die Moschee der Altstadt und laufen dann ein paar Straßen weiter in die „Neustadt“, die auch unglaublich Charme hat.
Einfache Lehmbauten entlang sandiger, unbefestigter Straßen, Menschen wie im Bilderbuch in traditioneller Kleidung, mehrere Lädchen mit allem, was man so braucht und noch viel mehr und liebe Menschen, die sich nicht beschweren, weil wir nicht verstanden haben, wo man sich zum Einkauf im Dorfladen anstellen muss und uns dadurch ungewollt vordrängeln.
Die einstige Handelsmetropole, die damals eine Infrastruktur für Karawanen von 50-300 Kamelen hatte, ist heute ein beschauliches Dorf, was die umliegenden Dörfer versorgt, denn bis nach Atar sind es 190km Piste. Wir waren sofort schockverliebt in das Örtchen, doch haben wir gelesen, dass es noch viel, viel tollere UNESCO Weltkulturerbestätten im Land gibt. Wir sind gespannt!
Etwa 30km nordöstlich von Ouadane liegt übrigens ein weiterer Superlativ Mauretaniens: die Richat Struktur, ein riesiges, ringförmiges, kraterähnliches Gebilde, von dem die Geowissenschaftler bis heute nicht genau wissen, was es ist. Das „Auge der Sahara“ hat einen Durchmesser von 45km (ja, fünfundvierzig Kilometer!) und kann nur aus der Luft gesehen werden. Wir haben versucht, einen Überflug zu organisieren, aber der nächstgelegene Flughafen (Atar) ist zu weit entfernt, um das als Rundflug mit einer Tankreichweite einer Cessna sicher zu schaffen. Wie auch den längsten Zug der Welt, den Eisenerzzug, kann man die Richat-Struktur aus dem All sehen. Mauretanien ist einfach gigantisch! Und keiner weiß davon…
Wir entschieden uns, die 30km zum „Auge der Sahara“ nicht zu fahren, denn vom Boden aus sieht man nichts. Man kann dann zwar stolz ein Foto von der eigenen GPS-Position in der Mitte der Struktur auf Social Media posten, aber was hätten wir davon? Nichts. Außer 60km unnötigen Benzinverbrauch. Also genossen wir den Tag in Ouadane und gönnten uns ein Zimmer mit Doppelbett und Privatbad. Allerdings ohne Mosquitonetz. Und das ist in einer Oase schlimm. Unser russischer Insektenspray hat es dann gerichtet. Was gegen sibirische Mücken hilft, tötet auch afrikanische Quälgeister.
Hotelfrühstück in Mauretanien besteht immer aus Baguette und Erdbeermarmelade, dazu wahlweise Instant-Kaffee oder Beuteltee. Und das kostet dann rund 4€ pro Person. Da wir beide nicht wirklich Freunde von Baguette sind (es gibt hier aber auch klasse Hefebrot!) und man für den Preis eines Frühstücks für zwei schon ein günstiges Zimmer bekommt, aßen wir Müsli aus unserer Bordküche, bevor wir einen Teil der Piste wieder zurückfuhren.
Diesmal ohne Fahrspaß, denn der Wind blies stark von der Seite und schüttelte uns in Böen unkontrolliert auf der Piste hin und her. Die Sicht war durch den aufgewirbelten Staub und Sand mies und es wurde auch recht kühl. Die letzten 17km bis Chinguetti waren auch noch „Mörder-Waschbrett“ was sich fuhr wie Flussbett, sodass wir froh waren, als die 130km des Tages endlich vorbei waren. Wir wollten uns ein Zimmer nehmen, doch es gab zum gleichen Preis (20€) auch gemütliche runde Hütten, allerdings ohne Betten und ohne Bettwäsche. Da hier Bettwäsche sowieso meist gebraucht ist und uns Matratzen auf dem Boden reichen, bezogen wir unser gemütliches Hüttchen und schauten zu, wie der Sandsturm draußen den Himmel gelb färbte. Die Besichtigung verschoben wir auf den nächsten Tag.
Zum Abendessen im Dörfchen gab’s wieder „Hühnermüll aus Europa“ (wer es im letzten Blogbeitrag nicht gelesen hat, sollte sich nochmal hier schnell bilden: EU-Hühnerexport) und wir schauten uns gemütlich den Film „Der Flug des Phoenix“ an, während der Sturm um unser Hüttchen brauste. Da wir es nicht zur Pelican 16 geschafft haben (lest das nochmal im letzten Blogbeitrag nach), ganz passend. Was Hardy Krüger wohl dachte, als die Handlung des Films quasi tatsächlich passierte?
Die Wettervorhersage versprach ein windfreies Zeitfenster von drei Stunden am Morgen und so zogen wir nach einem weiteren Müslifrühstück los in die Altstadt. Chinguetti wurde 777 gegründet und stieg nach und nach zur siebtheiligsten Stadt des Islams auf. Die damals 20.000 Einwohner große Stadt hatte fünf Bibliotheken und einige Gelehrte, bei denen man Medizin, Rechtswissenschaften, Religion und Astronomie studieren konnte. Das Wissen, was damals niedergeschrieben wurde, hat später Kopernikus „aus dem Hut gezaubert“ und darauf aufgebaut.
Die alten, mehrere hundert Jahre alten Schriften, sind bis heute im Familienbesitz der Familien von damals und ein älterer Herr zeigte uns sein Archiv, in dem er die kostbaren Bücher in Pappschubern aufbewahrt. Nur die ältesten Exemplare sind von einer NGO gescannt worden und ein paar besondere Bücher bewahrt der alte Herr (übrigens ganz in der Tradition seiner Familie ein pensionierter Lehrer) in einem Metallschrank auf.
Vorsichtig und mit Handschuhen zeigte er ein paar dieser Schätze und wir bestaunten ehrfürchtig die uralten Bücher, teils mit goldenen Initialen und farbiger Tinte kunstvoll per Hand geschrieben. Am Rand ein paar Notizen späterer Gelehrter und meist in kunstvoll verzierte Ledereinbände gewickelt. Leider oft nur noch eine lose Blattsammlung und teilweise mit Wasserschaden, lagern Jahrhunderte alte Schriften mitten in der Sahara. Gänsehaut! Die Vorstellung, wie alt diese Bücher sind, welches Wissen darin festgehalten wurde, wie viele Gelehrte über Generationen damit das Wissen weitergegeben haben… Solche Kostbarkeiten lagern in Pappkartons von Privathaushalten! Viele Bücher der berühmten Bibliothek in Timbuktu müssten Abschriften der Lehrbücher aus Chinguetti sein, denn Chinguetti war gut 200 Jahre vor Timbuktu Wissenschaftsstadt und Handelsstützpunkt. Die größten Karawanen konnten in Einzelfällen bis zu 30.000 (dreißigtausend) Tiere umfassen!
Bis 1898 hieß Mauretanien auch „Chinguetti-Land“, da die damalige Stadt seit Jahrhunderten so bekannt war, dass man das ganze Land danach benannte und es jeder einordnen konnte. Warum heutzutage „jeder“ nur noch über Timbuktu spricht und „keiner“ von der Existenz Chinguettis weiß? Es ist eins der vielen Rätsel, über die wir uns rund um Mauretanien wundern. Chinguetti ist natürlich auch UNESCO Weltkulturerbe und die Altstadt droht, vom umliegenden Dünenmeer überrollt zu werden und mitsamt der alten Schriften zu verschwinden.
Im Gegensatz zum Ouadane leben in der Altstadt Chinguettis noch viele Menschen, die hoffentlich langfristig verhindern, dass das Weltkulturerbe von den Dünen verschluckt wird. Vielleicht taucht Mauretanien ja irgendwann auf der touristischen Landkarte auf, vielleicht muss man auch irgendwann Eintritt zahlen (wir haben dem alten Herrn eine Spende zum Erhalt seiner wertvollen Bücher gegeben), um damit zumindest das „Sandfegen“ zu finanzieren und vielleicht habt Ihr ja Lust, Euch von unseren Erlebnissen inspirieren zu lassen und erzählt weiter, wie schade es ist, Mauretanien auf dem kürzesten Weg zu durchfahren?
Pünktlich wie von der Wettervorhersage angekündigt, setzte der Sandsturm wieder ein und wir verbrachten den Rest des Tages in unserer Hütte, durch deren Ritzen und Spalten der Wind einige Gramm Staub und Sand drückte. Aber solche Tage sind nicht schlecht, um in Ruhe Fotos zu sortieren, Videos zu schneiden, Blogbeitrag zu tippen und Wäsche zu waschen. Und am Ende des Tages gab’s wieder „EU-Hühnchenmüll“ und dazu Regen. Immerhin staubte es dann nicht mehr durch die Ritzen der Hütte, es tropfte durchs Dach.
Am nächsten Morgen war immer noch Sturm und es tröpfelte immer noch. Wir hatten keine Lust mehr auf 20€ Hütte mit Löchern im Dach und weiterhin „EU-Hühnchenmüll“ und entschieden, die 100km bis nach Atar zu fahren, wo es auch etwas anderes als europäische Resteverwertung zu essen gibt und ein Zimmer für 7,50€, allerdings ebenso mit Löchern im Dach.
Wir fuhren in einer Regenpause los, mussten uns aber nach 20km wieder unterstellen. Gott sei Dank gab es zum passenden Moment einen Baum. Und lauter liebe Menschen, die auf der Piste anhielten, um zu fragen, ob alles okay sei. Ein Mauretanier stieg sogar aus und stapfte mit seinem weißen, traditionellen Umhang durch den Regen auf der matschigen Piste, um sich nochmal aus der Nähe zu erkundigen, ob wir auch wirklich nichts bräuchten. Wir sind so begeistert von den Menschen in Mauretanien!
Der Regen wurde weniger, der Wind blieb und wir entschieden, den Abzweig zu den Felszeichnungen von Agrour zu nehmen. Was heute Wüste ist (das mit der Wüste war an dem Tag tatsächlich nicht so eine überzeugende Angelegenheit, so nass wie wir waren), war früher eine fruchtbare Landschaft mit Elefanten, Giraffen und Landwirtschaft.
Leider haben wir dazu online und im Reiseführer nicht viel gefunden und müssen uns auf die Aussage des Mannes verlassen, der bei den Höhlen aufpasst, „dass Touristen kein Wasser über die Zeichnungen kippen, damit sie auf Fotos besser zu sehen sind“. Er sagte, die Zeichnungen seien 7000 Jahre alt.
Er zeigte uns Elefanten, Giraffen, einen Löwen, tanzende Menschen, eine Sonne und Hände (die wahrscheinlich noch älter als 7000 Jahre sind), Kühe, zum Teil mit Pflug und Menschen bei der Feldarbeit. Heute gibt es in der Region keine Landwirtschaft. Es werden in den Oasen Datteln angebaut, mehr gibt’s nicht. Der Markt in Chinguetti ist beeindruckend „angebotslos“. Es gibt auf- und angetauten EU-Hühnchenmüll und sonstige Importware wie Cola, Kekse und Saft. So gut wie kein frisches Obst und Gemüse. Vor 7000 Jahren war das offensichtlich anders.
Eigentlich wollten wir von den Felszeichnungen noch einen kleinen Umweg zum „Fort Saganne“ fahren, der Filmkulisse des gleichnamigen französischen Films, für den in einer Art Canyon eine komplette Festung aufgebaut wurde. Doch der Wind war einfach viel zu heftig (und es war Sturm vorhergesagt), es tröpfelte immer noch und weil der Regen in der Nacht schon Teile der Piste auf der wir zu den Felszeichnungen gefahren waren weggespült und weggerissen hatte, entschieden wir uns, nicht in den Canyon zum Filmset zu fahren, sondern auf dem direkten Weg nach Atar und dort ein Zimmer zu nehmen, um vor dem aufbrausenden Sturm geschützt zu sein.
Kurz vor Atar hörte es dann auch auf mit „nass“ und es wurde sehr trocken: ein Staubsturm. Der war so dicht und heftig, dass wir nicht sicher waren, ob das Auto vor uns überhaupt existiert und wenn ja, ob es sich noch bewegt oder schon parkt? Wir flüchteten in unser Zimmerchen auf dem Campingplatz und saßen im Dunkeln. Fensterscheiben gibt es nämlich keine, sondern nur hölzerne Klappläden. Und Fenster und Tür mussten zu, damit der Staub nicht direkt reingeblasen wird. Da es keinen Strom gab (und ohne Strom auch keine Wasserpumpe läuft), saßen wir nebeneinander auf dem Fußboden und knabberten Chips. Auch solche Tage gibt’s. Und abends endlich kein EU-Hühnchenmüll mehr, sondern “roomservice” vom Campingplatzwart mit Couscous und Gemüse.
Wir saßen noch einen weiteren Tag in unserem Zimmerchen bei Stromausfall und hörten den Sturm mit bis zu 70km/h (!) draußen tosen und hofften, dass nicht zu viel Regen durch die Löcher im Blechdach tropft. Der Sand kam überall durch: durch die Fensterritzen, unter der Tür hindurch, am Türrahmen vorbei, durch die Löcher im Dach. Die Bettlaken haben wir dazu benutzt, unsere Sachen halbwegs zu schützen. Wir selbst lebten auch im Zimmer im Sand… Weil der Sturm die Tür immer aufgehebelt hat, mussten wir sie mit einem Expander sichern. Aber: es hätte alles schlimmer sein können, wir hätten es beispielsweise nicht rechtzeitig ins sichere Örtchen schaffen oder keine Unterkunft finden können. So hat dann doch alles geklappt – und das Wetter hat sich sehr präzise an die Wettervorhersage gehalten, sodass wir nur 10km bei dem Sturm fahren mussten. Alles in Butter – äh, Sand.
Wenn Ihr das hier lest, sind wir hoffentlich auf dem Weg in den Südosten des Landes, welches uns wirklich verzaubert hat: der längste Zug der Welt, der zweitgrößte Monolith der Erde, die größte kraterähnliche Struktur der Welt, 7000 Jahre alte Felszeichnungen mitten in der Wüste, uralte Handelsstätten und Bibliotheken, älter als die von Timbuktu… Gänsehaut! Mauretanien ist so, so viel mehr als „nur Sand“!
Wir werden Silvester in Terjit, einer kleinen Oase verbringen. Wenn Ihr uns auf Facebook oder Instagram im Status (!) verfolgt, werdet Ihr es sehen 🙂 Wir wünschen Euch für 2023, dass es Euch gelingt, Eure Träume zu verwirklichen! Und wir machen einfach weiter damit. Auch, wenn wir 2022 nicht ganz so erfolgreich damit waren.
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Mir hat der Tipp mit dem “Auge der Sahara” bei Quadane gut gefallen. Gibt man Quadane in Google-Maps ein und zoomt dann bei Satellitenbilder raus, bekommt man das imposante Auge gut zu sehen 😉 Ich wünsche euch auch einen guten Jahreswechsel und ein erfolgreiches und gesundes 2023! LG Pitter
Wenn man von Istanbul nach Nouakchott oder Dakar fliegt, kann man es angeblich gut sehen! Dir auch für 2023 nur das Allerbeste!