Wir wachten auf, als die Sonne um kurz nach fünf den grellweißen Strand in sanftes Licht tauchte und das Türkis des Meeres begann, zu strahlen. Das Zelt war zwar immer noch zu kurz, aber diese Nacht hatten wir uns besser arrangiert und somit besser geschlafen. Unsere Crew hatte frisches Fladenbrot gebacken und so konnten wir noch in den kühlen Morgenstunden aufbrechen.
Wir kletterten an Bord eines kleinen Bootes, mit dem wir eine Stunde lang entlang der Küste zu einer wunderschönen Bucht schipperten. Natürlich war die Bucht mit ihrem Traumstrand ein wunderschönes Ziel, für uns der Weg dorthin aber viel beeindruckender. Es fing damit an, dass noch in der Bucht des kleinen Fischerörtchens neben unserem Boot eine riesige Schildkröte auftauchte und zwei Mal den Kopf aus dem Wasser streckte, als wolle sie uns einen guten Morgen wünschen. Ich liebe Schildkröten und nachdem wir im April in Guinea-Bissau Grüne Meeresschildkröten-Babys gezählt und ins Meer entlassen hatten, war es ganz besonders, ein solch riesiges Exemplar so nah zu sehen. Wahrscheinlich war es eine mit ca. 80cm Durchmesser ausgewachsene Karettschildkröte.
Auf dem Weg zur Bucht wimmelte es nur so vor Delfinen um uns. Die Art, die sich rund um Socotra tummelt, heißt auf Englisch „Spinner Dolphin“, was man vielleicht mit „Drehwurm-Delfin“ lustig übersetzen könnte, „weil Vertreter dieser Spezies Sprünge ausführen, bei denen sie sich wie ein Bohrer rasch um ihre eigene Körperachse drehen.“ Sagt Wikipedia. Aber irgendwie haben wir in all der Zeit auf Socotra und den vielen, vielen Delfinen um uns herum nur einen einzigen solchen „Drehsprung“ gesehen. Da sind wir tollere „Delfinshows“ aus Westafrika gewöhnt! Trotzdem berührt die Begegnung mit Delfinen jedes Mal das Herz in einer Art und Weise, wie es kaum ein anderes Tier schafft. Jedes Mal möchte ich ins Wasser springen, jedes Mal halte ich die Hand ins Wasser in der Hoffnung, die Tiere im kristallklaren Wasser nicht nur sehen, sondern auch berühren zu können. Doch jedes Mal spielen die wunderschönen Tiere nur unter dem Boot und schauen, was wir Menschen dort treiben.
Während der einstündigen Fahrt über spiegelglatte, türkisfarbene See wimmelte es nur so von Meeresbewohnern unter dem Boot. Einmal schwamm sogar ein großer Rochen vorbei, manchmal schien das Wasser zu kochen und zu brodeln, weil so viele Fische auf einer Stelle waren. Stellenweise glitzerte das Wasser wie “Feenstaub” im sibirischen Winter unter uns, weil winzig kleine, silberfarbene Fische im Schwarm schwammen und die Sonne sich auf ihren Schuppen reflektierte. Der Zauber der Natur war rund um uns!
Während wir in der Bucht am Traumstrand saßen, zog schlechteres Wetter auf und wir traten unter den ersten Regentropfen den Rückweg an. Die Sonne war verschwunden, die See kabbelig mit ersten Schaumkrönchen und wir sahen keine Fische mehr. Der Zauber war nur in den frühen Morgenstunden und wir sind dankbar, ihn erlebt zu haben. Wir fuhren hoch in die Berge, wo es Mittagessen gab, das Wetter jedoch nicht unbedingt vertrauenserweckend besser wurde. Dafür wurde die Landschaft absolut spektakulär!
Die Piste schlängelte sich entlang eines tiefen Canyons, an dessen Grabenschultern Drachenblutbäume wachsen. Die Bäume sehen aus wie von einem anderen Stern, sodass die gesamte Landschaft aus einem Science-Fiction-Film entsprungen zu sein scheint. Je weiter wir auf einer üblen Piste am Canyon entlang und in ihn hinter rumpelten, desto dichter wurde die Drachenblutbaum-Vegetation.
Unser Fahrer konnte mit dem Land Cruiser umgehen und hatte es gut im Griff, wann er Untersetzung und Sperre nutze und wir beide hatten richtig Spaß, ihm bei der Arbeit zuzusehen. Eigentlich wären wir ganz gerne selbst gefahren, aber das sahen nicht alle so. Unsere Britin der Reisegruppe verbrachte die Fahrt wieder mit geschlossenen Augen. Es ging auch wirklich sehr steil und steinig bergab in den Canyon hinein und auf der anderen Seite ebenso steil und steinig wieder hoch. Dann waren wir auf dem Dixam Plateau, wo der große Drachenblutbaum-Wald wächst.
Wir wanderten durch wirklich außerirdisch anmutende Natur auf einen Berg, von dem aus wir einen tollen Rundumblick auf den Wald hatten. Das, was wir sahen, war etwa die Hälfte des Waldgebietes, für das die Insel so berühmt ist. Die Drachenblutbäume wachsen nur auf Socotra und sind gefährdet, weil Ziegen die jungen Pflänzchen und Bäumchen anknabbern. Man sieht genau: wo keine Ziege hin klettern kann, wachsen besonders viele junge Drachenblutbäume.
Hier steckt der Naturschutz in einem Dilemma: der Jemen leidet unter extremer Nahrungsunsicherheit. Zwei Drittel der Bevölkerung kennen regelmäßigen Hunger und fast die Hälfte der Kleinkinder sind untergewichtig. Subsistenzwirtschaft ist daher überlebenswichtig und erst 2018 herrschte eine Hungersnot auf Socotra. Den Menschen aus Naturschutzgründen zu verbieten, Ziegen zu halten bedeutet dann, ihnen ihre allerletzte Lebensgrundlage zu nehmen. Es ist daher sehr schwierig, auf Socotra Naturschutz und das menschliche Überleben zu vereinen.
Die Socotris sind sich durch die Aufklärungsarbeit vieler NGOs mittlerweile ihres „Exotenstatus“ bewusst und auch stolz auf ihre einzigartige Natur. Viele Bürger werden aktiv in Naturschutzprojekte eingebunden und das Bewusstsein für den „Schatz“, den die Insel hütet, ist da. Aber was ist ein solches Bewusstsein wert, wenn der Teller leer bleibt und der Magen knurrt? Wir hoffen sehr, dass es möglich wird, hier eine nachhaltige Balance zu schaffen, die es ermöglicht, dass die Drachenblutbäume langfristig erhalten bleiben.
Eigentlich war geplant, im Drachenblutbaum-Wald auf dem Dixam-Plateau zu campen, aber leider zog sich das Wetter wieder zu und wir sahen allesamt ein, dass wir die Piste im nassen Zustand nicht würden sicher schaffen können. So rumpelten wir dann ungeplant weitere zwei Stunden mit dem Toyota durch die Landschaft vom anderen Stern, bis wir pünktlich zu Sonnenuntergang am Indischen Ozean ankamen, wo wir dann am Strand campten. Ein langer, spektakulärer Tag, der für uns ein großes Highlight der Insel war.
Wir schliefen schlecht, der Indische Ozean war wütend und grollte lärmend vor sich hin, wir hatten ein Zelt erwischt, das ein Loch im Moskitonetz hatte und wurden zerstochen und zu kurz war das Zelt ja immer noch. So waren wir wieder zu Sonnenaufgang um kurz nach fünf wach und konnten der brütenden Hitze des Tages noch ein wenig entgehen. Doch schon während des Frühstücks mussten wir in den Schatten umziehen, die Sonne knalle erbarmungslos herunter, es ging kein Wind und es gab kein einziges Wölkchen am Himmel.
Wir fuhren zu einer Höhle mit Meerblick (und vielen Vögeln), wurden mit dem Land Cruiser durch grellweiße Dünen kutschiert, in denen kurioserweise Kühe herumliefen und rumpelten dann entlang der Küste immer entlang des Ozeans gen Osten. Im Wasser sah man oft Schildkröten schwimmen, an einer Stelle zählten wir acht auf einmal! Das erinnerte mich stark an meine Zeit auf den Kapverden, wo ich auch oft Schildkröten im Wasser vor der Küste schwimmend beobachtet habe. Die Welt hat so viel Zauber für uns, wir müssen nur losziehen, den Zauber zu entdecken!
Jan und ich waren ja durch unsere fünf Wochen Ägypten die Hitze schon gewöhnt, aber der Großteil der Gruppe (alle bis auf den Ägypter) kamen aus usseligem Herbstwetter in den Jemen geflogen und litten doch unter den Temperaturen des Tages. Als unsere Reiseleitung bei einem Fotostopp fast zwischen zwei Autos wegen der Hitze zusammenklappte, hatte auch niemand etwas dagegen, die eigentlich geplante Wanderung des Tages abzusagen.
Stattdessen wurden wir von der Küste zurück in die Berge kutschiert, wo wir an der Kante eines anderen Canyons in einer leerstehenden Schäferhütte ein schnelles Mittagessen serviert bekamen. Es war einfach zu heiß für großartige körperliche Aktivitäten. Etwas früher als ursprünglich geplant waren wir zurück in der Inselhauptstadt im Hotel, wo die kalte Dusche (Warmwasser gibt’s nicht) zum ersten Mal richtig willkommen war.
Abends gab’s wie immer in Hadibu Essen in ein und demselben Restaurant. Es gab auch immer ein und dasselbe Essen: tolles Brot, dazu scharfe Bohnen, scharfe Linsen, Fisch und eine Sauce aus pürierten Tomaten mit Knoblauch und Chili. Schön scharf und superlecker. Weil es am nächsten Abend ein Abschiedsessen geben sollte, war das die letzte Chance auf diese Sauce und ich langte ordentlich zu. Ich tunkte das Brot mehr als alle anderen und mehr als sonst in die Schale und leerte nicht nur eine Portion davon. Das war zwar lecker, aber mein Magen machte mir dann nachts um drei unmissverständlich klar, dass das zu viel des Guten war.
Morgens steckte ich mir den Finger in den Hals und wurde die gute Tomaten-Chili-Sauce wieder los. Leider. Frühstücken konnte ich nicht und so brach ich mit extrem leerem und ziemlich flauem Magen zum Tagesprogramm auf. Es ging zu einem Riff zum Schnorcheln. Leider sind meine Füße zu klein gewesen für sämtliche Flossen im Tauchverleih, sodass ich nicht ganz so weit rauschwimmen konnte wie die anderen Wasserratten der Gruppe. Aber das, was ich in Ufernähe „erschwimmen“ konnte, war schon spektakulär genug.
Die Sichtweite des Wassers war jetzt nicht ganz so beeindruckend, wie ich es schon an anderen Orten der Welt erlebt habe, aber der Fischreichtum war toll. So viele so extrem bunte Fische habe ich, zumindest in meiner Erinnerung, noch nicht auf so kleinem Raum gesehen. Es war ein bisschen, wie im Tropen-Aquarium eines Zoos zu schwimmen. Den ganzen Tag verbrachten wir am und im Wasser, mir wurde leider irgendwann recht kalt, da ich ja seit dem Vortag nichts wirklich gegessen hatte und auch das Mittagessen des Tages „gegen mich ging“, aber trotzdem war dieser Schnorchel-Tag ein toller Abschluss der Insel! Das, was wir unter Wasser zu sehen bekamen war genauso speziell wie die Natur über der Wasseroberfläche. Die vier verschiedenen Korallenarten, die wir erschnorchelten, sind auch endemisch und existieren nur rund um Socotra.
Egal, wohin man auf der Insel schaut: zu Land, zu Luft oder zu Wasser: alles ist dort einzigartig und macht die Insel zu einem ganz speziellen Reiseziel. Wir sind froh, uns nach langem Überlegen letztendlich doch entschieden zu haben, die Reise dorthin anzutreten. Wir hatten eine lustige Gruppe vielbereister Mitreisender erwischt, haben jede Sekunde in der so außergewöhnlichen Natur genossen und sind der Meinung, dass es jede Nacht ohne Schlaf bei der langwierigen An- und Abreise (und auch die Nächte in zu kurzem Zelt) absolut wert war.
Zum Abschiedsessen spielte auch mein Magen wieder mit und am nächsten Morgen war sogar noch Zeit für einen kurzen Besuch auf dem Fischmarkt. Einerseits schade, die tollen Fische, die wir selbst gefischt, bei Bootsfahrten beobachtet und beim Schnorcheln aus nächster Nähe gesehen hatten, dort zum Verkauf angeboten zu sehen, aber für Socotris sind ja all die zauberhaften, endemischen Pflanzen und Tiere ganz normaler Alltag und Normalität. Wir Ausländer haben den Insulanern ja erst erklärt, dass das, mit was die Menschen dort seit Generationen aufwachsen, etwas ganz Besonderes ist und für den Rest der Welt eine absolute Einmaligkeit.
Der Rückflug über Riyan und Aden nach Kairo war über Tag wesentlich angenehmer als die Anreise über Nacht und als wir nach drei Flügen wieder zurück in Kairo waren, sich der Koshari-Verkäufer über unsere Rückkehr freute, der Saftverkäufer sein breitestes Lächeln aufsetzte und wir bei Ankunft im Hostel umarmt wurden, wurde uns bewusst, dass nun der Zauber vorbei war. Socotra war für uns ein ganz besonderer Reiseabschnitt. Einerseits, weil es für uns die erste gemeinsame Gruppenreise war (und das war nicht schlecht!), andererseits, weil die Insel unsere (zugegeben: recht hohen) Erwartungen wirklich übertroffen hat. Jeder Dollar, jede Mühe, jeder der jeweils fünf Flüge der An- und Abreise war es wert. Wir sind wirklich froh, uns das ermöglicht zu haben. Wann, wenn nicht jetzt?
Wir verbrachten noch einen letzten Tag in Kairo, wo wir uns mittlerweile fast heimisch fühlen, aßen ein letztes Mal Koshari und schlürften ein letztes Mal frischen Guavensaft, knuddelten die Hostelkatze und stiegen dann nachts um vier in den Flieger nach Athen, zurück nach Europa. Das Beste am Umsteigen in Athen ist immer der Cappuccino Freddo und die Bougatsa Crema zum Frühstück dort, was wir beides auch wirklich nötig hatten. Von Athen war es dann nur noch ein klitzekleiner Katzensprung zurück nach Sofia, wo wir sofort zurück im Alltag landeten. Noch am Ankunftstag hatte ich einen Zahnarzttermin (jährliche Kontrolle) und wir saßen beim Automobilclub, um unsere neuen Carnet de Passages für die in Westafrika parkenden Motorräder zu beantragten.
Mittlerweile haben wir die Carnets und frische internationale Fahrzeugpapiere in der Tasche und sind zurück in unserer „Base“. Letzte Woche Montag war in Bissau der voraussichtlich letzte Regentag der diesjährigen Regenzeit und die Schlammpisten dort sind gerade dabei, zu befahrbaren Wegen aufzutrocknen. Wir gehen davon aus, dass wir nächste Woche nach Westafrika starten können. Derzeit kümmern wir uns um weiteren Papierkram (es kann sein, dass wir wegen eines Visums noch schnell nach Istanbul müssen) und haben Besuch von einem Freund aus Australien, einer Freundin aus Deutschland und einem dänischen Motorradreisenden. Bulgarien tut uns immer wieder gut!
Wenn mit dem Visum alles klappt, sind wir schon sehr bald zurück in Guinea-Bissau und reisen ab da weiter gen Süden: Guinea, Sierra Leone, Liberia, Elfenbeinküste,… Mal sehen, wie weit wir kommen, bis die nächste Regenzeit uns stoppt. Da der Regen von Süden nach Norden zieht, werden wir diesmal wahrscheinlich keine acht Monate in Westafrika verbringen können und nicht erst wie dieses Jahr Anfang Juni, sondern wahrscheinlich ein paar Wochen früher nächstes Jahr aus Westafrika in die „Regenpause“ gehen. Wir freuen uns, bald wieder mit Motorrädern unterwegs zu sein!
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