Zugegeben: auch in über zwei Monaten ist es uns nicht gelungen, mit Senegal und Gambia wirklich „warm“ zu werden. Jan als Hamburger sagt dazu „nett“. Und „nett“ ist für einen Hamburger „die kleine Schwester von…“ 😊Wir haben uns nicht wirklich unwohl gefühlt in den beiden Ländern, aber auch nicht richtig wohl.

Im Norden Senegals waren wir nach drei Wochen einfach nur genervt von den ständigen, omnipräsenten Muridengesängen. Dauerbeschallung von Bussen, aus Moscheen und Hinterhöfen. Entkommen konnten wir dem Singsang nur in der Natur und auch die ist im Senegal „touristisch erschlossen“ mit nachgebauten Vorratshäuschen im Watt, „damit es für Touristen was zum Fotografieren gibt, wenn die Tiere sich nicht zeigen“, wie uns ein Guide erklärte. Nun ja. Nicht ganz das, was wir unter Authentizität verstehen. Und das ist wohl auch das, was wir vermisst haben. In Gambia war der River Gambia National Park für uns eine Oase der Natur, die uns ein wenig aufatmen ließ. Aber auch dort: wenig Authentizität, denn es gab ausschließlich Touristenfutter. Einheimische besuchen schließlich den Nationalpark nicht und man arbeitet dort, um die Tiere zu schützen und die Touristen zu bespaßen. Trotzdem: die Schimpansen haben uns glücklich gemacht.

Im Süden Senegals, der Casamance, war es schon besser. Wir haben im Dorf im Impluviumhaus, bei den Delfinen und Manatis (Seekühen) in Pointe Saint George und beim „Erntedankfest“ mit Ringkämpfen das erste Mal das Gefühl von Authentizität gehabt. Und leider auch das letzte Mal. Eine Woche in zwei Monaten. Beide Länder sind touristisch sehr gut erschlossen und dementsprechend wird auch sehr gut auf die Bedürfnisse der mit Chartermaschinen einfliegenden Pauschaltouristen eingegangen. Dabei meinen es ja alle nur gut mit den Gästen, aber uns ist der Charakter, die ehrliche Seele des Landes, dadurch die meiste Zeit verborgen geblieben.

Was uns außerdem gestört hat, ist die Allgegenwart von Drogen, bei denen auch gewisse Gruppen Touristen und Reisender gerne mitkonsumieren. Glasige Augen zuhauf und ein arrogantes Verhalten, obwohl Drogenbesitz und -Konsum verboten sind. Insbesondere in Gambia war das sehr auffällig und störend. Die „Bumster“ in Gambia (junge Männer, die Touristen dauernd anlabern und hinterherlaufen) waren in den Küstenorten nervig und ich konnte nicht alle Vorurteile gegenüber senegalesischen jungen Männern, die sich in sechs Jahren auf den Kapverden in mir verfestigt hatten, über Bord werfen: leider sind nicht alle Nervtöter ins Ausland ausgewandert und nerven im Heimatland weiter.

Kurzum: Senegal und Gambia waren „nett“. Schöne Natur (das Sine-Saloum Delta, die „Salzbrunnen“ von Palmarin, der River Gambia National Park, der Casamance Fluss), tolle Strände (Traumstrand in Gambia!) grundsätzlich freundliche und hilfsbereite Menschen, eine vergleichsweise europäische Infrastruktur, die das Reisen sehr einfach macht, gutes Essen (die Shrimps!), gute Straßen, hübsche und saubere Unterkünfte, eine entspannte Atmosphäre. Doch nachdem wir von Mauretanien so unendlich geflasht waren, wirkten beide Länder nur ziemlich blass auf uns.

Wir fühlten, dass es Zeit wurde, Senegal zu verlassen. Außerdem gab es noch einen weiteren Grund, der uns aus dem Senegal ein wenig „herausscheuchte“: landesweite Proteste, die eigentlich nur drei Tage geplant waren, dauerten an Tag fünf immer noch an und wir durchfuhren brennende Straßensperren, sahen Steinewerfer entlang der Straßen und wie Polizei und Militär versuchte, die Proteste unter Kontrolle zu halten. In deutschen Medien hat im Senegal nichts stattgefunden, internationale Agenturen aller Kontinente (BBC, Reuters, Al-Jazeera etc.) brachten massenhaft Berichte über das „brennende“ Senegal. Dass Deutsche durch selektive Berichterstattung nur das serviert bekommen, was der brave Bürger wissen soll, macht es für uns manchmal ganz entspannt, denn was der Deutsche nicht weiß, bringt ihn auch vor Sorge um uns nicht um. Die Proteste dauern immer noch an, wie wir von anderen Reisenden wissen, die in brennenden Straßensperren hängen blieben, als wir das Land schon verlassen hatten. Doch in den deutschen Medien ist immer noch nichts zu lesen. Nach mittlerweile 10 Tagen… Aber so war das auch mit den Protesten im Iran, da hat es letztes Jahr auch exakt 2 Wochen gedauert, bis „Women, Life, Freedom“ die erste Randnotiz in der deutschen Presse war.

Für uns hat die selektive deutsche Berichterstattung nicht nur den Vorteil, dass sich keiner Sorgen macht. Andererseits kann es nämlich auch völlig stressig werden, wenn in Wahrheit gar nichts passiert ist, wo wir uns gerade aufhalten, die „German Angst“ jedoch zuschlägt und Berichte „aufhübscht“ oder erfindet. Wir erinnern uns noch gut an die vielen, vielen Nachrichten aus der alten Heimat, als wir während der Samstagsproteste in Hongkong waren (weil dort angeblich „unsere“ U-Bahn Station brannte und „Mauern eingerissen“ wurden) oder im Iran, als die deutsche Presse versehentlich einen im Voraus verfassten „Bericht“ zu Ausschreitungen in Teheran veröffentlichte, die aber nie stattfanden, weil das Parlament den Beschluss nicht fasste, auf den die Ausschreitungen laut den kreativen Köpfen deutscher Medien folgen sollten. Wir informieren uns seitdem nur noch selten auf Deutsch, sondern nutzen Handy-Apps internationaler Presseagenturen diverser Kontinente…

Grund für die riesige, tagelange Protestwelle im Senegal ist die Verhaftung (wegen angeblicher Vergewaltigung) des Gegenkandidaten des aktuellen Präsidenten, dem die Opposition vorwirft, sich mit der Verhaftung eine verfassungswidrige weitere Amtszeit zu erschleichen. Die Senegalesen befürchten einen Demokratieverlust und gehen auf die Straßen. Länger und intensiver als angekündigt und für uns war das keine Stimmung, um noch länger in einem Land zu bleiben, was uns sowieso nicht wirklich emotional gefesselt hat.

Am Samstag sind wir dann nach Guinea-Bissau eingereist. Eines der ärmsten und unterentwickeltsten Länder der Welt, in dem es nur stundenweise Strom gibt, das politisch instabil ist und von den meisten Reisenden im Transit auf wahnsinnig schlechten Straßen durchfahren wird. Das klang spannend, aber nicht gerade verlockend. Umso größer war dann die Überraschung, als wir da waren: mit einem Schlag hatte uns das Land für sich gewonnen. In Guinea-Bissau spricht man theoretisch Portugiesisch, tatsächlich ist die Schulbildung aber so schlecht (3,6 Jahre Schule sind der Durchschnitt!), dass im gesamten Land nur unter 30% der Einwohner die Landessprache können. Auf dem Land nur 14,7%. Jede Volksgruppe spricht seine eigene Sprache und der gemeinsame Nenner (immerhin rund 60%) ist das Kreol, hier „Kriolu“ genannt. Und ich kann beides. Das macht es einfach. „Mein“ Kriolu ist das Süd-/(Badiu) Kapverdische, aber es ist dem Guinea-Bissauischen recht ähnlich und mit „Einhören“ wird das Verstehen täglich besser, denn insbesondere die Aussprache ist hier wesentlich härter und afrikanischer, als ich das kenne und manche Laute sind anders.

Kennt Ihr diese TikTok Videos, in denen die Reaktionen von Chinesen gefilmt werden, wenn eine „Langnase“ fließend die Lokalsprache spricht? In so einem Film bewegen wir uns hier. Dem Kellner des ersten Restaurants, in dem wir aßen, fiel schier die Kinnlade herunter, als ich als Weiße plötzlich in seine Lokalsprache wechselte. Die Sprache öffnet uns also die Herzen der Einheimischen und erleichtert uns wahrscheinlich das Ankommen hier mehr als anderen Reisenden.

Es gibt viele Kreolsprachen weltweit. Hier und auf den Kapverden wurde die Sprache unter Sklaven entwickelt, um erstens eine gemeinsame Sprache zu haben, in der sich die Sklaven aus allen Regionen Afrikas verständigen konnten und auch um dies von den Kolonialherren unverstanden zu tun. Das Kreol enthält daher Wörter aus den jeweiligen Ethniensprachen und Wörter aus dem Portugiesischen (oder, je nach Kreol, auch Englisch, Spanisch, Niederländisch oder Französisch), die jedoch anders ausgesprochen werden. Beispiel „Küche“. Heißt auf Portugiesisch „cozinha“, was “kosinja” ausgesprochen wird. Auf Kreol „Kuzina“ (geschrieben wie gesprochen). Man erkennt die Herkunft, wenn man beide Sprachen kann. Die meisten Wörter sind jedoch komplett anders. Beispiel „sprechen“: auf Portugiesisch „falar“, in Kreol „papia“. Die Grammatik des Kreol ist super einfach, da die Zeit (Futur, Präsens oder Zukunft) mit kleinem Zusatzwort angezeigt wird, das Verb aber im Infinitiv bleibt. Deswegen ist es auch einfach zu lernen, wenn man die Vokabeln drauf hat. Wikipedia erklärt das ganz gut: Kapverdianisches Kreol

In Guinea Bissau und auf den Kapverden ist die Amtssprache zwar Portugiesisch, doch ist das Kreol auch emotional die wichtigere Sprache. Die Kolonialherren hatten die Sprache natürlich verboten, aber der Freiheitskämpfer Amilcar Cabral, der für die Unabhängigkeit von den Portugiesen kämpfte, machte das Kreol zur nationalen Identitätssprache und verfasste alle seine Schriften auf Kreol. Der gesamte Kampf für die Unabhängigkeit fand auf Kreol statt und gab den bis zu 30 verschiedenen Ethnien des Landes eine gemeinsame Identität. Heute ist es ganz normal, dass man Kreol statt Portugiesisch nutzt, um sich mit Menschen anderer Ethnien zu unterhalten. Wir waren zum Beispiel auf einem Dorf und eine alte Dame sprach uns an. Ganz offensichtlich gehören wir nicht zu ihrer Ethnie, also sprach sie Kreol. Da ich ja auch nicht die Sprache meiner Ethnie (Deutsch) mit ihr sprechen kann, antwortete ich ihr auch auf Kreol. Ein für sie völlig normaler Vorgang, sie hatte ihre Antwort und ging wieder. Und wir lachten, denn sie hatte gar nicht gemerkt, dass ich als Weiße gerade eine rein schwarze Sprache genutzt hatte. Woher ich das kann? Wir sind ja beide nicht neu auf diesem Kontinent. Ich habe sechs Jahre auf den Kapverden gearbeitet und in mir steckt ein Stück “Alma Kriola”. Guinea Bissau macht allein schon sprachlich Spaß!

Im ersten Ort nach der Grenze war wegen einer Familienfeier jedes Bett ausgebucht, doch wir wurden privat in einer leerstehenden Hotelvilla direkt am Fluss untergebracht. Wir bekamen massenweise Gazelleneintopf aufgetischt, saßen auf einer Dachterrasse und hörten Musik, die uns wesentlich besser gefiel als diese ständige Trommelei in Senegal und Gambia. Anfang ist die Trommelei ja ganz nett, aber nach ein paar Wochen wird’s einfach zu viel. Entweder Trommeln oder Muriden. Nervtötende Backgroundgeräusche in Senegal und Gambia. Deswegen tat die “bissauische” Musik so gut. Die Häuser in Sao Domingos hatten, obwohl wir nur 7km vom Senegal entfernt waren, portugiesischen Flair und in Kombination mit der tropischen Vegetation, der Geräuschkulisse, der Sprache und dem Klima fühlte es sich für uns fast wie Brasilien und nicht wie Afrika an. Die Musik blieb die ganze Nacht, wir schliefen fast auf der Tanzfläche der Familienfeier, so schien uns. Aber das Land hatte sich mit all den lieben Menschen, die wir in den ersten Stunden  kennengelernt hatten, schon in unsere Herzen geschlichen und die Dauermusik konnte das nicht mehr ändern.

Wir fuhren über Straßen, die besser als erwartet waren. Ja, es gibt viele, viele Schlaglöcher, aber mit unseren Motorrädern mit bestem Fahrwerk kein Problem. Im Prinzip waren es nur 20km Luftlinie, laut Tacho aber 158km, denn wie in Gambia und Senegal ist die Küste hier durch starke Erosion von „Fjorden“ durchschnitten, ein von Mangroven bewachsenes, gezeitenabhängiges Sumpfland. Obwohl wir nur eine Grenze überschritten hatten, sahen die Dörfer ganz anders aus: die Lehmhäuser eckig statt rund, die Steinhäuser mit portugiesischem Touch, die Kirchen mit portugiesischen Kacheln und die Menschen völlig aus dem Häuschen, wenn wir auftauchten. Mitten in einer Zollkontrolle im Ort wurden wir so von völlig aufgekratzten Teenagern mit Selfies belagert, umarmt und mit Fragen bestürmt, dass es schwer war, weiterzufahren.

Touristen gibt es hier wenige, die meisten Reisenden drehen im Senegal wieder um, denn für Guinea Bissau braucht man ein Visum, für das man persönlich auf eine Botschaft muss, es gibt keine gut vermarkteten touristischen Highlights (obwohl: die Strände sind hier gleich hübsch, aber ohne Resorts und somit eigentlich paradiesischer, die Natur tropisch üppig, die Nationalparks groß etc.), kaum touristische Infrastruktur (ich glaube, es gibt keinen einzigen Campingplatz!) und viele blöde Geschichten anderer Reisender über angeblich korrupte Mautstationen, korrupte Polizei und korrupten Zoll. Das erleben bisher aber immer nur andere. Wir nicht. Unterkünfte sind rar und Sehenswürdigkeiten hauptsächlich die Natur. Die Einheimischen haben kaum Geld, sich selbst zu ernähren (2015 waren 28,3% unterernährt!) und der letzte Zensus ergab 2009, dass nur 2000 Ausländer im Land leben. Für wen also Gästezimmer bauen und betreiben? Für wen eine touristische Infrastruktur schaffen und erhalten? Und welcher Tourist möchte schon in ein Land reisen, deren politische Indizes wie „fragile states Index“ oder der Demokratieindex etc. extrem weit von dem des eigenen Landes entfernt sind?

Unsere zweite Unterkunft wird von einem älteren Franzosen betrieben, dem das Leben in Europa zu kompliziert ist und der lieber hier auf die Mangroven schaut und den Vögeln zuhört, statt sich mit der Bürokratie in seiner alten Heimat auseinanderzusetzen. Ich habe in Deutschland und Frankreich gewohnt und kann dem nur zustimmen. Aktuelles Beispiel gefällig?

Wir kommunizieren seit Jahren mit einem Finanzbeamten per Mail, weil wir unsere Umsatz- und Einkommenssteuer in Deutschland machen. Plötzlich dürfen wir das nicht mehr „einfach so“, denn wir müssen ein neues Formular ausfüllen und unterschreiben, in welchem wir eben diesem Beamten (und seinen Kollegen) erlauben, auf unsere E-Mails wie gehabt elektronisch zu antworten. Geht es noch irrsinniger? Ja! Denn das Formular ist in einem Anflug von Digitalisierung zwar online ausfüllbar (man braucht tatsächlich kein Fax!), aber das Feld für die Steuer-ID ist nicht lang genug, sodass man keine vollständigen Angaben machen kann. Und wenn man dieses Formular endlich geschafft hat, wird klar: das gilt nur für dieses eine Amt. Jedes weitere Amt darf diesen Zettel neu verlangen! „Ist jetzt neu“, hieß es am Telefon. Verständlich, dass der Franzose in „das Chaos Europa“ nicht mehr zurück möchte und auch wir empfinden eine Reise durch Westafrika wesentlich einfacher als nur eine deutsche Einkommenssteuererklärung. Die arbeitet sich bei Vogelgezwitscher aus den Mangroven aber deutlich angenehmer ab als aus dem deutschen Grau…

Wir mussten nämlich einen Tag überbrücken, denn wir hatten bei unserer Planung (mal wieder) die Wochentage vergessen. Da unsere Arbeitstage von Internet und nicht von Öffnungszeiten irgendwelcher Büros abhängig sind, vergessen wir oft, welcher Wochentag ist und in diesem Fall, dass Museen und Sehenswürdigkeiten montags eigentlich immer geschlossen haben. Das Fort und das Museum in Cacheu halten sich an diese ungeschriebene internationale Regel und so gab’s dann Steuererklärung statt Sightseeing. Außerdem kleinen Service am Motorrad. Wir tauschten beide unsere Luftfilter-Vorfilter aus. Jan seine „Duschhaube“, ich meine „roten Nasen“. Ja, das ist bei der Honda auch komisch…

Wir wollten mit dem ÖPNV in das 45km entfernte Städtchen Cacheu fahren, denn dort gibt es keine (bezahlbare) Unterkunft und wir wollten nicht in dicken Moppedklamotten bei 36°C im Ort herumlaufen. Es wurde Dienstag und der nette Franzose, der sein halbes Leben in Afrika verbracht hat, fuhr uns zum Busbahnhof. Die Busse dort sind einfach irgendwelche Fahrzeuge, die zum Personentransport genutzt werden. Zur Not stellt man einfach Bänke rein und schneidet Gucklöcher in die Seitenwand und es geht los, wenn voll ist. „Voll“ bedeutete in unserem Fall 25 Menschen in einem alten Mercedes Bus, in den in Deutschland nur neun oder zwölf Leute passen. Und damit man bis zu 30 Personen transportieren kann, gibt es am Heck noch ein breites Trittbrett, auf dem weitere Personen Stehplätze haben können. Plus das Dach voll Fracht. Es war kuschelig, aber fröhlich. Jeder kann aussteigen, wo er will und keiner motzt, wenn der Bus in einem Dorf alle 100m anhalten muss, weil der nächste Passagier aus- oder zusteigen möchte. Weil alle Passagiere fast gestapelt sind, bedeutet das oft, dass erst ein paar Leute aussteigen müssen, damit die Person auch rauskommt, die den Bus zum Anhalten gebracht hat. Das alles geschieht sehr entspannt und fröhlich. Auch der Busfahrer hat nichts dagegen, jedes Mal auszusteigen, weil die Türverriegelung kaputt ist und daher mit einem Riegel von außen gesichert ist, damit kein Passagier herausfällt. Die Hecktür musste eine Passagierin übrigens während der Fahrt von innen mit einer Schnur festhalten.

Cacheu war zu Kolonialzeiten der wichtigste portugiesische Stützpunkt im portugiesischen Sklavenhandel. Anfangs wurde die Stadt von den Kapverden aus verwaltet, später gab es auch in Cacheu ein portugiesisches Fort und eine eigene Verwaltung. Die EU hat dort ein Museum zum Thema Sklavenhandel finanziert. Sehr gut gemacht, aber leider komplett auf Portugiesisch. Wir sahen außer uns noch drei weitere Besucher und keiner war Portugiese. Nicht so sinnvoll, Portugiesisch zu wählen. Das kann ja noch nicht mal die einheimische Bevölkerung und auch fast kein Tourist. Ich übersetzte Jan Schautafel für Schautafel und der wortkarge Museumswärter („Gibt es hier eine Toilette?“ „Ja.“ „Wo?“ Fingerzeig.) brachte uns dann noch zum Fort, das gut erhalten ist. Und mitten im Fort blühte ein Frangipani Baum! Nicht irgendeiner, sondern in kubanischer.

Google Bildersuche half. Es gibt weltweit viele Arten dieser Bäume (über 20), aber zehn davon sind endemisch auf Kuba, kommen also nur dort vor. Und genau einer dieser rein kubanischen Bäume steht hier! Und nicht nur hier, sondern auch in Cidade Velha auf den Kapverden, der ehemaligen Hauptstadt. Die Erklärung lieferte das Museum. Als der Sklavenhandel verboten war, die Sklaverei aber noch nicht, machte Portugal trotzdem illegal weiter. Die Schiffe wurden schneller, die Zahl der Sklaven pro Schiff höher und das Risiko größer, beim „Export“ erwischt zu werden. Von den Engländern zum Beispiel, wie wir aus Gambia schon berichtet hatten. Um die Sklaven dann am Bestimmungsort (zum Beispiel den Baumwollplantagen) einsetzen zu können, mussten sie umdeklariert werden. Eine Form des Etikettenschwindels war, die Sklaven auf den Baumwollplantagen der Kapverden „auszubilden“ (durch Zwangsarbeit) und sie dann nach Kuba zu verschiffen. Dort wurden sie als „einheimische Arbeiter“ oder „Abkömmlinge einheimischer Sklaven“ umdeklariert und konnten dann gewinnbringend weiter verkauft werden. Und so kamen trotz Verbot des transatlantischen Sklavenhandels noch Sklaven auf die Baumwollplantagen und diese spezielle Art Frangipani an die beiden Standorte in Afrika, wo der illegale Sklavenhandel wie der Baum blühte: riesengroß…

Den Rest des Tages verbrachten wir in der Hafenkneipe, wo es Reis mit Fischkopf für 1,50€ gab und wir die Zeit im Schatten am Wasser mit dem deutschen Finanzamt verbrachten. Die gehässigen, schnippischen und rechtlich falschen und völlig unbegründeten Antworten (“Weil!” und “Weil das so ist!” oder “Darum!”) der überforderten Beamtin sind wirklich erträglicher, wenn man dabei auf blauen Himmel und bunte Boote im Wasser schauen kann, ein warmer Wind weht und man sich vorstellt, in was für einem Mistwetter die übel gelaunte Frau in Hamburg sitzen muss… Der deutsche Behördenkrieg ist unglaublich lästig, aber aus der Hafenkneipe wesentlich besser zu ertragen.

Wir hatten keine Ahnung, wo der Bus zurück abfahren sollte und liefen die staubige Hauptstraße entlang. Im Schatten eines Mangobaumes saßen zwei ältere Damen, die ich fragte. Uh, das sei weit! Und die Sonne so heiß! Wir sollten mit dem Motorradtaxi fahren. Die Straße war menschenleer. Kein Motorrad. Wird schon eins kommen, setzt Euch zu uns! Kaum saßen wir auf dem Bänkchen bei den Damen, hörten wir es knattern. Der Enkel wurde gebeten, auf die Straße zu rennen und das Motorrad anzuhalten. Schwupps saßen wir hinten drauf (ja, zu dritt!) und düsten zum Ortsausgang, wo die „Bushaltestelle“ war: ein riesiger Cashewbaum, unter dem Bänke standen, auf denen alle Passagiere warteten, bis wieder 25 Leute zusammen waren für die nächste Fahrt. Diesmal durften wir vorne sitzen.

Die Handbremse war kaputt und jedes Mal, wenn ein Passagier raus oder rein wollte und der Fahrer aussteigen musste, um den Riegel der Tür von außen aufzuschieben oder Fracht vom Dach zu holen, musste ich mit dem Fuß das Bremspedal halten. Aber Jesus klebte dick auf der Frontscheibe und deswegen ist auch auf dieser Fahrt alles gut gegangen. Uns sind Jesus oder Amilcar Cabral Aufkleber sehr, sehr viel sympathischer als diese Aufkleber der muslimischen Bruderschaften im Senegal, die das gesamte Transportgewerbe beherrschen und bei jeder Fahrt die Welt mit Singsang bekehren.

Unser nächstes Ziel ist 300km entfernt. So viel sind wir zuletzt in Mauretanien an einem Tag gefahren! Die Information des Franzosen „Die Straße ist furchtbar, aber Ihr habt ja Motorräder“ ließ uns das in zwei Tage aufteilen. Die ersten 180km waren tatsächlich eine ziemlich zerbombte Straße mit tiefen Löchern und Asphaltresten, auf der wir sehr, sehr froh waren, dass wir unsere Fahrwerke mit besten Komponenten optimal aufbauen und abstimmen lassen haben. Solange die Felgen die Schläge mitmachen, bügelt das Fahrwerk den Rest aus. Aber trotzdem ist es staubig, heiß (37°C) und nervig, denn obwohl wir mit 50km/h oder mehr über solche Strecken holpern können, kriechen LKW und Busse in teils abenteuerlicher Schräglage durch die Löcher und schlagen plötzlich Haken bei dem Versuch, besonders tiefen Löchern mit wenigsten einem von vier (oder mehr) Rädern auszuweichen.

Die Unterkunftssuche war wieder nicht einfach, denn der erste Versuch gefiel uns nicht (völlig unmotivierter Typ wollte für ein sehr spartanisches Loch richtig viel Geld, bot weder Frühstück noch Küche und es gab weder Lädchen noch Restaurants in der Umgebung), der zweite Versuch war unauffindbar (wahrscheinlich falsch eingezeichnet) und der dritte Versuch etwas kompliziert. Doppelzimmer gibt’s nämlich nur für Verheiratete (das sind wir Gott sei Dank) und das erste Zimmer stand quasi unter Wasser. Das endgültige Zimmer wird aber von der heiligen Jungfrau beschützt, das Hotel ist sehr katholisch.

Der dünne Alubügel sollte das Gepäck halten. Der dicke Karabiner von uns tut’s bestimmt!

Außerdem war an Jans Enduristan Monsoon 3 Gepäcktaschen eine Metallöse gebrochen. Wir wussten, dass das passieren würde, weswegen Jan seit Mauretanien mit zusätzlichen Spanngurten um Taschen und Gepäckträger fährt, um bei einem Bruch die Taschen nicht zu verlieren und weiter zu beschädigen. Zur Reparatur hatten wir uns schon stabile Karabiner in den Senegal schicken lassen. Siehe Foto. Nicht von der Firma Enduristan, sondern aus eigener Tasche. Denn Enduristan hat extrem unprofessionell reagiert.

Jan ist der vierte Reisende, den wir kennen, dem das passiert. Das Problem ist seit über einem Jahr bekannt. Trotzdem wurde Jan erst angeraunzt, er habe die Taschen falsch montiert und sei selbst schuld. Dann hieß es, er habe grundsätzlich die falschen Taschen gekauft. Dass die Taschen genau wie auf allen Produktbildern der Schweizer Marke sogar auf einer KTM montiert waren und es gar nicht anders geht, machte die Sache nicht besser. Ein Angebot (zum Beispiel stabile Karabiner zu schicken oder diese zu bezahlen) kam auch nicht. Nur eine blöde Mail nach der anderen. Einzig die liebe bulgarische Importeurin bot sofort Austausch an, obwohl Jan die Taschen in Deutschland gekauft hatte. Aber Müll gegen Müll tauschen ist nicht sinnvoll. Man ist in der Schweiz auch nicht gewillt, diese Schwachstelle (eine dünne Aluminiumöse soll die Tasche halten) zu verändern. Wir können uns schon vorstellen, warum: der durchschnittliche Kunde nutzt das Gepäcksystem auf der Fahrt bei schönstem Wetter zur Eisdiele. Alle paar Jahre zur Alpenüberquerung. Und wenn dann was kaputt geht, ist die Garantiezeit vorbei. Jan ist die Taschen nun rund 10.000km gefahren. Eine Kilometerleistung, die der Durchschnittskunde nicht in fünf Monaten, sondern in fünf Jahren mit den Taschen fährt. Und da muss man nicht nachbessern… könnte ja 30 Cent mehr kosten!

Wir waren jedenfalls etwas „bedient“ an dem Abend. Die Köchin zauberte Gott sei Dank noch Reis mit Rindfleisch, bevor sie sich entschuldigte, weil sie in die Kirche müsse. Wir saßen geplättet am Pool des Hotels. Einer der Tage auf Reisen, die man nicht täglich braucht. Der nächste Tag war daher Ruhetag. Arbeitstag, solange die Akkus hielten, denn in Guinea Bissau gibt’s keinen Strom. In den ersten beiden Orten, an denen wir waren, gab es abends Strom aus der Steckdose (also aus dem städtischen Diesel-Stromwerk), im christlichen Hotel nur dann, wenn der Generator läuft. Also nachts, damit die Gäste, die den Aufpreis für Klimaanlage zahlen, auch eine Klimaanlage nutzen können (aber dann nicht schlafen können, weil der Generator lärmt). Wir können unsere Laptops mit einem 12V USB-C Ladestecker bequem am Motorrad laden, aber eben nicht einen ganzen Arbeitstag lang, denn wir brauchen noch genug „Saft“ auf der Batterie, um den Motor wieder starten zu können. Jan hat zwar einen Kickstarter, aber dank der modernen Einspritzung funktioniert der auch nur dann, wenn genug Strom da ist, mit dem die Benzinpumpe genug Druck aufbauen kann. Moderne Welt und das erste Mal, dass wir mit solchen „Raumfahrzeugen“ unterwegs sind. In Ländern wie hier, wo alles Mangelware ist, etwas komisch.

Trotzdem sind wir verliebt in Guinea Bissau. Jeden Tag stellen wir das immer wieder fest. Es gefällt uns sehr gut hier und ich glaube, das wird noch viel besser, denn die Highlights stehen uns noch bevor. Während Ihr das hier lest, erleben wir hoffentlich gerade eins davon. Wir sind schon sehr gespannt! Bis dahin könnt Ihr wieder Jans neuestes Video anschauen: über die Casamance, den Süden Senegals, der so viel anders und freundlicher ist als der Norden:

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