Wir sind zurück von unserer kleinen Auszeit. Zurück von den Paradiesinseln im Atlantik. Zurück von einer Zeit voll Zauber inmitten unberührter Natur, tropischem Regenwald, blendend weißen Stränden, Delfinen, fliegenden Fischen, Schildkrötenbabys und abgeschieden lebenden Ethnien. Zurück von den Bijagos Inseln.

Die Bijagos Inseln sind ein Archipel im Atlantik vor Guinea-Bissau, was als UNESCO Biosphärenreservat und mit zwei Nationalparks unter ganz besonders strengem Schutz steht. Ein Paradies aus über 80, meist unbewohnten Inseln, welches schwer zu bereisen ist und daher fast unberührt bleibt. Es gibt nur eine Fähre, die eine einzige bewohnte Insel zwei Mal wöchentlich ansteuert. Alle anderen Inseln sind nur mit Pirogen und viel Organisation zu erreichen. Und mit viel Geld, denn die schönsten Inseln liegen bis zu 100km Luftlinie vom Festland entfernt und um dort hinzukommen, braucht man viel Zeit – und viel Benzin und damit: viel Geld. Oder man fährt einfach mit der Africa Princess, einem kleinen Katamaran, der einem älteren Herrn aus Portugal gehört, der damit Menschen den Aufenthalt im Paradies ermöglichen möchte, in das er sich selbst vor Jahren verliebt hat.

Die Africa Princess hat nur vier kleine Kabinen und geringen Tiefgang, um bei dem riesigen Tidenhub möglichst frei navigieren zu können. Mit uns an Bord waren zwei Familien aus Portugal. Die Eltern in unserem Alter, die Kinder 12 und 16 Jahre alt. Wir hatten uns gefreut, eine Woche unter kultivierten und gebildeten Naturfreunden zu verbringen, aber leider war dem nicht so. „Saddam Hussein hat doch Israel regiert, oder?“ und „Albinos werden nicht so geboren, das wächst sich im Laufe des Lebens erst aus“ waren ein paar der vielen geistigen Highlights, welche die eine Mutter, Brasilianerin, den ganzen Tag von sich gab. Ich beneidete Jan, der kein Portugiesisch kann und der sich solche geistigen Meisterleistungen somit nicht nonstop anhören musste.

Unser kuscheliges Zuhause auf der Africa Princess

Am ersten Tag legten wir mit Verspätung ab, weil die Portugiesen mit der tap wie üblich nicht pünktlich landeten. Ich bin sechs Jahre lang alle paar Wochen tap nach Afrika geflogen und ich kann mich kaum erinnern, dass das jemals geklappt hat. Leider war das Wetter mies und so kämpfte sich die Africa Princess in rund sechs Stunden durch hohen Wellengang und kabbelige See zum ersten Übernachtungsplatz. Während der Fahrt bekamen wir ein verspätetes Mittagessen serviert, bei dem Wind und Seegang für Scherben, fliegende Salatblätter und verschütteten Rotwein sorgten. Wir schauten in die Runde: offensichtlich alle seefest, wie gut! Eine Woche später wussten wir: niemand (außer wahrscheinlich die Crew) war seefest genug, denn jeden von uns hat es erwischt. Wir hatten Pech mit dem Wetter. „Pech mit dem Wetter“ heißt hier aber nur „sehr viel Wind“. Es war immer um die 30°C warm, sodass man auch nach Sonnenuntergang gemütlich an Deck sitzen und sich von Wind und Wellen müde pusten und schaukeln lassen konnte.

Wir kamen in Dunkeln an und als morgens die Sonne aufging, sahen wir als erstes einen grellweißen Sandstrand, vor dem wir sanft im Wasser schaukelten. Wunderschön! Die Vögel zwitscherten ihr Morgenkonzert und der Wind hatte sich gelegt. So hatten wir uns das vorgestellt!

Nach dem Frühstück (das beste Frühstück seit Serekunda, Gambia) fuhren wir mit einem der zwei Beiboote auf die Insel, von der unser Local Guide, Pintu, stammt. Er zeigte uns sein Dorf, welches aus traditionellen Lehmhäusern mit „Reet“dächern besteht. Die Brasilianerin fiel unangenehm auf, weil sie jedes Kind der Insel knutschte, Kleinkinder mit sich herumschleppte und Buntstifte verteilte. Als Pintu das Gespräch mit ihr suchte und sie darum bat, ihm die Stifte zu geben, damit die Lehrerin der Dorfschule diese an die besten Schüler als Belohnung verteile, warf sie ihm vor, die Geschenke für seine eigenen Kinder abgreifen zu wollen. Warum verstehen Touristen nicht, dass ihre wahllos an wildfremde Kinder verteilten Geschenke keine gute Idee sind? Wie sollen die Kinder lernen, sich etwas verdienen zu müssen und nicht bei jedem Weißen die Hand aufzuhalten? Die Dörfer, die wir besuchten, bekommen keinen Besuch „von außen“ außer den Passagieren der Africa Princess, auf der normalerweise intelligente Menschen reisen und so hat kein Kind um Geschenke gebettelt. Einzig um unsere leeren Wasserflaschen wurden wir gebeten. Die werden gebraucht, um darin Palmwein abzufüllen.

Pintu brachte uns zum nächsten Dorf, wo uns eine alte Dame herzte, Bastmatten ausrollte und bat, uns zu setzen. Die Königin. Sie setzte eine bunt bemalte Kalebasse auf den Kopf, zog einen Bastrock an und nahm einen Besenstil als Zepter in die Hand und platzierte sich vor ihrem Haus. Wir saßen zu ihren Füßen und ließen uns milde von ihr anlächeln und von den Kindern des Dorfes wie Zootiere beäugen. Uns fiel auf: viele Kinder waren nackt und trugen nur eine mit Perlen verzierte Schnur um die Hüften. Die Kinder, die Kleidung trugen, hatten trotzdem solchen Schmuck um die Hüften. Vor dem Betreten eines Dorfes muss man auch durch ein Tor schreiten, von dem Grasbüschel herunter hängen. Das sorgt dafür, dass böse Geister und schlechte Gedanken nicht ins Dorf kommen. Die Bijagos Ethnie ist ein Volk, das von Frauen regiert wird und durch Pintu kamen wir in die Ehre eines Empfangs bei der Königin. Die Africa Princess hat im Dorf einen Brunnen gebaut, weswegen die Gäste der Africa Princess nun auch Gäste der Königin sind. Nach einer Weile freundlichem gegenseitigem Anlächeln herzte die Königin wieder alle und wir liefen weiter.

Wir liefen 5km durch einen wunderschönen tropischen Wald. In Flipflops, wie Einheimische. Am Ende kamen wir an einem traumhaften Strand wieder am Meer heraus, wo die Africa Princess schon auf uns wartete. Dass man so viel wandern müsse und das auch noch in Badeschuhen, das sei der Brasilianerin nicht bewusst gewesen. Sie zog ein Bier aus der Kühltruhe, zündete sich die hunderte Zigarette des Tages an und motzte, während wir den Tag einfach nur wunderbar fanden. Wann hat man schon die Chance, eine Königin zu treffen und solch ursprüngliche Dörfer zu besuchen? Dörfer, die in völliger Abgeschiedenheit leben?

Die Menschen dort wirkten auf uns ausgeglichen, friedlich und organisiert zufrieden. Wir sahen Obstgärten, kleine Hausgärten mit Gemüse, frei herumlaufende Schweine, Hühner und Ziegen und kleine Pirogen für Fischfang. Hier wird seit Jahrhunderten Selbstversorgung praktiziert. Wahrscheinlich war außer Pintu kaum jemand jemals in der Stadt. Warum auch? Doch für unsere Mitreisenden war die Sache klar: man muss den Leuten helfen! Die haben keine Smartphones (oh doch, und sogar 3G Empfang!), kein Strom (doch, Solarpaneele und Autobatterien), kein fließend Wasser (aber diverse Brunnen), nur eine Grundschule und sprechen alle kein Portugiesisch! Ob wir so leben könnten? Dass Jan und ich das sofort inbrünstig bejahten, sorgte für Irritation. Denn wir haben die letzten Jahre oft und lange so gewohnt, ob im VW-Bus „Kittymobil“ oder unserem VW Passat „Hans“. Und eines unserer beiden Häuser in Bulgarien hat auch kein fließendes Wasser! Glück kommt von Innen…

Wir schipperten in eine Bucht und verbrachten den Rest des Tages lesend auf dem Sonnendeck. Der Smutje, den man eigentlich nie sah, weil er immer in seiner Küche werkelte und sogar Kuchen zauberte, servierte mittags und abends fast Sterneküche. Fast immer mit Fisch oder Meeresfrüchten, die in den ersten Tagen frisch von Einheimischen aus Pirogen angeliefert wurden. Später sorgten die Gäste für Nachschub, denn beide Familien waren begeisterte Sportfischer. Aber auch da waren sie sich nicht einig. Der eine Familienvater wollte die Fische nach dem Foto wieder in die Freiheit entlassen, das portugiesisch-brasilianische Paar wollte die Trophäen essen, denn der Mann war Koch und das gehöre dazu. Überhaupt: dass man eine Angellizenz kaufen muss, das Angeln pro Tag im Biosphärenreservat eine Gebühr kostet und es in den jeweiligen Nationalparks ganz verboten ist, schmeckte nicht. Da wir diese Information mit den Unterlagen zur Reise alle erhalten hatten, entsetzte uns die respektlose, sehr laute Diskussion, die daraufhin entstand. Der Kapitän, ein fast majestätisch wirkender, 66-jähriger drahtiger und agiler Mensch mit wachen Augen, versuchte zu schlichten und wurde nur angebrüllt. Da beschloss die Crew, nur noch „Programm nach Schema F“ abzuziehen und keine Extras mehr zu bieten. Gesagt hat uns das ein paar Tage später der Kapitän selbst, dem es unendlich leidtat, dass wir mit solchen Menschen zusammen unterwegs waren. Ich habe selbst jahrelang als Reiseleiter gearbeitet und habe auch oft nur noch das geliefert, was reiserechtlich geliefert werden musste, aber ich muss zugeben, dass mir ein solch respektloses, koloniales Verhalten noch nie vorgekommen ist. Es war furchtbar. Wir zogen uns in die Kabine zurück und ich verfluchte meine Sprachkenntnisse, die mich die ganzen Dummheiten, die insbesondere der Brasilianerin aus dem Mund sprühten, leider verstehen ließen. Nichtsdestotrotz hatten wir eine tolle Zeit, denn weil die Brasilianerin lieber Biertrinkend am Strand an der Urlaubsbräune arbeitete, statt zu Fuß unbewohnte Inseln zu erkunden, hatten wir bei Ausflügen wenig miteinander zu tun. Und es gab fast täglich zwei Ausflüge.

Der zweite Ausflug des Tages führte in ein Dorf, in dem im Dezember 42 Häuser abgebrannt waren. Die Gäste der Africa Princess, die zu dem Zeitpunkt vor Ort waren, spendeten spontan Kleidung und die nötigsten Utensilien und Pintu wollte sehen, wie der Wiederaufbau voranschreitet. Die Leute leben noch in provisorischen Zelten, die neuen Dachbalken sind aber schon aus Palmholz gesägt und das Reisstroh für die Dächer liegt auch schon bereit. Bis zur Regenzeit, die in ein paar Wochen beginnt, muss alles fertig sein. Wir sind auch überzeugt, dass es klappt. Der eine Portugiese meinte jedoch, die Leute seien faul, das hätte längst schon fertig sein müssen. Was er übersieht: die Reisernte war erst vor ein paar Wochen, vorher gibt es kein Stroh für die Dächer. Und die Palmholz-Dachbalken müssen per Hand gesägt werden. Einen Baumarkt gibt es nicht… Aber wir gingen gar nicht mehr auf solche verschrobenen Hirnwindungen ein, um uns nicht die Laune zu verderben. Gegen Dummheit ist man einfach machtlos.

Wir schipperten weiter durch die Inselwelt und legten vor einem grellweißen Traumstrand an. Die Angelfreunde brachen zu ihrem ersten Angelausflug auf, alle Frauen und Jan ließen sich mit dem zweiten Beiboot an den Strand bringen. Der Sand war so sanft, so fein, dass er sich wie Mehl und samtig weich anfühlte. Wenn man auf dem Sand läuft, macht er ein Geräusch wie Neuschnee. Das kannten wir beide noch nicht. Die Crew breitete im Schatten Bastmatten aus, wir schmökerten in unseren frisch aufgefüllten Kindle e-book Readern und genossen das tropische Paradies. Die an der Wasserlinie Bier trinkende und rauchende Brasilianerin störte etwas die Aussicht, aber da sie und ihre Tochter für jeden Tag ein anderes Strandoutfit aus Bikini und Strandkleid aus dem Koffer zauberten, war auch das gewissermaßen unterhaltsam.

Die Angelfreunde kamen enttäuscht zurück. Der Guide hatte fünf Fische gefangen, der eine Portugiese vier und der ambitionierteste von allen, der portugiesische Koch, schmollte, weil er nur zwei kleine Fische vorweisen konnte. Sie hatten sich riesige Barrakudas erhofft und doch zu viert nicht mal einen Putzeimer mit Fischen füllen können. Der Guide war schuld. Er erklärte, dass der starke Wind für zu viel aufgewirbeltes Sediment sorgt und Raubfische wie Barrakudas daher die Köder schlecht sehen können. Leuchtet uns ein, aber trotzdem war der Guide schuld. Der Smutje war vorbereitet und hatte schon anderen Fisch in die Pfanne gelegt. Was er in seiner winzigen Kombüse täglich gezaubert hat, war wirklich hohes Niveau! Wir wurden unglaublich verwöhnt und bekamen zwei Mal täglich ein Menü aus drei Gängen.

Früh am nächsten Morgen fuhren die Angler wieder raus und nahmen gleich ihre ganze Familie zur Verstärkung mit. So hatten wir das Glück, nur mit Pintu alleine ganz in Ruhe und Stille mit dem kleinen Boot durch die immer enger werdenden Mangroven zu gleiten, auf der Suche nach Krokodilen und Vögeln. Es war so schön still, wir hörten die Vogelwelt zwitschern, sahen sie nach Fischen tauchen (und ihre Beute fressen) und fühlten uns in die Natur eingetaucht. Wir fuhren so lange in die kleinen Kanäle rein, bis es fast zu eng wurde, um das Boot wieder zu wenden. Drehten dann um und wiederholten das im nächsten Kanal. Herrlich, einfach so durch das Grün dahinzugleiten! Und herrlich, dass niemand dummes Zeug laberte, rauchte und nach Bier verlangte. Am Ende der Woche standen übrigens rund 50 Flaschen Bier auf der brasilianischen Rechnung…

Die Angelcrew war wieder nicht erfolgreich und hatte keinen Barrakuda im Eimer. Außerdem waren alle seekrank geworden und hatten Mühe, zurück an Bord zu klettern. Der Koch-Portugiese war sauer, weil er einen Rochen am Haken hatte und der Guide ihn gebeten hat, das Tier wieder freizulassen, denn es sei zu groß zum Essen und sein Tod sei unnötig. Das konnten nicht alle nachvollziehen, aber wir bekamen abends eine riiiiesige Fischplatte serviert, auf der der Smutje den Tagesfang toll dekoriert zubereitet hatte und verstanden: ein riesiger Rochen hätte in keinen Magen mehr gepasst…

Bei der Weiterfahrt sprangen Delfine um die Africa Princess herum, die See war ausnahmsweise recht ruhig und wir kamen nachmittags im Joao-Vieira-Nationalpark an. Das sind die abgelegensten, südlichsten Inseln des Archipels, rund 100km Luftlinie von Bissau entfernt. Während der ganzen Woche haben wir übrigens nur ein einziges anderes Schiff gesehen: ein Segelboot. Die Inselwelt der Bijagos ist vom Tourismus völlig unberührt und dadurch ganz und gar ursprünglich. Um im Joao-Vieira-Nationalpark gewisse Inseln betreten zu dürfen, braucht man einen Ranger. Wir fuhren auf eine kleine Insel mit ellenlangem weißen Sandstrand, wo Pelikane herumstolzierten. Ein unberührtes Paradies!

Doch das Highlight des Tages wartete noch auf uns: die Poilao Insel, auf der jedes Jahr bis zu 40.000 Nester von der grünen Meeresschildkröte angelegt werden. 40.000! Damit ist diese kleine Insel das größte Brutgebiet Westafrikas und das beste Beispiel dafür, wie Natur funktioniert, wenn der Mensch dort keinen Einfluss hat. Die Insel ist nämlich heilig. Kein normaler Mensch darf sie betreten, nur „große Männer“ (eine Art Schamanen) zu ganz speziellen, seltenen Zeremonien dürfen das. Und Touristen nach Zahlung einer Schutzgebühr in Begleitung eines Rangers. Deswegen konnte dort die vom Aussterben bedrohte Schildkrötenart seit Jahrtausenden ungestört leben und sich fortpflanzen. Es gab keine Stelle am Strand, die nicht von Schildkrötenspuren durchgepflügt war.

Weil die Schildkröten ihre Nester mittlerweile übereinander anlegen (die Insel ist wirklich klein und 40.000 Nester sind extrem viel), versuchen Ranger des Nationalparks, einen Teil der Nester umzusiedeln und somit Schildkröten auf anderen Inseln kontrolliert anzusiedeln. Wohin man am Strand schaut: überall Nester! Zur Zeit schlüpfen die kleinen Schildkrötenbabys und um die Nester herum liegen die vertrockneten Eierschalen, aus denen die Kleinen herausgekrabbelt sind.

Die Nester selbst sind in 1m Tiefe und ein kleines, frisch geschlüpftes Baby muss sich erstmal durch den Sand nach oben graben, bevor es ins Meer rennen kann. Ich habe auf den Kapverden bei der Turtle Foundation mitgemacht und Schildkrötennester (auch nachts) bewacht, um zu verhindern, dass wenn das Baby an die Erdoberfläche krabbelt und sich dort erstmal ausruht, ein Krebs oder Raubvogel kommt und es frisst. Der Ranger lief mit einem Eimer die Nester ab und sammelte alle Babys ein, die sich dort ausruhten. Wir mussten sie zählen, denn die Schildkrötenschutzstation dokumentiert alles. Es waren 139 Minischildkröten, die er in der kurzen Zeit eingesammelt hatte!

Nach dem Zählen entließen wir sie am Strand und begleiteten sie auf ihren letzten Metern zum Wasser. Jedes Mal ist es ein ganz besonderes Erlebnis zu sehen, wie ferngesteuert diese kleinen Wesen auf das Meer zu rennen, wie sie dem Wasser entgegenhechten und dann mit der ersten Welle ins Meer hinausschwimmen, als hätten sie nie etwas anderes getan, obwohl sie gerade erst wenige Stunden alt sind. Ein Zauber, der das Herz berührt. Mit jedem Schildkrötenzwerg schlägt mein Herz in der Hoffnung, dass dieses winzige Baby es schaffen wird.

Jedes Mal hoffe ich, dass sie es alle schaffen, dass aus ihnen große, bis zu 1,50m messende und 250kg schwere erwachsene Tiere werden, die in vielleicht 10 oder 15 Jahren wieder genau auf diese Insel an diesen Strand zurückkehren, um ein Nest zu graben und Eier zu legen. Leider wurde die grüne Meeresschildkröte lange als Suppenschildkröte verwendet und ist daher vom Aussterben bedroht. Weltweit nistet sie nur noch an etwas mehr als 40 Stränden. Eine Schildkröte legt etwa 100 Eier und auch die wurden (und werden) gerne gegessen. Von den Kapverden weiß ich, dass bis heute noch Nester geplündert und Schildkröten getötet werden, um an Fleisch und Eier zu kommen und in Asien steht Schildkrötensuppe bis heute auf dem Speiseplan. Seit 1988 ist Schildkrötensuppe weltweit illegal, aber das verhindert im Prinzip nur die industrielle Herstellung der Suppe. Das Verbot hilft zwar, aber solange es nicht überall durchgesetzt wird, ist die grüne Meeresschildkröte weiterhin vom Aussterben bedroht. Und wer hat die meisten Suppenschildkröten verarbeitet und somit getötet? Die Afrikaner? Die Asiaten? Nein. Schaut mal in den Spiegel: die größte Produktion von Schildkrötensuppe weltweit war nicht wie man vermuten könnte in einem „klassischen Schurkenstaat“, sondern in Frankfurt, mitten in Deutschland. Jawohl. In Deutschland. Ich selbst erinnere mich noch an Konservendosen mit Schildkrötensuppe im deutschen Supermarktregal.

Der Ausflug auf die „Schildkröteninsel“ war etwas ganz Besonderes. Zu sehen, wie sich die Natur und Tierwelt entwickelt, wenn kein Mensch sie stört. Wahrscheinlich gibt es weltweit nur sehr, sehr wenige Inseln, die so von der Menschheit unberührt sind wie diese heilige Insel. Am Strand entlang zu laufen und überall die Spuren der Schildkröten zu sehen, überall Eierschalen zu finden, die Nester am Waldrand, die unberührte Natur, ein Stück Himmel auf Erden. So war die Welt, bevor der Mensch sie zerstört hat. Es ist traurig, dass es nur noch ganz wenige Flecken Erde gibt, wo der Mensch noch nicht sein zerstörerisches Werk ausübt…

Während wir bei den Schildkröten waren, zog sich das Wetter zu. Es wurde sehr windig und die See sehr rau. Unser Bootsführer prügelte das 200PS starke Speedboat über die Wellen, auf denen Schaumkrönchen thronten und versuchte, uns so schnell wie möglich aus der wilden See in die geschützte Inselwelt zu bringen, denn die Schildkröteninsel liegt etwa 20km südlich des Archipels isoliert im Atlantik. Wir wurden bis auf die Unterwäsche nass, aber das Meer und der Wind sind warm und da keiner seekrank wurde, machte die wilde Fahrt sogar Spaß.

Die Africa Princess wurde auch ziemlich wild herumgeschaukelt und bevor das Dessert serviert wurde, beschloss mein Magen, dass es besser sei, mich in die Waagrechte zu legen und das Betriebssystem neu zu starten. Jan freute sich über meinen Pfannkuchen mit Schokosauce und Vanilleeis, ich freute mich am nächsten Morgen als Jans Betriebssystem nach einem Neustart mit konzentrierter Horizontbeobachtung verlangte über seinen Pfannkuchen vom Frühstück. Bis zum Ende des Frühstücks verschwand auch die Brasilianerin in der Kabine, um das Essen bei sich zu behalten und alle waren dankbar, dass der erste Ausflug einen längeren Aufenthalt auf einer Insel bedeutete.

Auf der Insel Joao Vieira hat der Nationalpark sein Hauptquartier und ein kleines Museum rund um Inselwelt und Schildkröten eingerichtet. Ein Franzose hat dort seit 27 Jahren eine kleine Unterkunft mit hübschen Hütten direkt am Traumstrand. Er erzählte uns, dass er leider durch die gestiegenen Benzinkosten 1000€ an Transportkosten berechnen müsse, um Gäste vom 100km entfernten Festland zu holen und wieder zurück zu bringen und dass seitdem die Gäste ausbleiben. Verständlich. Das Paradies unberührter Natur hat seinen Preis. Es ist einfach sehr, sehr weit entfernt von der Zivilisation und ohne Segelboot dadurch nur sehr teuer zu erreichen. Wir hatten wirklich Glück, noch einen Platz an Bord der Africa Princess ergattert zu haben, um diese Kosten auf 8 Passagiere und eine Woche umlegen zu können. Zuzüglich Gebühren für Nationalpark, Biosphärenreservat, Ranger, Schutzstation etc.

Um nicht unnötig lange auf der im hohen Seegang schaukelnden Africa Princess ausharren zu müssen, brachte uns die Crew auf eine Insel, die alle Eigenschaften einer tropischen Trauminsel hat: weißer, extrem feiner Sandstrand, gesäumt von Palmen, eine felsige Bucht mit sanftem Wellengang und eine kleine Lichtung im Palmenwald, um dort ein Lager aufzuschlagen. Eine echte Robinson-Insel! Die Crew legte Bastmatten im Schatten der Palmen aus und baute aus Ästen und einem Brett einen Tisch. Nachdem wir eine Zeit die Trauminsel erkundet hatten (oder im Schatten Seekrankheit ausschliefen), landete das zweite Beiboot der Africa Princess an und brachte das „Picknick“.

Wir hatten uns unter „Picknick“ eher einen Nudelsalat oder belegte Brote und Obst vorgestellt, doch es kam ein Dreigängemenü mit Salat und einer bilderbuchschönen Paella. Der Smutje hatte sich selbst übertroffen! Selbst die riesigen Tigergarnelen waren schon so geschält, dass man nur Kopf und Schwanzspitze abziehen musste, um sie zu genießen. Wow! Zum Nachtisch gab es Obstsalat und wir hatten schon Abschiedsschmerz, denn das war unsere letzte Insel des Archipels und auch wirklich die schönste Insel, auf der wir beide jemals waren.

Zum Abend flaute der Wind etwas ab, sodass das Abendessen allen inklusive Dessert mundete (und “drin blieb”) und wir gemütlich auf der „Dachterrasse“ sitzen konnten, um den letzten Abend im tropischen Inselparadies voll und ganz genießen konnten. Es war einfach traumhaft, unvorstellbar schön, vor einer Insel mit weißem Sandstrand zu schaukeln und zu wissen: keine Menschenseele außer uns auf der Africa Princess in der Nähe. Nur Natur.

Noch vor dem Frühstück traten wir die Rückreise an. Bei einem Tidenhub von rund 4,5m (zum Vergleich: auf Sylt sind es nur 2-3m) und vielen Sandbänken und Felsen muss genau navigiert werden und wer mit der Flut fährt, spart viel Energie. Der Wind hatte sich über Nacht weiter gelegt und so war die Fahrt recht entspannt. Gegen Mittag kamen wir im Hafen von Bissau an und merkten, wie winzig die kleine Africa Princess im Vergleich zu den riesigen Frachtern eigentlich ist. Wir ankerten in der Nähe des Kraftwerkschiffes, welches einen Großteil der Elektrizität für Guinea-Bissau zur Verfügung stellt. Es gehört einer türkischen Firma, die weltweit 25 solche Schiffe betreibt. Ein Schwesterschiff liegt vor Banjul. An Bord wird mit fossilen Brennstoffen (Diesel, Schweröl oder Gas) Strom hergestellt. Strom aus Diesel ist das gängige Konzept in Afrika (in Mauretanien nageln beispielsweise überall Dieselkraftwerke) und jedes Mal, wenn wir das sehen, können wir über den Eifer der Europäer, die Welt mit Elektromobilität retten zu wollen, nur den Kopf schütteln. In Wirklichkeit werden da nur die Interessen der (deutschen) Autoindustrie dem Volk als „Weltrettung“ untergejubelt. Solange der Rest der Welt mit fossilen Brennstoffen Strom erzeugt (und in Guinea Bissau gibt es viel zu wenig Strom), wird Europa damit nicht die Welt retten…

Abends konnten wir vom Meer aus sehen, was wir schon gelesen hatten: Bissau ist eine der letzten Hauptstädte weltweit, die nachts komplett in Dunkelheit liegen. Die Schiffe im Hafen haben mehr Licht als die gesamte Hauptstadt. Es gibt einfach keinen Strom. Manche Stadtviertel oder Privatleute organisieren ihre eigene Stromversorgung über Generatoren, aber damit wird nachts nur der private Bedarf gedeckt, es gibt keine Straßenbeleuchtung etc. In allen anderen Städten des Landes gibt es nur stundenweise Strom. Die Uhrzeiten muss man wissen und dann alle Akkus laden, um den Rest des Tages Laptop, Telefon etc. betreiben zu können. Für solche Fälle haben wir übrigens immer ein kleines Windlicht dabei, mit dem man ein Zimmer für uns zwei halbwegs beleuchten kann.

Am späten Nahmittag setzten wir zu einer bewohnten Insel mitten Im Hafengebiet über. Dort haben die Portugiesen zu Kolonialzeiten eine Palmölfabrik betrieben und Guinea-Bissau mit der Unabhängigkeit überlassen. Leider ist die Fabrik nun ein „lost place“, eine Industrieruine, weil die lokale Bevölkerung aus Wut über die Kolonialmächte die Einrichtung zerstört hat und in jüngster Zeit die zerstörten Maschinen als Altmetall illegal verkauft hat. Damit das nicht weiter passiert, wird das Gelände mittlerweile bewacht.

Viele Häfen Westafrikas haben das Problem, dass dort Schiffe illegal entsorgt werden. Schärfere Umweltauflagen zwingen auch europäische Reedereien, eigentlich funktionstüchtige Schiffe zu entsorgen. Wie sinnvoll es im Hinblick auf die energieintensive Herstellung der Ressourcen (Stahl) ist, ein neues Schiff zu bauen statt ein altes Schiff weiter zu betreiben, darf man sich auch in Hinblick auf die deutsche Abwrackpräme auch bei Autos fragen, denn auch hier war der Umweltaspekt nur ein Deckmantel für eine staatliche Förderung der Autoindustrie. Doch wohin mit den Schiffen? Man verkauft sie an ausländische Abnehmer, die in Wirklichkeit keine Reederei sind, sondern Abwrack-Unternehmen. Und die arbeiten in Afrika und Asien ganz bestimmt nicht umweltfreundlich. (Mehr dazu hier: Hier verendet die Welthandelsflotte) In Bissau sind es die Chinesen, der weltweit größte Abwrack-Schiffsfriedhof ist in Indien. Die Chinesen hier kaufen die Schiffe als „Altmetall“ an, zerlegen sie vor Ort und verschiffen den Rohstoff dann zum Einschmelzen. Und weil auch die Maschinen der Palmölfabrik aus Stahl sind, wurden diese illegal zerlegt und an die chinesische Abwrackfirma verscherbelt.

Kurz vor Sonnenuntergang frischte der Wind auf und die See wurde wieder wild. Unser Bootsführer manövrierte das Speedboat im Standgas durch die hohen Wellen zur „Vogelinsel“, auf die sich nach Sonnenuntergang wahrscheinlich tausende Seevögel zum Schlafen auf ihre Schlafbäume zurückziehen. Ein Vogelschwarm nach dem anderen kam herangerauscht, flog über unsere Köpfe hinweg zur Insel. Es hörte nicht mehr auf! Kurz bevor es zu dunkel wurde um zurück zur Africa Princess zu schippern, fuhren wir zurück, über uns begleitet von einer nicht weniger werdenden Flut von Vögeln auf ihrem Weg zum Nachtquartier. Ich hatte das schon in Venezuela an der Küste erlebt, doch für Jan war dieses faszinierende Naturschauspiel neu und für uns ein gebührender Abschluss einer wunderschönen Woche im Bijagos Archipel.

Noch nie in unserem Leben und in all den 92 bereits bereisten Ländern haben wir eine so unberührte Natur erlebt wie auf den Bijagos Inseln. Ein wirklich einmaliges Fleckchen dieser Erde, auf dem die Natur ohne menschlichen Einfluss noch voll entfaltet ist und hoffentlich auch so einmalig geschützt bleibt. Ein Grund ist auf jeden Fall, dass es sehr schwer ist, die Inseln zu entdecken. Wer kein eigenes Segelboot hat, muss Weltmeister im Organisieren sein, um die nötigen Permits zu bekommen und ein dickes Portemonnaie haben, um die Boote und Transportkosten zu bezahlen. Die Africa Princess ist unserer Recherche nach die einzige Möglichkeit, die Inseln „organisiert“ zu bereisen und auch das ist nur in der Trockenzeit und für maximal acht Personen pro Woche möglich. Wir sind dankbar, noch relativ spontan einen Platz an Bord ergattert zu haben und selbst wenn die Brasilianerin oft eine echte Geduldsprobe war, haben wir die Zeit an Bord sehr genossen.

Wir haben eine Inselwelt erlebt und erkundet, wie sie weltweit einmalig ist. Haben Dörfer und Ethnien besucht, die ihre Traditionen noch leben und wenig Kontakt zur Außenwelt haben. Eben weil ihre Inseln weit, weit entfernt vom Festland sind und es schwer ist, das zu erreichen. Die Bijagos Inseln und ihre Ethnien sind ein gut gehütetes Geheimnis und auf keiner touristischen Landkarte zu finden. Und wir hoffen, dass es noch lange so bleibt, damit die wenigen Menschen, die dort leben ihre Lebensgrundlage, die einzigartige, unberührte Natur, nicht verlieren. Und somit die Tierwelt geschützt und erhalten bleibt. Wir sind unendlich dankbar, dieses tropische Inselparadies erlebt zu haben und empfinden in uns gerade eine gewisse „Leere“, was die Weiterreise betrifft: was kann solche Erlebnisse noch übertreffen?

Bevor wir an Bord der Africa Princess gegangen sind, waren wir urlaubsreif und hatten eine Reisepause nötig. Nun sind wir unschlüssig, wie es weiter gehen soll und auch emotional gerade nicht bereit, die nächste Sehenswürdigkeit, den nächsten Nationalpark anzusteuern. Die Naturerlebnisse der vergangenen Woche müssen erstmal „sacken“, denn dagegen können andere „Highlights“ nur völlig unspektakulär wirken und wir ihnen nicht gerecht werden. Ob wir noch ein bisschen in Bissau bleiben? Wir werden uns über die Osterfeiertage Gedanken machen, wie es weiter geht. Mittlerweile wissen wir: die Motorräder können zolltechnisch im Land bleiben und wir haben auch einen guten Platz für die Einlagerung gefunden. Die Regenzeit sitzt uns nämlich im Nacken und die Regengebiete ziehen auf der Wetterkarte immer näher, immer weiter nördlich. Bis wir einen Plan haben, wünschen wir Euch schöne und erholsame Osterfeiertage, viele bunte Eier und vielleicht auch einen kleinen Ausflug in die Natur, um die Batterien wieder aufzuladen und Energie zu tanken…

Und vielleicht habt Ihr über Ostern auch Lust, das neueste Video zu schauen. Es zeigt unsere erste Zeit in Guinea-Bissau. Das Ankommen, die Zeit in den Mangroven, in der ehemaligen Hauptstadt Cacheu und die Weiterfahrt über staubige Erdstraßen:

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