Es gibt wohl keine UNESCO Weltkulturerbestätte in Mauretanien, die so schwer zu erreichen ist wie Tichitt. Aber es ist möglich und wir haben es uns er-möglicht. Doch erstmal hatten wir 400km unglaublichen Fahrspaß in atemberaubender Landschaft.
Am Silvestermorgen haben wir endlich geschafft, unsere Visa für Mauretanien und unsere Zollpapiere für die Motorräder um weitere 30 Tage zu verlängern. Entgegen anderslautenden Behauptungen haben wir das Startdatum der Verlängerung auf den letzten Tag unseres ablaufenden Visums datieren können und nicht ab Tag des Antrages. Da hätten wir nämlich 6 Tage weniger gehabt. Jetzt müssen wir noch unsere KFZ-Versicherungen um einen Monat verlängern und freuen uns auf einen zweiten Monat in diesem tollen Land!
Mit den frischen Papieren in der Tasche machten wir uns auf den Weg gen Süden. Der Sandsturm, der mehrere Tage dafür gesorgt hatte, dass wir gefühlt ewig im dunklen Kämmerlein saßen (Stromausfall und Fenster ohne Glas), hatte sich etwas gelegt, sodass wir uns 45km in Schräglage geradeaus weiter trauen konnten. Wir wollten Silvester an einem schöneren Ort verbringen als auf dem staubigen und sehr einfachem Campingplatz, auf dem wir im Kämmerlein Zuflucht vor dem Sturm gesucht hatten.
Wir fuhren zur Oase Terjit. Die Landschaft dort ist so beeindruckend, dass sie fast wie eine Hollywood-Kulisse wirkt. Unglaublich schön! Die Oase selbst, also die Wasserstelle, haben wir nicht gesehen, denn das kostet so viel Eintritt wie ein Abendessen für zwei und unser Guide Hamed, mit dem wir am Ben Amira waren meinte, das lohne sich nur, wenn man „neu in der Wüste“ sei und noch nie eine Oase gesehen habe. Aber die Unterkunft war super schön (und einigermaßen sandfrei) und außer uns war dort noch ein Amerikaner zu Gast, mit dem wir uns auf Anhieb super verstanden. Da in Mauretanien ein anderer Kalender genutzt wird, harrten wir drei ziemlich einsam bis Mitternacht aus, wünschten uns ein Frohes Neues Jahr und verkrochen uns in die Betten.
Über Nacht fegte wieder Sturm über uns hinweg, sodass die Fernsicht ziemlich getrübt war. Wir standen früh auf, denn vor uns lagen 360 spannende Kilometer. Wir wussten von Dünen, weggebrochenen Brücken, tiefem Wasser und Motorradfahrern, die wieder umgedreht haben. Der richtige Einstieg in ein neues Jahr voll Abenteuer also! Ein amerikanischer Motorradfahrer hatte die Route als „eine der schönsten Strecken, die er jemals gefahren ist“ betitelt. Er sollte Recht behalten. Es war landschaftlich bis auf wenige kurze Abschnitte nonstop spektakulär.
Wir sahen Canyons, schwarze Felsen in gelbem Sand, traumhafte sandige Täler mit hübschen Palmen (wie gemalt!), Bergplateaus und weiße Dünen auf schwarzem Gestein, sanfte helle kleine Sandhügel mit Kamelgras, als seien wir an der deutschen Küste, wunderschön majestätische Ergs mit scharfkantig geformten Sicheldünen oder weich geschwungenen Dünenkämmen in der Ferne und viele, viele hübsche Kamele. Diese 360km waren so abwechslungsreich, so beeindruckend schön, so spektakulär, dass wir wieder an all jene denken mussten, die das Land auf schnellstem Weg wieder verlassen.
Nur: wer kein Allradfahrzeug hat, wird diese Route großräumig umfahren müssen. Die Straße ist gerade mal 6 oder 7 Jahre alt, aber vom Asphalt ist an vielen Stellen nicht mehr viel übrig. Insbesondere die Dünen haben sich Teile der Straße zurückerobert und sind damit schneller als die Baggerfahrer, die wahrscheinlich wenig motiviert, dagegen ankämpfen. So muss man also die eine oder andere kleinere Dünenformation durchqueren. Da die Sandpassagen sehr weich zerfahren sind, ist das ohne Allrad wirklich nicht machbar. Kittymobil hätten wir nach 50km schon versenkt.
Wahrscheinlich spielen sich an gewissen Schlüsselstellen öfter Dramen ab, denn sobald man unsere Motorräder hörte, kamen Schaulustige herbeigeeilt. Warum der meiste Sand immer in der Nähe (oder gar in!) Ortschaften liegt, ist uns ein Rätsel. Einmal war der gesamte Ort zugesandet und der Kreisverkehr eine kleine fahrerische Herausforderung, während der ich froh gewesen wäre, das billige CRF-Getriebe hätte sich so präzise schalten lassen, wie ich es von hochwertigen Japanern bisher gewohnt war. Ein anderes Mal war der Ort so versandet, dass er komplett aufgegeben war: ziemlich neue Häuser steckten tief in den Dünen. Die Dünenfelder haben ganz eindeutig etwas gegen Straße und Dörfer! Wir boten dem Publikum keine Showeinlage und fuhren einfach durch Sand und Dünen davon.
Manchmal waren auch Brücken weggebrochen und wir mussten etwas nach dem richtigen Weg suchen, um den Einstieg ins Flussbett zu finden. Obwohl es in den vergangenen Tagen stark geregnet hatte, waren die meisten Flussbetten aber einfach nur fluffiger Tiefsand. Bis auf eine Stelle. Da war Wasser. Und davon überall. Die Dünen hatten nasse Füße und zwischen den Tamarisken floss Wasser in sanften Bach- und Flussläufen. Wirklich schön, wenn auch bizarr!
Die Furt war betoniert und als Jan sich auf der anderen Seite mit der Videokamera positionierte, wusste ich nicht, warum er über unser Sena Intercom („Helmfunk“) vorschlug, dort eine Pause einzulegen. Er verschwieg mir, dass er bis auf die Haut nass war und bat mich, die kleine Honda „gut am Gas zu halten“. Nicht, weil es wirklich nötig gewesen wäre, sondern weil es bei höherem Fahrtempo natürlich besonders schön spritzt und er das gerne filmen wollte. Bloß dass ich den Helm komplett offen hatte und mir eine große Wasserfontäne in Gesicht und Augen spritzte. Am anderen Ufer lachten und tropften wir beide um die Wette – und abends nochmal, als wir gemeinsam die Videoaufnahmen schauten und insbesondere meine Kommentare während der Dusche anhörten. Freut Euch schon jetzt auf das YouTube Video zur Fahrt!
Wir hatten trotz nasser Unterwäsche und Wasser in den Stiefeln wirklich den ganzen Tag richtig Fahrspaß. Einige Abschnitte der Landschaft erinnerten uns an Aufnahmen der „alten“ Dakar Rallye und wir kamen auch in etwa 25km Entfernung an der Stelle vorbei, an der mein Lieblings-Dakarfahrer Fabrizio Meoni damals (2005) bei einem Sturz starb. Nur 12 Tage, nach dem obiges Foto entstanden war. Für alle älteren Dakar-Fans unter den Blog-Lesern: auch Andy Caldecott starb hier ein Jahr später. Beide in der Region, die wir fahrerisch und landschaftlich so genossen. Und ich dachte an Meoni. Dort, wo er starb, ist ein kleines Denkmal und ich wäre gerne dort hin gefahren. Leider reicht für solche Umwege unser Benzin nicht. Schon gar nicht, wenn es sandig ist. Doch dazu gleich.
Nach etwa fünf Stunden Fahrt kamen wir auf dem letzten Tropfen Benzin im Tank in Tidjikja an und bezogen ein – endlich – sand- und staubfreies Zimmer mit dem Luxus eines eigenen Badezimmers. Da wir die einzigen Gäste waren und in Mauretanien das Wasser immer aus hauseigenen Zisternen kommt, mussten wir jedoch immer dann, wenn wir Wasser brauchten, draußen im Hof die Pumpe anschalten.
Spät am Abend kam unsere Benzinlieferung an. In Mauretanien gibt es viele Tankstellen, aber es gibt nur Zapfsäulen für Diesel. Benzin von der Tankstelle gibt’s in Nouadhibou, in Nouakshott, wahrscheinlich Kiffa und selten Atar und Tidjikja. Wir hatten bisher nur in Nouadhibou und Nouakschott Glück und müssen seitdem organisieren. Für unsere Fahrt nach Ouadane und Chinguetti gab’s algerisches Benzin in 20l Speiseölkanistern, für die Weiterfahrt gen Süden hatten wir uns 40 weitere Liter reservieren lassen, da Qualität und Preis mit 1,75€ gut war. Und weil der Preis eine Woche später immer noch gut war und wir erfahren hatten, dass es in Tidjikja derzeit kein Benzin gab, haben wir nochmal 60l gekauft. Da wir natürlich nicht mit drei 20l Kanistern zusätzlich fahren können, haben wir diese 60l mit einem „4×4 Lieferdienst“ hinter uns hergeschickt. Ja, das kostet natürlich Geld, aber schieben ist jetzt auch keine Option. Da wir immer nur 40l zur Weiterfahrt brauchen, fahren nun die restlichen 20l mit einem weiteren Transporteur uns um etwa zwei Wochen voraus und werden in Alak für uns bereitstehen und dafür sorgen, dass wir bis zu den nächsten beiden gelben Speiseölkanistern voll Benzin fahren können. Logistik ist alles!
Da es aber nicht wirklich sinnig ist, immer einen 4×4 mit unserem Benzinvorrat hinter uns her fahren zu lassen, haben wir wie bei unserem Ausflug zum zweitgrößten Monolith der Welt, dem Ben Amira, wieder entschieden, die Motorräder zu parken und in den Hilux einzusteigen, statt ihn hinterherfahren zu lassen und währenddessen das Benzin zu verbrennen, was er transportiert. Das wäre ja 2x gezahlt. Das machen wir nur dann, wenn es sinnvoll ist, weil wir sonst nicht weiter Richtung Senegal kommen.
Wir fuhren nach Tichitt, der sagenumwobenen Karawanenstadt, in der heute noch Kamelkarawanen Halt machen, um Salz zu transportieren. Tichitt liegt extrem abgelegen in der Wüste. Es gibt keine Anbindung mit irgendwelchen öffentlichen Verkehrsmitteln. Etwa alle zwei Wochen fährt irgendwer mit einem 4×4 und nimmt Ware und Menschen mit. Wer Pech hat (oder nicht gut organisiert), sitzt dort wochenlang fest. Wir wissen von zwei Touristen, die sich nach drei, beziehungsweise fünf Tagen für 350 und 400€ haben rausholen lassen. Die reine Fahrtstrecke von und nach Tidjikja sind satte 526km, was unsere Tankreichweite im Sand nicht hergibt. Wir müssten also wirklich einen 4×4 hinter uns herschicken, der unser Benzin transportiert. Das ist Blödsinn, also haben wir mit Hilfe des Campingplatzwarts aus Atar einen Fahrer überredet, uns zu festgelegten Daten hin und wieder zurückzufahren. Dafür zahlen wir ihm mehr als den üblichen Fahrpreis von 20€, aber sitzen nicht fest.
Die Motorräder und unser Gepäck parkten wir in einem leerstehenden Gästezimmer der Unterkunft in Tidjikja. Schön komfortabel auf dem Teppich der Couchgarnitur. Morgens um 8 ging’s los, Abfahrt war an der Tankstelle des Ortes, wo ein französischer 2CV („Ente“) Fahrer verzweifelt versuchte, Benzin zu finden. Wir sahen ihn noch länger im Ort suchend herumfahren; er konnte wohl nicht glauben, was wir im Vorfeld schon wussten: es gibt derzeit in Tidjikja nicht mal aus Kanistern Benzin. Deswegen haben wir uns ja die Benzinkanister hinterherschicken lassen. Wir konnten ihm davon aber auch nichts abgeben, denn die verbleibenden 20l sichern uns in 370km die Weiterfahrt bis zum nächsten Schmuggler-Benzindepot… Als wir an der Tankstelle in den dort wartenden Hilux einstiegen, saßen auf der Rückbank schon drei Erwachsene, ein Teenager und zwei Kinder. Letztendlich wurden es inklusive des Fahrers 10 Erwachsene, ein Teenie und zwei Kinder, die mit dem Hilux reisten, auf dessen Ladefläche sich Lebensmittel für die Dorfläden in Tichitt und Gepäck stapelte. Die Kiste war hoffnungslos überladen, lag satt auf der Straße und ächzte nicht mal, Toyota eben.
Direkt hinter Tidjikja ging es in den Sand. Wir hatten im Vorfeld gehört, der Weg nach Tichitt sei zu 100% Sand, konnten das aber nicht ganz glauben, denn eigentlich besteht die Oberfläche des Landes nur zu 40% aus Sand. Und davon lag schon ziemlich viel rund um den Ben Amira. Am Ende des Tages konnten wir sagen: von den 263km waren mindestens 230km Sand, teilweise tiefer Sand, manchmal kleine Dünen und zum Schluss der berühmt-berüchtigte Mauretanische Weichsand. Wir hätten das nie und nimmer mit unserer Tankreichweite geschafft! Also bis Tichitt ja, aber nicht zurück. Die Entscheidung, im Transportfahrzeug mitzufahren war goldrichtig.
Wir teilten uns den breiten Beifahrersitz. Eine der Bedingungen, die mit dem Fahrer ausgehandelt waren. In Mauretanien sitzen im ÖPNV grundsätzlich zwei Personen auf dem Beifahrersitz. Egal ob mal kurz per Taxi durch die Stadt oder 10 Stunden lang durch die Wüste. Auf der Rücksitzbank sitzen standartmäßig 4 Erwachsene, die dann noch gefühlt unendlich viele Kinder (und Gepäck) auf den Schoß nehmen. Als Frau darf ich nicht neben einem fremden Mann sitzen, also saß ich an der Tür und hatte eine Pobacke auf dem Sitz, die andere in der Luft und den Metallrahmen des Sitzes am Steißbein. Ideale Bedingungen für 10 Stunden Sandpiste. Aber es hat sich gelohnt. Auch die 10 Stunden wieder zurück.
Nach zwei Stunden erreichten wir eine Nomadensiedlung. Jemand dort hatte eine Fußgelenkbandage bestellt, die von unserem Fahrer persönlich geliefert wurde. Alle 13 Passagiere bekamen vergorene Kamelmilch aus ein und derselben Schüssel zu trinken. Viel besser als das Pendant „Kumys“ aus der Mongolei! Wahrscheinlich andere Milchsäurebakterien hier. Eine weitere Stunde später verließen uns in einer weiteren Nomadensiedlung die ersten beiden Passagiere und es gab wieder Kamelmilch aus der Schüssel. Diesmal frisch gemolken. So unglaublich lecker! So sahnig, so cremig, leicht süßlich, aber doch ähnlich Kuhmilch.
Auf knapp der Hälfte der Strecke, nach etwa 100km, ist eine kleine Siedlung mit festen Behausungen. Sie ist auf keiner einzigen Karte eingetragen. Dort gibt es zwei Räume für Reisende. Einer für Frauen, einer für Männer. Darin liegt alles bereit, was man braucht, um eine Pause zu machen oder vor z.B. Sandsturm Schutz zu suchen: Matratzen, Kissen, Teegeschirr, Kocher, Wasser und draußen eine Toilette. Einer der Passagiere kochte sofort mauretanischen Tee und schäumte ihn kunstvoll auf, bevor jeder drei „Shots“ des unglaublich starken, hier ungesüßten Grüntees bekam.
Ein älterer Herr „bewirtschaftet“ diese „Rastanlage“ und er brachte bald eine Waschschüssel mit Wasser und Seife, dann unser Mittagessen. Der Fahrer breitete eine Tischdecke auf dem Boden aus und wir aßen mit der rechten Hand das bis dahin leckerste Essen Mauretaniens: Nudeln mit Zwiebeln und Kamelfleisch. Der Fahrer schob uns sogar noch ein Stück Fleisch extra zu, als er merkte, wie gut es uns schmeckte. Mauretanisches Essen (solange es kein Hammel enthält) ist leider meist extrem fad: brauner (leicht nussiger) Couscous mit den „drei K“ (Karotte, Kohl, Kartoffel), manchmal auch „vier K“ (ergänzt um Kürbis) ohne jegliche Gewürze oder Kräuter und nur (wenn überhaupt?) leicht gesalzen. Die „Kamelnudeln“ waren herrlich!
Dann ging es weiter durch das Sandmeer. 10 Stunden durch Sand zu fahren klingt für Wüsten-Einsteiger vielleicht langweilig, doch wert die Wüste kennt (und liebt) der weiß, „Sand ist nicht gleich Sand“. Der Untergrund war Sand, die Landschaft änderte sich aber ständig. Mal sanfte Dünen, mal Ebenen mit Kamelgras und Kamelen, mal savannenartig mit Akazien, mal etwas feuchter mit Tamarisken, mal mit schwarzen, glänzenden Steinen „dekoriert“ oder mit dramatischen Felswänden „eingerahmt“. Wir sahen tolle Canyons, Palmen wie gemalt, weite Sandebenen bis zum Horizont oder kleine Täler mit Palmen wie im Bilderbuch. Langweilig war es nicht!
Unser Fahrer fährt die Strecke seit 15 Jahren 2-3x im Monat und kennt natürlich „Hinz und Kunz“ auf der Strecke. Und „Hinz und Kunz“ kennen ihn. Und die freuten sich wahnsinnig, wenn er einen kleinen Umweg zu einer Wasserstelle fuhr, um kurz Hallo zu sagen und nach dem Rechten zu schauen. Man glaubt wenn man nicht dort war nicht, an welch abgelegenen Orten es Brunnen und somit Menschen gibt!
Tichitt war ein berühmtes Etappenziel der alten Rallye Dakar und wir stellten uns vor, wie wir als Rallyefahrer dort auf der großen Sandebene, Tichitt am Horizont auftauchend, ins Ziel fahren. Laut Roadbook nur noch 6km bis zum Camp. Nur noch sechs entspannte Kilometer bis Tichitt. Doch diese sechs Kilometer hatten es auch für den Hilux in sich, denn es war der berühmt-berüchtigte, mauretanische Weichsand, von dem alle alten „Rallye-Hasen“ immer erzählen. Unser Fahrer schaffte es, aber der Toyota hatte ziemlich Mühe.
Wir kamen im Dunkeln an. Zehn Stunden Fahrt lagen hinter uns. Zehn Stunden Fahrt durch den Sand. Mit dem Auto. Wir stellten uns vor, wie es wohl vor 800 oder 900 Jahren war, als die Karawanen nicht zehn Stunden, sondern mehrere Wochen durch das „Meer aus Sand“ gezogen waren und dann in einer für damalige Verhältnisse Metropole eintrafen. Gänsehaut!
Unsere Unterkunft war einfach: zwei bequeme Matten auf dem Boden und ein Bad mit Wasser aus Kanistern und Loch im Boden für „Geschäfte“. Die Inhaberin der Auberge war etwas überrumpelt von unserem Eintreffen und bereitete aus Konservendosen eines der besten Abendessen zu, das wir jemals in Mauretanien hatten: Dosensardinen in Tomatensauce mit Dosengemüse und mal eben schnell selbstgebackenem Brot. Am nächsten Abend gab sie sich richtig Mühe und kochte Hammel, von dem ich bis der Brechreiz kam nur vier Löffel schaffte. Hammel ist in nomadischen Ländern (ganz Zentralasien, auch hier in Mauretanien) Alltag, aber ich habe meine „Dosis fürs Leben“ durch vielen Mongolei-Aufenthalten schon intus, da ich dort immer mit den Arbeitern mit verpflegt werde und die… lieben halt Hammel.
Nach einer mückenverseuchten Nacht (aufgrund der mauretanischen Dachform kann man keine Netze aufhängen und bei einer zugigen Hütte hilft auch kein Spray) gab’s trocken Brot und Instantkaffee zum Frühstück. Mauretanien ist keine Gourmet-Destination, aber trotzdem jede Entbehrung wert! Wir liefen nach dem Frühstück in die Altstadt, kamen aber nicht weit, denn der Chef der Gendarmerie verfrachtete uns wütend in sein Auto. Ausländer hätten sich sofort bei ihm zu registrieren! Wussten wir nicht und waren auch erst im Dunkeln angekommen. Er war richtig wütend. Nach einigen Entschuldigungen unsererseits wurde er freundlich und gab uns sogar eine kleine Stadtrundfahrt im Polizeiauto, eines der wenigen Fahrzeuge des Ortes.
Die Archtitektur von Tichitt ist einzigartig: die Gesteine der direkten Umgebung sind blaugrau, gelb und rot und die Gebäude sind aus Trockenmauern gebaut, die diese drei Farben zu schönen Mustern kombinieren. Insbesondere über Fenstern und rund um Türen sind wunderschöne Dekorationen zu sehen. Die ganze Stadt ist ganz und gar in dem Stil gebaut und dank des UNESCO Weltkulturerbestatuses müssen auch Neubauten (wie das Gebäude des lokalen Radiosenders) in dem traditionellen Stil gebaut werden. Die vorherrschende Farbe ist das Blaugrau, was sich traumhaft von den hellen, massigen Sanddünen im Hintergrund abhebt. Wirklich einzigartig!
Im Dorfladen fanden wir jemanden, der Französisch sprach. Im Ort sind Fremdsprachen Mangelware und Kommunikation schwierig, da wir nur Basics auf Arabisch können und die Menschen hier Hassania sprechen. Wir fragten nach jemandem, der uns eine der Bibliotheken zeigen könne und der Ladenbesitzer telefonierte für uns herum. An der Moschee (über 900 Jahre alt übrigens!) wartete ein alter Mann auf uns, der zwar auch nur Hassania sprach, uns aber in seine Familienbibliothek ließ.
Anders als in Chinguetti waren die Bücher allesamt ordentlich in Pappschubern archiviert, nummeriert und sauber in Stahlschränken verschlossen. Überhaupt scheint Tichitt wesentlich besser erhalten als Chinguetti, wo zwar wesentlich wertvollere Schriften lagern, diese aber unglaublich dilettantisch aufbewahrt werden und die gesamte Stadt droht, im Sand zu versinken.
Tichitt wirkt aufgeräumt und vergleichsweise „sandfrei“, obwohl im 300km Umkreis nur Sand ist. Wir kamen mit dem Elektrizitäts-Chef ins Gespräch und er sagte, das sei kein Verdienst des UNESCO Weltkulturerbe Titels (den Chinguetti auch trägt), sondern Einheimische, die dem speziellen Ort hier so verbunden seien, dass sie mit dem Geld, was sie mittlerweile in Städten „in der Zivilisation“ verdienen, ihre Elternhäuser in Tichitt in Schuss halten und dafür sorgen, dass der ganze Ort immer noch im Glanz der fast tausendjährigen Geschichte glänzt. Der Mann, selbst nur beruflich hier, erzählte, die Menschen aus Tichitt seien sich der Einzigartigkeit ihres Ortes sehr bewusst und stolz auf ihre Geschichte. Chinguetti wirkte auf uns im Vergleich eher „aufgegeben“ und „verlassen“, obwohl dort einigermaßen Tourismus herrscht und eine gute Piste mit guter Verkehrsanbindung hinführt und die nächste große Stadt nah ist.
Der Knaller während unseres Besuches in der Privatbibliothek des alten Herrn war jedoch sein „Lager“, in dem er auf der einen Seite des Raumes alte Haushaltsgegenstände aufbewahrt und auf der anderen Seite Kisten stehen. Er schloss für uns die uralte, wunderschöne Holztür auf und als erstes schwirrten Fledermäuse herum und eine Katze rannte vor Schreck heraus. Wie im Film! Mit der Taschenlampe unserer Telefone leuchteten wir dem Mann, als er eine der Kisten öffnete. Darin lagen randvoll gestapelt Zettel, Buchseiten und Notizen in arabischer Handschrift. Staubig, teils von Mäusen angeknabbert und zerrissen. Wow! Das war wie eine Schatztruhe! Wir konnten uns nicht richtig miteinander verständigen, aber es könnte sein, dass das noch nicht archivierte oder nicht archivierbare Schriftstücke aus längst vergangenen Jahrhunderten sind. Wie auch in Chinguetti sind die Bibliotheken von Tichitt um die 800 Jahre alt, waren damals aber nicht so bedeutsam wie die in Chinguetti.
Tichitt wurde 1140 als Zentrum des transsaharischen Salzhandels gegründet und der Polizist hatte uns bei seiner kleinen Ortsrundfahrt erzählt, dass bis heute Kamelkarawanen hier Salz laden und auf die Märkte nach Oualata, Nema und Tidjikja bringen. Er zeigte uns, wo das Salz herkommt, und gegen Abend liefen wir los. Wir hatten immer nur von „Salzminen in der Umgebung“ gehört und gelesen, aber in Wirklichkeit kann man das Salz einfach vom Boden aufheben. Oder fast. Direkt östlich der Stadt ist eine große Ebene, die eigentlich eine Salzpfanne ist, die von einer dünnen Sedimentschicht bedeckt ist. Kratzt man den Staub und Sand ab, kann man die Salzplatten einfach aus dem Boden schneiden. An manchen Stellen steigt das Salz kreisförmig an die Oberfläche und kristallisiert dort aus. Wir haben es geschleckt wie die Kamele…
Am Rande dieser „unsichtbaren Salzpfanne“ war früher der Flughafen Tichitt, der bis heute auf allen Karten eingezeichnet ist. Eine Piste nur, die anhand von Resten der Randmarkierungen aus Blech noch grob erkennbar ist. Früher war Tichitt Etappenziel der Marathon Etappe der Rallye Dakar, seitdem die Rallye nicht mehr in Afrika stattfindet, gibt es auch die Flugpiste nicht mehr. Und auch keine zusätzlichen Einnahmen für die Menschen vor Ort. Der Mann von der Elektrizität (übrigens: das „Elektrizitätswerk“ der Stadt ist ein Dieselgenerator wie überall in Afrika üblich) erzählte, im Dezember seien ganze acht Autos mit Touristen gekommen. Die meisten Mauretanier, aber auch zwei Deutsche, zwei Spanier und zwei Franzosen. Die Stadt ist auf sich selbst gestellt…
Nach drei Nächten wurden wir vor Sonnenaufgang abgeholt, weil dann der Sand noch härter ist und die ersten 100km von Tichitt Richtung Tidjikja berühmter mauretanischer Weichsand sind. Leider verschlief unsere Gastgeberin, sodass wir kein Frühstück bekamen. Wir dachten, es gäbe wieder Mittagsrast mit “Kamelnudeln”, aber dem war nicht so. Wir machten also Diät, während der Fahrer richtig Mühe hatte, den Hilux vorwärts zu bekommen. Diesmal waren sogar nur 10 Personen an Bord und weniger Gepäck, doch jede nahezu unsichtbare Steigung wurde trotz Allrad, Untersetzung und geringem Luftdruck auch bei Vollgas eine Herausforderung. Immer wieder musste der Fahrer quer fahren und/oder zurücksetzen, um die Strecke zu schaffen. Spannend! Irgendwann stieg eine Schildkröte zu. Wieso, weshalb, warum konnten wir aufgrund der Sprachbarriere nicht klären. Sie saß die Hälfte der Fahrt bei mir, weil da noch Platz war 🙂
Als wir in Tidjikja ankamen, war nicht nur Freitag, sondern auch kurz vor Sonnenuntergang und somit alles geschlossen. Wir schoben richtig Kohldampf… Aber irgendwann hatte der Tankstellenshop wieder geöffnet und wir aßen die erste “Mahlzeit” des Tages: Chips. Weil wieder Sturm angesagt ist, können wir uns leider keinen Tag Pause gönnen (obwohl wir ihn wirklich bräuchten) und fahren direkt weiter nach Kiffa. Wir hoffen, dort nicht nur ein Zimmer ohne Sandsturm zu finden, sondern auch eine richtige Dusche. Sowas hatten wir zuletzt kurz nach Weihnachten…
Jan hat jede Woche ein neues Video für Euch. Wenn alles klappt, jeden Freitag pünktlich zu Feierabend. Wegen Weihnachten und Silvester ist das aber in den letzten Wochen ein bisschen durcheinander geraten und es gab sogar mal an einem Dienstag ein Video für Euch… 🙈
Nehmt Euch ein paar Minütchen Zeit und schaut, was wir bisher in Mauretanien erlebt haben:
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