Die sechs Tage Ruhe im Airbnb mit Pool mit Meerblick, störungsfreien Nächten und gutem Essen haben uns gut getan. Wir sind beide wieder gesundheitlich fit und die Motivation für die Weiterreise ist wieder da. Solche Auszeiten sind wirklich wichtig, wenn man ständig unter Strom steht, wie das beim Langzeitreisen so ist. Die Pause lässt uns die Weiterreise nun wieder richtig mit Freude genießen.

Wir fuhren nicht weit, 50km von unserem „Hideaway“ entfernt wartete unser Päckchen aus Deutschland. Die lieben Kuriere machten Urlaub im 5* Hotel und wir durften nicht mal den Parkplatz betreten. Wir trafen uns auf der Straße davor und bekamen eiskaltes Sprudel(!)wasser aus dem Hotel mitgebracht! Was für eine Wohltat! Die beiden haben so lieb mitgedacht! Das Päckchen war fast wie Weihnachten: Benzinfilter für die Benzinpumpe der Honda, Spiegelhalterungen für die KTM (Jan hatte seit Dezember nur noch einen Spiegel deswegen), Karabiner zur Reparatur von Jans (Enduristan) Gepäcktaschen, für jeden von uns ein neues Ritzel, eine neue Handyladeschale für die Honda, deren über mehrere Kontinente gereiste „alte“ Schale von unbefugten Fummelhänden im Hotelgarten in Nouakschott zerstört wurde, ein paar Medikamente (Danke an Katja!), ein neues Kameragehäuse für die GoPro (das war ja in Mauretanien während der Fahrt weggebrochen), Rucksackschnallen zur Reparatur, eine Tube Nahtdicht und Cremchen. Kleinigkeiten, die wir unterwegs nicht auftreiben konnten.

Die insgesamt 85 Tageskilometer waren nervig und anstrengend. Weil wir länger im Airbnb geblieben sind als ursprünglich geplant und es dort weit und breit keinen Geldautomaten gab, waren wir mit Bargeld knapp. Um die zusätzlichen Nächte und das dazugehörige Frühstück zu bezahlen, hatten wir zwar noch genug Bargeld, hätten dann aber nicht mehr tanken können, um von dort weg zu kommen. Eigentlich hatten wir für solche Fälle die App „tap tap send“, mit der man vom deutschen Bankkonto auf viele, viele mobile Wallets afrikanischer Anbieter Geld schicken kann. Weltweit (außer in… Ihr wisst schon) wird ja mittlerweile über solche mobilen Geldbörsen per QR Code gezahlt und international Geld verschickt. Banken braucht man nicht mehr. Man hat ein Guthaben auf dem mobilen Wallet, das man in fast jedem Krämerladen in Bar ein- oder auszahlen lassen kann. Mit dem Guthaben zahlt man alles und überall und mit der App konnten wir das auch. Theoretisch, denn nun sind unsere beiden Konten auf Lebenszeit gesperrt. Um solche „riskanten Zahlungen“ von einem deutschen Konto aus zu tätigen, muss man nämlich zwingend in Deutschland sein. Wir hatten keinen VPN an und das brach uns das Genick. Gut, dass es Western Union gibt! Die haben nicht so viele mobile Wallets in Afrika im Angebot wie die andere App, aber unser Gastgeberin hatte zufällig eine der beiden Möglichkeiten. Puh! Das sind so die kleinen Dinge, die nebenbei ganz schön viel Zeit und Nerven kosten.

Wir brauchten also dringend Bargeld und das gibt’s nicht auf der Autobahn, sondern aus Geldautomaten in großen Städten entlang der Landstraße. Wir können jetzt verstehen, woher die Horrorgeschichten über den nervigen Straßenverkehr im Senegal kommen: von Menschen, die Großstädte nicht mit der Autobahn umfahren, um Maut zu sparen. Bis wir einen Geldautomaten gefunden hatten, der uns mit zusätzlichen Gebühren nicht die Haare vom Kopf fraß und überhaupt Geld ausspuckte, waren wir schweißgebadet vom Stop and Go. Deswegen tat das kalte Sprudelwasser vorm fünf Sterne Hotel doppelt gut!

Die gesamte Strecke von unserem Unterschlupf bis zu unserem nächsten Etappenziel führt entlang der „petite côte“ und ist touristisch stark erschlossen. Ein Badeort reiht sich an den anderen, hier stehen die großen Resorts internationaler Hotelketten, da gibt es ganze Stadtviertel, die für Einheimische gesperrt sind, „damit die Touristen sich wohl fühlen“. Wir haben eine deutsch-gambische Familie kennengelernt, die geschockt war von der Aufteilung ganzer Straßenzüge in „Touristen“ und „Einheimische“ (um nicht in Hautfarben zu sprechen) und wir haben diesen Bereich des Landes größtenteils über die (im Verkehr erstickende) Ortsumgehungsstraße umfahren. Wir wissen von Freunden, dass es auch da „ruhigere Ecken“ gibt, aber auch dort gibt’s besoffene, rot verbrannte Engländer (und Deutsche) und für die müssen wir nicht in den Senegal, die torkeln auch durch Bulgarien

Wir hatten unser nächstes „ruhiges Eckchen“ in Joal gefunden. Der Ort von dem aus man auf die „Muschelinsel“ gelangt. „DIE Muschelinsel“ sind eigentlich mehrere Inseln, die vor 1500-2000 Jahren künstlich aus Muscheln entstanden sind. Sie befinden sich im „Wattenmeer“ des unter UNESCO Schutz stehenden Sine-Saloum Deltas. Eigentlich könnte man sagen, dass es Halligen sind und die Muschelhaufen darauf die Warften. Im Sine-Saloum Delta gibt es rund 200 solcher Inseln.

Ursprünglich waren die heutigen Inseln nur Müllhalden für die Abfälle der Fischer, doch im seichten Wasser entwickelten sich daraus Inseln und man warf bald mit Absicht Muschelschalen auf den immer gleichen Haufen, um Inseln zu bauen. Heute ist die Hauptinsel Fadiouth eine der am dichtesten besiedelten Inseln der Welt. Der Muschelhaufen ist 725x430m groß (für eine Müllhalde ziemlich riesig, für eine Insel ziemlich winzig) und hat 9000 Einwohner. Eine Holzbrücke führt vom Festland auf die Insel, auf der bei jedem Schritt die Muscheln unter den Füßen knirschen.

Es gibt gleich daneben eine „Friedhofsinsel“ namens Diotyo, die ähnlich „dicht besiedelt“ ist und auf der Christen und Muslime gemeinsam beerdigt (oder muss man da „bemuschelt“ sagen?) werden. Die Bewohner der Insel(n) und des Deltas, die Serer, sind hauptsächlich Christen, weswegen wir hier zum ersten Mal in Westafrika Schweine herumlaufen sahen und es auf dem Friedhof Kreuze gibt. Seit Langem hörten wir wieder Kirchenglocken! Am Wochenende unseres Besuchs war gerade riesiges Kirchenfest zu Ehren der Jungfrau von Lourdes. Die Menschen sangen und klatschten in bunter Festtagskleidung im Gottesdienst und auf den Gassen gab es Musik (hier immer so laut, dass das Trommelfell fast platzt) und alle haben getanzt. Nur zu Essen gab es nichts. Kein Streetfood und alle bis auf ein Restaurant (welches uns dann ein freundlicher Inselbewohner zeigte) geschlossen, weil man entweder selbst feiern war oder sowieso nur Mittagstisch für die Ausflügler aus den Hotelresorts anbietet. Wir sind fast verhungert! 😊

Im gesamten Delta stehen kleine „Stelzenhüttchen“ im Brackwasser, in denen zumindest früher Vorräte sicher vor Tieren aufbewahrt wurden. Ob diese „Speisekammern“ heute noch genutzt werden, ist ein wenig zweifelhaft. Touristen bekommen das gerne erklärt, aber wir haben auch gehört, dass diese Gebilde nur für die Touristen gebaut und erhalten werden, damit die etwas zu fotografieren haben und es für die vielen Anbieter von Bootstouren auch Ziele gibt, die man ansteuern kann, wenn gerade kein vom Aussterben bedrohtes Manati (Seekuh) vorbeidümpelt oder ein Delfin springt.

Wir konnten solche Vorratshüttchen auch ohne Bootstour anschauen, denn es war Ebbe, als wir die „Salz Brunnen“ von Palmarin besuchten. Davon hatten wir Luftaufnahmen bei Instagram gesehen und weil Jan eine Drohne hat, wollten wir da auch hin. Für Fußgänger ist es keine wirkliche Sehenswürdigkeit, man braucht schon eine Drohne – oder gleich ein kleines Flugzeug, um es nicht nur auf Fotos, sondern live zu sehen. Im Watt wird dort seit Jahrhunderten in runden Löchern Meerwasser aufgefangen und das Salz auskristallisieren gelassen.

Je nach Alge, die in einem solchen „Loch“ in der Salzlauge wächst, schillern die kreisrunden „Salzbrunnen“ in bunten Farben: grün, rot, blau, braun, gelb,… Jan hat mit der Drohne viele Fotos aus der Vogelperspektive geschossen, ich als Fußgänger konnte nur wenig sehen. Der Marschboden ist unglaublich matschig und ein falscher Schritt und man steckt mit den Stiefeln tief im sandigen Matsch. Woher ich das weiß? Ich wollte Fotos von Salzkristallen. 😊

Von oben sieht die Gegend toll farbenfroh aus, aber weil nicht jeder ein Flugzeug oder Drohne dabei hat (es werden tatsächlich Rundflüge mit Ultra Light Flugzeugen angeboten) oder ein Vogel ist, waren wir die ganze Zeit alleine dort. Das ist übrigens eine Sehenswürdigkeit, von der wir nur durch Social Media, in dem Fall Instagram, erfahren haben. Dass die Salzgewinnung dort nicht im klassischen Ausflugsprogramm auftaucht ist logisch, denn ohne Drohne ist der Besuch unnütz. Die „blöden bunten Fake-Bildchen“ für die Instagram oft von Kritikern (wir meinen: Unwissenden und sich Verweigerern) gehalten wird, haben uns einen tollen Tag beschert!

Es wurde noch toller. Das Sine-Saloum Delta steht unter UNESCO Weltnaturerbe Schutz und man kann darin Bootstouren machen. Da wir beide keine Vogelkundler sind, sondern eher größere Tiere wie Delfine oder Manatis sehen möchten, machen für uns Touren durch die allerkleinsten Nebenarme nicht sooo viel Sinn. Das haben wir schon zu Beginn der Reise 2018 im auch unter UNESCO Weltnaturerbe Schutz stehenden Donaudeltas gemacht. Trotzdem wollten wir den Senegal nicht ohne Bootstour im Delta verlassen, aber auch keine klassische Touristentour zu den kleinen Speicherhäuschen mit angeschlossenen Souvenir-Shops machen. Da traf es sich gut, dass wir keine Lust hatten, von dem Haff auf dem wir uns befanden, uns wieder zurück durch die Städte um das Feuchtgebiet herum über 200km Landstraße zu quälen. Warum nicht einfach ein Boot nehmen, die Motorräder draufstellen und Bootsausflug und Weiterreise kombinieren?

Die Ortschaften und Inseln im Delta werden alle mit öffentlichen Bootsverbindungen angefahren. Doch die fahren nur bei Bedarf. Und ob Bedarf ist oder nicht, weiß man erst, wenn man da ist und ein Boot braucht. Und ob das dann noch Platz hat für zwei Motorräder? Das könnte bedeuten, länger auf irgendeiner Insel im Delta festzuhängen. Wir mussten also ein ganzes Boot für uns chartern! Doch wie findet man das?

Wir fuhren einfach ins große Gewimmel des Fischereihafens hinein. Chaos total. Dreck überall, der Gestank nach Fischabfall, überall reges Treiben und haufenweise Fisch und Muscheln. Frisch und getrocknet. Und Muschelschalen. Die Müllberge der Muschelschalen türmen sich nicht nur im Hafen, sondern auch in der Landschaft auf. Überall „Muschel-Müll“! Wie sollten wir in all dem Durcheinander ein Boot finden? Ich marschierte in ein Lädchen hinein. Der Junge hinterm Tresen verstand nur Bahnhof und kein Französisch. Ob ich Wolof spreche? Nein, leider nicht. Aber er rief jemanden an, der Französisch konnte.

Der verstand unser Anliegen und rief einen Cousin. Und der Cousin telefonierte mit seinem Onkel, der ein Boot hat und damit eigentlich im Linienverkehr fährt. Nachdem alles telefonisch geklärt war (und der Bootsmann versicherte, er habe schon Fahrräder transportiert und unsere „Motocross Motorräder“ seien ja ähnlich), lud uns der Dolmetscher der ganzen Aktion, Ousmane, zu sich nach Hause ein. Einfach so! Die Motorräder sollten wir im Hafengewirr mitten auf der Straße stehen lassen und ihm besser zu Fuß folgen. Und für alle „Schisser“ (in Spanien, Italien oder Frankreich hätten wir das auch nie gemacht!): natürlich wurde nichts geklaut. Weder Gepäck noch Motorräder. Bei seiner Familie zeigte er uns, wie man im Senegal unter einfachen Verhältnissen lebt. Diverse kleine Zimmer um einen Hof herum gruppiert. Jeder „Familienzweig“ hat ein Zimmer. Sein großer Bruder mit seiner Familie ein Zimmer (darin sind jeweils nur eine große Matratze für alle und ein Regal oder Schrank), sein kleiner Bruder samt Familie ein Zimmer, seine Eltern, seine Tante, seine weiteren Brüder,… Alle ein kleines Zimmer, alle auf engstem Raum. Gekocht wird für alle gemeinsam, gegessen wird im Hof auf dem Boden aus zwei großen Schüsseln: eine Schüssel für die Frauen und Kinder, eine Schüssel für die Männer. Und ein riesiger Teller Mittagessen für uns Gäste am einzigen Tisch. Dazwischen springen Schafe, Ziegen, Nachbarn und Kinder, die Stimmung ist trotz so vieler Menschen auf so kleinem Raum sehr entspannt und harmonisch.

Unser Gastgeber erklärte viel über das Delta, die darin lebenden Ethnien, über die Arbeit im Fischereihafen, die Fische und Meeresfrüchte, er kannte die Probleme (Erosion, Müll, internationale/europäische Fischfabriken in senegalesischen Gewässern,…), erklärte das friedliche Miteinander der Ethnien, Sprachen und Religionen im Land (er selbst Muslim und ein Teil seiner Serer Familie Christen) und brachte uns den Senegal näher, als wir dem Land bisher gekommen waren. Bis heute haben wir dank intensiver touristischer Infrastruktur den Charakter des Landes immer noch nicht erfasst und der Senegal hat uns bisher, ganz anders als Mauretanien, weder verzaubert noch großartig begeistert. Auch nach nun vier Wochen im Land nicht. Aber wir waren auch noch nicht im Osten. Das machen wir später. Vielleicht macht es dann „klick“ zwischen dem Senegal und uns!

Als wir langsam den Rückweg antreten wollten, erzählte unser Gastgeber von der Hochzeit in der Nachbarschaft und natürlich mussten wir auch dort noch vorbeischauen. Die Menschen tanzten wild zu Livemusik unterm Zeltdach und keinen kümmerte es, dass uns fast die Trommelfelle um die Ohren flogen. Unterhaltung unmöglich, aber das wollte dort auch niemand: es ging ums Tanzen. Was für ein Tag!

Auf der Rückfahrt nach Joal haben wir noch den größten Baobab des Senegal besucht. Es stand gerade ein Reisebus davor, der aber im Vergleich zum Baum wie eine Miniatur wirkte. Wir haben schon viele Baobabs gesehen, aber wahrscheinlich war keiner so riesig! Man kann in den Baobab auch hineinklettern (die meisten der großen Baobab sind innen hohl), aber die Reisegruppe aus dem Reisebus stand dafür gerade an, also sind wir nur um den Baum herumgefahren. So konnte uns auch kein Souvenirverkäufer ansprechen…

Und dann kam der Tag unserer „großen Seefahrt“. Den Bootsführer kannten wir bislang nur per Telefon und WhatsApp. Wie sein Boot aussah und ob es groß genug für unsere Motorräder ist, wussten wir nicht. Die Aussage des Bootsführers „müsste gehen, ich hatte auch schon Fahrräder an Bord“ war etwas vage. Wir trafen ihn an der Asphaltstraße und er erklärte, wir müssten am Strand entlang zum Boot fahren, es gäbe keinen Steg. Spannend!

Auf dem Strand sattelten wir das Gepäck ab und bekamen erklärt „in zwei Minuten ist alles geladen“. Na gut, es waren vielleicht fünf Minuten, aber wir waren beeindruckt. Zunächst trugen vier Männer die Motorräder durch das Wasser auf ein kleines Holzboot. Mit dem kleinen Holzboot fuhren wir dann zu einem größeren Holzboot und luden einfach von einem auf das andere Boot um. Auf dem Wasser, von einem wackelnden Holzboot auf das andere. Aber weil unsere Motorräder klein und leicht sind, ging das tatsächlich sehr einfach und flott. Die beiden wurden gegen Autoreifen an die Bordwand gelehnt, zwei andere Passagiere wurden noch vom Strand an Bord gefahren und wir brausten los.

Das Wetter war miserabel. Unsere ursprüngliche Idee, Tiere sehen zu können, machte das Wetter zunichte. Wir fuhren an den „Delfin Hotspots“ vorbei, aber kein Tier zeigte sich. Wären wir selbst Delfine oder Seekühe (Manatis), wir wären bei dem Wetter auch nicht draußen herumgesprungen. Der Himmel grau, das Wasser wild und kabbelig, starker Wind und dank Harmattan richtig viel Sahara Staub in der Luft.

Wir sahen Frauen beim Muschelsammeln im Watt, Fischer auf ihren bunten Holzbooten und wenn sich das Boot durch die Nebenarme schlängelte, Reiher, Kormorane und andere Vögel in den Mangroven. Immer, wenn der Fluss breiter wurde oder wir größere Flussarme kreuzen mussten, klatschten die Wellen und wir und die Motorräder wurden ziemlich gepökelt. Wir fuhren mit der Flut ins Delta hinein und hatten dementsprechend salziges Atlantikwasser überall. Unsere Gesichter waren weiß-sandig voll Salz, auf der dunklen Haut der Mitreisenden war es intensiv sichtbar.

Nach 3,5 Stunden manchmal ziemlich wilder Fahrt waren wir angekommen. In Toubacouta gibt es sogar eine Art Mole, auf die man die Motorräder schnell heben konnte. Sehr praktisch! Wir sattelten wieder auf und orientierten uns. Eine Ortschaft von der Seeseite ohne Hafen aus zu erreichen war neu für uns. Ein Belgier vermietet Zimmer im Ort und hatte sogar einen Kärcher, mit dem wir die dicken Salzkrusten von unseren Motorrädern waschen konnten. Besser konnten wir es nicht treffen! Auch, wenn es etwas gedauert hat, bis er verstand, warum unsere Motorräder und wir salzgepökelt waren.

Seine Unterkunft ist ein kleines Vogelparadies mit ganz vielen Bäumen, Büschen und Hecken und das Vogelgezwitscher beginnt zu Sonnenaufgang und begleitet einen den ganzen Tag. Eine bessere Hintergrundmusik gibt’s nicht für unser nomadisches Büro! Thierry räucherte uns abends ein Huhn und, da Belgier, verwöhnte uns mit den besten Pommes der letzten Monate! Es war Valentinstag. Für uns kein besonderer Tag, denn wir brauchen keine Spezialtage, um uns mit Konsum unsere Liebe „zu beweisen“. Wir feiern die Liebe und das Leben auch ohne Feiertag und solche Erlebnisse wie die wilde Bootsfahrt mit den Motorrädern durch das Delta lassen uns das Leben spüren. Das gelebte gemeinsame Leben.

Die Postkarte gibt’s hier tatsächlich zu kaufen!

Als wir am nächsten Abend durch das Örtchen mit seinen sandigen Straßen schlenderten und an der Hauptkreuzung Krabben mit Kalamar (und leider keinen belgischen, sondern senegalesischen Pommes) aßen, fielen uns unglaublich viele „ungleiche“ Paare auf: alte weiße Männer mit jungen einheimischen Frauen. Händchenhaltend. Warum dort, in diesem 3000 Seelen Örtchen ohne Asphaltstraße, ohne Strand und mit vielen Mücken? Allerdings hat uns der Ort auch sehr gut gefallen. Eben weil es dort nichts gibt, außer Mücken und Vögel. Und Militär. Und ewige, unaufhörliche, laute Muridengesänge. Wechselweise Dauerbeschallung von Marschiergeschrei oder Korangesang. Tagsüber waren Gott sei Dank die Vögel lauter, aber am Abend vor unserer Abreise waren die endlosen, monotonen Muridengesänge so laut und penetrant (wie auch in Dakar und Saint Louis), dass wir hofften, in Gambia wäre endlich Ruhe. Spoiler: nein.

Nach dem Frühstück waren es nur 23km bis zur Grenze. Angeblich super korrupt, angeblich wisse keiner, wie ein Carnet zu stempeln ist, angeblich koste jeder Stempel ein Bestechungsgeld, angeblich, angeblich, angeblich. Natürlich war es bei uns anders, wie immer. Komisch, oder? Das Carnet wurde professionell gestempelt, kein einziger Stempel hat Bestechungsgeld gekostet und nur ein Mal hat ein Senegalese versucht, Jans Führerschein und Fahrzeugpapiere „gegen Gebühr“ wieder auszuhändigen. Es blieb beim Versuch. Jan nahm seine Papiere und ging. Keine Quittung, kein Geld. Eigentlich ganz einfach und uns unverständlich, warum andere Reisende bereitwillig zahlen und dann natürlich für jeden weiteren Stempel abgezockt werden. Selbst versursachte Probleme, wie meist.

Der Grenzübergang war etwas chaotisch mit wild herumfahrenden Fahrzeugen, Pferdekarren, einem trillerpfeifenden Polizisten, Geldwechslern und Simkartenverkäufern. Dazu noch eine Gruppe senegalesischer Motorradreisender mit fetten, brüllenden Reiseenduros, die nicht alle ihre Motorräder im Griff hatten und beim Wenden umfielen und ein Pferdekarren, dessen Pferd von der Situation völlig überfordert, in mich rein rauschte und mich samt Motorrad umwarf. Nicht schlimm, weder Pferd noch Kutscher waren schuld und mein Knöchel, der dabei unter dem Motorrad landete, ist in ein paar Tagen auch wieder okay. Ich trage ja MX-Stiefel und keine Ballettschläppchen oder Wanderstiefel. Und dann waren wir in Gambia. Fast wie in Mauretanien gibt es dort alle paar Kilometer eine Kontrolle von Zoll, Polizei oder Militär. Angeblich muss man auch an jedem dieser Checkpoints irgendwas zahlen. Angeblich muss man immer und überall irgendwen wegen irgendwas bestechen. Wir hatten fünf Checkpoint bis zum Gambiafluss und keiner wollte Geld. Wir hatten alle geforderten Papiere und boten somit keinen Grund für „Gebühren“.

Was im Senegal ist fake, was ist authentisch? Wir haben es in 4 Wochen nicht herausgefunden.

Wir verließen Senegal nur vorübergehend. Gambia grenzt ja rundum an Senegal und wir möchten im späten Frühjahr noch den Osten Senegals erkunden. Wir haben Senegal bis zum Ende nicht „erfassen“ können, haben den Charakter des Landes nicht gefunden. Das liegt wahrscheinlich daran, dass die Region Senegals, in der wir uns in dem Monat aufgehalten haben, touristisch extrem gut erschlossen ist und man sich nie sicher ist, was authentisch ist und was für Touristen gespielt oder aufgebaut wurde. Siehe diese Speicherhäuschen im Sine-Saloum Delta, die ziemlich garantiert nur für Touristen aufgebaut sind. Wir haben die Seele des Landes nicht erfahren und hoffen, das bei einem der nächsten Besuche zu schaffen. Wir kommen wieder, denn Senegal ist grundsätzlich „ein nettes Land“!

Auf dem Weg nach Banjul schauten wir uns noch die Festung „Bullen“ an. Die einzige Festung weltweit, die dazu errichtet wurde, um den Sklavenhandel zu unterbinden. Wir bekamen eine Führung (als einzige Besucher) durch die kleine, unter UNESCO Weltkulturerbe stehende Anlage. Das Museum ist gerade wegen Termitenbefall geschlossen und die Ausstellungsstücke in einer Art „Garage“ gesichert. Wir bekamen alles gezeigt und erklärt und erfuhren auch, dass die Regierung auf Geld von der UNESCO warte, um das Museum termitenfrei machen zu können, aber da käme nichts. Nachdem wir die UNESCO Weltkulturerbestätten in Mauretanien und nun auch hier mit exakt den gleichen Geschichten gesehen haben, fragen wir uns wirklich, was denn dieser UNESCO Schutz überhaupt bringt, wenn nicht mal Geld für einen Kammerjäger gegen Termiten da ist oder für einen Bagger, um Chinguetti vor dem Erg zu retten oder ein paar Schränke für die Bibliotheken von Chinguetti und Tichtitt..

Das Fort Bullen wurde 1826 von den Briten (Gambia war britische Kolonie) erbaut, um Sklavenschiffe, die aus der Mündung des Gambiaflusses aufs Meer hinausfuhren, abzufangen. England hat den Sklavenhandel 1807 verboten, doch außer Dänemark (die in Westafrika im heutigen Ghana vertreten waren) machte damals keiner mit und der Sklavenhandel florierte weiter. Die strategische Lage des Fort Bullen erlaubte es den Briten insgesamt über 1600 Sklavenschiffe abzufangen und die Sklaven zu befreien. Die gekaperten Schiffe und befreiten Menschen wurden dann nach Freetown (heute Sierra Leone) gebracht, was auch britische Kolonie war. Dort konnten die Menschen in Freiheit ein neues Leben beginnen, denn hier wären sie in Gefahr gelaufen, wieder gefangen zu werden. Der atlantische Sklavenhandel endete 1888, als auch Brasilien die Sklaverei verbot, aber bis dahin hatten die Briten von Fort Bullen aus einiges zu tun. Der interessanteste Punkt im „Museum“ war vielleicht der Fakt, dass es bis heute auch in Europa Sklaverei gibt (die UN spricht von 140.000 Sklaven in Europa, andere Quellen schreiben von deutlich höheren Zahlen, weil sie jegliche Form von Zwangsarbeit und Verschleppung für z.B. Prostitution mitzählen; allein in Deutschland sollen es 167.000 Menschen sein) und dass manche Länder die Sklaverei erst kürzlich verboten haben. Mauretanien beispielsweise hat sich dazu erst 1980 entschlossen, geht dagegen aber immer noch nicht wirklich vor…

So schnell wurde die kleine Honda erwachsen: schon 10.000km!

Gambia ist bekannt für „Bumsters“: junge Männer, die einen wegen allem und nichts anlabern und Geld wollen. Manchmal arbeiten sie in Teams mit verschiedenen Rollen, aber immer so dumm nervig, dass man schon noch dümmer sein muss, um das nicht zu durchschauen. Im Fährhafen von Barra gaben die Herren ihre ersten Shows („I know you!“ oder „You have been here before!“ oder „I help you“) und Jan verwechselte gleich einen Hafenarbeiter mit den Schauspielern, während ich frisch geröstete Cashews kaufen war. Peinlich!

In Gambia ist Englisch bis heute offizielle Sprache und für uns fühlt es sich bisher wie ein Aufenthalt im Urlaubsresort an. Keine andere Schrift, jeder versteht jeden (wenn man sich an die afrikanische Aussprache gewöhnt hat), alles ist überall auf Englisch beschriftet und plötzlich fällt alles viel leichter. Trotzdem gab’s Verwirrung beim Verkauf der Fährtickets, weil Jan Fahrkarten für zwei Personen und zwei Motorräder wollte. Letztendlich hatten wir noch Passagiertickets dazu, weil nicht klar wurde, ob jedes Motorrad noch eine Sozia hat oder nicht. 50 Cent aus dem Fenster geworfen! 😊

Wir hatten gelesen, dass es von den Briten eine Reisewarnung für genau diese Fähre gäbe. Sie sei ständig völlig überladen, bliebe oft in der Mitte der Überfahrt mit Motorschaden oder Stromausfall liegen und laufe auch schonmal auf Grund. Das mit dem „Überladen“ ist wahrscheinlich wahr, der Rest lief unkompliziert. Wir Motorradfahrer standen direkt vorne an der Ladekante und wurden mit jeder Welle geduscht. Und dabei hatten wir gerade unsere Motorräder entsalzt!

Mit uns an Bord war die Truppe Senegalesen mit ihren riesigen Reiseenduros. Voll ausgestattet mit allem Klimbim, die Teuertech und SW-Motech so hergeben. Kann man natürlich auch im Senegal kaufen, aber das läuft hier anders. Was seit Jahren über Motorräder und VW-Busse in NRW erzählt wird und oft als „Märchen“ abgetan wird, weil „wenn das jeder weiß, warum tut keiner was dagegen?“, haben wir nun aus erster Hand erfahren. Die Motorrad-Truppe auf der Fähre erklärte es Jan ganz genau: Wenn man als Senegalese so einen Bomber haben möchte, gibt man das im Rhein-Ruhrgebiet in Auftrag. Der deutsche Motorradfahrer inseriert seine fette BMW mit allem, was der Zubehörkatalog suggeriert zu brauchen und ein Interessent meldet sich zur Probefahrt. Man vereinbart Termin und Treffpunkt, der Interessent taucht dann aber nicht zur vereinbarten Uhrzeit auf, sondern holt das Motorrad nachts ab und spart sich damit den Kaufpreis. Das Motorrad geht dann sofort ab in den Container und mit dem nächsten Schiff nach Dakar. Da fährt jede Woche eins ab Deutschland oder Holland. Kosten für den auftraggebenden Motorradfahrer im Senegal: um die 10.000€. Weil es keine Papiere gibt, ist es auch kein Fahrzeugimport und somit werden bis zur Anmeldung mit neuen Papieren nur um die 200€ an involvierte Beamte fällig. Ein Schelm, der nicht darüber nachdenkt, ob genau solche Beamte auch in europäischen Häfen arbeiten, in denen die Motorräder aufs Schiff gehen…

Wir legten in Banjul an und fuhren in wenigen Minuten durch die winzige Hauptstadt ohne Funktion. Alle Behörden, Botschaften und sonstige Infrastruktur sind in Serekunda. Und Serekunda selbst ist mit diversen anderen Städten zu einem riesigen Agglomerationsraum zusammengewachsen. Die 30km/h Höchstgeschwindigkeit sind dort gut einzuhalten – es ist Dauerstau. Obwohl wir zwischen dem beschaulichen Örtchen Toubacouta im Senegal und unserem Tagesziel nur 70km hatten, kam es uns doch vor wie eine mehrere hundert Kilometer lange Etappe. Wir hatten ein zauberhaftes AirBnb bei einer Schwedin aus Uppsala gefunden, wo wir nun ein paar Tage mit unseren Laptops im wunderschönen Innenhof unterm Mangobaum sitzen und ein paar Halbtagesausflüge machen werden.

Die deutsche Bar finden wir bestimmt auch noch!

Wir sind in Laufweite von „Senegambia“, DEM touristischen Hotspot Gambias: ein Ferienapartmentkomplex reiht sich an den anderen, in erster und zweiter Linie entlang des Strandes steht ein Hotelblock neben dem nächsten. Drumherum das übliche Getümmel aus Hardrock Café, Fast Food, Happy Hour Bars, Läden mit großer Alkoholauswahl, Lärm und Europäern. Ein bisschen Ballermann für Rentner, denn außer Alkohol und massenweise Kondome gibt es noch Windeln für Erwachsene im Angebot und wir senken den Altersdurchschnitt drastisch. Die meisten Gäste sind Skandinavier, Holländer, Briten und Deutsche in trauter Zweisamkeit. Viele Rentnerpaare haben hier Ferienwohnungen und überwintern hier oder haben ihren Lebensmittelpunkt ganz nach Gambia verlegt. Wir können es ihnen absolut nachempfinden, auch wenn wir nicht an den „Ballermann von Gambia“ gezogen wären. Bis wir weiterfahren, genießen wir aber die Infrasruktur Senegambias: echte italienische Pizza, libanesisches Essen, richtigen Kaffee und leckeren Kuchen.

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