Nachdem wir uns in Adana die Bäuche mit Adana Kebab vollgeschlagen hatten, bogen wir ab Richtung syrische Grenze. Eins vorneweg: das deutsche Auswärtige Amt rät dringend davon ab, in diese Region zu reisen. Da wir wissen, wie solche Texte des Auswärtigen Amtes zustande kommen, kümmert uns das nicht, aber wer der Expertise der deutschen Regierung vertraut, sollte vorher diese Hinweise durchlesen und abwägen.
Und dazu im Hinterkopf behalten: diese „Hinweise“ sind keine „Reisewarnungen“, sodass hier auch Versicherungsschutz besteht. Wenn man denn überhaupt mit deutscher Versicherung reist, was wir eben genau wegen irrsinniger deutscher Reisewarnungen im Zuge von COVID-19 seit einem Jahr nicht mehr tun. Wir sind bei Safetywing krankenversichert und die kümmert deutsche Reisewarnungen nicht, wir wären sogar in sämtlichen „echten“ Krisengebieten versichert, zum Beispiel Afghanistan. Somit können wir uns weltweit frei von „german angst“ bewegen.
Das Traurige an solchen Geschichten ist ja, dass die lokale Bevölkerung nichts dafürkann und sich wahnsinnig freut, uns Deutsche zu sehen. „Wenn Ihr jetzt da seid, kommen bald noch mehr? So wie früher?“ werden wir immer wieder gefragt. Leider nein, wäre die ehrliche Antwort, wir antworten aber abweichend und auf unser Nummernschild zeigend mit „Keine Ahnung, wir haben nur deutschen Pass, sind aber aus Bulgarien“.
Und so fuhren wir auf holpriger Straße durch die Felder gen syrische Grenze: 9km von dem schwarzen Strich auf der Landkarte liegt nämlich Yesemek. In Yesemek war im 14. Jahrhundert VOR Christus eine Steinmetzwerkstatt, in der für die Stätten der Region Löwen, Sphinxe, Statuen und Reliefs gefertigt wurden. Teils sogar in Massenproduktion. Bis heute liegen die halb fertigen Werke auf einem großen Areal herum, als käme gleich der Steinmetz und würde die Sphinx vollenden.
Wie dann so ein riesiger Steinblock von dort an den Bestimmungsort transportiert wurde, haben wir nicht herausgefunden. Die „Dorfumgehungsstraße“ für Touristen, die zu der 3400 Jahre alten Produktionsstätte gebaut werden sollte, ist mittlerweile eine von Erosionsrinnen und Gestrüpp in Mitleidenschaft gezogene Erdpiste. Warum, habt Ihr gerade gelesen. Wir haben sie mit Hans befahren, um eine ebene Fläche zum Schlafen zu haben und den Sonnenuntergang über See und Bergen vom Bett aus genießen zu können.
Unsere Route führte weiter gen Osten. Eigentlich gibt es für Touristen nichts wirklich Spannendes in Gaziantep zu tun. Es sei denn, man ist Liebhaber regionaler Küche so wie wir. Die Küche von Gaziantep ist so gut, dass sie sogar von der UNESCO prämiert wurde. Und das ist doch ein Grund, nach Gaziantep zu fahren! Wir fanden einen richtigen „Essenstempel“, in dem die regionale Küche zelebriert wurde. Der Kellner wollte uns auch wirklich die Highlights der Region auftischen und brachte uns mehr, als wir bestellt hatten: „Geschenk, zum Probieren!“.
Und so futterten wir uns die Bäuche voll mit Lahmcun („Hackfleischpizza“), Icli Köfte (mit Hack gefüllte, spitze Teigtaschen), Cig Köfte (aus rohem Hack oder Bulgur geformte mini-Fleischgebirge) und Patlican Kebab (am Spieß gegrillte Auberginen mit Hack). Dazu Salatvariationen ohne Ende, frisches, warmes Fladenbrot und Ayran. Und weil wir doofen Touristen ja nicht wissen konnten, wie man das mit den Auberginen so isst, hat der Kellner auf Jans Teller genau gezeigt, wie das geht: erst das weich gegrillte Innere der Aubergine Stück für Stück herauslösen und leicht manschen, dann Auberginenmus, ein Stück gegrillte Tomate, Grünzeug und gegrillte Zwiebel auf ein Stück Fladenbrot legen, zusammenrollen und genießen. Und dabei weder Maulsperre bekommen noch kleckern!
Jeder von uns hatte eine riesige Aubergine samt Beilagen, Fleisch und Vorspeisen zu vertilgen. Wir platzten fast! Doch es wartete noch Nachtisch auf uns: die Türkei ist der drittgrößte Produzent von Pistazien und rund um Gaziantep wachsen angeblich die besten und dicksten Exemplare. Also musste noch ein regionaler Nachtisch her. Der Kellner hatte Verständnis für unsere Situation: er hatte uns mit seinen Essensgeschenken gemästet und für Dessert war kein Platz mehr im Bauch. Doch Jan kennt sich aus mit Eiscreme (die rutscht angeblich überall dazwischen) und so bot der Kellner an, uns eine Portion des regionalen Eisdesserts auf zwei Tellern anrichten zu lassen. Die Männer waren sich einig, das Dessert kam: heißer, knuspriger, hauchdünner Blätterteig, gefüllt mit Pistazien. Und als „Sandwich“ zwischen die beiden Lagen knusprigen Pistaziengebäcks eine Portion Milcheis. Un-glaub-lich lecker! Das, was wir in Gaziantep aufgetischt bekamen, war höchste Esskultur!
Aber weil aus Gaziantep die besten Pistazien kommen, kommt auch das beste Baklava Gebäck von dort. Wir hassen dieses süße, klebrige Zeug voll Sirup eigentlich, doch der Kellner hatte echte Leidenschaft für die Küche seiner Heimat und schenkte jedem von uns ein Stück. Wir dachten, das sei das letzte Pfefferminzblättchen aus dem Film „der Sinn des Lebens“. Bitte, nicht noch so ein klebriger Mist voll Zuckersirup und grüner Farbe! Der Kellner bestand darauf: jeder müsse jetzt eins essen. Bitte. Geschenk! Es war ein Geschenk aus dem Gourmet-Himmel: wir hatten noch nie und nirgendwo so gute Baklava gegessen!
Der erste Bissen knusprig, nicht nass voll billigem Zuckersirup, der erste Geschmack Butter, dann richtig viel Pistazien. Gar nicht süß, nur buttrig-pistazig, leicht knusprig und eine absolute Gaumenfreude im wahrsten Sinne des Wortes. Wir waren überrascht: so kann Baklava schmecken? Tja, aus Gaziantep kommt halt die beste Baklava! Wir brauchten unbedingt mehr davon und kauften aus der Konditorei einfach von jeder Sorte ein Stück. Natürlich nicht zum Sofortverzehr. Sonst würde es enden wie mit dem Pfefferminzblättchen. Bis heute genießen wir ab und an ein Stück Baklava und schon beim Gedanken daran, was noch auf uns im Karton wartet, läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Wie kann man dieses eklig süße, vor Sirup triefende Zeug, was billig als „Baklava“ verkauft wird, überhaupt so nennen? Dieser gruselige Kram mit mehr grüner Lebensmittelfarbe und Zuckerwasser als Butter, Honig oder Pistazien? Jetzt haben wir ein Problem: wo gibt’s Nachschub in dieser Qualität, von der wir jetzt wissen, dass es die Ursprungsform des Gebäcks ist?
Wir fuhren weiter, immer durch Pistazienplantagen gen Euphrat. Euphrat und Tigris bilden die Lebensadern Vorderasiens, zwischen den beiden Flüssen liegt das biblische „Zweistromland“, Mesopotamien. Weil sich Mesopotamien über mehrere Länder erstreckt und alle das Wasser der Flüsse nutzen möchten, baut jedes Land Staudämme, wodurch das Wasser im Unterlauf immer weniger wird.
Und einer dieser Dämme hat dazu geführt, dass das Dorf Savasan heute größtenteils unter Wasser liegt. Von der Moschee schaut nur noch das Minarett aus dem Euphrat heraus. Immerhin hat der Tod des einen Dorfes zum Aufschwung des Nachbardorfes geführt: von dort kann man jetzt mit Ausflugsbooten „durch“ das versunkene Dorf fahren. Wir haben Hans und Hans hat Offroadqualitäten und so kamen wir auch ohne Boot zum versunkenen Minarett.
Und dann begann unsere Odyssee: wir fanden bei fast 40°C keinen Baum, Strauch oder sonstige Beschattung, um dort für die Nacht stehen zu bleiben. Die Landschaft war platt und bestand nur aus abgeernteten Getreidefeldern bis zum Horizont und weiter. Wir fuhren fast 150km auf der Suche eines Schlafplatzes, ohne nur ein einziges Schattenplätzchen gefunden zu haben! Dann war es dunkel und alles egal: wir fuhren mitten auf ein abgeerntetes Feld und krochen nach einer schnellen Dusche ins Bett. Am nächsten Morgen waren wir kurz nach Sonnenaufgang wieder unterwegs. Immer noch auf der Suche nach Schatten, diesmal für das Frühstück.
Im Nemrut Nationalpark wurden wir fündig: dort gibt es tolle Landschaft mit schroffen Felswänden und Bäumen. Und Schatten. Unsere Bananen waren mittlerweile von der Hitze im Auto weich gekocht und matschig, schmeckten aber lecker wie Ofenbananen im Müsli! Hans wird wirklich zum Backofen, sobald wir parken und die Klimaanlage aus ist. Ein schwarzes Auto ist in solchen Klimaten wirklich ungünstig.
Und dann ging es richtig steil bergauf zum 2105m hohen Gipfel des Nemrut. Die letzten Höhenmeter muss man natürlich laufen, aber bis dort hin hat uns Hans im ersten Gang gebracht. Es war so steil, dass er uns einen großen Schreck eingejagt hat: der Ölwarnalarm schrillte los! Auf dem ebenen Parkplatz stellte sich heraus: alles gut, Hans hatte genug Öl, nur die Steigung war von VW nicht mit berechnet worden. Man fährt ja auch nicht so oft mit einem Passat auf den Gipfel des Nemrut und auch nur jetzt, da wegen COVID-19 keine Shuttlebusse fahren. Bei unserer hektischen Ölkontrolle wurden wir von einem türkischen Vanlifer verständnisvoll beobachtet: er saß samt Werkzeugkiste vor seinem Sprinter mit geöffneter Motorhaube und wusste nicht weiter. Er wurde später von einem anderen „Kollegen“ vom Berg gerettet. Am Sprinter kann es aber nicht liegen: die einsam parkenden Shuttlebusse sind Sprinter.
Auf dem Nemrut befindet sich eine künstlich aufgeschüttete Bergspitze, unter der wahrscheinlich der Erbauer der Stätte, König Antiochus, begraben liegt. Die riesigen Statuen zeigen ihn selbst und bekannte Götter wie Zeus, Apollo und Herkules. Riesig! Allein die Köpfe sind mindestens 2m groß! Und weil Antiochus sich und seine „Verwandten“, die Götter, so wichtig fand, hat er diese riesigen Statuen gleich auf der West- und Ostseite des Berggipfels errichten lassen. Absolut beeindruckend!
Da sich die Welt während unserer Reise ja weiterdreht und ich noch arbeite, bezogen wir unser „Tagesbüro“ im Besucherzentrum: kühl, 220V Steckdosen (die 12V Ladekabel für unsere Laptops sind ja in Kasachstan in unserem VW Bus Kittymobil) und mangels Touristen (siehe Einleitung…) die nötige Ruhe. Als die Museumswärter Mittag machten, machten wir auch Mittag: es gab vegetarischen Kartoffeleintopf mit Paprika und Brot für alle. Eigentlich. Aber der Kellner meinte, mit Reis sei das viel besser und schenkte uns noch einen ganzen Teller Reis. Der war so lecker, dass wir ihn ohne Suppe aßen.
Und dann war da wieder das Problem mit dem Schattenplatz für die Nacht. Wir wollten morgens, wenn es noch nicht zu heiß ist, uns eine Sehenswürdigkeit anschauen, die in der fruchtbaren, aber baumlosen Ebene Mesopotamiens liegt. Das hieß, wir mussten den Nationalpark und seine schattenspendenden Bäume verlassen. Wir nutzen zur Schlafplatzsuche grundsätzlich keine „Stellplatz-Apps“, da diese unserer Erfahrung nach nur dafür sorgen, dass genau an diesen Orten Müll liegen bleibt. Letzten Sommer haben wir das ganz direkt erfahren müssen: wir haben einen tollen Platz in eine App eingetragen und kamen 7 Wochen später an den Ort zurück: es war mittlerweile alles voll Feuchttücher, Toilettenpapier und sogar Windeln. Da der Platz so versteckt ist, dass er wirklich nur durch die App gefunden werden konnte, war klar, wer der dort seine Hinterlassenschaften „vergessen“ hat. Auch, wenn diese Typen das immer abstreiten, weil sie ja so coole „Vanlifer“ und „Naturliebhaber“ sind…
Doch diesmal nutzten wir die App: wir schauten alle Fotos an, um darauf Hinweise für Schatten zu entdecken. Und wurden fündig: keine 2km von der anvisierten Sehenswürdigkeit waren tatsächlich Bäume auf dem Foto zu sehen! Und tatsächlich war dort auch kein Müll, denn siehe oben: gefährlich hier, sagt die Regierung. Und wir bekamen Besuch: drei Schäfer kamen samt Eseln und Schafherde vorbei. Sie sprachen Arabisch. Macht nix, unser Arabisch ist ähnlich gut wie unser Türkisch und weil wir erst im März in Tunesien waren, lagen uns die drei Wörter noch quasi auf der Zunge.
Wir sollten Fotos mit und auf den Eseln machen und doch vielleicht besser nicht im Auto schlafen, sondern bei ihnen Zuhause. Normalerweise nehmen wir solche Einladungen gerne an, doch ich hatte am nächsten Morgen Unterricht (Bulgarisch) und weil ich dazu auf gutes mobiles Internet angewiesen bin, konnten wir unseren Hügel nicht verlassen. Statt Übernachtung gab’s dann Wassermelone, bis die Bäuche platzten.
Am nächsten Morgen waren die Schäfer wieder da: mit einer weiteren Wassermelone, die sie mit uns teilten und einer dritten Melone als Geschenk für die Weiterfahrt. Es blies ein heftiger, heißer Wind und so tat Wassermelone gut. Egal, wie viel davon in unseren Bäuchen schwappte.
Nach meinem Unterricht besuchten wir Göbekli Tepe, das auch „Zero Point in Time“ genannt wird. Die 6€ Eintritt fanden wir viel für eine archäologische Stätte „im Nirgendwo“, aber schon nach den ersten Schritten im Museum war uns klar: das war noch viel zu billig! Ein so gut aufgearbeitetes, modernes und interaktives Museum haben wir beide erst ein Mal zuvor erlebt: in Aserbaidschan bei den Felszeichnungen südlich von Baku. Einfach nur wow! Man konnte an mehreren Metern großen Touchscreens durch die Informationen scrollen, als sei es ein Tablet, es gab informative Filmchen und Animationen und eine große, begehbare Sound & Light Illustration, wie wir sie noch nie erlebt hatten: der Besucher wurde dabei Teil einer steinzeitlichen Welt in Lebensgröße!
Göbekli Tepe ist ein Bergheiligtum aus der Steinzeit: monolithische Stelen mit Tier-Reliefs verziert trugen kreisförmige Dächer über poliertem Kalkfels oder Terrazzo (!) Boden. Man nennt Göbekli Tepe deshalb „Zero Point in Time“, weil nach der Entdeckung dieser Anlage die Geschichte neu geschrieben werden musste. Bis dahin hatte man angenommen, dass die Erfindung des Ackerbaus dazu geführt hat, dass Menschen sich in größeren Gruppen ansiedeln und das Leben als Jäger und Sammler aufgeben konnten. Doch allein zum Bau und späteren „Betrieb“ des Bergheiligtums mussten viele, viele Menschen angesiedelt und mit Nahrung versorgt werden – zu einer Zeit, in der man annahm, dass Ackerbau noch gar nicht erfunden war. Man geht heute davon aus, dass der Bau von Göbekli Tepe die Notwendigkeit von Ackerbau klar machte und er genau dort entstand. Schon viel früher als ursprünglich gedacht!
Wir fuhren wieder näher an die syrische Grenze nach Harran. Harran ist ein bis heute existierender Ort, der in der Bibel erwähnt wurde. Unter anderem hat Erzvater Abraham dort gewohnt und auch sein Enkel Jakob („Israel“, Sohn Isaaks) wohnte dort. In Harran wurde auch die älteste Universität der islamischen Welt gegründet, deren Ruinen man noch heute besichtigen kann. Aber wir waren nicht wegen Abraham und Jakob oder der Universität da. Wir wollten die „Bienenstockhäuser“ sehen, die es so weltweit nur in Syrien gibt. Gut, wir waren ja fast in Syrien und Harran ist einer der Orte, über die in den Medien berichtet wird, dass man von dort aus die Kampfhandlungen auf der anderen Seite der Grenze hören könne. Nur leider, so erzählten uns es gleich zwei Dorfbewohner unabhängig voneinander, stimme das nicht und sie halten nichts von den Medien, die ihr Dorf schlecht reden, weil es für sensationsgeile ausländische Fernsehreporter eine schöne Kulisse für ihre Geschichte sei…
Seitdem wir 2019 während der Proteste in Hongkong waren und sechs Monate im Iran waren, während derer laut „Westpresse“ täglich der Krieg ausbrechen sollte, sehen auch wir die Medienwelt sehr kritisch. Die „schöne Kulisse“ für solche Schauermärchen gibt es in Harran tatsächlich: die Bienenstockhäuser wurden bis in die Mitte der 1990er Jahre bewohnt und sind eine für das heiße Klima optimal. Heute sind diese Häuser nur noch Viehställe oder Lagerräume und man muss etwas suchen, um ein solches Haus besichtigen zu können. Weil es ja so gefährlich in Harran ist, kommen natürlich auch keine Touristen. Und wenn dann ein PKW mit ausländischen Kennzeichen suchend durchs Dorf zuckelt, fällt man auf. Wir wurden von einem Mann auf einem Motorrad angehalten, der fragte, was wir suchten. „Bienenstockhäuser“! Er fuhr vorneweg und brachte uns in ein Haus, was man besichtigen konnte.
Wir tranken Kaffee und Ayran und sprachen mit dem Mann, der gut Englisch sprach, da er bis zur Pandemie im Teppichhandel auf internationalen Messen in Dubai und Europa unterwegs war. Wir sahen so unglaublich großes touristisches Potential für das Dorf: die Bewohner könnten statt Vieh Touristen in ihren Bienenstockhäusern unterbringen, man könnte Essen servieren oder die Übernachtungen auf Booking anbieten oder über Airbnb als „Homstay“ vermarkten. Man könnte auch einfach erstmal ein Schild aufhängen nach dem Motto „Hier kannst Du ein Bienenstockhaus besichtigen“ und dann als Café-Restaurant im Hof die Gäste bewirten. Dafür braucht man nicht mal ausländische Übernachtungsgäste, zum Kaffee kommen sicherlich Wochenendausflügler aus der Region. Aber solange die Region von Regierungen und Medien als „kriegsgefährlich vermarktet“ wird, ist das sicherlich nicht möglich. Traurig! „Kommen bald noch mehr Deutsche? Erzählt Euren Freunden von uns!“… Wir haben den Ort bei iOverlander eingetragen.
Auf der Weiterfahrt hielten wir an einem Truckstop. Das Restaurant war voll mit LKW-Fahrern, die uns (insbesondere mich, mittlerweile in Hosenrock statt mit nacktem Bein) anstarrten, als seien wir Außerirdische. Die Kellner überschlugen sich fast vor Freude, Ausländer verwöhnen zu dürfen. Ausländer! Hier! In ihrem Restaurant! Natürlich gab es zu viel zu essen, aber auch wir hatten Freude, nur mit unserer Anwesenheit Menschen so großes Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Als wir zurück zu Hans kamen, der als einziger PKW auf dem Parkplatz stand, war er blitzeblank gewaschen und glänzte in der gleißenden Sonne.
Wieder die Herausforderung, in der Ebene Mesopotamiens einen Schattenplatz für die Nacht zu finden. Aussichtslos. Bei iOverlander ist die Region Niemandsland. Ist ja gefährlich da. Wir entschieden spontan, in die nächste Stadt, Mardin, hineinzufahren. Die wollten wir sowieso besuchen, also warum nicht gleich? Es war schon dunkel, als wir ankamen und wir landeten in einer anderen Welt: endlich fühlte es sich nach „Orient“ an und nicht nach „Europa“! Die Altstadt war voll mit Menschen, es lief orientalische Musik, es war Leben auf den Straßen, es roch nach Seife und Gewürzen. Endlich in der Ferne! Mardin ist bis heute das „Tor zum Orient“ der Türkei: rund um Mardin führen Straßen und Eisenbahn nach Syrien und in den Irak.
Ein Parkplatz in der Altstadt entsprach fast einem Lottogewinn, doch wir haben Hans und Hans passt (wie Kittymobil) auch durch die engsten Gassen und in kleinste Parkplätze. Schräg gegenüber vom Parkplatz war ein besseres Hotel, das unter der Hand gegen Bargeld noch ein Zimmer für uns hatte und schon waren wir dabei, mitten im Nachtleben, mitten im Gewusel, mitten im Leben gut gelaunter Menschen voll Musik, inmitten Essens- und Seifendüften und Tanz. Das war, was wir so lange vermisst hatten! Das ist das, was es in den „Stans“ nicht gibt, dort ist alles „europäisch“, dort pulsiert nicht das Leben auf den Straßen wie hier, wie im Iran, wie auch in der gesamten arabischen Welt. Seelenbalsam pur!
Wir beschlossen, länger zu bleiben und zogen am nächsten Morgen in ein billigeres (und viel netteres!) Hotel in einem traditionellen Gebäude (mit Gewölbedecke im Zimmer) der Altstadt. Als wir mit unserem kleinen Handgepäck im Tagesrucksack so die vielen, langen, steilen Treppen zur Unterkunft hoch stapften, mochten wir uns gar nicht vorstellen, wie das bei der Hitze wäre, hätten wir mehr als nur ein paar Kilo Gepäck…
Mardin war bis 1995 rund 1500 Jahre Bischofssitz und heute eher für seine Seife und Bauwerke der Altstadt berühmt. Die Seife besteht zu 35% aus wildem Pistazienöl und zu 65% aus Olivenöl. Uns erinnert sie an die Alepposeife, die ich damals gefühlt kiloweise in Damaskus in den Passat (ein Vorgänger von Hans brachte mich damals bis Jordanien) geladen hatte. Ob es die vielen kleinen Seifensiedereien in Aleppo wohl noch gibt? Wahrscheinlich nicht. Wir habe uns vorsorglich mit einem Vorrat an Alepposeife eingedeckt, die man auch in Mardin bekommt. Hier duftet es aus vielen Türen, Toren und Lädchen nach der “Mardin” Seife, die, glaubt man Fans im Internet, mindestens genauso gut sein soll wie die (von uns geliebte) Alepposeife. Wir haben sie gekauft, aber noch nicht ausprobiert. Zuerst muss die bulgarische Rosenseife aufgebraucht werden!
Am Sonntag war wieder Zeit für Sonntagsfrühstück: auf einer Terrasse mit Blick von der 500m über der Ebene liegenden Altstadt hinunter gen Syrien über Mesopotamien. Fast biblisch und episch! Und lecker natürlich, denn in jeder Region ist das Frühstück anders und es gibt immer Neues: diesmal eine saure Fruchtsauce und ein Getränk, das sich „Sherbet“ nennt und aus Wurzeln, Kräutern, Blüten, Gewürzen und Obst hergestellt wird. Ungewöhnlich, aber ungewöhnlich lecker!
Außerdem ist die Region rund um Mardin bekannt für gebrannte Mandeln in blauer Zuckerhülle, die „blaue Diamanten“ genannt werden und zu Kaffee gereicht werden. Hier gibt es übrigens auch syrischen Kaffee, der wie türkischer Kaffee zubereitet wird, aber zusätzlich mit Kardamom gewürzt ist. Weinliebhaber wissen, dass hier auch guter Wein angebaut wird. Denn früher war die Region sehr christlich. Die Region nennt sich „Tur Abdin“, was übersetzt „Berg der Knechte Gottes“ heißt. Die ursprünglich dort heimischen Aramäer leben heute zum Großteil in der Diaspora, die Kirchen und Klöster sind bis auf wenige Ausnahmen zwar restauriert, aber geschlossen.
Jetzt, wo in Deutschland die Sommerferien beginnen, sehen wir auch immer mehr deutsche Kennzeichen auf den Straßen und hören deutsche Kinderstimmen. Die jüngste Generation der Aramäer spricht kein Aramäisch mehr, sondern unter anderem Deutsch. Und auch deren Mütter. Eine aussterbende Sprache.
Wir verbrachten 4 wunderschöne Tage in Mardin. Tagsüber war Arbeitstag, abends schlenderten wir durch die Gassen mit all den wunderschön verzierten Kalksteinhäusern und landeten immer wieder auf ein und derselben Terrasse zum Abendessen. Die aramäische Küche ist ganz anders und schmeckt sehr orientalisch, voll Gewürze und Düfte und der Blick über den Teller hinunter in die mesopotamische Tiefebene ist fast biblisch.
Es wurde Zeit für einen Ortswechsel. Wer uns kennt der weiß: unsere Tageskilometer sind meist zweistellig. Und so schafften wir gerade mal 60km bis Midyat, einer weiteren aramäischen Stadt im Tur Abdin mit noch viel schöneren, kunstvoller verzierten Häusern als Mardin. Hier wurde mit Silberschmiedekunst richtig Geld verdient und das sieht man den Gebäuden der Altstadt deutlich an. Einfach unglaublich schön!
Bevor wir die syrische Grenzregion verließen, schauten wir uns noch das Kloster Mor Gabriel an, in dem der heutige Bischof wohnt. Das Kloster besteht seit 397 (!) und zählt somit zu den ältesten Klöstern der Welt! 1995 löste das Kloster die Stadt Mardin als Bischofssitz ab. Heute besuchen Christen aus der Diaspora das Kloster, aber auch Muslime, die sich hier das Christentum erklären lassen. Wir wurden mit einer kleinen türkischsprachigen Gruppe durch das Kloster geführt, brauchten aber keine Sprachkenntnisse, denn der größte Teil der Führung bestand tatsächlich aus der Erklärung von Jesus, dem Altar, der Bibel (auf Aramäisch geschrieben) und den Bestandteilen einer Kirche, was von den interessierten Besuchern alles fleißig abfotografiert wurde.
Wir verlassen nun die syrische Grenzregion und begeben uns auf neue Pfade. Seid gespannt!
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