Erinnert Ihr Euch noch daran, dass wir im letzten Beitrag erzählt haben, im Nationalmuseum in Monrovia mit Google herausgefunden zu haben, was uns die Führerin dort nicht erklären konnte, weil man in Liberia nicht darüber sprechen darf? Wir sind jetzt nicht mehr in Liberia und können Euch davon erzählen.
Von der Kautschukplantage aus hatten wir zwei Möglichkeiten, weiter durch Liberia zu reisen: entlang der Küste nach Harper und von dort aus in die Elfenbeinküste oder gen Nordosten zurück in die Berge. Eigentlich wollten wir nach Harper, denn Harper hat eine interessante Geschichte als Hauptstadt des ehemaligen eigenständigen Staates „Maryland“, gegründet von ehemaligen Sklaven aus den USA. Außerdem ist Harper eine traurige Berühmtheit durch eine große Serie Ritualmorde, in deren Zusammenhang Mitte der 1970er Jahre mindestens 100 Menschen verschwanden und in die hochrangige Politiker verstrickt waren. Unser ursprünglicher Plan war, von Harper aus in die Elfenbeinküste einzureisen und dort im Taï Nationalpark Schimpansen zu beobachten, doch der Nationalpark ist uns schlicht zu teuer: 600€ wollte man für uns für zwei Nächte und zwei Wanderungen, jedoch ohne Verpflegung. Wir haben in Gambia und Guinea-Bissau schon Schimpansen gesehen (für jeweils 15€) und entschieden uns daher, nicht über Harper, sondern über die Berge in die Elfenbeinküste einzureisen und so nicht nur 600€, sondern auch 700km zu sparen. Doch das Thema der Ritualmorde ist nicht nur in Harper Alltag, sondern in ganz Liberia und angrenzenden Staaten. Bis heute. Diese Seite zeigt alle bekannten Vorkommnisse bis heute. Der aktuellste dort verzeichnete Fall ist von November 2023, doch viele dieser Ritualmorde bleiben unentdeckt, weil Menschen einfach verschwinden.
Die Idee dahinter ist die, dass das Verspeisen gewisser menschlicher Körperteile besondere Eigenschaften wie Macht, Kraft, Erfolg, Unsichtbarkeit etc. verleiht. Die Opfer werden dazu meist völlig zufällig ausgewählt und dann bei lebendigem Leib zerstückelt. Ritualmorde finden im Verborgenen statt und im Rahmen von „secret societies“, einer Art Geheimbund, von denen es in Westafrika viele gibt. Diese geben sich meist Namen von Raubtieren, wie zum Beispiel „Die Leoparden“ oder „Die Krokodile“ und haben früher ihren Opfern Wunden zugefügt, die an Bisse dieser Raubtiere erinnern, um ihr geheimes Tun zu verschleiern, falls die sterblichen Überreste entdeckt werden würden. Es dauerte bis in die 1950er Jahre, bis einem deutschen Arzt auffiel, dass die angeblichen „Bisswunden“ mit Werkzeugen zugefügt wurden und dass Knochenbrüche durch Biegen („übers Knie brechen“) und nicht durch Beißen entstanden waren. Er machte seine grausame Entdeckung publik, wurde daraufhin jedoch nur schnell versetzt, anstatt dass jemand dem Ganzen nachgegangen wäre. Genauso erging es einem weiteren deutschen Arzt, der bis Anfang der 1980er Jahre in Liberia stationiert war und dieselben grausamen Schlüsse zog wie sein Kollege. Während der Bürgerkriege (1989 – 2003) haben Warlords kleine Kinder gejagt, weil der Verzehr eines „unschuldigen Herzens“ für besondere Fähigkeiten sorgen soll. Die Kinderherzen haben sie dann an ihre Kindersoldaten „verfüttert“. Weil (bis heute!) einflussreiche Menschen an die Wirkung dieser Praktiken glauben, passiert das bis heute in ganz Afrika. Insbesondere rund um Wahlen, sei es Bürgermeister-, Regional- oder Parlamentswahlen. Selten wird den Verantwortlichen das Handwerk gelegt. Jeder weiß es, aber man spricht nicht darüber. „Menschenfresser“ gibt es also tatsächlich.
Für uns eine absurde Sache: einerseits mögen wir die Menschen in Liberia und Sierra Leone sehr und haben sie als sehr angenehm, höflich und zivilisiert erlebt. Die andere Seite der Medaille jedoch ist so dunkel, dass man nicht von „zivilisiert“ sprechen kann. Natürlich sind es klitzekleine Minderheiten, die Ritualmorde begehen, aber auch andere Beispiele zeigen, wie weit wir Europäer von den Westafrikanern entfernt sein können. Wir kommen super gut mit den Menschen in Liberia, Sierra Leone etc. aus, doch in Gesprächen merkt man dann doch gelegentlich, wie groß der „gap“ manchmal ist: Krankenhäuser, erfuhren wir, seien „vom Teufel“. Dort gehe man nicht hin. Vom Teufel? Na klar! Denn da kommen so viele Menschen nicht mehr lebendig raus! Also geht man mit gebrochenen Knochen lieber zum „Kräutermann“ und humpelt sein Leben lang, um sich nicht in die Fänge des Teufels zu begeben. Der betreibt nämlich auch die Röntgengeräte. Alles klar? Die Frau war nicht 90, sondern unter 30, von der wir das erfuhren. Völlig logisch, meinten andere am Tisch. Und doch leben wir alle in derselben Welt mit Smartphones und Tiktok, sind alle Christen und keine Analphabeten. Trotzdem: wir mögen die Menschen dort!
Wegen des extrem teuren Nationalparks entschieden wir uns also, nicht nach Harper zu fahren, sondern in die Berge. Liberia hat im Grunde nur eine asphaltierte Straße, die von Buchanan im Süden nach Ganta im Norden führt und jeder riet uns, zu dieser Straße zurückzufahren und einen Umweg von 170km in Kauf zu nehmen, statt die direkte „Bushroad“ zu nehmen. Wir entschieden uns für die kleine Piste durch den Dschungel. 200km staubige Piste, die immer schmaler, ausgewaschener und rauer wurde, aber mit unseren Motorrädern ist das kein Problem. Wir hatten sogar richtig Fahrspaß und kamen zügig voran nach Ganta. Ganta ist eigentlich nur eine Grenzstadt, doch wir blieben zwei Nächte, denn wir wollten Schokolade.
In Sierra Leone waren wir ja schon in Kakaogärten und haben uns ein Projekt für zertifiziert biologischen Kakao aus kleinbäuerlichen Betrieben angeschaut, nur kann dort keine Schokolade produziert werden, weil man dafür Strom braucht, den es nicht gibt. Schokolade braucht während des Herstellungsprozesses eine gewisse Temperatur und die ist im tropischen Klima hier natürlich nur elektrisch zu schaffen. Auch in Liberia gibt es keinen Strom, was die Wirtschaft unendlich ausbremst, und alles verteuert. Wer Strom für sein Gewerbe braucht, betreibt einen eigenen Generator und das Benzin dafür ist teuer. Hotelzimmer ohne durchgängige Stromversorgung sind daher deutlich günstiger. Der Staat schafft es, recht zuverlässig ein paar Stunden abends oder nachts Elektrizität zur Verfügung zu stellen. Dann, wenn man Licht braucht, aber keiner mehr arbeitet. Auch nicht die Schokoladenmanufaktur, von der wir Schokolade kaufen wollten.
In Ganta gibt es eine Landwirtschaftsschule, die von Amerikanern gegründet wurde. Dort sollen die Studenten in drei Jahren Ausbildung lernen, wie sie „aus nichts viel machen können“. Wie im Nachbarland Sierra Leone ist durch Bürgerkriege und Ebola-Epidemie viel Wissen verloren gegangen, weil die Eltern umgebracht wurden oder durch Krieg geschwächt an Ebola starben, bevor sie ihr Wissen an die nächste Generation weitergeben konnten. Das führt zu andauernder extremer Armut und Hunger oder Mangelernährung, weil simple Grundlagen der Ernährung, Tierhaltung und Landwirtschaft mit dem zu frühen Tod dieser Erwachsenen ausgelöscht wurden. Ein Beispiel ist das Wissen darum, dass man, wenn man ein Huhn essen möchte, nicht gerade das größte, beste und fetteste Huhn isst, sondern das kümmerlichste Tier, um die besten Tiere zur Nachzucht zu behalten. Und auch da ist das Wissen verlorengegangen, dass wenn ich am Ende alle Hähne aufgegessen habe, ich gar nichts mehr habe, weil zwei Hühner alleine halt nicht wirklich für Nachwuchs sorgen können. Solche Grundlagen lernen die Studenten in der Landwirtschaftsschule und die Hoffnung ist, dass diese jungen Menschen dann in ihre Dörfer zurückkehren und dieses Wissen dort teilen.
Zur Landwirtschaftsschule gehört auch eine kleine Schulfarm, auf der die Studenten selbst sehen können, wie wirksam es beispielsweise ist, Maispflanzen mit verdünntem Eigenurin zu düngen oder mit Asche gegen Maisbohrer vorzugehen. Es geht darum, praktisch zu vermitteln, dass Landwirtschaft auch ohne synthetische Dünger und teure Pflanzenschutzmittel möglich ist. Dass auch wer nichts hat, viel daraus machen kann. Wir bekamen eine kleine Führung über das Gelände und waren begeistert von der Motivation, mit der die Amerikaner trotz vieler Rückschläge diese Schule betreiben. Die Schule hat auch ein Minizoo, in welchem Tiere des Waldes gehalten werden, die hier regelmäßig auf dem Teller landen. Klappt es nicht mit den Hühnern, geht man halt in den Wald und schießt einen Affen. Der wird dann geräuchert und verspeist und viele Schüler wissen gar nicht, wie das Tier aussieht, was auf dem Teller liegt. Nach dem Motto „nur was Du kennst, kannst Du schützen“, lernen die Schüler ihr „Bushmeat“ dort persönlich kennen – und hoffentlich auch schützen.
Darüber hinaus lernen die Schüler, wie man sich ein kleines Einkommen sichern kann, weiterhin nach dem Motto „aus nichts viel machen“, zum Beispiel, wie wilde Sternfrüchte geerntet, in der Sonne getrocknet und dann als Snack verkauft werden können. Oder eben Schokolade. Ein besonders heller Kopf unter den Studenten hat mit seiner Idee, die erste Schokolade Liberias herzustellen, ein Stipendium gewonnen. Mit dem Geld kaufte er die nötige Ausrüstung und stellt seitdem, sofern es Strom gibt, gemeinsam mit seiner Frau Schokolade her. Wie genau man Schokolade macht, erklären wir Euch aus Ghana. Hochqualitative Schokolade muss mit lautem Knacken brechen, gerade Bruchkanten und hohen Oberflächenglanz haben. Die Schokolade des stolzen Exstudenten hat all das. Und jetzt schaut mal auf den Kram, der Euch als „gute Produkte“ verkauft wird. Milka zum Beispiel. Na? Billigmist. Wir konnten leider nur drei Tafeln zum Sofortverzehr kaufen, weil wir keine Schokolade transportieren können und saßen später auf dem Hotelbett und schlemmten: aufgrund der Temperaturen und fehlenden Kühlung kann man nämlich in Westafrika auch im Laden keine Schokolade kaufen, wir waren völlig auf Entzug!
Am nächsten Morgen sattelten wir auf und brachen auf zur Elfenbeinküste. Liberia hat uns wie Sierra Leone, Mauretanien und Guinea-Bissau sehr gut gefallen: authentisch, etwas rau, nicht ganz einfach, tropisches, sattes Grün überall (okay, ein paar Prozent weniger Luftfeuchtigkeit wären angenehmer gewesen), sauber (sehr sogar!) und mit ganz vielen lieben Menschen. Nicht eine einzige negative Erfahrung in Liberia! Wir sind gespannt, ob das in der Elfenbeinküste auch so ist.
Die Honda CRF300L hat übrigens nun 600km mit Einspritzdüsen-Reiniger im Tank hinter sich und läuft wieder ordentlich. Auch das Stinken hat aufgehört. Tatsächlich war also die (dank Euro-Abgasnorm ständig immer feiner konstruierte) Einspritzdüse verdreckt, was zu merkwürdigem Motorlauf, schlechter Gasannahme und penetrantem Gestank führte. Wir werden ab jetzt regelmäßig, alle paar tausend Kilometer, einen solchen Reiniger in den Tank kippen und zur Sicherheit kommt eine neue Einspritzdüse ins Ersatzteillager. Die gute Nachricht, dass sie nun wieder normal läuft wird durch eine schlechte Nachricht getrübt: die Felgen sind wohl aus Butter. In Bissau musste ich schon lose (und nach einem Jahr Afrika rostige!) Speichen festziehen, nun ist die Hinterradfelge hübsch verdellt. Und das bei meinem geringem Fahrergewicht und leichtem Gepäck. Qualität eben. Nicht.
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