Oh, Mauretanien! Nach 12 Monaten und acht Ländern in Westafrika bist Du uns immer noch das Allerliebste!

Wir reisen mit „Sunshine“, dem holländischen VW LT28 von 1977 in unseren eigenen Fußstapfen rückwärts. Das macht das Reisen unglaublich einfach. Weil wir zuvor so langsam unterwegs waren, kennen wir quasi jeden Stein und was sich darunter verbirgt. Und da wissen wir eben auch, dass es in Mauretanien maximal mehrfach aufgetaute und wieder eingefrorene Hühnerteile aus Europa gibt (mehr Infos u.a. hier dazu: „Europe’s meat waste on African menu“) oder eben Hammel. Also „mussten“ wir vorher nochmal gut Essen, echten Kaffee trinken und für die Zeit in Mauretanien Lebensmittel bunkern. Nach damals 7 Wochen Mauretanien brauchen wir nicht noch mehr Hammel.

Wir fuhren deswegen nach Saint Louis hinein, eine Stadt im Norden Senegals, in der uns vor fast 1,5 Jahren der senegalesische Kulturschock traf und wo wir uns damals eine Woche Zeit nahmen, um anzukommen. Deswegen wussten wir, wo die Konditorei ist, die auf ihren Cappuccino statt Milchschaum echte Konditorsahne auftürmt, wo das französische Ehepaar einen Asia-Imbiss betreibt und wo es leckere Apfeltaschen gibt. Ramadan war zwar offiziell vorbei, denn am Vortag wurde Eid Mubarak gefeiert, aber die Senegalesen lagen wohl alle im Fresskoma oder machten „Brückentag“: fast nur Läden, Restaurants und Cafés von Ausländern hatten geöffnet. Wir gönnten uns den Luxus-Cappuccino, nahmen bei den Franzosen gebratene Asianudeln fürs Abendessen mit und füllten im Supermarkt Dosenfraß auf.

Die Nacht verbrachten wir an der Grenze, umringt von Talibés (von Koranschulen zum Betteln gezwungene Kinder, mehr zum Beispiel hier: „Betteln und Beten: Talibé im Senegal„), sodass wir uns hinter geschlossenen Vorhängen im Bus verbarrikadieren mussten, um unsere Ruhe zu haben. Senegal ist einfach toll und so herrlich entspannend. Nicht. Gar nicht. Am nächsten Morgen waren wir unter den ersten am Grenzschalter. Der Ausreisestempel aus dem Senegal brachte unsere Herzen kurz zum Hüpfen, dann kam gleich wieder ein Schlag ins Gesicht. Wir wussten, dass man auf mauretanischer Seite sofort mauretanische Währung braucht, um zum Beispiel den Eintritt für den Nationalpark zu bezahlen, der direkt an den Grenzposten anschließt. Es gibt an der Grenze auf senegalesischer Seite natürlich Geldwechsler, denn die wissen das auch und weil es Senegalesen sind und die ja… vorsichtig formuliert, meist Schlitzohren sind, wollte der Typ uns die alte mauretanische Währung andrehen, einen falschen Wechselkurs verkaufen und eine 20er Münze für einen 200er Wert vorgaukeln. Wir kennen den Lug und Betrug der Senegalesen und die Währung Mauretaniens und haben letztendlich gültige Scheine zum echten Wechselkurs bekommen, aber dieser Typ war nochmal der letzte Tritt in den Allerwertesten, um aus dem Land zu fliehen. Buchstäblich.

Auf der anderen Seite des Flusses, auf mauretanischer Seite, fiel es schwer, wieder auf das Gute im Menschen zu vertrauen. Am Schalter bat mich ein ebenfalls wartender Mauretanier (erkennbar am blauen Umhang und Shech um den Kopf) um meinen Pass. Nach einer Woche Senegal war ich allerdings so auf Abwehr und Böswilligkeit programmiert, dass ich ihn mit „Nein, ich brauche keinen Fixer!“ abservierte. Der arme Mann schaute mich mit großen Augen an: „Ich bin kein Fixer, ich möchte Euch nur vorlassen!“. Eine Umstellung, wieder unter herzensguten und grundehrlichen Menschen zu sein. Menschen, die mit Strahleaugen winken, statt mit rotzfrechem Blick zu betteln, zu lügen und betrügen. Wir brauchten dringend einen Senegal-Cut.

Und der kam sofort. Um zur nächsten Asphaltstraße zu kommen, muss man rund 80km durch den Nationalpark auf einer ziemlich üblen Piste fahren. Mit den Motorrädern sind wir 2022 da einfach in kurzer Zeit drüber geflogen, mit Sunshine und seinen kleinen Rädchen geht das nicht. Und das war auch nicht von uns gewollt. Denn 2022 waren wir morgens in Nuakschott gestartet und mussten noch über die Grenze, sodass wir keine Zeit für den Nationalpark hatten. Diesmal wollten wir uns die Zeit nehmen, weil wir die Grenze schon frühmorgens erledigt hatten. Wir kamen in drei Stunden nur 25km weit, weil wir alle paar Meter anhalten „mussten“, um Tiere zu gucken. Wir entschieden, schon mittags einen Übernachtungsplatz zu suchen und den ganzen Tag im Nationalpark zu bleiben.

Der Diawling Nationalpark umfasst das Delta des Grenzflusses zum Senegal und ist bekannt für über 90 Arten Wasservögel. Wir sind ja nicht so die Vogel-Fans, aber jetzt, zum Ende der Trockenzeit (obwohl es die zwei Nächte zuvor geregnet hatte) war das riesige Überschwemmungsgebiet bis auf nur wenige kleine Tümpel ausgetrocknet und wir konnten so auf kleinster Fläche eine maximale Masse Vögel beobachten: Pelikane, Störche, Flamingos, Reiher und eine riesige Menge anderer Vögel. Wir wissen ja, dass schon viele Störche in Bulgarien angekommen sind, aber auch die gab es hier noch. Der Nationalpark ist ein riesiges Rückzugsgebiet für unsere Zugvögel aus Europa.

Am meisten Spaß hatten wir aber an den Warzenschweinen, die vor uns und Sunshine über die Piste liefen, sich im Schlamm badeten oder darin nach Fressen buddelten. Warzenschwein-Familien mit Jungen im Schlepptau, die wie Mama und Papa Warzenschwein mit steil nach oben gerecktem Schwanz herumtrabten. Nach Senegal fühlte sich Mauretanien an wie eine doppelte Beruhigungstablette: keine Menschen (und wenn, sehr freundlich und vor allem absolut vertrauenswürdig und grundehrlich), ganz viel Platz und nur Ruhe. Wir lagen abends in Sunshine und fühlten, wie in uns das wohlige Gefühl des Seelenbalsams aufstieg. Warm und weich, beruhigend und entspannend.

Wir waren endlich wieder zurück im „Land der blauen Männer“, wie für uns Mauretanien heißt, weil dort Männer blaue Umhänge und Chechs tragen (das sind diese Tücher um den Kopf, die Ihr bestimmt vom Logo der Rallye Dakar kennt). Wer keinen blauen Umhang oder andere traditionelle Kleidung trägt, ist mit größter Wahrscheinlichkeit Senegalese, denn Mauretanien beschäftigt diese als Gastarbeiter für harte Arbeiten wie zum Beispiel dem Baugewerbe. Mauretanier sind Nomaden der Wüste, weswegen (fast) ausschließlich Senegalesen der Wolof mit ihren für diese Ethnie so typischen bunten Holzbooten in Mauretanien fischen. Als Reisender in Mauretanien sollte man das wissen und grundsätzlich „blauen Männern“ vertrauen. Die Reiseszene ist voll von Negativbeispielen, die durch „nicht blaue Männer“ entstanden.

Wir frühstückten gemütlich mitten im lauten Vogelgezwitscher und rumpelten dann mit Sunshine weiter über die Piste zum Ausgang des Nationalparks. Es war super staubig und viel Verkehr unterwegs, sodass unsere Putzaktion vom Lac Rose schon bald buchstäblich im Staub versank. Aber wir sahen auch viele senegalesische Kennzeichen im Gegenverkehr, die alle auf dem Weg zur klitzekleinen Grenzstation im Nationalpark waren, weil die große Grenze, über die der gesamte LKW-Verkehr rollt, als die korrupteste Grenze Afrikas gilt. In welches Land geht’s da nochmal? Richtig: Senegal. Genug Hass, wie schon drei Mal zuvor haben wir nun ein viertes Mal beschlossen, da nie wieder hinzufahren.

Wir taten dann, was der durchschnittliche „Westküste-Overlander“ so tut: so viele Kilometer am Tag fahren, wie möglich. Beim letzten Mal sind wir sieben Wochen im Land gereist und Mauretanien hat sich dabei Tag für Tag tiefer in unsere Herzen eingegraben. Wir konnten nie verstehen, warum uns jeder erklärte, Mauretanien sei langweilig, hässlich, nur Sand, es gäbe „nichts“ und man bräuchte maximal drei Tage und das sei schon zu lange. Nun verstanden wir, denn wir fuhren schnurgerade die Küste entlang, an Nuakschott und dem einige Kilometer von der Stadt entfernten im Nirgendwo liegenden, beliebten Overlander-Campinglatz vorbei und sahen tatsächlich „nur Sand“. Tja, da verpassen die Leute ein Traumland schlechthin! Aber gut, die Massen müssen ja recht haben, oder? Jetzt wissen wir es auch: Mauretanien ist keine drei Tage Fahrt wert. Oh Mann…

Der Tag war unglaublich heiß. Über 40°C und extremer Harmattan, der als heißer Wüstenwind Sand und Staub mit sich bringt, alles aufheizt, versandet und die Sicht nimmt. Der Flugverkehr muss deswegen nicht selten eingestellt werden und auch wir auf der Straße sahen manchmal nicht wirklich weiter als in einem westeuropäischen, herbstlichen Morgennebel. Sunshine mit seinen großen Fensterflächen heizte sich natürlich extrem auf, sodass auch unsere Handys im Schatten den Betrieb einstellten und Jan auf dem Beifahrersitz zumindest ein Handy mit nassem Toilettenpapier konstant bei Betriebstemperatur hielt, um navigieren zu können. Da wir nach Norden fahren, saß ich auf dem Fahrersitz ab mittags die heißeste Tageszeit auf der Sonnenseite und versuchte, mit nassem Handtuch und nassem Kopftuch die Körpertemperatur zu regulieren.

Harmattan: wie Sie sehen, sehen Sie nichts.

Kurz vor Sonnenuntergang hielten wir nach über 500km an einem Truckstop und parkten so, dass der kühlende Wind über Nacht durch sperrangelweit geöffnete Fenster und Schiebetür auf uns in zum Kühlen durchnässten T-Shirts pusten konnte. Wir waren in Mauretanien, da ist es so sicher, dass das problemlos geht und man keine Angst haben muss, nachts im Schlaf ausgeraubt zu werden. Um uns herum brummelten LKW, ein Kühlaggregat lief, der Stromgenerator des Dorfes lief für ein paar Stunden und wir kuschelten uns ins Bett und erinnerten uns wohlig an unsere diversen Russland-Durchquerungen mit unserem VW T4 „Kittymobil“, während derer wir immer auf Truckstops übernachtet haben. Fühlte sich fast nach „zuhause“ an…

Aufgrund der Hitze fuhren wir zu Sonnenaufgang los und kamen um 9:30 bei Victor an, der schon vom Buschfunk erfahren hatte, dass wir mit einem gelben Sonnenschein durch Mauretanien kommen würden und uns sofort eine WhatsApp geschrieben hatte. Wir hätten ihn sowieso besucht, aber so war’s noch schöner. Dort standen wir zwei Nächte lang mit offenen Hecktüren am Meer und merkten, wie sehr wir das Leben im VW-Bus vermissten. Vielleicht kaufen wir doch wieder einen, allerdings nicht für Europa oder Marokko, wo die „weiße Pest“ das Leben der Einheimischen zur Hölle macht und die Stimmung für uns, die wir schon im Fahrzeug gelebt haben, bevor die Massen anfingen, „Vanlife“ zu entdecken, seit Jahren umgeschlagen ist, wie wir selbst in Skandinavien erleben mussten.

Victor nahm mich mit seinem Boot mit auf eine Sandbank voll Flamingos und Pelikane im Nationalpark, seine neue Angestellte kochte leckeren Fisch für uns und drei andere Reisende und als die weg waren, hatten wir zu dritt viel Spaß. Wir saßen in Sunshine, beobachteten Delfine und Vögel vom Sofa-Bett aus und lachten heimlich über die hoch aufgerüsteten 4×4 Sprinter, die nicht mal so weit die Westküste entlang fahren wie „unser“ 47 Jahre alter Sunshine LT28 gefahren ist. Sunshine hat 500€ gekostet, diese Allradbusse ein unendliches Vielfaches davon und doch kommt Sunshine weiter, denn er hat zum Beispiel keine – Achtung – Zwillingsbereifung wie einer der hoch aufgerüsteten 4×4 Vans. Kann man alles machen. Ist nur nicht alles wirklich sinnvoll.

Mauretanien hat uns sehr gutgetan. Als wir im Januar 2023 nach sieben Wochen in den Senegal ausgereist sind, waren wir unglaublich traurig, weil wir der Meinung waren, lange nicht mehr zurückzukommen. Wir haben im fernen Südosten des Landes zwar noch eine Art „Rechnung offen“, aber dafür brauchen wir ein anderes Fahrzeug. Das ist mit den Motorrädern nicht machbar, weil wir für die Strecke einfach nicht genug Benzin und Wasser transportieren können. Jetzt sind wir doch nochmal anders wiedergekommen und hatten eine wunderschöne Zeit im „Land der blauen Männer“ mit all seiner Weite, Freundlichkeit und Ruhe.

Wir sind mittlerweile in der Westsahara in Marokko und genießen die europäisch anmutende Infrastruktur. Für uns ist Marokko nicht wirklich „Afrika“. Das beginnt für uns eigentlich erst ab dem Senegal mit Mauretanien als liebenswerter Übergangszone. In Dakhla in der „Zivilisation“ angekommen, haben wir alle drei erstmal eine Beautykur genossen, um „zivilisationsfein“ zu sein und nicht mehr wie staubige Wüstenfüchse auszusehen – und uns auch so zu fühlen: Sunshine wurde in der Autowäsche in einen glänzenden Oldtimer verwandelt, Jan war im öffentlichen Badehaus ausgiebig duschen, ich habe mich im öffentlichen Hamam so kräftig abschrubben lassen, dass die grauen Hautfetzen flogen und eine Wäscherei hat 4,7kg staubige Bettwäsche und Haushaltstextilien in einen duftenden, ordentlich gefalteten Stapel sauberer Wäsche verzaubert.

Nun rollen wir gemütlich immer gen Norden und freuen uns daran, dass die Nächte kühler werden. Wann wir in Holland ankommen? Das wissen wir nicht. Das entscheiden wir je nach Lust, Laune und Wetter.

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