Kaum in der Elfenbeinküste, schon ein Highlight: wir bekamen die Möglichkeit, bei einer animistischen Zeremonie der Dan Volksgruppe im Norden des Landes dabei zu sein. Zwischen gruselig und „wow“!
Die Fahrt von Liberia zur Elfenbeinküste bedeutete wieder viel Staub, aber natürlich auch viel Fahrspaß, denn wir mögen solche Pisten! Es gibt zwischen Liberia und der Elfenbeinküste keinen einzigen asphaltierten Grenzübergang, aber schon nach 25km auf Seite der Elfenbeinküste rollten wir auf Asphalt dahin. Was uns sofort ins Auge fiel: Bäckereien mit leckerem Angebot und Supermärkte. Auf den 70km, die wir bis zum Etappenziel Man fuhren, sahen wir mehr Supermärkte als in den letzten drei Monaten zusammen.
In der Unterkunft wartete schon Michael, ein deutscher Motorradreisender, den wir vor zwei Jahren in Bulgarien kennengelernt hatten. Und weiterer Luxus: es gibt rund um die Uhr Strom aus der Steckdose (und nicht vom lärmenden Generator) und sogar Warmwasser! Auch das hatten wir in den letzten drei Monaten selten. Das mit der kalten Dusche ist für uns weniger problematisch als das mit dem Strom: irgendwann sind Handy, Kamera und Laptop einfach leer und nicht immer parken die Motorräder so, dass wir über die Motorradbatterie laden können. Unsere Motorradbatterien sind stark genug, aber wer möchte schon stundenlang neben dem Motorrad sitzen und auf den Laptop aufpassen? Für uns fühlt sich Elfenbeinküste bisher nach Luxus an.
So richtig Luxus mit asphaltierten Straßen. Nach Gesprächen mit Einheimischen und Expats vor Ort verwarfen wir unsere ursprünglich geplante Route wegen Problemen mit Dschihadismus und dessen terroristischen Auswüchsen (der Islam ist echt ein riesiges Problem für Afrika…).
Die noch verbleibende Route, so erfuhren wir, führe ausschließlich über asphaltierte Straßen. Das Signal für uns, die Luftfilter zu tauschen und alles zu waschen: Motorräder, Gepäck, Helme, Stiefel, Motorradklamotten in die Reinigung… Nach fast drei Monaten Staub und Dreck (die hohe Luftfeuchtigkeit führt zu einem Verkleben des Staubs überall!), freuen wir uns schon ein bisschen darauf. Andererseits geht natürlich auch ein großer Tel Fahrspaß verloren.
Die Dame des Hauses (unserer Unterkunft) kochte jeden Abend ohne Huhn und Palmöl und auch das fühlte sich nach Luxus an. Doch ganz so toll präsentiert sich die Elfenbeinküste nicht auf ganzer Linie für uns. Nachdem wir weder in Guinea-Bissau, noch in Liberia und Sierra Leone auch nur ein einziges Mal beschissen worden sind, ging es hier gleich wieder damit los: die Motorradwäsche kostet 1000 CFA, doch wir sollten 2000 zahlen. Die Simkarte kostet eigentlich 500 CFA, für uns plötzlich 2000 CFA. Wir sind gespannt, ob wir wie in Guinea trotz genialer Landschaft das Land fluchtartig verlassen, weil wir die Menschen nicht mehr ertragen, oder ob das nur Einzelfälle waren.
Man war eines der blutigsten Zentren des Bürgerkrieges 2002-2007, während dem der muslimische Norden gegen den christlichen Süden kämpfte und Rebellen riesige Massaker verübten. Weil die Landschaft hier so paradiesisch schön ist (Tropenwald mit Granitfelsen), wurden die Kämpfe um Man als „Krieg im Paradies“ betitelt. Wir sind zur falschen Jahreszeit hier, um die wahre Schönheit des Paradieses zu sehen. Derzeit bläst ein extrem starker Harmattan (Sahara-Staubwind), die Luft ist heiß, trocken und staubig und die Fernsicht gleich Null. Theoretisch hätten wir von der Sitzecke unserer Unterkunft einen tollen Blick auf einen Berg, aber obwohl der fast auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt, ist er nicht klar zu erkennen. Ich kenne solche Wetterlagen von den Kapverden. Dort heißt der Harmattan „bruma seca“ (trockener Nebel) und legt regelmäßig den gesamten Flugverkehr des Landes lahm.
Eigentlich wollten wir ja schon kurz nach Silvester hier sein, aber die Benzinkrise in Guinea veränderte unsere Pläne und wir sind erst jetzt hier. Ich war schon Wochen vor der ursprünglich geplanten Einreise mit einem Guide, Bamba, in Kontakt, der uns Bescheid sagen sollte, wenn es irgendwo in der Umgebung Stelzentanz oder eine animistische Maskenzeremonie gibt. Ein paar Tage vor Ankunft schrieb er: am Dienstag im Nachbardorf meines Heimatdorfes! Er sei auch schon in Kontakt mit drei weiteren Interessenten und letztendlich teilten wir uns mit einem Franzosen und seinen beiden erwachsenen Töchtern Auto, Guide und Kosten. Perfekt!
Bamba ist ein echter Profi, Reiseleiter seit über 30 Jahren. Ich genoss es sehr, einen so tollen „Kollegen“ gebucht zu haben. Durch ihn lernten wir an dem Tag so viel mehr, als wir es uns hätten anlesen können. Ich als ehemaliger Reiseleiter weiß, welchen Mehrwert solche Guides haben können und ertrage dumme Diskussionen mit anderen Reisenden schlecht, die in Guides nur lästige Kostenfaktoren sehen. Hier kostet ein solcher Profi wie Bamba 30€ (plus verdientes Trinkgeld!) am Tag, in Guinea hat unser Wanderguide nur 20€ gekostet. Peinlich, wie Reisende mit super teuren Reisefahrzeugen über solche Kosten jammern… Wir jedenfalls sogen das ganze Wissen auf, was wir von Bamba in diesen 12 Stunden vermittelt bekamen.
Nach einer langen Fahrt (eigentlich nur 104km, aber mit zahlreichen Stopps für Erklärungen etc.) kamen wir im Nachbardorf des Dorfes an, in dem Bamba aufgewachsen ist. Als er 1973 eingeschult wurde, musste er in die nächstgelegene Stadt zur Schule, heute gibt es Dorfschulen: einfach aus Bambus gebaut, schattig und luftig zugleich, ermöglichen solche Dorfschulen mehr Kindern eine Schulbildung. In der Elfenbeinküste lernen die Kinder Französisch als erste Fremdsprache und Englisch als zweite Fremdsprache. Selbst Bamba, der schon Schulkind war, bevor ich überhaupt geboren wurde, hat schon Englisch gelernt. Gut für Jan, der in ehemaligen französischen Kolonien wenig kommunizieren kann.
Auf dem Weg ins Dorf kam uns eine Gruppe singender und klatschender Kinder entgegen. Eine Frau, mit Kreide im Gesicht weiß eingerieben, lief tanzend, singend und klatschend vorneweg: eine Taufe hatte gerade stattgefunden. Jungs werden am dritten Tag ihres Lebens getauft, Mädchen am vierten Tag. An dem Tag soll ein Junge getauft worden sein, den Täufling bekamen wir aber nicht zu sehen.
Auf dem Dorfplatz war die Zeremonie schon im Gange. Der Dorfchef begrüßte uns und führte uns zu den weiteren Dorfvorstehern. Die Dörfer sind in (mini kleine) „Viertel“ (hier: Familien / Clans) aufgeteilt und jedes „Viertel“ hat seinen „Ältesten“. Diese Dorfältesten saßen alle aufgereiht auf Plastikstühlen und begrüßten uns alle persönlich mit einem herzlichen Lächeln und Händedruck. Wir fühlten uns willkommen. Die Frauen des Dorfes (sortiert in Reihen nach Jahr der Eheschließung) sangen, tanzten und klatschten, Männer trommelten. Als wir unsere zugewiesenen Plätze einnahmen, waren gerade die Männer an der Reihe. Das Volk der Dan (wie so ziemlich alle mir bekannten afrikanischen Völker) praktiziert die Tradition der Initiierung. Dazu gehen die Jungs, die von ihren Eltern im Alter zwischen 14 und 18 Jahren als reif genug erachtet werden, eine Woche lang in den „secret forest“, ein Waldstück am Rande eines jeden Dorfes, das niemals von Frauen oder Ortsfremden betreten werden darf. In diesem „secret forest“ hausen nicht nur die Geister der Ahnen, sondern auch beschützende Geister. Werden diese durch Unbefugte (z.B. Overlander beim Wildcamping) gestört, bringt das Unglück über das gesamte Dorf. Ein riesiges Problem, weswegen Bamba uns als allererstes das Waldstück zeigte. Nicht, dass jemand von uns da aus Versehen einen Blick hinein riskiert oder gar hineinläuft…
Während der sechs Tage im „secret forest“ werden die Jungs zu Erwachsenen. Im Geheimen wird ihnen alles beigebracht, was sie zum Leben wissen müssen: Kräuterkunde, Tänze, alles rund um den animistischen Glauben und die Geisterwelt, Gesellschaftsordnung etc. Am siebten Tag kommen die Jungs wieder aus dem Wald und werden in einer feierlichen Zeremonie zu Erwachsenen ernannt. Bis zur nächsten Generation zeigt diese Gruppe „frischer Erwachsener“ bei Zeremonien ihre Stärke: wir sahen Flickflacks, Salti, Handstandüberschläge etc. von jungen Männern mit wirklich schönen Körpern. Der „Jahrgangsbeste“ trägt Röckchen, Körperbemalung und Schellen an den Füßen und zeigt einen speziellen Tanz. In unserem Fall war es einer der ersten Auftritte des Jungen (Pardon: Erwachsenen) und ein älterer Mann half ihm, sich richtig zu bewegen. Der „neue Erwachsene“ nahm seine Rolle sehr ernst.
Dann folgte „die schönste Frau des Dorfes“. Ich hatte im Vorfeld gelesen, dass es oft nicht wirklich eine schöne Frau, sondern eher eine gute Tänzerin sei, aber die Beauty Queen dieses Dorfes fanden wir beide richtig hübsch. Auch sie trug Körperbemalung und tanze einen speziellen Tanz, jedoch sehr souverän und anmutig im Vergleich zu ihrem männlichen Vorgänger.
Dann kam der etwas gruselige Part der Zeremonie. Das Volk der Dan glaubt, dass man nicht direkt zu Gott sprechen darf, sondern dass man dazu einen Vermittler braucht. Dieser Vermittler ist „die Maske“ und ein Zwischenwesen aus Mensch und Geist. Um dieses Wesen gütig zu stimmen, muss man ab und zu ein Tier opfern. Keine Nutztiere wie in anderen Religionen zum Beispiel ein Schaf, sondern ein Hund. Das sei ein größeres Opfer als ein Schaf. „Die Maske“ erscheint bei Zeremonien aus dem „secret forest“ heraus und wird von einem „Diener“ begleitet. Der Diener hört sich die Sorgen und Wünsche der Dörfler an und trägt sie der Maske vor. Man muss sich das so vorstellen: jemand formuliert eine Bitte dem Diener gegenüber aus, der neben der Maske steht und dann den exakt gleichen Wortlaut der Maske gegenüber wiederholt. Niemand darf während dieser „Konversation“ Schuhe tragen. Die Maske sagt kein Wort (sie ist schließlich das höchste Wesen auf Erden) und macht zu Trommelmusik fuchtelnde Bewegungen. Am Ende der Zeremonie verschwinden Maske und Diener im Secret Forest wo die Bitten dann von der Maske an die Geister weitergegeben werden.
Der Schluss der Zeremonie ist der „Auftritt“ des „Stelzenmannes“. Auch er kommt aus dem „secret forest“ heraus, auch er ist ein Zwischenwesen zwischen Geist und Mensch. Er ist Schlichter und Friedenstifter und setzt den symbolischen Punkt an die Zeremonie und Streitigkeiten. Als Beweis dafür, dass er zwischen Mensch und Geist steht, „schwebt er über den Dingen“ und läuft auf Stelzen. Mit einem „Wirbeltanz“, bei dem er sich auf nur einer Stelze wild um die eigene Achse über den gesamten Dorfplatz dreht, beweist er, dass er „übermenschlich“ ist. Er löst quasi Streitigkeiten in Luft auf bei seiner Wirbelwind-Aktion. Auch er hat kein Gesicht. Statt Maske trägt er „Stelzenmann“ eine Art dick aus Raffia gewebte schwarze Sturmhaube (allerdings ohne Augenlöcher) und eine Kapuze darüber, sodass er gruselig aussieht wie ein Geist oder in unserer westlichen Symbolik schon ähnlich dem Sensemann.
Der wilde Tanz des Stelzenmanns (schaut Euch das Video an!) war für uns der Höhepunkt der Zeremonie. Einerseits faszinierend, wie der „Stelzenmann“ über den Platz wirbelt, andererseits hatten wir auch ein wenig Angst, dass jemand ein Stelzenbein übergezogen bekommt oder der Stelzenmann bei seinem wilden Treiben und Straucheln gerät und sich verletzt. Deswegen wird die Aktion von jungen Männern begleitet, die aufpassen. Aber natürlich passiert nichts, das wäre ja menschlich und der Stelzenmann ist ja schließlich kein Mensch.
An Ende der Zeremonie laufen die Maske und der Stelzenmann zurück in den „secret forest“, begleitet von den singenden und klatschenden Frauen des Dorfes. Die Zeremonie war vorbei und wir stiegen ins Auto und machten uns auf den Rückweg. Es fühlte sich komisch an. Wir hatten den Nachmittag in einer ziemlich archaischen Welt verbracht in einem Dorf, in dem es nicht ein einziges Auto. In einer von uralten Traditionen und Bräuchen geprägten Gesellschaft und einem Dorf, in dem die Menschen bis heute nach Geschlechtern getrennt in runden Lehmhäusern leben und ihre Toten daneben begraben, bis das tropische Klima sie binnen eines Jahres zurück zu Erde verwandelt und der Geist sich in den „secret forest“ verzogen hat.
Wir fuhren, begleitet von einem dieser typisch afrikanischen, wunderschönen Sonnenuntergänge über paradiesischer Landschaft begleitet zurück in die Stadt, die zwar nur 100km weit weg, aber gefühlt Lichtjahre entfernt ist. Auch in der Elfenbeinküste existieren Parallelwelten und die Menschen bewegen sich mit größter Selbstverständlichkeit von einer zur anderen Welt. Ich habe mich teilweise wie in alten Dias meines Großonkels gefühlt, der seitdem ich denken kann die Welt bereist hat und uns nach jeder Reise seine Dias mit der „Schlafmaschine“ vorgeführt hat. „Schlafmaschine“ deshalb, weil wir Kinder während der Dia-Abende, die natürlich immer spät im Dunkeln stattfanden, einschliefen. Er ist „schuld“ an meinem heutigen Nomadenleben, denn er säte mit den Bildern und Erzählungen der für mich damals unvorstellbar fremden Kulturen das Fernweh in mir, das sich mit jedem weiteren Lebensjahr und Dia-Abend zu großer „Wanderlust“ verschlimmerte. Ich saß mitten in seinen Dias, der Stelzenmann wirbelte herum und ich erinnerte mich an die Maske als Dekoration im Treppenhaus meines Großonkels. Diesen Monat sind Jan und ich seit sechs Jahren unterwegs und ernten die Saat, die Onkel Klaus vor über 40 Jahren in mir säte.
Es war ein langer, ereignisreicher Tag. Ziemlich staubig, müde und voller Eindrücke kamen wir in unserer Unterkunft an, wo wir schon mit Abendessen (immer noch weder Huhn noch Palmöl) erwartet wurden. Die Maske und der gesichtslose Stelzenmann blieben Gott sei Dank unseren Träumen fern und so konnten wir am nächsten Morgen zum „Dent de Man“ laufen, einem herauserodierten Vulkanschlot und Wahrzeichen der Stadt. Leider bei dem ganzen Staub in der Luft nicht ganz so spektakuläre Aussicht, aber trotzdem schön!
Wir planen gerade neu, da dank der Dschihadisten derzeit für uns etwa ¼ des Landes nicht bereisbar ist. Aber wir werden andere schöne Ecken in der Elfenbeinküste finden! Bis wir einen Plan haben, schaut Euch doch an, wie wir in Guinea Elefanten gesehen haben und mit ihnen spazieren waren und warum wir dann doch froh waren, nach 5 Wochen das Land auch wieder zu verlassen:
https://youtu.be/ukpkjczfScs?feature=shared
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