Wir lieben die Wüste. Und jedes Mal verzaubert sie uns. Diesmal war es ganz besonders zauberhaft, denn obwohl wir schon in über 15 Wüsten waren, haben wir in der weißen Wüste Dinge gesehen, die wirklich einzigartig magisch sind…
Wer in die weiße Wüste Ägyptens will, muss eine Tour buchen. Nicht, weil man das passende Fahrzeug gerade nicht dabeihat, sondern aus Sicherheitsgründen. Offiziell dürfen Ausländer in die Region im Westen des Landes nicht auf eigene Faust reisen, weil es dort viel Schmugglerverkehr und illegale Aktivitäten zwischen Libyen und Ägypten gibt. Damit Touristenfahrzeuge nicht mit Terroristen oder Schmugglerfahrzeugen verwechselt werden, muss man auf festgelegten Routen bleiben und in einer bestimmten Region campen. Da steht wirklich ein „Camping“ Schild mitten in der Wüste.
Zunächst ging es per Minibus fünf Stunden gen Westen, nach einem Mittagessen mit zwei Italienern, einem Kurden und einer Amerikanerin mit einem uralten Landcruiser los in die Wüste. Erster Stopp: schwarze Wüste. Naja. Sieht da halt aus wie jede andere langweilige Wüste, in der schwarze Steine oder von Wüstenlack schwarz gewordene Steine herumliegen. Für uns nicht wert, wirklich auszusteigen, aber unsere vier Mitreisenden waren Wüsten-Neulinge und fanden es richtig toll. Wir fanden es vor allem richtig heiß, denn bei über 40 Grad in der Wüste mit schwarzen Steinen und ohne Klimaanlage oder Schatten ist es wie im Backofen bei Ober- und Unterhitze. Und Jan litt in Barfußschuhen zusätzlich. Nicht immer sind Barfußschuhe also gesund!
Der zweite Stopp war eine Kameltränke, die als „Quelle zum erfrischenden Bad“ angepriesen wurde. Wir saßen im Schatten, tranken Tee und beobachteten voll Überraschung, dass sich manche Damen tatsächlich ihre Strandkleider (in Tigerlilli- und Leolook!) warfen, um an der Kameltränke eine gute Figur abzugeben. Diese Damen gehörten allerdings nicht in unsere kleine Gruppe, mit der wir uns super verstanden.
Und dann ging es endlich, endlich zum ersten großen Highlight: dem Kristallberg. Der „Kristallberg“ wurde zufällig bei Straßenbauarbeiten entdeckt und ist eigentlich ein „Kristallgewölbe“. Vor Jahrmillionen Jahren, in der Kreidezeit (damals gab‘s die Dinosaurier), löste heißes Wasser aus dem umliegenden Kalkstein Mineralien heraus, die dann im Hohlraum des Gewölbes zu Kristallen aus Schwerspat (Baryt) und Kalkspat (Calcit) wuchsen. Heute ist dieses Gewölbe zusammengebrochen und man kann an den Bruchstellen überall die Kristalle funkeln sehen. Für mich als Dipl. Geo. ein Paradies!
Die Kristalle sind überall! Sie stehen als dicke Bündel im Sand, liegen als Bruchstücke überall herum und glitzern im Felsen in der Sonne. Wenn es nicht so heiß gewesen wäre und unser Fahrer nicht zur Weiterfahrt gemahnt hätte, ich wäre ewig von Kristallschatz zu Kristallschatz gehüpft, um hinter jedem Felsen neues Glitzern entdecken zu können.
Aus uns völlig unerklärlichen Gründen fahren Afrikaner (und da ist es egal, ob Mauretanien oder Ägypten) mit ihren Allradfahrzeugen grundsätzlich im Zweiradantrieb. Damit sich eine mit sieben Erwachsenen besetzte Kiste im Sand nicht einsandelt, muss man in einem Tempo fahren, das alles andere als sicher und touristenfreundlich ist. Unser Fahrer hatte ein Tempo, bei dem sich der uralte Landcruiser in Kurven gefährlich aufschaukelte und es still im Auto wurde. Unsere Mitreisenden konnten als Neulinge nicht einschätzen, ob das in der Wüste so sein muss oder ob das Unvermögen des Fahrers war. Prompt sandelte der Fahrer die Kiste ein – und statt endlich den Allrad zuzuschalten, stieg er aus, und schaltete die Differentialsperre rein. Sinnbefreit fuhren wir weiter mit 2WD statt 4WD und es kam immer wieder zu Fahrmanoevern, die alles andere mit Können und sicherem Fahren in der Wüste zu tun hatten.
Wir hielten an einem steilen Dünenhang mit atemberaubender Aussicht: unter uns lag ein sandfarbenes Tal, aus dem helle Felsen „wuchsen“: unglaublich schön! Da man in der weißen Wüste ja aus Sicherheitsgründen (und weil’s da halt auch wirklich besonders schön ist) auf bestimmten Routen unterwegs ist, fuhr während wir noch fotografierten, ein anderer Touristen-4×4 den Dünenhang herunter. Am Fuße der Düne ging es wegen eines Felsens scharf rechts und wir wurden Zeuge davon, wie der Fahrer dort mit wirklich quietschenden Reifen und gefährlicher Schräglage das Auto noch retten konnte und die Touristen schrien.
Unsere kleine Reisegruppe beriet sich und Jan bat den Fahrer, langsam zu fahren. Statt dann den Allrad zuzuschalten, versuchte der Mann den Steilhang im Tiefsand langsam herunter zu fahren. Wer sich ein wenig mit Fahrphysik auskennt, der weiß: bei Frontantrieb überholt bei diesem Fahrfehler das Heck. Entweder gebe ich Gas oder schalte den Allrad ein. Nichts passierte und wir rutschten quer hin und her. Ich hatte echt die Hasskappe auf, denn dieses mangelhafte Fahrkönnen war ein echtes Sicherheitsrisiko. Aber was kann frau schon fahrtechnisch wissen? Nichts, also blieb es dabei: er fuhr in der Ebene immerhin langsamer, aber weiterhin nur mit 2WD.
Der nächste Programmpunkt war Sandboarding. Dabei rutscht man mit einem abgewandelten Snowboard eine Düne herunter – und muss auch wieder hoch laufen. Ich habe das früher (ohne Witz!) beruflich gemacht (in der Oase Huacachina in Peru als Reiseleiter) und haben dem Rest der Gruppe den Spaß gegönnt – die Düne hochzulaufen ist ein Preis, der erst nach dem Spaß berechnet wird.
20 Wüstenkilometer später kamen wir zum „Zentrum“ der weißen Wüste: da, wo blendend weiße Felsen aus Kalkstein in bizarren Formen in der Landschaft herumstehen. Je nach dem, wo man gerade ist, ähneln die Felsformationen riesigen Pilzen, manchmal aber auch nur lustigen Knubbeln, die aus dem Boden sprießen, an anderen Stellen ist das weiße Gestein wie riesige Wellen oder kleine Dünen geformt.
Die Sonne stand tief, sodass das Licht ideal war, um die unterschiedlichsten weißen Gebilde zu bewundern. Inmitten des Zaubers standen, gut getarnt weil aus weißem Canvas, mit großem Abstand zueinander ein paar Zelte: der „Campingplatz“. Alle Touristengruppen fuhren zu ihrem Zelt und schlugen ihr Lager auf. Allerdings ganz ohne „europäisches Kuschelcamping“: man konnte die Fahrzeuge zwar als kleine Punkte überall sehen, aber nicht hören. So konnte jeder die Stille der Wüste genießen – oder erst kennenlernen.
Ich streifte umher, ließ mich vom Zauber der Wüste fangen und wie die weißen Wellen aus Kalkstein schwappte ein Glücksgefühl in mir: die Wüste ist meine Landschaft. Die Landschaft, die ich liebe, die Landschaft, die ich unter anderem studiert habe und die Landschaft, über die ich mich rund um die Diplomprüfung spezialisiert habe. In ihr herumzustreunern und in ihr zu lesen, sie anzuschauen und zu wissen, warum was wie aussieht, wie was wann entstanden ist, die fehlenden Puzzleteilchen in Form von Mineralien oder Fossilien zu suchen, immer den Blick auf den Boden und „Schätze“ findend. Schwer, dann nicht mit Hosentaschen voll Funden, die die Wüste erklären, zurück zum Rest der Gruppe zu kommen, um den Zauber zu erklären. Ich habe es auf das Wichtigste beschränkt. Nicht jeder liebt die Wüste wie ich, wie wir beide.
Wir saßen bis nach Mitternacht am Lagerfeuer und erzählten, wälzten politische Probleme, erfuhren, dass Deutschland „das schlimmste Essen der Welt“ hat (wenn man Italiener oder Türke ist, kann man da echt nur das Grauen bekommen), erzählten Reisegeschichten, tranken Tee und schauten Sternschnuppen. Für Jan und mich ein allabendliches Ritual in Bulgarien, für unsere Mitreisenden ein zusätzlicher, neuer Zauber.
Wir schleiften die Matten ein Stück vom Lagerfeuer entfernt und legten uns unterm unbeschreiblich klarem, typischen Wüsten-Sternenhimmel schlafen. Wir lagen mitten im Zauber der Wüste, umgeben von grellweißen Felsen und unter funkelnden Sternen weich im Sand und fühlten das Glück nur so in uns sprühen.
Nachts bekamen wir Besuch, verschliefen ihn aber: am nächsten Morgen entdeckte ich vier verschiedene Spuren von Katzentatzen rund um uns: Sandkatzen hatten nachgeschaut, wer diese Nacht bei ihnen zu Gast war. Dass es Sandkatzen waren, erfuhren wir erst zwei Tage später im Museum, denn das Tier kannten wir bisher noch nicht. Sandkatzen sind tolle Tiere, die sogar den alt-ägyptischen „Kajalstrich“ tragen!
Ich stand zum Sonnenaufgang auf und sah zu, wie das weiche Licht des frühen Morgens die weiße Wüste weckte, hörte das Flügelschlagen weniger Vögel über mir, folgte Katzentatzenspuren im Sand und sog die Wüte nochmal ganz in mich ein. Nach dem Frühstück ging es zurück nach Kairo. Zurück in die Stadt, weg vom Zauber und der Magie der Wüste. Wüste ist einfach immer wieder anders, immer wieder begeisternd, immer wieder traumhaft schön, immer wieder füllt sie unsere Herzen mit Glück.
Eigentlich wollten wir in Kairo einen Pausentag einlegen, aber das ist schwer, wenn die Stadt noch so viel zu bieten hat. Wir zogen also nach dem Frühstück wieder los. „Nur kurz durchs islamische Viertel“. Wir kamen erst am späten Nachmittag zurück. „Nur kurz“… Das „islamische Viertel“ oder „Alt Kairo“ ist ein von Stadtmauern umgebenes Viertel der Stadt, auf dem die zweitältesten Gebäude (nach denen im koptischen Viertel) stehen: imposante Stadttore, ein Gewirr aus Gassen und an gefühlt jeder Ecke eine Moschee, ein Palast, ein Mausoleum, eine Koranschule oder ein Wohnhaus mit typischen Holzfenstern.
Doch überall lauerte der beginnende Verfall und gefühlt war es vor 26 Jahren bei meinem ersten Besuch dort sauberer. Ein Vierteljahrhundert mehr Abgase und Vernachlässigung hatten an den Fassaden genagt, einige Gebäude waren noch krummer und windschiefer geworden oder ganz zusammengebrochen und mitsamt Polstermöbeln einfach wie ein Müllhaufen liegengelassen.
In den Fenstern einer Moschee flatterten lose Fetzen eines einstigen Vogelschutznetzes, an keiner einzigen Tür waren die metallenen, kunstvollen Beschläge sauber poliert wie in Tunesien, Marokko oder im Iran. Es ah ein wenig aus wie in einer Filmkulisse, die nicht mehr gebraucht wird, doch waren die Moscheen aktiv, Gläubige gingen ein und aus und sahen den Müll nicht, der sich in den Ecken der Treppenstufen sammelte. Schade!
Wir hatten den Rat angenommen, an einem Sonntagmorgen durch das Viertel zu laufen, denn so hatten viele Geschäfte geschlossen, es war recht wenig los und wir konnten uns auf die Gebäude konzentrieren und in Ruhe fotografieren. Wie quirlig es in einer islamischen Altstadt ist, wissen wir ja schon und so genossen wir die vergleichsweise entspannte Ruhe.
Spontan entschieden wir, noch „schnell“ zum Mohamad Ali Palast zu fahren. „Nur gucken“. Aber daraus wurde nichts, denn wir wurden direkt am Eingang angesprochen, ob wir uns als „Test-Touristen“ zur Verfügung stellen wollten. Eine Gruppe Tourismus-Schüler wollte erste Erfahrungen als Guide sammeln und durch den Palast führen. Natürlich machten wir mit, hatten aber Mühe, mit dem Sprechtempo unserer extrem nervösen und aufgeregten Schülerin mitzukommen.
Sie zeigte uns fast jedes Detail des Palasts und führte uns auch in Räumlichkeiten, die wir ohne sie niemals gefunden hätten. Sie war es auch, die uns zeigte, dass wir in der Wüste Besuch von der Sandkatze hatten: sie ist ausgestopftes Ausstellungsstück in der Jagdsammlung des Palastes. Wir streicheln Katzen lieber, als dass wir sie jagen, aber es sollen die Cousins des Prinzen gewesen sein, die auf Jagd gingen. Der Prinz selbst lebte eher wie wir – nur auf Luxusniveau.
Prinz Mohammad Ali hat sich diesen Palast nämlich als eine Art „travel base“ auf eine Insel im Nil bauen lassen. Die meiste Zeit seines Lebens war er auf Reisen, aber wenn er mal in Kairo auf Heimaturlaub war, hatte er mit dem Palast einen Ort für all die Mitbringsel seiner Reisen: Kunst und Mobiliar, ganze Einrichtungen aus Frankreich oder Syrien oder tropische Pflanzen für seinen wunderschönen Garten. Ganz so, wie wir es uns für uns auch vorstellen könnten! Nur vielleicht nicht ganz so prunkvoll!
Wir hatten für die folgende Woche einen Mietwagen reserviert und holten ihn am Flughafen ab. Ägypten ist als Backpacker gut machbar, solange man auf ausgetretenen Pfaden bleibt, aber wir biegen davon zu oft ab und fanden keine Möglichkeit, unsere nächsten Ziele mit ÖPNV oder organisierten Touren zu erreichen. Wir wollten nämlich schon wieder in die Wüste, allerdings diesmal in Kloster.
Das St. Antonius Kloster liegt isoliert in der Wüste in der Nähe des Roten Meers und wurde 361 n.Chr. gegründet. Damit ist es eines der (wenn nicht „das“) ältesten christlichen Klöster der Welt! Wir haben an der Pforte gefragt, ob uns jemand herumführen könne, und wurden einem alten Mönch vorgestellt, der in Englisch-Deutsch-Kauderwelsch alles rund ums Kloster und die koptische Kirche erklärt hat. Ein auf den ersten Blick alter Mann mit kugelrundem Bauch und langem Bart „Typ Nikolaus“, den wir beim Laufen stützen mussten. Auf dem zweiten Blick ein moderner Geist mit iPhone und GoPro, „Jerusalem 2016“ Tattoo unter der Kutte und wachen Ideen.
Während er uns im Kloster herumführte, klingelte sein iPhone. Er drückte den Anrufer weg, legte sein Holzkreuz auf das Display und lächelte verschmitzt als er sagte „now quiet“. Es hat danach tatsächlich nicht mehr geklingelt. 🙂 Weil er nicht mehr gut zu Fuß ist, schickte er uns in alle Ecken des Klosters, für die man keinen Schlüssel braucht und gab Anweisungen, wo wir hinsehen sollten und was es dort zu sehen gab. Den großen Korb zum Beispiel, in dem Menschen und Lebensmittel ins Kloster gehoben wurden, bevor es eine Pforte gab.
Nachdem er mit Jan über seine GoPro gefachsimpelt hat, durften wir noch aus der Klosterquelle trinken, bekamen mit Kugelschreiber ein heiliges Tattoo auf den Unterarm gemalt und ein Heiligenbildchen geschenkt. Das Selfie wollte er unbedingt von uns – er auf seinem iPhone und Jan musste dann auch noch eins machen. Wir haben jetzt seine WhatsApp Nummer und wurden von ihm im Anschluss zum Pilgeressen eingeladen.
Es gab Bohnen, Reis und herrliches Fladenbrot in der Klosterkantine. Bis heute leben 150 Mönche in der Abgeschiedenheit der Wüste, doch dank Handynetz (das es in Ägypten überall gibt, allerdings in Städten mit schlechten Übertragungsraten) sind die Mönche dort ganz offensichtlich nicht weltfremd und isoliert von der Welt. Das Weltliche und Geistliche liegt tatsächlich manchmal sehr nah beieinander. Ein cooler Mönch in einem zauberhaften Kloster! Wir sind immer noch ganz beseelt von der Begegnung. Ob das am Kugelschreiber-Tattoo liegt?
Dann wurde es kompliziert. Die Kopten waren in jüngster Vergangenheit Opfer von blutigen islamistischen Terroranschlägen mit viele Toten. Deswegen gibt es überall, wo Kopten sind, viel Polizei und Militär. Um zum Kloster zu fahren, mussten wir uns auch beim Militär registrieren. Wildcamping strengstens verboten und Hotels in der Wüste extrem rar.
Im nächsten Ort, 35km vom Kloster entfernt an der Küste, gab es ein kleines, etwas heruntergekommenes Hotel, doch als der Verantwortliche merkte, wir sind Touristen, verdoppelte sich der Preis. Muslimische Ägypter sind die nervigsten Halsabschneider, die ich kenne. Das war vor 26 Jahren schon so und ist es bis heute. Fast überall wird abgezockt, betrogen und gelogen. Beispiele gefällig? Im Laden werden die Preise für Getränke und Lebensmittel großzügig aufgerundet oder mitten im Bezahlvorgang der Scanner der modernen Kasse beiseitegelegt und Phantasiepreise eingetippt. Wechselgeld wird in vielen kleinen Scheinen ausgegeben in der Hoffnung, man verliert den Überblick oder hat keine Lust, den Haufen Papier auch wirklich nachzuzählen. Das betrifft definitiv nicht nur Touristen, auch untereinander wird betrogen und gelogen. An Mautstationen (da kommt nämlich ein Tourist so gut wie nie hin!) legen sich die Kassierer schon Geldhaufen zurecht, die dann als Rolle dem Autofahrer ausgehändigt werden, wenn er mit einem größeren Schein zahlt. Gleiches System: unendlich viele kleine Scheine, die keiner zählt, wenn die Schranke öffnet und der nachfolgende Verkehr schon ungeduldig hupt. Doch wir öffnen die Rolle und zählen – und geben sie dem Kassierer zurück, wenn es nicht stimmt. Der ist dann aber auch vorbereitet und hat für den Fall, dass jemand den Betrug merkt, den richtigen Haufen großer Scheine samt „Entschuldigung“ auch schon vorbereitet.
An den großen Sehenswürdigkeiten wie den Pyramiden oder beliebten Museen darf nur noch mit Kreditkarte gezahlt werden. Der Staat weiß, dass viele seiner Bürger Betrüger sind und beugt dem so vor. Doch wo keine Kreditkarten möglich sind, wird weiter beschubst und geschummelt, was das Zeug hält. Wenn man es merkt, ist die Reaktion von bösem Blick und patzige Antwort bis hin zu verschmitztem Lächeln und Augenzwinkern. Das macht den Umgang mit Ägyptern extrem nervig und ist in unseren mittlerweile über 90 Ländern weltweit nirgends so extrem wie hier. Es sind ja (Beispiel Mautstation) nicht grundsätzlich Ausländer, die betrogen werden, sondern jeder beschummelt jeden! Leider ist es schwierig, die Ehrlichen zu erkennen und damit haben wir leider auch schon Unschuldige zu Unrecht verdächtigt.
An Sehenswürdigkeiten gibt es immer zwei Preise: ein sehr günstiger (umgerechnet Centbeträge) für Ägypter und ein akzeptabel hoher (bis zu zehnfach höher) Preis für Ausländer. Das ist nicht nur in Ägypten so, sondern in vielen Ländern der Welt normal. Wir finden das auch gut, denn so kann es sich die einheimische Bevölkerung auch leisten, ihr eigenes Kulturgut zu erleben, ihr eigenes kulturelles Erbe zu sehen und damit auch Bildung zu erlangen. Der reiche Tourist (und ja, auch Geringverdiener aus dem Ausland sind im Vergleich zu Einheimischen reich!) kommt dann für den Erhalt und die Pflege der Kulturgüter auf. Ein fairer Deal, der aber nichts mit dem alltäglichen Beschiss zu tun hat, sondern eine gerechte Aufteilung der Kosten ist. Das Durchschnittseinkommen in Ägypten beträgt 220€.
Doch wenn ein Hotelbesitzer einem erst 500 (15€) als Preis nennt, einen dann schief anschaut und fragt „You Arab?“ und dann bei der Antwort „no“ den Preis auf „then 1000!“ verdoppelt, unterstützen wir das nicht. In einer billigen Absteige an einer Straßenkreuzung in der Wüste gibt’s kein Kulturgut zu erhalten, das ist private Abzocke. Laut Karte sollte es 30km weiter südlich, in der Nähe des zweiten Wüstenkloster, was wir anschauen wollten, noch ein Hotel geben. Dort waren überall liebe Menschen, schon auf dem Parkplatz begrüßte man uns auffällig wohlwollend. Hinter dem Rezeptionstresen saß eine Nonne und davor stand ein koptischer Pater, der perfekt Englisch sprach. Wir waren im Hotel der koptischen Kirche gelandet! Davon hatten wir schon gehört, aber leider war es ausgebucht, was das fast leere Schlüsselbord und der platzend volle Parkplatz auch bewiesen. Der Pater erörterte mit uns alle Möglichkeiten und erklärte, er könne uns nicht mal erlauben, auf dem Hotelparkplatz im Auto zu schlafen, denn die gesamte Region stehe unter Militär- und Polizeischutz und das sei strengstens verboten. Absolut verständlich, wenn man die jüngste Geschichte kennt.
Wir hatten die Idee, am zweiten Kloster, dem Sankt Paulus, an der Pforte zu fragen, ob wir dort hinter der Klostermauer im Auto schlafen könnten und fuhren 12km in die Wüste hinein, nachdem wir uns auch dort beim Militär registriert hatten. Auch dort eine Absage und ein paar Telefonate des Pförtners später drehten wir um und fuhren zurück zur Küste. Nach etwa 30km begannen die Resorts, von denen uns der Pater im Hotel erzählt hatte. Wir versuchten es am ersten Sterneschuppen, denn die Sonne ging bereits unter. Auch das war komplett ausgebucht. Was war da los? Was hatten wir verpasst? Wir googelten: am nächsten Tag war koptisches Neujahrsfest und viele, viele Kopten wollten den Feiertag in einem der Klöster verbringen und hatten alle Hotels im 70km Umkreis komplett belegt. Wir fühlten uns wie Maria und Josef und wurden von vielen Schranken und Türen abgewiesen: ausgebucht, private Wohnanlage, geschlossenes Resort. Nach rund drei Stunden Suche fanden wir, viel zu weit weg vom Kloster, ein ziemlich teures Bett in einem wirklich schönen Strandresort. Wir saßen bei 30°C im Nachtwind am Roten Meer, schauten auf die Sinai Halbinsel und verabschiedeten uns von dem Plan, das Sankt Paulus Kloster zu besichtigen: die Hotelsuche hatte viel zu viele Kilometer gekostet, die in unserem Mietwagen nicht inkludiert waren. Schade!
Nach dem Hotelfrühstück und einem Spaziergang entlang der Strandpromenade (wirklich tolle Wohngegend, kein Rambazamba-Pauschaltourisen-Partykram, sehr gepflegt und ruhig) fuhren wir immer am Wasser entlang nach Suez, um von dort aus parallel zum Suezkanal gen Norden zu fahren. Wir hatten uns vorgestellt, irgendwo am Kanal sitzen zu können, den Vesseltracker in der Hand und Schiffe zu gucken. Doch daraus wurde nichts. Der gesamte Suezkanal ist ein Hochsicherheitstrakt.
Es führt eine Straße entlang des Kanals, doch der Kanal selbst ist durch hohe Sichtschutzzäune verdeckt. Als wir eine Lücke im Zaun fanden und dort Schiffe gucken und fotografieren wollten, entdeckten wir auch gleich den Soldaten, der dort Wache schob. Entlang des Kanals sind in regelmäßigen Abständen Wachtürme, es wimmelt von Militär.
Jedes Schiff wir an Land von einem Polizeiauto begleitet, auf dessen Ladefläche schussbereite Polizisten sitzen. Als unser GPS die Strecke neu berechnen musste und ich an einem Abzweig rechts ran fuhr, weil wir nicht wussten, wohin wir abbiegen mussten, kam sofort ein Polizeiauto und fragte, was los sei. Wir unterdrückten die eigentlich nötige Pipipause, Jan machte während der Fahrt Fotos vom Beifahrersitz und wir verschoben das „Schiffe gucken“ auf Port Said, wo der Suezkanal ins Mittelmeer mündet.
Wir fanden schnell ein Hotel und liefen zur Uferpromenade. Doch diese war durch Vandalismus und Müll unbenutzbar. Teilweise eingestürzt und abgerissen, herausgerissene Platten, vor Müll kaum zu treffende Treppenstufen, man watet auf dem Weg dort hin durch Müllberge ohne Ende. Bei den Temperaturen wabert jeder Müllberg in schwarzer Sauce. Mehr Details erspare ich Euch. Wir haben selten so viel Müll in einer Stadt gesehen.
Wir sind nicht neu in Afrika, auch nicht neu in Ägypten, aber das, was wir in Port Said sahen, war eine neue Dimension: überall Verfall und Müll, überall Dreck, selbst Katzen sind schwarz vor Schmutz und schwarzem, flüssig gewordenem Müll. Es ist nicht so, dass Ägypten grundsätzlich vermüllt und ein armes Land ist, das keine finanziellen Mittel für Müllabfuhr und Bildung hat. Es ist in Port Said nur außergewöhnlich extrem.Es gibt in dort natürlich auch eine Müllabfuhr, die wir dabei sahen, wie sie völlig überfordert versuchten, mit Schaufeln die Müllberge abzutragen, die die Bevölkerung hinter ihnen wieder neu auftürmte.
Ein Saustall mit vielen „Fledermäusen“. Ob sie der Grund sind? So viele “Fledermäuse” haben wir in anderen Städten Ägyptens nicht gesehen. Ob sie deshalb Handschuhe tragen, weil man in der Stadt nichts anfassen kann? Ob sie deshalb alle als schwarze Fledermäuse verkleidet sind, weil sowieso alles schwarz wird, sobald man vor die Tür tritt? Die extrem muslimische Kleidung ist in Port Said auffällig und bestimmt das Straßenbild. Ein Schelm, der… Reisen öffnet manchmal Augen. Unsere sind seit dem Senegal weit geöffnet. Rund um die Franziskaner Nonnenschule in Port Said lag nicht ein einziges Papierchen auf dem Boden.
Port Said war zur Eröffnung des Suezkanals eine wunderschöne Hafenstadt. Mit Sucht und Sünde wie jeder Hafen seinerzeit, aber mit schönen Häusern mit verzierten Holzbalkonen und edlen Gebäuden. Heute verfallen die Häuser komplett. Überall Verfall, die Menschen hausen in Ruinen und kehren nichtmal vor der eigenen Tür. In Hauseingängen stapelt sich der Müll, Bürgersteige sind unpassierbar, dann läuft man halt auf der Straße weiter. Balkone brechen weg, Dächer krachen herunter, was man in der Hand trägt, wird während des Laufens einfach fallengelassen. Glanz und Gloria von Port Said sind 100 Jahre her und man braucht viel Phantasie, um sich die einst prunkvollen Häuser so vorzustellen, wie sie damals waren.
Wir waren enttäuscht. So kannten wir Ägypten nicht. Ja, in Ägypten gibt es mehr Müll als in Deutschland, aber in Deutschland werden billige ausländische Arbeitskräfte dafür bezahlt, den Dreck weg zu machen. Ja, es gibt auch saubere muslimische Länder, zum Beispiel den Iran oder die VAE, aber in den VAE räumen die Pakistanis halt hinter jedem hinterher und wienern alles glänzend. Hier gibt’s nur völlig überforderte Ägypter mit Schaufel und Besen, die den Müll, der neben Müllcontainer geworfen wird, da rein schaufeln, wo ihre Nachbarn ihn gleich hätten reinwerfen können.
Es gibt parallel zur unbrauchbar gewordenen Uferpromenade noch eine weitere Promenade, entlang der Fischerboote, die dort ankern. Dort darf man aber ohne „special permit“ nicht hin, überall lauert Polizei und passt auf, dass niemand dem Suezkanal zu nahekommt. Es gibt kein Besucherzentrum, kein Museum, keine Hafenrundfahrten, keine Ausflugsboote, keine Informationen, keine Stadtführungen – keine Touristen. Wir waren beide schon am Panamakanal und Jan ist schon auf einem Frachtschiff durch den Panamakanal gefahren. Dort gibt es all das und so waren wir umso mehr enttäuscht. Keine Möglichkeit, Schiffe zu sehen, keine Möglichkeit, irgendetwas rund um den Kanal zu unternehmen.
Die einzige Möglichkeit: man kann mit einer Fähre aufs andere Ufer, nach Asien auf die Sinai Halbinsel übersetzen. Das taten wir am nächsten Morgen und hatten das Glück, dass immerhin ein winziges Containerschiff gerade im Kanal schipperte und wir wenigstens ein einziges Schiff sahen. Das Beste am ganzen Ort war das Abendessen: ein Fischrestaurant mitten im Marktgewimmel, wo wir, ganz wie in Westafrika, das billigste Essen bestellten: Shrimps! Es war so lecker! Und die Menschen dort freuten sich so unglaublich, dass wir zwei Ausländer den Weg zu ihnen gefunden hatten.
Nach einer Nacht verließen wir die Müllhalde Port Said und fuhren nach Alexandria weiter. Auch eine berühmte, altehrwürdige Hafenstadt, auch in Ägypten. Doch dort kein Verfall, kein Müll, kein Dreck, kein Schmutz – viele Mülltonnen und wenig „Fledermäuse“. Wir waren sofort verliebt, fanden eine günstige Unterkunft direkt an der Corniche inmitten der traditionsreichen Gebäude der „Reichen und Schönen“, bewunderten die gut erhaltenen prunkvollen Häuser, die nur 230km weiter östlich so den Verfall geopfert wurden. Es liegt definitiv nicht am Land, es liegt wahrscheinlich an… den Fledermäusen. Und nicht nur in Ägypten.
In den vergangenen Tagen wurden wir oft gefragt, wie es ist, in Ägypten Auto zu fahren. Viele von Euch kennen Ägypten aus dem eigenen Urlaub und viele von Euch wurden dort vom Verkehr schwer beeindruckt – oder geschockt. Nun, es ist ganz einfach nur außereuropäischer Straßenverkehr. Nicht schlimmer als in anderen Ländern außerhalb Nordeuropas. Im Gegenteil, es geht noch chaotischer. Aber wenn man sich darauf einlässt, macht es tatsächlich Spaß. Es wirkt nur chaotisch und gefährlich, wenn man mit „deutscher Denke“ am Verkehr teilnimmt. Weil Jan seinen internationalen Führerschein vergessen hat (für Ägypten ist das „Sondermodell“ nötig und es wurde bei der Mietstation penibel kontrolliert!), bin ich hier der Fahrer und es ist für mich weder beängstigend noch anstrengend. Ich habe Spaß und solch ein Verkehr ist seitdem wir 2018 Deutschland verlassen haben, für uns beide Alltag. Nur, dass es Euch bei Ägypten deshalb so beschäftigt, weil Ihr schonmal hier in Urlaub wart, in China zum Beispiel noch nicht. Euch fehlt der Vergleich und die Erfahrung. Also: keine Sorge, wir schaffen das locker und mit links!
Wir erkunden derweil weiter Alexandria und spulen noch ein paar mehr Kilometer auf unseren Mietwagen, bis wir ihn Anfang nächster Woche wieder abgeben. Doch davon erzählen wir Euch dann erst nächste Woche!
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