Die meisten Reisenden kennen den Iran als Land der Wüsten und Ödnis, langen Geradeausfahrten und staubiger Landschaft. Doch schon mit unseren Bildern aus dem Alamut Tal und letzten Oktober aus Kordestan konnten wir Euch hoffentlich vermitteln: Iran geht auch anders! Kurven, Kehren, Pässejagd, Schnee und tropische Reisfelder. Und „bio“.

Nach den 5 Tagen im Alamut Tal blieben wir 5 wunderschöne, erholsame Nächte im „Baumhaus“ in der Gileboom Ecolodge, in einem kleinen Dorf inmitten von Reisfeldern zwischen Bergen und Meer gelegen. Die Betreiber der Ecolodge servieren grundsätzlich regionale Produkte (aber nicht unbedingt in Bioqualität), die hauptsächlich aus dem Örtchen selbst stammen. Selbst die Kekse zum Tee werden von der Nachbarsomi aus lokalem Reismehl gebacken und die Kuh für die täglichen Milchprodukte haben wir jeden Morgen gehört. Die meiste Zeit waren wir die einzigen Gäste und hatten viel Zeit, uns mit den drei Freunden, die die Lodge betreiben, lange zu unterhalten und zu lernen.

Wir wurden richtig verwöhnt, zum Beispiel mit Tee aus Orangenblüten, die im Garten gesammelt werden, indem Bettlaken unter den Orangebäumen ausgelegt werden. So muss man die Blüten nur einsammeln und kann daraus Tee und Marmelade kochen.

Doch unsere Zeit im Iran tickt, am 8.6. müssen wir nach Turkmenistan einreisen und so mussten wir uns dann doch schweren Herzen von Gileboom und den lieben Menschen dort trennen. Der Streifen Land zwischen Meer und Gebirge ist im Norden des Landes nur sehr schmal, sodass auf diesem schmalen Streifen Land alles stattfindet: Teeplantagen, Reisfelder, Städte, Fabriken, Straßen – und ein Höllenverkehr samt Höllenlärm und Gestank. Wir „mussten“ schnell zurück in die Berge…

Wir hatten von einem Hochtal namens „Noor“ gehört, durch das „eine der schönsten Straßen überhaupt“ führen sollte. Allerdings hatten wir auch gelesen, die Straße sei überbewertet. Egal, sie konnte nur besser sein als der Moloch entlang der Küste. Also hoch in die Berge und rein ins Tal! Bloß dass mir da irgendwie ein Navigationsfehler unterlaufen ist und wir im falschen Tal waren. Den Fehler habe ich erst bemerkt, als wir 40km Luftlinie von der bereits gebuchten Unterkunft entfernt waren – exakt auf der anderen Seite einer geschätzt 3000m hohen, verschneiten Bergwand. Das klang ganz so wie das, was wir im Alamut Tal erlebt haben. Habt Ihr das Video schon gesehen? Wer unseren YouTube Kanal abonniert, dem entgeht keines der Videos, für die Jan tagelang am Laptop sitzt…

Man könnte jetzt aus den Erfahrungen im Alamut Tal gelernt haben, dass Anfang Mai noch auf rund 2500m Schnee liegt und dass der dünne weiße Strich auf der Karte ins „richtige“ Tal sicher keine asphaltierte Straße sein kann und dass dies vielleicht nicht die schlauste Wahl ist, wenn es 16:50 ist und schwarze Wolken aufziehen. Aber zurück? Nein! Ich nicht! Auch wenn ich mir einige Kilometer lang Jans Kommentare zu meinen Navigationskünsten anhören musste.

Aber: wer wagt, gewinnt! Der Pass ging auf 2970m hoch und stellte damit unseren bisherigen Höhenrekord der Reise auf. Er war zwar nicht asphaltiert, aber man hatte Schnee geräumt, sodass wir ihn wirklich genießen konnten. Der Blick auf die schneebedeckten Berge um uns herum war einfach gigantisch! Auf knapp 3000m fielen dann sogar ein paar Schneeflöckchen, aber so steil wie es nach oben ging, ging es auch wieder ins Tal und bevor das Gewitter richtig loslegte, saßen wir schon im trockenen Apartment.

Am nächsten Morgen fuhren wir diese angeblich „schönste Straße“ dann im richtigen Tal entlang und stellten fest: der Pass vom falschen ins richtige Tal war super, der Rest ganz nett. Am Ende des Tals stießen wir auf die Autobahn nach Teheran, die in einen Canyon hineingeschnitten verläuft. So eine tolle Autobahn! Wir wollten eigentlich zurück zur Küste und grundsätzlich nicht auf die Autobahn, aber wir bogen spontan ab und kurvten mit offenen Mündern die Autobahn gen Teheran herauf. Wir hatten auch gehofft, einen Blick auf den mit 5604m höchsten Berg des Irans, den Damawand werfen zu können, aber die Wolken hingen so tief, dass wir die Hoffnung aufgaben, umdrehten, und die Canyon-Autobahn nochmal genossen.

Zurück an der Küste quälten wir uns wieder durch den Moloch und als es wieder zu tröpfeln begann, machten wir an einer Tankstelle Rast. Die zweite Tankstelle des Tages und der zweite Tankwart des Tages, der uns zum Tee einlud! Trotz Ramadan! Als es weniger tröpfelte, rafften wir uns auf, um noch die letzten 30km zur Unterkunft zu fahren.

Da wir uns im völlig untouristischen Teil des Landes bewegen, es im Iran keine für nicht-Iraner lesbaren Buchungsportale gibt und weder Reiseführer noch App etwas zu der Region sagen können, verließen wir uns bei den Unterkünften auf das Know-How einer jungen Iranerin, die wir in Teheran getroffen hatten. Hamideh kennt uns und die für uns perfektesten Unterkünfte, handelt dort für uns untouristische Preise aus und kassiert von den Unterkünften direkt 10% Provision. Ihr Argument: wenn es uns gefällt, setzen wir die Unterkünfte in die iOverlander App und sorgen so für mehr Gäste.

Nach diesem System kamen wir in der Ruar Ecolodge an. Wir beide mit etwas gereizten Nerven, denn Küstenmoloch, Mistwetter und ein wenig überzeugendes „schönstes Tal“ hatten den Tag nicht gerade zum Highlight gemacht. Doch die Ecolodge bügelte alle gereizten Nerven wieder glatt: mitten im „Dschungel“ gelegen, nur grün, Vogelgezwitscher und Hühnergegacker um uns herum. Die Inhaberin war bei unserer Ankunft gerade dabei, im Steinofen frisches Fladenbrot zu backen. So lecker und Seelenbalsam pur!

Wir erfuhren, dass in der Region niemand privat Farsi spricht, sondern Tabari gesprochen wird. Die Sprache ist Programm: wir waren in einer völlig anderen Kultur gelandet! Anhand eines Bildbandes erklärte uns Mariam ihre Bräuche und Traditionen, zum Beispiel, dass bei unverheirateten Toten am Begräbnistag deren symbolische Hochzeit gefeiert wird – inklusive Geschenke und Festessen!

Der Streifen Iran zwischen Turkmenistan, dem Kaspischen Meer und den Bergen hieß früher (bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts) „Tabaristan“ und die heutige Region Mazandaran bildet nur einen Teil davon ab. Auch junge Menschen sprechen dort Farsi nur als Amtssprache, in Familien wird Tabari gesprochen, eine Sprache mit ganz eigener Grammatik, die laut Wikipedia von noch 12 Millionen Menschen gesprochen wird. So viele Menschen! Und kein Iranreisernder erfährt davon! Ohne den Aufenthalt in der Ecolodge hätten wir das auch niemals erfahren… Es zeigt sich wieder: reise langsam, verlasse ausgetretene Pfade und nimm dir die Zeit, um Menschen kennenzulernen…

Die Familie der Ecolodge baut alles Essen, was den Gästen serviert wird, selbst ohne jegliche Zusätze an oder kauft es bei Menschen aus dem Dorf, die nach ihren ökologischen Grundsätzen wirtschaften. Der Garten, in dem die Ecolodge liegt, ist riesig und voll Obst und Gemüse, Hühner, Enten, Gänse und Truthähne – die auch allesamt auf den Tellern landen werden. Wir entschieden, in dieser Oase die Seele baumeln zu lassen und mehr über die so ganz andere Region und die Tabari zu erfahren.

So fuhren wir am nächsten Tag mit der Familie und ihrem 35 Jahre alten Toyota Landcruiser zum Milch kaufen. Wir mussten sofort an die VW Touareg Werbung denken. Nur, dass es hier wirklich ohne Geländewagen unmöglich ist, Milch zu kaufen – wenn man sie frisch von der Kuh und nicht aus dem Tetrapack kaufen möchte.

Hier leben im dichten, grünen, subtropischen Mischwald, den die Bevölkerung „Urwald“ oder „Dschungel“ nennt, Menschen mit ihren Kühen. Die Kühe laufen tagsüber frei im Dschungel herum und kommen abends zum Melken zurück zu den Hütten, in denen die Menschen leben. Wir fuhren nur 5km Luftlinie entfernt in den Wald, brauchten dafür aber wirklich einen 4×4, querten 2 Flüsse und waren 45min unterwegs. Und alles nur für Milch? Ja, erklärte uns die Familie, denn diese Menschen, die seit Generationen so leben, müssen unterstützt werden – und wer diese Milch einmal probiert habe, will keine andere.

Und das kann ich ganz und gar bestätigen: das Geschmackserlebnis ist wirklich wie Demeter Heumilch im Vergleich zu Tütenmilch aus dem Supermarkt. Mindestens! So, und nun geht bitte alle in den Bioladen und probiert Demeter Heumilch, schön mit Rahmschicht oben drauf. 😊 Wir lernten, dass wenn der „Milchbube“ (er war tatsächlich ziemlich jung) die Milch seiner gut 80 Waldkühe nicht verkauft bekommt, er daraus Joghurt macht, weil Joghurt besser ohne Kühlung haltbar ist. Kommt dann auch niemand, der Joghurt kauft, so wird der Joghurt mit etwas Wasser glattgerührt und daraus Butter geschlagen. Die Butter (super lecker!) ist auch ohne Kühlung länger haltbar als der Joghurt und die beim Butterschlagen übrigbleibende Flüssigkeit, Dough, wird hier leicht vergoren mit Pfefferminze serviert. Das zeigt: es geht auch ganz ohne Strom!

Uns stellt sich bei solchen Erlebnissen immer wieder die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass die Menschheit in den Industrieländern vergessen hat, wie echte Lebensmittel schmecken (und hergestellt werden) und wie man tagtäglich irgendwelche Industrieprodukte (oder stark industriell verarbeitete Lebensmittel, wozu auch tierische Produkte aus industrieller Massentierhaltung zählen) in sich hinein schaufeln kann, ohne zu merken, dass das nur „Fake Food“ ist… Wisst Ihr, wie frischer Rahm (das Zeug oben auf der Milch) auf frischem Brot (ohne Enzyme und sonstige Zusatzstoffe) schmeckt? Wie Milch von der Kuh (die Milch mit der Rahmschicht drauf, gerne als Rohmilch) statt aus der Tüte schmeckt? Dickmilch? Handgeschlagene Butter? Nein? Seht Ihr… Ihr verpasst etwas!

Unsere Gastfamilie kaufte den ganzen großen 15l fassenden Behälter Milch, der in Tücher gewickelt im Bach gekühlt stand und wir rumpelten fröhlich wieder aus dem Urwald heraus. Mittlerweile greift der Staat in diese uralte Tradition ein, sodass dies die letzte „Milchfuhre“ bis zum Herbst war: um die kleinen Baumsetzlinge im Unterholz zu schützen, müssen die Kühe über Sommer in höher gelegene Regionen außerhalb des Waldes gebracht werden. Wir hoffen, dort gibt es auch genug Milchkunden, die wissen, wo es die beste Milch zu kaufen gibt!

Und dann war auch noch mein Geburtstag. Eigentlich war alles wie immer und so, wie ich es seit meiner Kindheit kenne: beim Aufwachen ruft der Kuckuck und dann gibt’s Rührkuchen zum Frühstück. Statt Rosinen gab es Erdbeeren, aber die sind sowieso viel besser als Rosinen. Wir haben den Tag mit – nichts – verbracht. Einfach ein Tag auf dem Balkon mit Blick ins Grün, untermalt von Hühnergegacker, Vogelgezwitscher und Kuckucksrufen. Dazu Sonne satt und viele Geburtstagswünsche aus der ganzen Welt. So sollte ein Geburtstag sein!

In den drei Tagen in der Ecolodge haben wir uns viel, sehr viel mit Mariam unterhalten. Über Umweltschutz im Iran, über den Irrsinn der Agrarindustrie, den Irrsinn der korrupten Politiker weltweit und Mariams Hoffnung, dass ihre kleine Tochter durch den Kontakt zu Ausländern zu einem weltoffenen Menschen wird, der die ökologischen Gedanken und Lebensweise ihrer Eltern weiter trägt.

Unser nächster Halt lag 160km entfernt und wir durchfuhren eine Region, die auch in Deutschland hätte sein können. Je höher wir kamen, desto mehr ähnelte die Landschaft Österreich und kurz bevor wir beim Biobauern Mohammed und seiner Familie auf 1700m im „Nirgendwo“ ankamen, sah plötzlich alles aus wie in Kroatien: wunderschön!

Wir dachten ja, in der letzten Ecolodge schon im Paradies gelandet zu sein, aber dieser kleine Hof in Alleinlage war noch besser. Hamideh kennt aber auch echte Geheimplätze für uns! Die Familie mit drei Kindern baut Obst (Äpfel, Kirschen, Quitten und Berberitzen), Walnüsse und Kräuter an, hat 60 Schafe für Käse, 250 Karpfen und 50 Bienenvölker. Und alles wird ökologisch bewirtschaftet.Wer uns auf Facebook verfolgt, kennt sicher den Film, den wir über diesen “Biobauer” gemacht haben!

Gleich am ersten Vormittag durften wir bei der Honigernte mit machen: die Deckel der Waben lösen, den Honig kalt schleudern und ihn abfüllen und am Ende 50kg Honig in riesigen Behältern in die Vorratskammer schleppen. Der Honig sieht zwar blass aus, schmeckt aber unglaublich würzig nach Bergwiesenkräutern. Wir haben während dem Werkeln so viel Neues über Bienen erfahren und können jetzt Bienenmännchen von Bienenweibchen unterscheiden. Ihr auch?

Die Familie hat hinter dem Haus einen Karpfen“teich“ angelegt. Darin schwimmen 250 Karpfen, die auch nach ökologischen Prinzipien aufgezogen werden. Es gibt keine Pellets, kein künstliches Fischfutter, sondern Klee. Ja, so haben wir auch geguckt. 😊Der frisch von der Wiese geerntete Klee wird an einem Seil festgebunden und ins Wasser gehängt. Die Fische knabbern dann alle Blätter ab und brauchen kein Industriefutter!

Auch im Obstanbau geht alles ohne Chemie und Agrarindustrie: die Obstbäume stehen, nach Sorten geordnet, inmitten einer Blumenwiese mit düngenden Leguminosen und anderen Wiesenblumen, die für die Bienen, Schmetterlinge, Grashüpfer und andere Insekten ein Paradies sind. Überall flattert, summt und brummt es! Ich saß in der Wiese und dachte: das habe ich mindestens 30 Jahre nicht mehr so erlebt! Das sind Erinnerungen, Bilder und Geräusche meiner Kindheit.

Als wir da so im Gras saßen und uns dank google translate über biologische Landwirtschaft unterhielten, fiel ein Satz, der eigentlich alles sagt. Ich wollte von Mohammed wissen, wer im Iran „bio“ kauft. Seine Antwort sollte Euch Lesern zu denken geben: „gebildete Menschen“. Haltet Ihr Euch für gebildet? Dann los: jeder Kassenbon ist ein Stimmzettel. Nutzt ihn!

Apropos „Stimmzettel“. Die Europawahl steht an. Man kann als Europäer auch ohne Wohnsitz wählen. Eigentlich ist das ganz einfach: man füllt einen Antrag auf Eintrag ins Wählerverzeichnis aus. Das ist, typisch bürokratisch deutsch, ein Papier, welches man zu dem Amt schickt, bei dem man zuletzt gemeldet war. Das ist bei uns Krefeld und die Post haben Jans Eltern im April innerdeutsch versendet. Das Amt trägt einen dann ins Wählerverzeichnis ein und schickt die ganz normalen Briefwahlunterlagen los. Wenn man keinen Wohnsitz in Deutschland hat, macht man ein Kreuz bei „Versand an folgende Adresse“ und setzt da die Postanschrift der jeweiligen Auslandsvertretung ein, welche über das Auswärtige Amt per Kurierpost beliefert wird. Man informiert die zuständige Botschaft und bekommt eine Nachricht, wenn die Briefwahlunterlagen eingetroffen sind. Dann muss man nur noch zur Botschaft, Kreuzchen machen und der Stimmzettel geht per Kurierpost zurück nach Deutschland. Theoretisch. Leider hat es das Amt in Krefeld in 3 Wochen nicht geschafft, uns die Briefwahlunterlagen zuzustellen. Wahrscheinlich liegen die jetzt im Briefkasten in Krefeld unter unserer alten Adresse. Wäre ja zu viel verlangt, das Kreuzchen und die Versandadresse zu berücksichtigen… Ihr müsst nun also bitte für uns – richtig – mit wählen… Danke!

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