Als wir aus der Wüste Lut heraus waren, hatten wir genug von Nächten um den Gefrierpunkt und beschlossen, einen großen Ritt Richtung Sommertemperaturen zu starten. Im Iran reichen dazu 529km, denn da der Iran zu 2/3 aus einer Hochebene besteht, muss man „einfach nur bergab fahren“, wenn es warm werden soll.
Das tolle Video über die 5 Tage in der Wüste Lut könnt Ihr Euch hier anschauen:
529km an einem Tag abzurocken war für uns völlig unüblich, sind schon Tagesetappen über 200km für uns eher selten. Doch wir wollten die Weihnachtsfeiertage unter Palmen auf der Insel Qeshm verbringen, barfuß und in T-Shirts. Dazu fuhren wir in einem Rutsch von Mahan nach Bandar Abbas, Irans großer Hafenstadt. Als wir die Motorräder abstellten, waren wir in einer anderen Welt angekommen: bunter, lebendiger, quirliger – und gar nicht so iranisch, wie wir das die letzten knapp 3 Monate hier erlebt hatten. An der Küste des Persischen Golfs leben die „Bandari“, deren Frauen glitzernde bunte Leggings unter leichten, bunten, reich bestickten oder bunt bedruckten Tüchern tragen und die älteren unter ihnen Metallmasken im Gesicht. Die Männer tragen weite, bodenlange Hemden, die „Dishdasha“.
Nach einer Nacht in Bandar Abbas hatten wir keine Lust, zum weit entfernten Autofährhafen zu fahren und der Rezeptionist des Hotels fand auch nichts dabei, uns zum Hafen in Bandar Abbas selbst zu schicken. Dort wurden wir überall durchgewunken, wir sollten zur „8“ fahren. Die „8“ stellte sich als ein Ponton heraus, an dem die Passagierboote auf die Insel Hormuz und Qeshm anlegen. Dort fand man es völlig selbstverständlich, dass wir mit Motorrädern auf eine reine Passagierfähre wollten. Iranische Motorräder sind auch wesentlich kleiner und wer meint, es uns mit einem BMW Boxer gleich tun zu wollen, muss leider fast 200km Umweg fahren. Jan musste einen Alukoffer abschrauben und schon standen unsere Zwei auf dem Boot und die Fahrt ging los.
Die 45 Minuten Fahrt über den Persischen Golf mit Blick auf das türkisblaue Wasser war wunderschön. Und wir freuten uns diebisch, dass wir mit unseren kleinen Motorrädern die zeitraubende und aufwändige Autofähre vermeiden konnten. Da die Insel Qeshm eine Freihandelszone ist, muss man mit Pass- und Carnetkopien erstmal im Terminal Papierkrieg führen, bevor es auf die KFZ-Fähre geht. So weiß jetzt auch niemand, dass wir und die Motorräder hier sind, was auch nicht schlecht ist, denn von Qeshm aus flogen wir ohne die Motorräder weiter und lassen die beiden Inselferien ohne uns machen.
Wir bezogen ein von Ulla und Bernd empfohlenes einfaches Guesthouse in einem Lehmhaus in einem winzigen Dorf, buchten 2 Wochen Halbpension „von Muttern“, setzen uns unter die Palme im gemütlichen Innenhof und genossen es, barfuß die Wärme der Sonne auf dem Boden zu spüren und im T-Shirt Tee trinken zu können. Oder mit Rosenwasser aromatisiertes Eiswasser, was den ganzen Tag zur Verfügung steht. So geht Inselurlaub!
Per WhatsApp erreichte uns von Ali, dem Motorradhändler aus Tabriz, die Nachricht, dass „Yalda“ sei. Yalda? Iranische Gäste im Guesthouse erklärten es uns: Die Yalda Nacht ist nach dem Neujahrsfest „Noruz“ das wichtigste nichtreligiöse Fest im Iran in der Nacht der Wintersonnenwende, der längsten Nacht des Jahres. Symbolisch kämpfen jede Nacht Licht und Dunkelheit um die Herrschaft und in der längsten Nacht gewinnt die Dunkelheit mit ihren bösen Mächten.
Um den bösen Mächten keine Chance zu geben, verbringt man die Nacht mit der Familie oder Freunden, musiziert und tanzt, bis der Sonnenaufgang zeigt: nun hat das Licht wieder die Oberhand. Der Kampf um Gut und Böse wird symbolisch mit der Farbe rot wie Blut oder des Himmels bei Sonnenauf- und -untergang dargestellt. Daher isst man in der Nacht rote Sachen. Es begann mit Granatapfelsaft-Götterspeise, ging weiter mit rosafarbenem Milchpudding mit Nudeln, frischen Granatäpfeln und rot gefärbtem Kuchen in Wassermelonen-Optik. Mangels echter Wassermelone, wie wir erklärt bekamen. Dazu gab es immer und immer wieder Häppchen wie frittierte Teigbällchen, süße Suppe oder Smoothie.
In der Yalda Nacht werden auch Gedichte des Dichters Hafez zitiert und als Orakel für das kommende Jahr bis zur nächsten Yalda Nacht genutzt. Wie, das haben wir nicht verstanden, aber es wurde laut aus dem dicken Gedichtbuch vorgelesen und danach angeregt diskutiert.
Und es wurde musiziert. Für uns auch völlig neu, denn die Musik hier im Golf ist eher arabisch: die Instrumente und Rhythmen noch nicht einmal ähnlich mit dem, was wir bisher im Iran gesehen und gehört haben. Schaut Euch obiges Video an, seht, wie Jan den “Zittertanz” tanzt und hört die Musik…
Die Frauen aus dem winzigen Dorf kamen in ihren schönsten bunten Kleidern und den glitzernden bunten Hosen dazu, manche Ältere mit eisernen Gesichtsmasken. Die Männer tanzten einen „Schüttel-Zittertanz“, bei dem der Oberkörper schneller als beim Bauchtanz zittert – inklusive der Schultern. Jan machte mit und stellte sich dabei richtig gut an! Die meiste Zeit der Yalda Nacht saßen wir jedoch einfach nur da und staunten, in welche fremde neue Welt wir da so plötzlich geraten waren. Ein einziger langer Fahrtag hatte uns in eine völlig neue Kultur katapultiert. Und ohne Vorwarnung waren wir mitten in diesem so wichtigen Fest gelandet. Und zwar mittendrin, wir waren die einzigen Ausländer weit und breit.
Hier im Golf ist alles anders als im Rest vom Iran. Das fängt schon beim Frühstück an. Fast drei Monate aßen wir dünnes Fladenbrot mit Rahm und Honig (oberlecker!), jetzt gab es plötzlich herzhafte Dinge wie Kichererbseneintopf, Bohnensuppe, dünne Fladen, Dattelsirup und ölige dicke Fladen zum Frühstück. Dazu ein Kaffee, der mehr nach Kardamom als nach Kaffee schmeckt und zum Abendessen Fisch in diversen Variationen: der Einstieg am ersten Abend begann gleich toll mit sehr würziger heißer Haifischpaste.
Auch die Haustiere sind anders. Hatten wir in Yazd Katzen, so haben wir auf Qeshm ein Gecko, welches wir dank Freundin Uljana auf den Namen der skandinavischen Trolle „Nisse“ tauften. Und die Einrichtung des gesamten Guesthouses ist auch anders. Die Schlafmatten statt Betten sind wir ja schon gewöhnt, aber dass es wirklich gar keine Möbel gibt, keinen Stuhl, keinen Tisch, Schrank oder Sofa, das ist neu. Hier findet alles, alles auf dem Boden statt. Ich finde das richtig gemütlich!
Auf meine Frage (die ich schon in anderen Städten gestellt habe), wie das die älteren Semester im Iran machen, habe ich nie eine Antwort bekommen. Man versteht die Frage nicht. Auch die Tatsache, dass hier „Sitzklos“ nur für Europäer aufgestellt werden und Iraner in die Hocke über „Hockklos“ gehen, ließ mich öfter an ältere Menschen denken. Wie die das wohl machen? Ich habe noch keine älteren Herrschaften beim Toilettengang beobachtet, aber erlebe sie beim Alltag als „Bodenbewohner“: es bereitet ihnen keine Mühe! Daher versteht auch keiner meine Frage, „wie das Ältere machen“. Die Leute hier machen das ihr Leben lang und werden nicht steif und ungelenkig, wie so viele deutsche Erwachsene!
Apropos „Ältere“. In unseren zwei Wochen im Guesthouse konnten wir verschiedene Gäste kennen lernen. Manche eher nervig, wie die iranische „Familie Krachmacher“, andere mit sehr interessanten Geschichten, zum Beispiel eine 73-jährige Argentinierin, welche mit Tochter und Enkeln auf der Insel war. Ihre Meinung: „eine kleine Rente zu haben, bedeutet nicht, nicht reisen zu können. Wer etwas wirklich will, dann kann er das auch!“. Sie verkauft 10 Monate im Jahr Parfum aus den USA in Argentinien, um damit ihr Reisebudget für 3 Monate am Stück zusammen zu bekommen. Und während sie reist, ist ihre kleine Wohnung untervermietet. Tolle Oma! Die meisten Menschen in ihrem Alter haben da leider unüberwindbare Schranken im Hirn…
Oder Norbert aus Berlin, den wir zufällig über Facebook (!) „trafen“. Er ist 71 und reist seit 5 Jahren alleine mit einem völlig überladenen Motorrad durch die Welt. Afrika liegt hinter ihm, jetzt ist er hier und plant für Amerika. Nach Deutschland wird er nur zurückkommen, falls sein Sohn heiratet. Und nur zu Besuch. Er sprach mit uns über Wehwehchen und gesundheitliche Probleme des Alters, doch nichts kann ihn von seinem „10 Jahres-Plan-Weltreise“ abhalten. „Ärzte gibt es schließlich überall“. Seine kleine deutsche Rente ermöglicht ihm keine Luxusreise, aber ein erlebnisreiches „Leben on the Road“. Wir sind uns sicher, der „deutsche Durchschnittsrenter“ hätte bei all den Wehwehchen vor lauter Jammern schon seine Mietwohnung nicht mehr verlassen!
Oder die Familie aus Belgien mit drei Kindern in einem Toyota, die 13 Monate unterwegs sein werden und schon zum 2. Mal auf Langzeitreise mit den Kindern sind. Sie bewiesen, was so viele nicht glauben: dass man auch mit schulpflichtigen Kindern lange, lange reisen kann! Mit der Abmeldung entfällt die Schulpflicht (in Deutschland) und Eltern können ihre Kinder selbst unterrichten. Und wer die drei belgischen Kinder mit den zwei argentinischen Kindern zusammen beim Spielen gesehen hätte, alle fünf fließend auf Englisch, dem wäre sofort klar geworden, dass Reisen die beste Schule ist!
Und dann war ja noch Weihnachten. Zumindest bei Euch. Hier wusste davon keiner was und das war so richtig komisch. Jan hat über Tag versucht, durch das Abspielen von Weihnachtsmusik für Weihnachtsstimmung zu sorgen, aber die wollte nicht aufkommen. Im Iran haben wir keinen einzigen Hinweis auf Weihnachten entdecken können. Nirgends. Und so kam der Heilig Abend und wir bekamen unser Abendessen serviert. Keine Gans, keine Würstchen mit Kartoffelsalat, sondern einfach Nudeln mit scharfer Sauce und hausgemachter Dickmilch.
Wir versuchten einen Videoanruf in die Heimat, der wegen mieser Internetqualität nicht ausreichte um gemeinsam zu singen. Wir versuchten einen Skype Anruf nach Deutschland, der auch sehr „einseitig“ war. Und dann saßen wir in unserem Zimmer und beschlossen, Weihnachten nächstes Jahr anders anzugehen. Dazu wollen wir entweder in einem Land sein, in dem es auch Christen gibt oder wenigstens unter Christen zum Mitfeiern sein. Wir hatten zwar auf Facebook nach „Mitweihnachtern“ gesucht, aber es war niemand da. Auch die folgenden Feiertage passierte nichts weihnachtliches. Immerhin fragte unser Gastgeber irgendwann, wann denn eigentlich Weihnachten sei. Da war es schon vorbei. Es gelang uns abends im Zimmer mit unserer Faltlaterne immerhin, nur für uns zwei etwas Weihnachtsstimmung zu verbreiten, aber trotzdem: nächstes Jahr machen wir das anders!
Die Insel Qeshm ist Freihandelszone und wird direkt aus China containerweise mit Ware beliefert. Ein Einkaufsparadies für Iraner. Auch wir fuhren nach Dargahan, denn wir wollten ein paar Geschenke kaufen. Die „sündige Meile“ dort besteht aus einer Shopping Mall neben der anderen, in der es Technik, Klamotten und Krimskram gibt. Wir fanden nicht, was wir suchten und fragten in einem Laden nach. Was dann kam, war wieder ein schönes Erlebnis iranischer Hilfsbereitschaft.
Der Verkäufer lief mit uns zu einem ganz anderen Laden, verhandelte dort den Preis für uns und fragte, ob wir sonst noch etwas kaufen wollten. Als wir ihm sagten, was, bat er uns, kurz zu warten, er würde das organisieren. Für die Wartezeit von 5 Minuten wurden wir mit Gebäck, Wasser und Datteln versorgt, dann holte uns ein Freund des Helfers ab, um uns mit dem Auto zum Einkaufen zu fahren. Und weil wir dort nicht sofort fündig wurden, wurden wir weiter kutschiert. Nach dem erfolgreichen Einkauf lud uns unser Helfer noch zu einem Eisbecher ein. Solche Erlebnisse sind immer wieder schön und machen die Seele ganz warm…
Der Iran ist einfach das unserer Meinung nach gastfreundlichste Land der Welt. Insbesondere da, wo sonst kein Tourist auftaucht, ist die Freude immer besonders groß und die Gastfreundschaft besonders herzlich und – ehrlich. Wir sind jetzt schon ein Land weiter und hinken im Blog etwas hinterher. In den vergangenen Tagen haben wir viel organisiert – und auch unser Gepäck weiter verkleinert. Was “Mitreiseverbot” bekommen hat, lest Ihr hier: Wir haben aussortiert!
Unser Iran Fotoalbum ist mittlerweile auch um die Fotos aus der Wüste Lut erhänzt. Wie bereits mehrfach erwähnt, gibt es seit Beginn des neuen Jahres keine Fotoalben mehr auf unserer Website, da wir die Kosten dafür nicht tragen wollen und sich tatächlich auch niemand gemeldet hat, der unsere Fotos auch außerhalb von Facebook ansehen möchte. Fotos gibt es daher ab jetzt nur noch bei Facebook!
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