Willkommen im ersten Blogpost aus Zentralafrika! Mit Nigeria haben wir Westafrika verlassen und sind mit Kamerun nun im ersten Land Zentralafrikas der Reise. Bis auf Tschad werden wir versuchen, alle Länder dieser für uns beide komplett neuen Region kennenzulernen. Tschad liegt uns eigentlich sehr am Herzen, aber unser Leben und unsere Gesundheit auch, weswegen wir nicht dorthin fahren. Die derzeitige Sicherheitslage lässt das leider nicht zu.
Und damit wären wir schon beim Thema „Sicherheit“ und „Militäreskorte“. Beides war die letzten Tage, vorsichtig formuliert, nicht gerade gut. Wie bereits erklärt, gibt es derzeit nur drei Möglichkeiten, von Nigeria nach Kamerun zu kommen: Seeweg, offroad durch die Berge oder mit Militäreskorte durchs Bürgerkriegsgebiet. Wir hatten uns für „offroad durch die Berge“ entschieden, diese Route aber leider abbrechen müssen, weil an der Honda das „idle control valve“ der Einspritzung defekt ist und sie kaum fahrbar war (siehe letzter Blogpost). Die einzige Chance, Kamerun zu erreichen war für uns der einzige asphaltierte Grenzübergang zwischen den beiden Ländern, über den man zur Not das Motorrad auch schieben und auf der anderen Seite auf einen LKW laden könnte. Und dieser Grenzübergang ist der, der einen militärischen Begleitschutz erfordert, sobald man Nigeria verlassen hat, denn auf kamerunischer Seite herrscht ein Bürgerkrieg, der „Anglophone Krise“ genannt wird.
Waren wir mit der Entscheidung „lebensmüde“, „leichtsinnig“ oder „völlig verrückt“? Nein. Es gab einfach keinen anderen Weg mit einem defekten Motorrad, für uns war das definitiv die einzige Möglichkeit, Nigeria zu verlassen. In Nigeria bleiben können wir übrigens auch nicht unbegrenzt, falls das nochmal jemand vorschlägt. Das Leben außerhalb der EU ist von Visa reguliert und die laufen irgendwann ab. Glaubt uns: hätte es eine andere Möglichkeit gegeben, wir hätten sie genommen. Glaubt Ihr denn tatsächlich, wir sind so dumm, aus Spaß in ein Bürgerkriegsgebiet zu fahren, wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte? Glaubt Ihr tatsächlich, Ihr, die Ihr bis letzte Woche vom Konflikt noch nie gehört habt, könnt vom heimischen Sofa aus die Lage vor Ort gut genug beurteilen, um uns Leichtsinn vorwerfen zu können? Glaubt Ihr, dieser Grenzübergang war eine leichte Entscheidung? Ganz offen gefragt: für wie doof haltet Ihr uns? Habt Ihr uns bisher nicht als gut informierte, intelligente, wachsame und risikoscheue Reisende erlebt? Klar ist vom heimischen Sofa aus schon die Eisdiele im Nachbarort ein gewisses Risiko (schmeckt es da?), aber glaubt Ihr, Afrika wirklich besser beurteilen zu können als wir? Für uns waren es zwei Tage abschätzbares Risiko, für alle Menschen, die dort leben, ist es seit vielen Jahren Alltag. Seid einfach dankbar, dass Ihr auf dem heimischen Sofa ohne Krieg sitzen könnt und haltet uns bitte nicht für blöd.

Quelle: Wikipedia
Kamerun war früher deutsche Kolonie. Nach dem ersten Weltkrieg verlor Deutschland die Kolonie an Frankreich und Großbritannien. Diese beiden Länder teilten Kamerun unter sich auf: der Osten fiel an Großbritannien, der Westen an Frankreich. Beide Länder etablierten ihr Rechts- und Staatssystem und es bildeten sich zwei starke Identitäten: die anglophonen „Kameruner“ und die frankophonen „Kameruner“. Nach der Unabhängigkeit von den Kolonialmächten war die Idee, das geteilte Kamerun wiederzuvereinigen und es gab einen Volkentscheid. Dabei entschied sich der britische Norden dafür, zu Nigeria zu gehören und der britische Süden entschied sich für Kamerun und bekam Autonomierechte, um z.B. das britische Verwaltungs- und Schulsystem weiterführen zu dürfen.

Quelle: Wikipedia
Im Laufe der Jahre fühlte sich die anglophone kamerunische Bevölkerung immer mehr von der frankophonen Bevölkerung (und Regierung) benachteiligt und als das französische Schulsystem eingeführt wurde, entgleiste die Situation. 2006 wurde zum ersten Mal die „Republic of Ambazonia“ ausgerufen und es gab jahrelang Unruhen. Als die frankophone Regierung Proteste mit Gewalt niederschlug, radikalisierten sich Teile der anglophonen Bevölkerung und seit 2017 kämpfen diverse Warlords mit ihren Truppen gegen das kamerunische Militär. Mindestens 6000 Zivilisten sind dadurch schon gestorben, Dörfer verwüstet und Infrastruktur zerstört worden. Dass die Regierung in Yaoundé diese Infrastruktur nicht wiederherstellt, solange der Konflikt schwelt, führt nur zu mehr Aggression. Mittlerweile schwindet zwar der Rückhalt in der Bevölkerung, aber gekämpft wird weiterhin. „Ambazonien“ hat eine Exilregierung und eine eigene Kryptowährung.

Quelle: Wikipedia
Die Sicherheitslage in Südkwestamerun (so nennen Frankophone den Teil ihres Landes) hat sich in den letzten Monaten soweit gebessert, dass der Grenzübergang zwischen Nigeria und Kamerun wieder vorsichtig geöffnet werden konnte. Hauptsächlich, damit wieder ein Linienverkehr zwischen beiden Ländern stattfindet. Damit diese Linienbusse unbeschadet durch das Kriegsgebiet kommen, stellt Kamerun ab der Grenze eine Militäreskorte zur Verfügung, der sich Privatleute wie wir mittwochs und samstags kostenlos anschließen können. Und das war unsere Chance, die defekte Honda nach Kamerun zu bekommen, wohin das Ersatzteil geliefert wird, wo wir ein sechsmonatiges multiple entry Visum haben und wo wir vor Ort gut vernetzt sind und das Mistding auch stehenlassen können, wenn noch mehr Ersatzteile fehlen.
Wir hatten die Elektronik der Honda soweit überlistet, dass man sich damit fortbewegen konnte. Wir wussten nicht, wie viele Kilometer uns blieben, bis die Sensoren den „Beschiss“ merken und die ECU dagegen regelt und das Mistding wieder nicht läuft. Wir mussten es versuchen. Durch unzählige Checkpoints (vier Stück auf 800m) quälten wir uns die 25km zur Grenze und führten das allerletzte nervtötende Gespräche mit Nigerianern: dem Zoll. „Woher kommt Ihr?“ Deutschland. „Habt Ihr ein Visum?“ Die Frage musste ich tatsächlich mit der Gegenfrage „Was glauben Sie: hat uns Ihr Kollege bei der Einreise ohne Visum reingelassen?“ beantworten. Die Antwort war: man könne schließlich auch illegal ohne Visum einreisen. Nächste Gegenfrage: und dann kommen wir hierher, um uns ganz legal ausstempeln zu lassen? Eher nicht. Grummelnd blätterte der Beamte im Pass und fand das Visum von… Kamerun, das er abstempeln wollte. Kamerun. Nein, das hier ist nicht Kamerun, das ist Nigeria. Bitte das Visum von Nigeria stempeln. Dauerte eine Weile, bis das klappte. Dann schaute er Jan und fragte: „Deine Frau ist auch aus Holland?“ Nein, keiner von uns ist aus Holland, Du hast uns bereits nach unserer Herkunft gefragt und hältst seit einer Viertelstunde zwei deutsche Pässe in der Hand. Während der hochkomplexen Angelegenheit, zwei Visa richtig auszustempeln sahen wir am Nachbarschreibtisch mit jedem Pass auch Scheine über den Tisch wandern. Die halboffene Schublade war schon gut gefüllt. Als wir endlich den Stempel auf dem richtigen Visum im Pass hatten, fielen uns rumpelnd Steine vom Herzen. Endlich raus da! Aber wie schon im letzten Blogpost geschrieben: unsere nervenaufreibenden Erfahrungen mit Menschen waren ausschließlich im Süden des Landes und wir möchten sehr gerne nochmal zurück in den Norden, nach Kano.
Die Einreise nach Kamerun verlief professionell. Der Zöllner wusste, was er tun muss, keiner stellte dumme Fragen und der Stempel wanderte auch aufs richtige Visum. Dann wurden wir von einem Polizisten auf seinem Motorrad abgeholt, der uns zur nächsten Wache brachte. Während der Fahrt telefonierte er und legte sich dadurch mit dem Motorrad mitten im Marktviertel hin. Kein guter Start und seine Laune war dahin. Auf der Wache mussten wir unsere Pässe abgeben und bekamen erklärt, wir dürften uns nun nicht mehr frei bewegen. Der Motorradpolizist begleite uns nun noch zu einem Hotel und da müssten wir bleiben, bis ein Konvoi startet. Vielleicht heute, ganz sicher morgen.
Und so saßen wir dann 4,5 Stunden in Motorradklamotten vor uns hin schwitzend im verwaisten Restaurant des Hotels und warteten auf Nachricht von der Polizei. Der Rezeptionist war unglaublich nett, dachte mit und besorgte uns Simkarten, damit wir wenigstens Internet hatten. Dann bezogen wir ein Zimmer. Was uns direkt auffiel: alles war so liebevoll gestaltet: Blümchen auf Stofftischdecken im Restaurant, hübsche Chiffongardinen mit passender Übergardine und eine kuschelige, heimelige Fleecedecke auf dem Bett. Solche Kleinigkeiten haben wir die letzten Wochen vermisst.
Das Hotelchen hatte zwar ein Restaurant, aber keinen Koch mehr und so bot der Rezeptionist an, uns Abendessen zu besorgen: Fisch von einem Fischteich, gegrillt mit Bananen. Keine Instantnudeln mit Ei, kein Huhn mit Reis. Kamerun schlich sich so langsam in unsere Herzen. Der Fisch war sehr scharf gewürzt, aber lecker. Glücklich schliefen wir ein. Bis ich nachts um drei wieder aufwachte und den Rest der Nacht kotzend über dem Eimer hing. Mir war nicht bewusst, wie viel Flüssigkeit man in so kurzer Zeit verlieren kann, denn jedes Mal, wenn ich dachte, mein Magen sei leer, war er eine Stunde später wieder „flüssig“ und wollte entleert werden. Fischvergiftung. Um sieben Uhr füllte ich ein letztes Mal den Eimer, dann wollte ich ein wenig Schlaf nachholen. Das ging aber nicht, denn ein hektischer Polizist erschien und behauptete, der Konvoi gehe „jetzt sofort“ los. Wir waren verwirrt, denn wir wussten, dass die Eskorte für den Linienbus stattfindet – und der kommt erst mittags. Weil wir fünf Minuten später immer noch nicht abfahrbereit auf der Wache waren, erschien der Typ gleich nochmal, um Theater zu machen. „Jetzt!“
Okay, also rein in die Moppedklamotten, Gepäck aufgeschnallt und zur Polizei. Da wusste keiner was von einem Konvoi so früh am Morgen, wir sollten bitte wieder zurück ins Hotel. Der Kollege sei halt „ein Frankophoner“ und die seien „anders“. Aha. Immerhin bekamen wir schonmal vorsorglich die Pässe zurück. Zurück im Hotel fiel ich aufs Bett und versuchte, Elektrolytgetränke intus zu behalten, was leider nicht gelang. Der Rezeptionist versuchte, uns auf der Straße irgendwo gebratene Bananen oder Ei aufzutreiben, was ihm leider auch nicht gelang. Wieder kam ein Polizist. Wir sollten spätestens um 9:30 zum Konvoi dazustoßen. Mir wurde das zu doof, denn der Bus würde weiterhin erst um 12 ankommen und Jan bot an, um 9:30 Anwesenheit zu zeigen, während ich weiter auf dem Bett lag und versuchte, Kreislauf und Wasserhaushalt in den Griff zu bekommen. Gegen 11 rief Jan an, es ginge jetzt wirklich los, ich solle kommen. Die Militärs waren mittlerweile angetreten und angezogen, einer erklärte uns, wir sollten zum Kreisverkehr fahren und sobald die Eskorte käme, hinterher rasen.
Wir fuhren zum Kreisverkehr und warteten. Tatsächlich düsten dann auch zwei gepanzerte Fahrzeuge in voller Besatzung um die Ecke, machten uns aber eindeutig klar, dass wir bitte nicht hinterherfahren sollten. Okay, wir parkten wieder. Irgendwann kam der Rest der Truppe, zwei hingen an der Schnapsflasche, der Rest unmotiviert im Schatten. Der Bus kam etwas verspätet um 12:30 und dann ging es auch tatsächlich erst los. Weil ich mit einem frankophonen Polizisten Französisch gesprochen hatte, hassten mich nun die anglophonen Militärs und einer sagte es mir sogar ins Gesicht, Ich sei „auch so eine Frankophone“. Ich erklärte, ich sei Europäerin und bei uns seien Sprachen kein Kriegsgrund. Gefiel ihm auch nicht. Die Truppe war gemischt aus frankophonen und anglophonen Soldaten und funktionierte überhaupt nicht, denn die beiden Konfliktparteien waren in einer „Einheit“ zusammengefasst! Wie gut so eine Eskorte dann harmoniert und wie effektiv das Ganze dann ist, kann man sich denken: gar nicht.
Endlich ging es los, vor uns ein Militärfahrzeug, dann drei Reisebusse, wir und noch ein Militärfahrzeug. Die Straße war teilweise schlecht, die Busse rollten im Schritttempo durch Schlaglöcher und überall war Militärpräsenz: die 60km zwischen Ekok und Mamfe sollten die gefährlichsten sein, denn das derzeitige „Epizentrum“ des Konflikts ist in Mamfe. Man könnte meinen, dass dann in Mamfe besondere Aufmerksamkeit seitens des Militärs geboten würde – doch die verschwanden einfach und ließen die Busse und uns auf offener Straße stehen. Ein Busfahrer kam zu uns und erklärte, das sei immer so, in 20 Minuten ginge es weiter. Da ich dehydriert war, wir in der Mittagshitze im Schneckentempo ohne kühlenden Fahrtwind unterwegs waren und mein Kreislauf in die Knie ging, sah ich meine Chance, etwas zu trinken. Doch statt 20 Minuten Pause tauchten die Militärs plötzlich wieder unter Vollgas auf und brüllten „Go, go, go!“. Okay, dann eben nicht trinken, sondern weiterfahren.
Die Straße wurde zur katastrophalen grobschottrigen Piste mit tiefen Löchern. Das Militär fuhr so langsam, dass uns PKW überholten und die Reisebusse von hinten „schoben“ und bei mir vor lauter Hitze das Benzin aus der Tankentlüftung kochte. Nein, die Militärs fuhren nicht schneller, obwohl die Busse deutlich zeigten, dass sie sehr wohl schneller konnten – und wollten. Wir sahen, wie die Rumflasche immer wieder an die Lippen rückte und eigentlich nur einer ein bisschen aufmerksam in der Landschaft herumschaute. Einen solchen Untergrund (große Steine in Lehm und Löchern verbacken) fährt man mit dem Motorrad sehr kräfteschonend und locker in höherem Tempo und lässt das Fahrwerk die Arbeit machen. In dem lähmenden Tempo des Militärs jedoch war ich das Fahrwerk und musste jeden Stein, jeden Hubbel, jedes Loch mit Kraft ausgleichen. Kraft, die ich nach 30 Stunden ohne Essen, einer Nacht kotzend über dem Eimer völlig dehydriert und schlafbedürftig nicht hatte, aber aufbrachte. Zur Erinnerung: mein Motorrad lief ja nicht wirklich so, wie es sollte und ich musste zusätzlich ständig mit Gas und Kupplung spielen, um den Motor am Laufen zu halten. Eine extreme Belastung.
Als die Straße asphaltiert war, hatte ich meine Kraft verbraucht und stützte meinen Oberkörper auf dem Tank auf, weil mir die Kraft fehlte, aufrecht zu sitzen und mein Magen bei jeder Erschütterung schmerzte und die liegende Position etwas Linderung schaffte. Wir beide schwitzten unendlich, doch der Konvoi preschte unerbittlich vorwärts. Etwa 50km von Mamfe entfernt in einem Örtchen ging die Honda dann plötzlich während der Fahrt komplett aus – und bis heute nie wieder an. Die Elektronik hatte nach 110km gewonnen, unseren „Beschiss“ gemerkt und dagegen geregelt. Es half kein Anschieben, kein Orgeln, nichts. Die Honda war tot und ich kurz davor. Während ich versuchte, das Miststück wieder zum Leben zu erwecken, spielte mein Kreislauf völlig verrückt und ich schaffte es noch, mich in einen Abwassergraben zu setzen, ohne auf offener Straße zusammenzuklappen. Währenddessen brauste ein Militärfahrzeug nach dem anderen an uns vorbei. Keins hielt an, überall brüllte es nur aggressiv „go, go, go!“ heraus. Irgendwann kam kein Fahrzeug mehr, ich saß im Abwassergraben, die Honda stand auf der Straße und wir waren alleine. Das war unsere Militäreskorte, die noch fast 200km weiter dauern sollte.
In Kamerun wird alles mit Toyota Carinas transportiert. Das sind Limousinen PKW von der Größe eines Audi 80 / A4. Kleine indische und chinesische Motorräder passen da tatsächlich in den Kofferraum, wenn man das Vorderrad heraushängen lässt. Daher war es erstmal schwer zu vermitteln, dass mein Motorrad nicht in den Kofferraum passt, weil es größer ist. Ausgerechnet eine Frau verstand den Sachverhalt „wir brauchen keinen Mechaniker, das Teil ist in Jaunde“ und „wir brauchen eine Transportmöglichkeit für ein großes (!) Motorrad samt Fahrerin nach Douala“ und versprach, jemanden in das einzige Hotel am Ort zu schicken, in das ein Passant Jan geschickt hatte.
Ich erwartete eine Absteige und ich brauchte auch nicht mehr als ein Bett mit Eimer daneben, aber als Jan mich als Sozia dorthin fuhr, war ich überrascht: das Hotel war noch nicht fertig, aber wir hatten ein Zimmer mit Wasserbett! Mehr gab es noch nicht an Möbeln, aber das war egal. Ich hatte Mühe, während der 800m Fahrt zum Hotel nicht in Ohnmacht zu fallen und schaffte es im ersten Anlauf auch nur vor das Bett, wo ich erstmal 10 Minuten auf dem Boden liegenblieb, um Kraft zu sammeln, um mir die Motorradsachen ausziehen und mich aufs Bett legen zu können. Ich war völlig dehydriert.
Im Laufe des frühen Abends schaffte ich es in kleinen Schlucken, 1,5l Elektrolytlösung zu trinken und sie auch nicht wieder zu verlieren und mein Kreislauf stabilisierte sich soweit, dass ich kalt duschen und mir saubere Sachen anziehen konnte. Jan knüpfte währenddessen im Dorf Kontakte, um eine Transportmöglichkeit für „Frau und Maschine“ zu finden. Wir befanden uns mitten im Konfliktgebiet und mussten am nächsten Morgen weg von dort, um nicht für politische Zwecke der Anglophonen missbraucht oder anderweitig in noch größere Gefahr zu gelangen. Wir schliefen beide völlig erledigt ein, ich hatte nachts Muskelkrämpfe wegen Dehydrierung und Mineralstoffmangel.
Am nächsten Morgen stand kurz vor sieben ein Toyota Carina im Hof. Schon voll beladen mit Menschen und Bananen. Es gäbe hier noch einen Passagier und ein Motorrad abzuholen? Die eiligen Helfer waren schon dabei, mein Gepäck zu verladen, bis Jan klarstellte: dieses Motorrad passt auch heute in keinen Carina. Und schon gar nicht, wenn da schon eine halbe Bananenstaude drin ist! Zehn Minuten später die nächste Nachricht: man habe für uns einen Holzlaster angehalten, der könnte die Ladung umschichten und Motorrad und mich mitnehmen. Gesagt, getan. Mein Kreislauf war wieder stabil, es war Donnerstag in Kamerun und seit Dienstag früh in Nigeria (halber Teller Instantnudeln mit Ei) hatte ich nichts mehr gegessen, sodass ich ziemlich zittrig die Stufen in die Fahrerkabine des LKW hochkletterte.
Ein paar Männer hatten die Honda kurzerhand in den LKW gehoben und ich war wieder einmal froh, kein schweres, großes Motorrad zu haben. Zwar zu groß für in den Kofferraum einer Limousine, aber klein genug, um es mal eben über Kopf per Hand zu verladen. Der LKW war völlig überladen und auch noch nachträglich für noch mehr Ladekapazität verlängert, sodass das Reisetempo nun zwischen 30 und 70 km/h schwankte. Ronaldo, der Fahrer, war der netteste Mensch des Tages, der einen absolut fairen Preis verlangt hatte und sehr gut fuhr. Ich solle mir keine Sorgen machen, „LKW werden nicht angegriffen“. Bloß dass Jan eben nicht im LKW saß.
Wir hatten im Vorfeld noch in Nigeria rund 100$ in kamerunische Währung getauscht, aber es war Tag drei in Kamerun und die Kosten für einen LKW Transport konnten wir mit dem noch übrigen Restgeld nicht decken. Also musste Jan vorneweg düsen um einen Geldautomaten zu finden, um Bargeld zu organisieren. Ich saß währenddessen im LKW bei Ronaldo und genoss die Landschaft. Schon am Vortag war sie unglaublich schön gewesen, bloß hatten wir aufgrund des Militärkonvois und ich aufgrund von Dehydrierung keine Kraft und Nerven, um das auch wirklich zu realisieren. Die Straße führt durch wunderschönen, tiefgrünen Regenwald.
Einmal fuhren wir über einen „Baumwipfelpfad für Fahrzeuge“: eine lange Brücke, die sich in einer Kurve auf 20 Pfeilern über dem Regenwald bergab schlängelte. Kitschiger ging es wirklich nicht: ein Wasserfall fiel im Dschungel herunter und formte einen Fluss, der unter der Brücke malerisch davonfloss. Spektakulär! Kamerun war nun definitiv in unseren Herzen angekommen. Wie kann eine Grenze immer wieder die Landschaft so krass verändern? Die Morgensonne tauchte alles in warmes Licht, man sah grüne Berge, alles wirkte friedlich.
Wirkte friedlich, war es aber nicht. Die Straße war teilweise ziemlich zugewachsen, weil sie erst vor kurzem wieder eröffnet worden war. Vorher, sagte Ronaldo, sei es zu gefährlich gewesen, hier entlangzufahren. Heute sei es zwar immer noch nicht sicher, deswegen gäbe es ja den Konvoi, aber „LKWs werden nicht angegriffen“. Nur alle anderen, erklärte Ronaldo und zeigte mir bei jedem Autowrack, was er meinte. Auf unseren 90 gemeinsamen Kilometern sahen wir ein einziges verunfalltes Wrack, alle anderen waren zerschossen und ausgebrannt. Je näher wir der Stadt Kumba kamen, desto mehr ausgebrannte Fahrzeuge gab es.
Auch in Kamerun gibt es Checkpoints. In einem Kriegsgebiet wie diesem machen die auch Sinn, aber leider erkannte mich an einem Checkpoint ein Polizist als eindeutig nicht Mitarbeiter des Holztransports und fragte, warum ich dabei sei. Ronaldo antwortete wahrheitsgemäß, dass mein Motorrad kaputt sei und er mir samt Motorrad eine Mitfahrgelegenheit gegeben hätte. Und das war ein Problem, denn die Frachtpapiere waren natürlich nur für Holz ausgestellt und nicht für Holz und Motorrad. Die Uniformierten waren bereit, gegen eine kleine „Spende“ diesen „Makel“ zu übersehen. Leider sind die Checkpoints untereinander vernetzt und so wusste jeder darauffolgende Checkpoint dann, dass die Frachtpapiere nicht in Ordnung waren und das Angebot mit der „kleinen Spende“ war überall gleich. Ronaldo entschied, mich in der nächstgrößeren Stadt, Kumba, umsteigen zu lassen.
Am letzten Checkpoint vor Erreichen der Stadt sahen wir zerschossene Autos und Ronaldo erklärte, es habe am Vorabend entlang der Straße einen Schusswechsel mit den Separatisten gegeben. Vielleicht hatte die finale Aufgabe der Honda dann doch noch etwas Gutes: wir wären genau dort am Vorabend mit dem Konvoi vorbeigefahren. Manchmal hat man Glück im Unglück! Die Militärs des Checkpoints waren völlig nervös und erkannten mich mit meiner Honda als Frau des Typen auf seiner KTM, der nicht angehalten hatte, als sie ihm die höchst fragile Sicherheitslage erklären wollten. Ich wurde anstelle von Jan ausgeschimpft und gefragt: Warum hat er nicht angehalten? Ich antwortete ehrlich: weil Ihr immer nur nach Geld fragt und er sicherlich keine Lust darauf hatte. Woraufhin alle völlig empört waren, denn Korruption gibt es schließlich nicht in Kamerun. Jaja.
Weil es ja absolut keine Korruption in Kamerun gibt, musste die Honda vom Holzlaster und Ronaldo wollte erst abends nach Schichtwechsel weiterfahren, wenn keiner mehr seinen LKW wegen der Frachtpapiere „gewinnbringend“ anhalten würde. Kumba war die Stadt, in der Jan zum Geldautomaten wollte und wir uns „entlang der Hauptstraße“ wieder treffen wollten. Doch Jan meldete sich nicht und ich konnte ihn auch nicht erreichen. Ronaldo wurde furchtbar nervös, während wir auf der Hauptstraße auf Jan warteten, der nirgends auftauchte. Wir entschieden, zur Tankstelle zu fahren, auf der das Umsteigen meiner Honda und mir stattfinden sollte. Kaum krabbelte ich dort vom LKW, liefen alle zusammen und schärften mir ein, bitte nicht den Parkplatz zu verlassen, Kumba sei gerade alles andere als sicher. Ich war mir gerade ziemlich sicher, dass Jan kein Telefonguthaben hatte und wir uns deshalb nicht erreichten, aber Ronaldo war nervös und machte sich mit einem anderen Mann mit dessen Auto auf die Suche nach Jan. Gerade, als sie erfolglos zurückkamen, fanden sie sich und allen fielen laut polternd Steine vom Herzen. Es war tatsächlich so: Jan hatte ein Problem mit der Registrierung seiner kamerunischen Simkarte und Ronaldo stellte sicher, dass wir kamerunische Nummern austauschten – für den Fall, dass… Auch ich hatte mir riesige Sorgen gemacht, denn weil Jan am letzten Checkpoint nicht gehalten hatte, wusste er nichts von dem Schusswechsel und dem Risiko in Kumba.
Als mich ein übergewichtiger Kerl um „Geld für Essen“ anbettelte, fragte ich ihn an einem Donnerstagnachmittag: „Ich habe am Dienstag früh in Nigeria das letzte Mal etwas gegessen. Wer von uns beiden hat wohl mehr Hunger?“ Der speckige Typ verstummte, Ronaldo fragte, ob das stimme. Als ich bejahte fragte er, was ich essen möchte. „Obst“ antwortete ich und schon führte mich Ronaldo durch die Hintertür einer Saftbar. Saftbar! Als die Kellnerin die Karte brachte, war ich im siebten Himmel und erklärte, davon hätte ich einen Monat lang in Nigeria geträumt. „Ach ja, in Nigeria gibt es wenig“, sagte die Kellnerin und servierte Jan und mir zwei Papaya Milchshakes und Ronaldo einen Smoothie. Ronaldo wollte bezahlen, aber das kam gar nicht in Frage: so ein lieber Kerl! Meine ersten Kalorien seit 55 Stunden!
Ein paar Handgriffe später stand die Honda ganz einsam und alleine auf der Ladefläche eines leeren, riesigen Actros. Ronaldo hatte mich an einen Kollegen weitervermittelt, der nach Douala in den Hafen musste und ihm sein Restgeld für die Fahrt gegeben, da er wegen der ja „nicht vorhandenen Korruption“ in Kumba pausierte. Für mich gab es hinter Fahrer- und Beifahrersitz des Actros ein Brett und schon ging die Fahrt weiter. Der LKW war leer und weil ich nur ein loses Brett hatte und mich nirgends festhalten konnte, flog ich ganz schön in der Kabine herum und wurde hinter der großen Frontscheibe gegrillt – der Luftzug der geöffneten Fenster traf nur Fahrer und Beifahrer. Jan fuhr versteckt sehr dicht hinter dem Actros, sodass ihn niemand sehen und anhalten konnte und meine Actros-Crew feierte ihn dafür nach jedem Checkpoint, den wir ohne Kontrolle passieren konnten.
Die Dörfer entlang der Straße waren teilweise komplett zerschossen: Ruinen, überall Einschusslöcher, ausgebrannte Fahrzeuge, leere Gebäude. Mich erinnerte das an eine Fahrt durch Kroatien kurz nach dem Jugoslawienkrieg, aber damals war der Krieg dort vorbei und hier in Kamerun passierte er gerade um uns herum. Ich hatte gelernt, nur Englisch zu sprechen und meine Französischkenntnisse zu verheimlichen. So ging es wohl auch dem Actrosfahrer, denn kaum, dass wir in Douala hielten, sprach er plötzlich genauso fließend Französisch wie zuvor Englisch. Als wir so durch die zerschossenen Dörfer fuhren dachte ich: noch so ein vergessener Konflikt, noch so eine Region Afrikas, von der man in Europa nichts hört. Auch wir wissen davon erst seit zwei oder drei Jahren, seitdem wir uns mit möglichen Routen durch Afrika beschäftigen. Hier war die Hoffnung „bis wir da sind, ist hoffentlich Frieden“ leider umsonst.
Als wir durch Buea fuhren, hätte man eigentlich den Mount Cameroon sehen sollen. Der Kamerunberg ist mit 4095m der höchste Berg Afrikas. Aber weil sich dort auch eine der regenreichsten Regionen der Erde befindet (es regnet an mindestens 260 Tagen pro Jahr), war natürlich alles wolkenverhangen und man sah nichts. Der Ort Buea zu Fuße des Bergs war so chaotisch, dass wir beide unabhängig voneinander den ursprünglichen Plan aufgaben, dort wegen des Berges nochmal zurückzukommen. Wir überquerten den Mungo Fluss und waren in Sicherheit. Der Fluss ist die natürliche Grenze zwischen frankophon und anglophon und die Außengrenze von „Ambazonia“. Doch noch waren wir nicht samt Honda in Douala. Der Actros musste nur in einen der Häfen 15km außerhalb und fuhr nicht in die Stadt, aber sie dachten mit: auf einem Umschlagplatz wurde die Honda vom Actros auf einen winzigen Micro-LKW geladen, der mich samt Honda und Gepäck im maximalen Tempo von 36km/h nach Douala brachte.
Wir hatten uns die deutsche Seemannsmission herausgesucht, aber nicht reservieren können, weil die Webseite nicht funktioniert. Als wir völlig nass geschwitzt, unglaublich staubig, dreckig und körperlich am Ende (auch Jan hatte zwei Tage außer einem Schokoriegel und dem Milchshake in Kumba nichts gegessen, für mich war es der dritte Tag ohne Kalorien) ankamen, konnten wir nur hoffen, dass noch ein Zimmer frei war. Es war noch eins frei. Ein einziges. Die zweistöckige Suite für fünf Personen mit Küche, zwei Bädern und zwei Schlafzimmern, Wohnzimmer und Balkon. 120€ und auch nur eine einzige Nacht. Uns war es so egal: Hauptsache wir waren in Sicherheit und konnten essen und trinken.
Während ich an der Rezeption gerade den Check-In erledigte, stellte sich uns der Manager Klaus vor. Klaus ist eigentlich aus Südafrika, hat aber einen deutschen Pass und eine deutsche Ehefrau und spendierte uns gleich eine Runde Getränke. Es gab echten, richtigen, hundertprozentigen Ananassaft. Wie hatten wir nach so etwas in Nigeria gegiert! Oh Kamerun, du tust gut! Nach einer schnellen Dusche saßen wir endlich am Tisch und ich beendete meine unfreiwillige dreitägige Fastenzeit, Jan seine zwei Tage Fasten. Weil ich schon länger von einem Sofa träumte, hielten wir uns auch gar nicht lange mit Essen auf, sondern zogen zügig auf unsere drei Sofas der Suite um: herrlich! Wir waren in einer absoluten Oase!
Nach einer erholsamen Nacht gab es sogar Obst zum Frühstück und als Klaus sah, mit welchen leuchtenden Augen wir das schlemmten, ließ er uns noch einen großen Obstteller „aufs Haus“ servieren. Dann war es Zeit für die schlechten Nachrichten: die deutsche Seemannsmission war komplett ausgebucht, es hatte leider niemand wie erhofft abgesagt und wir standen mitsamt funktionslosem Motorrad und einem Haufen Gepäck und stinkender Dreckwäsche auf der Straße. Mama Afrika war in den letzten Wochen so hart mit uns gewesen. Nigeria hatte unglaublich viel Kraft und Nerven von uns gefordert, dazu die Situation mit dem Essen und der defekten Honda: wir brauchten dringend ein paar Tage Pause, um wieder zu Kräften zu kommen. Um zu essen, zu schlafen und wieder die Batterien aufzuladen. Würde Mama Afrika uns endlich wieder in ihren Schoß aufnehmen?
Weil das am Wochenende mit dem Strom und dem Blogpost nicht ganz geklappt hat, hier nochmal der Link zum zweiten Video von Nigeria:
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