Der Tag begann um 6 Uhr, denn unser Schnellzug nach Hongkong hatte um 9 Uhr Abfahrtszeit. 3 Stunden vorher aufstehen? Ja, leider. Denn wir wachten zwar in einem Bahnhofshotel auf, aber es war der falsche Bahnhof. Wenn man mit „deutscher Denke“ plant, dann gibt es nur einen Fernbahnhof pro Stadt, richtig? Leider ist das hier nicht Düsseldorf, sondern Shenzen und nicht Deutschland, sondern China. Der für uns richtige Bahnhof lag 17km nordwestlich, wir waren daran am Tag zuvor bereits vorbeigefahren. Abfahrtszeit 9 Uhr heißt auch: Berufsverkehr. Der ist in Düsseldorf schon schlimm, aber in einer 12,5 Millionenstadt (das sind 20x so viele Einwohner wie Düsseldorf!) eine ganz andere Nummer.
Wir jedenfalls verbrachten den Morgen im Stau statt beim Frühstück (oder im Bett) und ärgerten uns. Aber vielleicht hatten wir ja am falschen Bahnhof übernachtet, weil es am richtigen Bahnhof keine Parkmöglichkeit für Kittymobil gibt? Nein, auch das nicht. Als wir ankamen, sahen wir überall „Park&Rail“ Werbung für das riesige Bahnhofsparkhaus. Und ein Bahnhofshotel keine 100m entfernt. Nie wieder Pauschalreise, das können wir deutlich besser!
Doch es kam noch schlimmer. Der Zug war einer dieser Raketenzüge Chinas, wir düsten mit 200km/h in 15 Minuten von China nach Hongkong. Am Bahnhof in Hongkong war dann Passkontrolle. Und wir wurden beide sofort herausgezogen. Warum? Nun: Pauschalreise. Derjenige, der eine Exceltabelle zum Reiseverlauf erstellt hatte, ist nicht fähig, bis 30 zu zählen. Wir hatten das Visum überzogen. Ein Teil ist das auch unsere Schuld, denn wir hatten in den letzten 4 Wochen ja schon mehrmals festgestellt, dass wir besser Reisen planen können als manch Reiseveranstalter und hätten alles kontrollieren sollen, aber dass jemand solche grundlegend wichtigen Sachen „vergisst“, darauf wären wir nie gekommen!
Weder der deutsche Reiseveranstalter noch sonst jemand, der diesen Reiseplan bearbeitet hat (zum Beispiel die Visaagentur, der die Daten genau so wie vom deuschen Veranstalter fehlgeplant vorlagen), ist darauf gekommen, zu hinterfragen, ob der Reiseplan rechtlich so überhaupt durchführbar ist. Wir haben beide mindestens 70 Länder bereist und so etwas ist noch nie vorgekommen: geplant das Visum zu überziehen! Ärgern half nichts, wir saßen fest, spielten die doofen Pauschaltouristen, die sich auf einen deutschen Reiseveranstalter verlassen haben. Und so war es ja auch.
Entgegen aller wilder Gerüchte waren die chinesischen Polizisten super nett und hatten Verständnis für unsere Situation. Nachdem sie uns ein wenig hatten schmoren lassen, bekamen wir erklärt, dass man uns diesmal nur schriftlich verwarnen werde, das nächste Mal würden wir damit aber nicht wegkommen. Wir gelobten Besserung („nie mehr Pauschalreise!“), unterschrieben irgendwelche chinesischen Papiere und waren frei. Frei in Hongkong. Und da war alles gleich anders.
Hongkong ist ja zurzeit jedes Wochenende im deutschen Fernsehen und in der Presse. Dann wisst Ihr ja, dass Hongkong bis vor 22 Jahren britisch war und nun von China unter dem Motto „Ein Land, zwei Systeme“ regiert wird. Diese zwei Systeme sind überdeutlich. Wir mussten nur 3 Stationen mit der Metro zu unserer Unterkunft und bis wir dort waren, hatten wir schon gemerkt: alle sprechen sehr gut Englisch, man stellt sich an Bushaltestellen in langen Reihen ordentlich britisch an, die Busse sind sowieso die roten Doppeldecker aus London, es herrscht Linksverkehr und kein Mensch rennt mit Sonnenschirm, Mundschutz und überdimensioniertem Sonnenhut oder sonstigen „Sonnenschützern“ wie UV Schutz Ärmlinge, lange UV Schutz Mäntel, Sonnenschilde etc. herum.
Hongkong gefiel uns ab der allerersten Sekunde! Wir hatten für unsere 3 Tage in Hongkong eine Mischung aus Shopping und Sightseeing geplant. Das Entspannende dabei war: Sightseeing macht in Hongkong wieder richtig Spaß, denn es ist alles bezahlbar! In Hongkong kommt keiner auf die Idee, 60$ für eine Brücke zu verlangen, das Tagesticket ÖPNV kostet 7,50€ und die Star Ferry nach Hongkong Island 20cent. Das Resultat: in der City ist kaum Verkehr, nur wenige PKW düsen dort herum. Und wenn, dann fährt man japanische oder europäische Automarken, das Stadtbild ist dadurch ganz anders. Busse, Fähren und U-Bahn sind blitzesauber, fahren in ganz kurzen Abständen, sodass man immer sehr schnell, sauber und günstig da ist, wo man hin will. Guck Mal, Deutschland!
Jan brauchte seit einigen Monaten neue Schuhe, wir googelten (ja! Freies Internet in Hongkong, man kann googeln!) die Marke und den Shop und düsten mit der Metro hin. 10 Minuten später hatte Jan seine Schuhe und wir stürzten uns ins Elektronik-Kaufhaus. Preise schauen, Produkte gucken – und einen Adapterstecker kaufen. Da Hongkong ja britisch war, sind auch britische Steckdosen verbaut – und der Reiseadapter lag im Kittymobil auf dem Festland. Daran haten wir nicht gedacht!
Kurz vor Sonnenuntergang fuhren wir mit einer extrem steilen (Seil-) Straßenbahn auf den Victoria Hill auf Hongkong Island und genossen den Sonnenuntergang über der Skyline von Hongkong. Wir waren verliebt in die Stadt – in uns natürlich auch – und fühlten uns frei. Wir konnten die Menschen in Hongkong sehr gut verstehen, warum sie protestieren, es ist ein riesiger Unterschied zum Festlandchina! Sehr kultiviert, sehr britisch strukturiert, ein schönes Flair der Stadt irgendwo zwischen London, New York und Bangkok. Wir fühlten uns auf eine merkwürdige Art auch „zuhause“…
Die folgenden beiden Tage verbrachten wir damit, unsere Einkaufslisten abzuarbeiten. Jans erst im Januar gekaufte teure Mammut Camping-Kopfkissen war schon 2x undicht geworden, sodass er jetzt auch lieber „billig“ auf Decathlon sein Haupt bettet, wir beide hatten nach über 1,5 Jahren je ein von der Sonne ausgebleichtes T-Shirt zu ersetzen, unser Kanister im Kittymobil war undicht, wir brauchten dringend ein passendes Mosquitonetz für Kittymobil, Jans Kulturbeutel war nach „nur“ 25 Jahren löchrig und mit ausgerissenen Zippern, eine LED Lampe im Kittymobil war kaputt,… Hongkong hat so tolle Outdoor-Läden, sodass wir mehr Auswahl hatten, als uns gut tat. Ihr kennt das: man geht mit einer konkreten Einkaufsliste zu IKEA und kommt mit Kerzen, Servietten und Grünpflanzen beladen wieder heraus. So ähnlich ist es in Hongkong.
Am Ende der 3 Tage Hongkong hatten wir jeder eine Plastiktüte mehr Gepäck. Kurz vor Ladenschluss hatten wir uns dann nach 3 Tagen Überlegen doch noch im Haushaltswarengeschäft für Luxusgüter entschieden: ich habe mir für 11€ eine Standmixer/Blender mit USB Anschluss für Kittymobils Küche gegönnt (Smoothies! Milkshakes!), Jan hat 12€ in eine USB-betriebene portable Klimaanlage (Kopie der “Evapolar“) investiert. Luxus hält Einzug in unseren vier Wänden auf Rädern…
Wir waren noch auf dem Goldfischmarkt (wo die Pelztiere deutlich interessanter waren), dem Lady’s market, dem Nachtmarkt, in der Shanghai Street und haben uns zur „Music und Light Show“ auf Hongkong Island auf eine öffentliche Dachterrasse gesetzt. Blöd nur: alle um uns hatten die Musik zur Lichtshow über Hongkong synchron per App auf ihren Handys. Wir nicht, da wir für die 3 Tage Hongkong darauf verzichtet hatten, uns Simkarten zu kaufen. Die Simkarten vom Festland sind in Hongkong nämlich nutzlos – außer, man zahlt teure Roaminggebühren. Ein Land, zwei Systeme.
Und dann lasen wir in den deutschen Nachrichten, dass es in Hongkong wieder schlimme Unruhen und Proteste gegeben hätte. Während wir da waren. Da wir die Berichterstattung zum Thema Iran aus Westmedien ja schon kannten, googelten wir nach den Ereignissen des Tages auf Englisch. Bloß fanden wir wenig dazu. Ja, es waren in Hongkong am Samstag Molotowcocktails geflogen und ja, es war demonstriert worden. Bloß hatte all das nichts mit Pro/Anti China zu tun, sondern war eine genehmigte Demonstration von Menschen aus einem 20km entfernten Viertel einer Vorstadt, die sich darüber beschwerten, dass in „ihrem“ Park Frauen für „öffentliche Tanzdarbietungen Geld von älteren Männern“ nehmen und man „so etwas“ im Viertel nicht will. Glaubt Ihr nicht? Lest oder googelt selbst: Aufstand im Viertel 🙂
Ach ja, laut deutschsprachigen Medien soll es noch zu Zusammenstößen zwischen Regimekritikern und Parteitreuen gegeben haben. Was wirklich passiert ist, war alles andere ein „Zusammenstoß“, denn dafür müssen ja beide Parteien auch aufeinandertreffen, oder? Parteitreue Chinesen haben am Samstagnachmittag die „Lennon Walls niedergerissen“. Klingt schlimm, oder? Die „Lennon Walls“ sind lediglich die Wände der U-Bahnstationen, an denen die Regimekritiker Flugzettel und Post-its aufhängen. Und diese Papierschnipsel wurden nachmittags entfernt. Und abends waren sie alle wieder da, frisch aufgeklebt und teils mit Blumen dekoriert. Ganz böse, oder nicht? Glaubt Ihr auch nicht? Kann man googeln, wenn man sich nicht auf deutsche Sprache fixiert. Oder kann man uns auch einfach glauben, wir haben es ja gesehen. So, wie wir auch vor mittlerweile einem Jahr im Iran tagtäglich gesagt haben: „morgen bricht garantiert kein Irankrieg aus“. 😊
Auch Audrey war übrigens überrascht, wie friedlich es in Hongkong ist. Sie hatte Angst um ihre Sicherheit, hatte Angst, als Festlandchinesin diskriminiert zu werden. Und stellte glücklich fest: „Alle Menschen so nett da und es gibt da weder Polizei noch Militär!“ Ja, Reisen bildet auch kleine Pandabärchen! Sie war ohne uns einen Tag in Hongkong im Aquarium. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Und das Beste des Tages war, wie viel Geld sie für Gesichtsmasken in der Parfümerie gespart hat… So hat jeder seine eigenen Interessen. 😊
Leider hatte ihr Interesse wenig mit uns und ihrem Job zu tun, denn als wir in Shenzen auf dem Bahnhof standen wo der Fahrer uns hätte abholen sollen, war keiner da. Oder wir haben ihn nicht gesehen oder er uns nicht oder er war zu spät oder… Audrey hielt es nicht für nötig, dabei zu sein, sie genoss die Lobby eines 5* Hotels, in dessen Tiefgarage Kittymobil stand. Bis dahin „genossen“ wir wieder 17km im allmorgendlichen Berufsverkehr einer 12,5 Millionenstadt, indem wir von Bahnhof zu Bahnhof fuhren – und dann 160km wieder genau so zurück, wie wir gekommen waren. Durch den Molochverkehr eines Agglomerationsgebietes mit Einwohnerzahlen, die für Deutsche nicht vorstellbar sind. Wahrscheinlich wurde es deshalb in Deutschland auch genau so geplant…
Hongkong war klasse. Wir wollen wiederkommen, denn wie immer auf dieser Reise: das war zu kurz! In uns reifen konkrete Pläne für eine weitere Reise durch China. Noch länger und viel langsamer. Doch dazu brauchen wir ein Visum. Ob wir das wohl bekommen, obwohl wir dieses Visum überzogen haben?
Übrigens: Seit etwa einer Woche haben wir große Probleme, uns von Festlandchina ins freie Internet einzuloggen. Wir nutzen diverse VPN, aber es scheint, als seien die IMEI Nummern unserer (mobilen?) Endgeräte blockiert oder ähnliche technische Raffinessen umgesetzt. Da bedeutet: wenn Ihr nichts von uns hört, dann geht es uns trotzdem gut. Wir reisen nur ganz einfach so wie damals, als Kittymobil frisch vom Band lief: offline ohne google, Facebook, WhatsApp, TripAdvisor und Co.
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Danke für eure wunderbare Berichterstattungen. Das die Wahrheit, wie so oft, zwischen den Zeilen liegt, ist ja ein offenes Geheimnis, das es aber so krass ist, hätte ich nicht für möglich gehalten.
Herzliche Grüße
Sven