Willkommen zum 200. Blogbeitrag seit Abfahrt am 27.2.2018! In der letzten Woche haben wir wieder so viel erlebt und gelernt, dass uns an manchen Tagen fast der Kopf geplatzt ist und wir daran denken mussten, dass uns letztens eine Amerikanerin fragte: „Was macht Ihr mit all dem Wissen?“ Mit Euch teilen! So entstehen 200 Blogbeiträge – und noch viele mehr.

Wir verließen Man mit frisch gewaschenen Motorradklamotten, sauberen Motorrädern und duftender Wäsche. Wir hatten erfahren, dass in den nächsten Wochen nur asphaltierte Straßen auf uns warten. Luxus und Langeweile pur, denn diese Straßen führen hier mangels Berge nur geradeaus. So rollten wir den ersten Tag bis Odienné, wo wir bei Temperaturen über 40°C ein bisschen Schwierigkeiten hatten, eine preislich gerechtfertigte Unterkunft zu finden.

Am zweiten Tag Asphalt geradeaus kamen wir in Korhogo an und fanden sofort ein niedliches Hotel, in dem wir herzlich empfangen wurden. Bamba, mit dem wir in der Woche zuvor beim „Maskenmann und Stelzentanz“ unterwegs waren, hatte uns die Telefonnummer seines Kollegen „Cheribibi“ gegeben, mit dem wir uns auch gleich trafen. In der Elfenbeinküste fand der Africa Cup statt und die Elfenbeinküste hatte es ins Finale geschafft. Zu dritt liefen wir zum Fußballgucken und da lief alles ein wenig anders, als erwartet.

Bei der ersten „public viewing location“, zu der wir liefen, war „kein Platz mehr für uns“. Wir verstanden nicht ganz, waren wir doch gewohnt, eng an eng stehend Fußball zu schauen. Dort waren Plastikstühle vor einer riesigen Leinwand aufgereiht. „Kein Platz mehr“! War das nur für VIP? Nein, denn auch die nächste Location war identisch aufgebaut, nur größer: zwei riesige Bildschirme und lauter bunte Plastikstühle auf dem ganzen Platz. Die Leute tranken Bier aus Glasflaschen oder holten sich am Getränkestand Wein in Gläsern oder saßen an Tischen und knabberten Grillhuhn.

Wir wurden sogar vom Lokalsender zum Interview gebeten!

Nach dem Anpfiff ging es so gesittet weiter. Meine Sitznachbarin kommentierte quasi jeden Schuss mit Quietschstimme. Sie hatte viel zu meckern, denn die Elfenbeinküste lag gegen Nigeria zunächst zurück. Selten sprang mal jemand auf und brüllte herum. Als das Tor zum Ausgleich fiel, wurde natürlich hüpfend und jubelnd gefeiert – um sich dann wieder hinzusetzen. Es hatte eher so die Atmosphäre eines öffentlichen Wohnzimmers für hunderte Menschen: man sitzt gemütlich, lehnt sich zurück, trinkt etwas und guckt Fußball. Der Bürgermeister persönlich schaute vorbei und spendierte Fanartikel und ein Getränk pro Zuschauer. Seine Wiederwahl scheint gesichert. Letztendlich wurde die Elfenbeinküste zum dritten Mal Afrikameister und unser Begleiter drängte uns eine Minute vor Abpfiff dazu, das Gelände so schnell wie möglich zu verlassen, da es gleich mit der Sittsamkeit ein Ende habe. Und tatsächlich: kaum verließen die Zuschauer das Festgelände, ging die wilde Feierei los: die Leute fuhren zu mehreren ohne Helm und mit Bier und Wein im Blut völlig verrückt und rasend schnell mit hunderten Motorrädern durch die Stadt: im Slalom, entgegen der Fahrtrichtung, im Gegenverkehr, im Drehzahlbegrenzer,… eine wilde Party, die eher Angst machte als animierte, mitzufeiern. In den vergangenen Wochen hatte es auch schon Tote beim Feiern gegeben und vor dem Anblick wollte uns Cheribibi verschonen.

Am nächsten Morgen holte uns sein Sohn mit seinem Motoroller ab. Er sollte uns die für die Region rund um Korhogo bekannten Kunsthandwerkerdörfer zeigen. Er düste vorneweg und als der Asphalt endete (es gibt also doch noch Pisten in der Elfenbeinküste!) erkundigte er sich fürsorglich, ob wir das fahren können? Auch bei der anschließenden Polizeikontrolle war der Polizist in Sorge um uns: die Straße sei schlecht, wir sollten nicht zu schnell fahren. Vor uns lagen 20km feinste geschobene Piste, auf der wir normalerweise nicht langsamer fahren als auf Asphalt. In der Regel geht das sogar schneller, weil es keine scharfen Kanten an Schlaglöchern gibt. Wir staubten zu zweit auf der Honda hintereinander her und erreichten ein „Eisendorf“. In der Umgebung des Dorfes ist der Boden reich an Eisenerz und die Leute im Ort sind seit Jahrhunderten dafür bekannt, aus dem Boden das Eisen zu gewinnen und daraus Hacken, Schaufeln, Sicheln, Messer und andere Gebrauchsgegenstände zu fertigen.

Das Erste, was uns auffiel war, dass dort junge Männer fast nackt herumliefen: sie trugen nur ein Tuch zwischen die Beine und um die Hüften geschlungen. Außer uns fand das niemand komisch, denn das sei normal so für die letzten 7 Jahre des Initiationsritus. Jedes Volk hier hat andere Regeln, wie dieser Ritus abläuft. In der Region um Man beim Volk der Dan, wo wir die Woche zuvor waren, entscheiden die Eltern, wann ihre Söhne alt genug sind, um zum Erwachsenen zu werden und schicken dann ihre Söhne mit den anderen Jungs der Gemeinschaft in den „secret forest“, wo sie alles lernen, was man als Erwachsener braucht. Hier, rund um Korhogo bei den Senoufo, dauert der Initiationsritus 3×7 Jahre und jede Zeitspanne hat ihre eigenen Regeln: 8 bis 15 Jahre, 15 bis 22 Jahre und 22 bis 29 Jahre. Und im letzten Drittel müssen die Männer in blauen Lendenschürzen herumlaufen. Egal wo. Auch in der Stadt? Verständnislos wurde ich angeschaut: Warum in der Stadt nicht?

Zurück zum Eisen. Der Schmied, der uns das erklärte war älter als 29 und dementsprechend auch bekleidet. Zunächst wird die erzreiche Erde gesiebt und mit Wasser zu faustgroßen Matschekugeln geformt und getrocknet. Währenddessen wird ein pilzförmiger Ofen angeheizt, der fast hermetisch verschlossen wird, um möglichst große Hitze zu erzeugen. Nur auf dem Dach des Lehmofens, auf dem wir mit vier Erwachsenen standen, ist eine kleine Öffnung für den Rauch – und um die Lehmkugeln ins Feuer zu werfen. Ein bisschen hatten wir Sorge, dass das Dach unter dem Gewicht von uns allen bricht und wir auch in der Glut landen…

Die Hitze schmilzt dann das Eisen aus der Erde und nach dem Abkühlen des Ofens wird der Eisenklumpen in Stücke zerbrochen und kleingemahlen. In einer Schale wird dann der „Eisensand“ auf der Glut verflüssigt. Das dauert für eine kleine Müslischale voll „Eisensand“ etwa 3-4 Stunden, je nachdem, wie intensiv man die Glut mit dem Blasebalg anfacht. Bis es so weit ist, ritzt man die Form des zukünftigen Werkstücks in den feinsandigen Boden direkt vor der Feuerstelle und gießt dann das flüssige Eisen hinein. Nach dem Erkalten arbeitet der Schmied dann ganz normal weiter, wie in jeder modernen Schmiede auch, in der das Eisen nicht erst aus der Erde gewonnen werden muss. Hochinteressant für uns! Leider konnten wir nichts aus dem Angebot der geschmiedeten Gartengeräte gebrauchen, die noch so archaisch wie in der Eisenzeit gefertigt werden.

Was mich ganz besonders interessierte und wonach ich Bamba in Man schon gefragt hatte: wie stellt man eigentlich Karité / Shea Butter her? Wir befinden uns mittlerweile wieder in der Savanne, in der die Karitébäume wachsen, doch wie wird aus der Frucht die Butter? Wir düsten zu einer Frauenkooperative, in der die Butter in Handarbeit hergestellt wird.

Zunächst sammeln die Frauen die Nüsse und bringen sie nach dem Trocknen und Schälen zur Koorperative, wo sie über Feuer gemahlen werden. Warum das über Feuer geschieht, habe ich nicht ganz verstanden. „Das macht man so“. Okay. Dann ist das so. Vielleicht wisst Ihr ja warum, denn auf Wikipedia steht auch nur, dass man das so macht.

Im nächsten Schritt wird in einer „Höllenmaschine“ mit riesigem Krach aus den geriebenen Nüssen ein cremiges Nuss Mus gemahlen, das stark an Nutella erinnert, aber herber schmeckt. Die Nussmühle wird von einem Mann betrieben. In einer Frauenkooperative? Ja, bekamen wir erklärt, die schweren Arbeiten werden von Männern ausgeübt. So schwer war die Arbeit nicht: oben geriebene Nüsse rein, unten rechtzeitig die volle Schüssel wechseln. Ich glaube, die Männer machen da eher die Arbeit, die keiner machen will: auf die lärmende Höllenmaschine aufpassen.

Die „Nutella“ wird dann von Frauen per Hand mit Wasser zu einer Art „Suppe“ vermischt, die dann auf dem Feuer so lange erhitzt wird, bis das Öl oben schwimmt, die Feststoffe sich unten absetzen und man das Fett abschöpfen kann. Ein bisschen wie beim Palmöl, wie wir in Sierra Leone lernten. Nach dem Abschöpfen des Öls wird das Wasser größtenteils verdampft und der Prozess beginnt nochmal von vorne: Frauen mischen den „Bodensatz“ per Hand mit Wasser, die „Suppe“ wird erhitzt, das Öl abgeschöpft.

Die dann ausgelaugten Feststoffe werden mit dem Rest Brühe in großen Becken gesammelt. Sind sie von der Konsistenz formbar, werden daraus handballgroße Kugeln geformt, in der Sonne getrocknet und dann als Brennstoff zum Befeuern der Öfen genutzt.

Die Karitébutter kühlt unter Rühren langsam ab und wird dann zum Verkauf verpackt. Ich hätte gerne ein Cremetigelchen gekauft, aber die kleinste Verkaufseinheit war 1/2kg, da die Butter in der Elfenbeinküste hauptsächlich zum Kochen und nicht als Kosmetik genutzt wird. Sehr schade, denn weil wir die letzten Wochen in der extremen Feuchtigkeit Liberias verbracht hatten und nun innerhalb weniger Tage in die trockene Savanne mit heißem, trockenem Saharawind gefahren waren, platzten uns Nasenschleimhaut, Lippen, Fersen und Hände auf.  Die Damen ließen mich probieren, aber das etwas klebrige Mundgefühl fand ich nicht lecker. Muss man wohl mit aufwachsen.

Wir fraßen weiter Staub hinter dem Roller von Cheribibis Sohn, als er uns in ein kleines Dorf brachte, in dem unter einem Mangobaum Männer saßen und Perlen fertigten. In der Nähe des Dorfes gibt es eine Tongrube, aus der die Männer Ton für ihre Arbeit holen. Zum Rollen der Kugeln fetten sie ihre Hände mit Karitébutter ein, damit die Tonkugeln eine feine Oberfläche bekommen.

Nachdem die Kugeln getrocknet sind, werden sie zusammen mit Reisspelzen gebrannt. Die Reisspelzen dienen dazu, die Oberfläche der Kugeln schwarz zu färben. Dann werden sie bemalt. Nicht mit Farbe und Pinsel, sondern mit kleinen Federchen und natürlichen Pigmenten: Kaolinit (ein Mineral) für Reinweiß, die Blätter des Teakbaums für einen warmen Rotton und so weiter. Der Töpfer dreht dabei die Kugel auf einem Holzstäbchen (die ein weiterer Mann im Akkord schnitzte) direkt auf dem Rist seines Fußes, wo deswegen eine dicke, wulstige Hornhaut wuchs. Fuß statt Töpferscheibe!

Traditionell werden die Kugeln als Endgewicht und „Stopper“ von Spindeln genutzt, mit der Frauen die in der Region angebaute Baumwolle spinnen. Natürlich auch zu Schmuckzwecken und wir waren sofort verliebt in all die schönen bunten, toll verzierten Perlen, die es im „open air shop“ zu bewundern gab. Kurz dachten wir darüber nach, den Kram in einen Container zu packen und in Deutschland auf einem Weihnachtsmarkt zu verkaufen, um den Töpfern ihr Handwerk zu erhalten. Einmal kurz Standmieten für Köln und Hamburg gegoogelt: nein, 2000€ pro Woche plus Zoll, Einkommensteuer, Einfuhrsteuer, Umsatzsteuer etc. tun wir uns nicht an. Obwohl die Töpfer das so verdient hätten!

Uns brummte fast schon der Kopf vor lauter Wissen. Waren wir nicht gerade noch am Morgen in der Eisenzeit gewesen und hatten gelernt, wie man aus Erde das Eisen für die Schaufel gewinnt, mit der man dieselbe Erde schaufelt? Was machen wir nur mit all dem neuen Wissen nur von diesem Tag? Noch ein Dorf mit Webern, dann stoppten wir den Eifer des Sohnes, der uns auch noch Holzschnitzer zeigen wollte.

Die mit lokal gewonnenem Eisen im „Eisendorf“ geschmiedeten Gartenwerkzeugen regional angebaute Baumwolle, die mit mit Karitébutter geölten Händen gefertigten perlenbesetzten Spindeln gesponnen wurde, muss ja schließlich auch verarbeitet werden! Hier hängt traditionell alles zusammen: jedes Dorf hat seine eigene Spezialität: erzhaltigen Boden, Tongrube, Baumwollfelder, Karitémanufaktur etc. und am Ende fügt sich alles zusammen auf dem Wochenmarkt: jeder braucht quasi jeden und das Produkt. Also auf ins Dorf der Weber! Das Herzstück des Ortes ist ein großes Dach, unter dem 100 Webstühle stehen: 50 auf jeder Seite. An jedem Webstuhl werden ellenlange, ca. 15cm breite Stoffbahnen gewebt, die dann in einer Näherei zu großen Stoffen je nach Zweck zusammengefügt werden. Die Bettdecke in unserem Hotel ist aus solchen Bahnen genäht: grobe, handgesponnene und handgewebte Baumwolle.

Die Weber sind ausschließlich muslimische Männer, die ihr Können ihren Söhnen weitergeben. Überall im Ort sieht man Männer, auch unter freiem Himmel, an Webstühlen sitzen und kilometerlange Bahnen webend. Der ganze Ort besteht quasi nur aus Baumwollgarnballen, Schnüren und Webstühlen. Und einem Verkaufsstand, an dem die Einheimischen fleißig einkauften: Tücher, Decken, Taschen, traditionelle Kleidung ohne Ende. Jetzt, da wir wissen, wie die Produkte aussehen, erkennen wir sie auch im Alltag wieder: hier ein Kind mit einem Kleidchen aus dem Stoff, dort eine Tischdecke, hier eine Gardine, da ein Tragetuch. Hoffentlich bleibt das noch lange so, denn das mit dem Weihnachtsmarkt ist ja leider sinnlos.

Wir waren geplättet von so viel Input und auch von der Hitze. Seit etwa einer Woche ist es tagsüber immer über 40°C heiß und wir fahren quasi durch einen Heißluftofen. Was wir trinken, verdunstet gefühlt sofort. Es ist aber eine sehr trockene Hitze, die gut zu ertragen ist, wenn man nicht gerade in der Sonne oder am Feuer der Schmiede oder Nussmühle steht. Am nächsten Morgen stand Cheribibi am Frühstückstisch. Er wollte uns unbedingt den „heiligen Felsen“ und das „Fetischdorf“ zeigen. Ich hatte von beidem schon gelesen, war aber nicht wirklich erpicht darauf zu sehen, wie blutende Hühner an den Felsen geschlagen werden, dass das Blut spritzt. Er überredete uns und wir düsten ihm hinterher.

Der heilige Felsen sieht wirklich gruselig aus: an ihm kleben Federn und Blut und eine getrocknete große Blutspur fließt das Felsplateau hinunter auf eine Wiese, in deren Gras sich wie dicker Schnee all die Hühnerfedern sammeln… Gott sei Dank war gerade keine Kundschaft da und wir mussten nicht sehen, wie Opfertiere (gerne auch Ziege oder Schaf, außer Wildtieren und Schweinen ist alles erlaubt!) mit durchgetrennter Kehle gegen den Opferfelsen geschlagen werden.

Wer Sorgen, Probleme und Nöte hat, kommt zu den Schamanen, die im Schatten des Felsens auf Kunden warten und hat erstmal einen Beratungstermin. Dort hört der Schamane zu und bestimmt dann in Konsultation mit den Geistern, mit denen er in Kontakt tritt, was zu tun ist. Das kann das Opfern eines Tieres sein oder auch ein Medizintrunk aus einem der Tongefäße, die zwischen den Felsen im Schatten standen. Diese Medizin wird während der Regenzeit mit Wasser hergestellt, das ausschließlich aus einem wie eine Schale geformten heiligen Stein verwendet werden darf. Um den heiligen Felsen herum werden dann weitere Zutaten für die Medizin gesammelt. Die Schamanen tragen Umhänge (auch aus dem Weberdorf, wie uns auffiel!) mit Schlangenmotiv und zwischen den Steinen waren auch Schlangen aus dem Stein gehauen. Was ist das internationale Symbol für Apotheke? Na? Irgendwie hängt doch alles zusammen.

An anderen heiligen Felsblöcken warteten in rot gekleidete Frauen auf Kundschaft. Sie sind Wahrsagerinnen, mit denen man sich unterhält, wenn man Entscheidungshilfe für die Zukunft braucht. Die Wahrsagerinnen unterhalten sich dann mit den Geistern. Meist liegt die Lösung in der Einnahme eine „Medizin“ oder in einer Kombination aus Medizin und kleinen Tonfiguren. Die ganze Gegend um den Felsen ist heilig. Hier ein heiliger Stein (weil er sich nicht bewegt), dort ein heiliger Baum (weil man aus der Rinde Medizin für die Zeremonien macht) etc. Die Animisten sehen Geister überall. Die Schamanen und Wahrsagerinnen sind auch bloß Vermittler zu den Geistern der Ahnen, die dann die an sie herangetragenen Probleme lösen. Eine für uns fremde, aber nicht unsympathische Welt.

Cheribibi hatte uns noch überredet, zu einem 55km entfernten animistischen Dorf zu fahren. Es war heiß, wir saßen zu zweit auf meinem Motorrad (welches wir wegen der vorhandenen Soziusrasten immer als „Cityscooter“ zu zweit nutzen) und fuhren durch den Heißluftofen bei 43°C. Weil ich als Sozia komplett hinter Jan verschwinde, kassierte er den Fahrtwind und ich saß vor mich hin schwitzend im Windschatten. Sozia möchte ich definitiv niemals länger als bis zum Supermarkt sein, aber wir düsten durch den Backofen und bekamen durch den Staub eine „gesunde Hautfarbe“, waren wir doch in T-Shirts unterwegs und nicht in Motorradjacken. Gut, da bleiben die Moppedklamotten also sauber!

Der heilige Felsen war schon eine andere Welt, das Dorf Niofoin war es auch: jedes Viertel hat ein „Fetisch-Haus“ und manche Privatleute haben zusätzlich ihr eigens Fetisch-Haus. Im Fetisch-Haus werden alle Gegenstände aufbewahrt, die man für Zeremonien braucht und nur der „Wärter“ darf hinein. In Niofoin, bekommen die Fetisch Häuser jedes Jahr eine neue Lage Stroh aufs Dach, wodurch Häuser entstehen, die für uns sehr nach „Schlumpfhausen“ aussehen.

Die Außenwände der Fetisch Häuser sind dekoriert mit Lehmfiguren: die Schlange natürlich, die Maske als höchste Instanz auf Erden, die Initianten (mit deutlichen Geschlechtsmerkmalen) etc. Jedes Dorfviertel hat außerdem noch einen „Palaverbaum“ in der Nähe des Fetisch Hauses. Schattige Unterstände aus dicken, jahrhundertealten Baumstämmen mit herrlicher Struktur, vom vielen Sitzen blank poliert. Unter dem Palaverbaum werden in der Dorfgemeinschaft Probleme gelöst, Streit geschlichtet und Entscheidungen getroffen.

Auch hier, ähnlich wie in der Region rund um Man, haben Männer und Frauen getrennte Häuser. Eine Frau ließ uns in ihr „Rundalow“, in dem sie gerade Fisch über dem Feuer räucherte. In ihrer Küchenecke hatte sie auch ein paar Tongefäße mit Kräutermedizin. Mir persönlich wäre es zu schwarz-rauchig in einem solchen „Frauenhaus“, weil der Rauch des Kochfeuers nur durch die Tür abzieht und sich im Gebälk verfangen soll, um gegen Ungeziefer wie z.B. Termiten zu schützen.

Cheribibi kannte im Dorf viele Leute und während er sich durchs Dorf schwätzte, saßen wir bei zwei Frauen, die Baumwolle sponnen: mit Spindeln mit genau den Kugeln aus dem Dorf, in dem wir am Vortrag waren! Sie arbeiteten ganz ruhig vor sich hin, erzählten sich etwas, sponnen, die Vögel zwitscherten, es war unglaublich friedlich.

Auch die Kinder waren unglaublich friedlich und sozial: Cheribibi schenkte einem vielleicht 1,5-jährigen Mädchen einen Lolli. Noch bevor sie ihn richtig in der Hand hatte, forderte sie mit einer stummen Geste einen weiteren Lolli für ihren Bruder, der natürlich auch einen bekam. Wir waren sprachlos. Jan fand später eine schöne Feder auf dem Boden, die er erst mir schenkte und weil der Junge sie interessiert ansah, gab ich sie an ihn weiter. Die kleine Schwester verzog deswegen kurz den Mund, ließ ihren Bruder aber ganz in Ruhe mit der Feder spielen – bis er ihr die Feder weiterreichte. Einfach so. Es fielen überhaupt keine Worte, alles geschah mit einer Selbstverständlichkeit von Gerechtigkeit und sozialem Verhalten, wie ich es selten bei Kindern in dem Alter erlebt habe. Nachdem sich die Kleine eine Weile mit der Feder beschäftigt hatte, gab sie sie mir zurück, damit ich auch damit spielen konnte. So ging es mehrere Runden reihum und wir teilten uns eine wunderschöne Feder, bis ein Windstoß sie wegwehte. Auch dann kein Geschrei, kein Laut. Die Feder war weg, unser Spiel beendet. Unglaublich!

Später saßen wir mit dem wahrscheinlichen Dorfältesten unter einem der Palaverbäume und während er und Cheribibi Neuigkeiten austauschten, forderte der alte Mann uns plötzlich auf, ihn zu fotografieren. Im Dorf sind Smartphones und Strom vorhanden, aber trotzdem wirkte alles ob der großen Friedlichkeit ein wenig der Jetztzeit entrückt. Cheribibi formulierte es so: „Die Leute stehen mit den Füßen in der Gegenwart, aber sind mit dem Kopf in festen Traditionen“. Irgendwann verabschiedeten wir uns und fuhren zu dem „Event“, wegen dem wir ganz ursprünglich letztes Wochenende Cheribibi kontaktiert hatten: der Tanz der Panther!

Der Boloye Tanz wird beim Volk der Senoufo zu Beerdigungen aufgeführt, um böse Geister zu vertreiben. Maximal fünf als Panther verkleidete Initianten im Alter von 8 bis 15 Jahren tanzen zu Trommelmusik und Gesang der „Dorfcombo“ einen Tanz aus ruckartigen Bewegungen und hohen, teils sehr akrobatischen Sprüngen.

Die Panther springen Salti, komplizierte vertikale Drehungen und pantherähnliche Bewegungen auf Händen und Füßen. Manche „Panther“ sprangen so hoch in den Mangobaum, dass Blätter rieselten. Eine Mischung aus Akrobatik, Bodenturnen, rhythmische Sportgymnastik und Turmspringen ohne Turm und das alles im Takt zur Trommelmusik.

Die Musikinstrumente sind allerdings keine Trommeln, sondern aus einer Kalebasse mit einem Stab gebildete Zupf- und Trommelinstrumente mit einer Saite aus gedrehtem Leder, die mit einem Stöckchen gezupft wird. Die Musiker, dem Alter nach sortiert in einer Reihe sitzend, tragen eine Metallhülse an einem Finger, mit der sie auf die Kalebasse schlagen, um zu trommeln. Da bei den Animisten alles heilig sein kann, sind auch diese Instrumente Fetische. Vor jeder Beerdigungszeremonie muss daher auf einem der Instrumente im secret forest ein Huhn geschlachtet werden, weswegen manche Instrumente ein wenig eklig aussehen: mit angetrocknetem Blut und darauf klebenden Federn. Muss aber sein, anders wirkt es nicht.

Als die fünf „Panther“ fertig waren, strömten lauter kleine „Nachwuchspanther“ auf die Tanzfläche und hüpften wild zum Takt der Trommeln. Nur die Jungs können später zu Panthern werden und manche schienen schon zu üben. Beeindruckend, wie viel Sprungkraft die „Panther“ haben, so ganz ohne Sprungboden aus dem Kunstturnen und das barfuß auf nackter, teils kieselsteiniger Erde.

Wir staubten hinter Cheribibi zurück in die Stadt und schrubbten uns lange unter der Dusche. Hinter uns liegen lehrreiche, Tage, in denen wir viel erlebt haben. Wir machen erstmal Pause, bis unsere unglaublich staubig-dreckigen Klamotten zurück aus der Wäscherei sind, genießen die Infrastruktur (Glasfaser-Internet!), planen unsere Reisen während der Regenzeit (wir lassen die Motorräder in Ghana stehen) und lassen die Laptops glühen. Bei über 40 Grad im Schatten sogar wortwörtlich…

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