Die größte Kautschukplantage der Welt befindet sich in Liberia, doch auch historisch ist Liberia dafür bekannt, „ordentlich Gas zu geben“. Wir haben beides erlebt.

Wie gut uns Monrovia gefällt, habt Ihr ja im letzten Blogpost schon lesen können: überraschend entwickelt, extrem sauber und aufgeräumt und positiv lebendig. Wir blieben sechs Tage in der Stadt, die wir Tag für Tag besser kennenlernten. Das Nationalmuseum war eine weitere Überraschung Monrovias an uns: auf drei Stockwerken wird die Geschichte Liberias erklärt und man bekommt sogar eine persönliche Führung von Vitrine zu Vitrine. Weil wir ja in Woche zwei in Liberia immer noch kein Wort Englisch verstehen, gingen die meisten Erklärungen der motivierten Frau an uns vorbei, aber wir nahmen uns die Zeit, das gesamte Museum nochmal ohne sie „abzuarbeiten“ und die wirklich gut gemachten Informationstafeln zu studieren.

Liberia hat eine spannende Geschichte. Nach dem 2. Weltkrieg hatte das Land nach Japan das zweitstärkste Wirtschaftswachstum der Welt und war eines der am besten entwickelten Länder Afrikas. Dann kamen 14 Jahre Bürgerkrieg und zerstörten alles. Buchstäblich. Gleiche Brutalität, gleiche Grausamkeiten und Kindersoldaten wie im Nachbarland Sierra Leone, gleicher Aggressor auf einer Seite: Charles Taylor, der den Terror nach Sierra Leone getragen hat. 14 Jahre lang haben Männer Krieg geführt und es nicht geschafft, Frieden auszuhandeln. Dann haben die Frauen das in die Hand genommen: Leymah Roberta Gbowee hat in Monrovia Frauen zusammengetrommelt und für Frieden gesorgt. Die Bürgerrechtlerin hat es durch Aufruf zum Sexstreik und Androhung von öffentlichem Striptease geschafft, dass in Accra der Friedensvertrag unterschrieben wurde. So einfach geht das, wenn man Frauen mal machen lässt!

Die Liberianer haben das verstanden und später die erste afrikanische Präsidentin gewählt: Ellen Johnson Sirleaf. Sie durfte das Land buchstäblich „aufräumen“. In ihrer 15-jährigen Regierungszeit hat sie sogar den Erfolg der „goldenen Ära“ nach dem 2. Weltkrieg übertroffen, für politische Stabilität, Bildung, Gesundheit und Wirtschaftswachstum gesorgt. Ob es deswegen so außergewöhnlich sauber im Land ist? Noch hat Liberia einen langen Weg vor sich, aber wir spüren die positive Energie der Menschen, vorwärts kommen zu wollen. Mehr zum „Frieden durch Androhung von Striptease“ hier: https://de.m.wikipedia.org/wiki/Leymah_Gbowee

Ein weiteres, großes Kapitel der Geschichte und Gesellschaft Liberias und anderer westafrikanischer Staaten sind die „secret societies“, eine Art Geheimbünde diverser Ethnien Westafrikas und ihre Traditionen. Über die größte „Machenschaft“ einiger dieser Geheimbünde darf man nicht sprechen, sonst wird man verflucht. Deswegen zeigte uns die Frau im Museum nur im Nebensatz die Vitrine mit dem Leopardenfell, wir mussten googeln. Was wir bei Google gelernt haben, erklären wir Euch, wenn wir vor Ort waren (falls wir dort hinfahren) oder wenn wir das Land verlassen haben. Gruselig! Wir sind nicht wirklich abergläubisch, aber respektvoll. In Liberia wird nicht darüber geredet, also tun wir das auch nicht.

Über einen amerikanischen Motorradreisenden erfuhren wir von einem Stadtviertel Monrovias, das laut UN-Definition ein Slum ist: kein Zugang zu Trinkwasser, keine Stromversorgung, keine sanitären Einrichtungen, keine Eigentumsrechte. Als Tourist sollte man sich von Slums weltweit fernhalten, wir fuhren aber trotzdem hin. Das Viertel wurde in die Mangroven „hinter“ der Stadt gebaut und bis heute wird es immer mehr erweitert: die Menschen legen Kanäle an und bauen sich mit dem Aushub aus den Kanälen lauter kleine „Halligen“, auf denen sie ihre Blechhütten bauen. Der Klimawandel führt dazu, dass diese „Halligen“ immer weiter erhöht oder befestigt werden müssen, damit die Häuser und ihre Bewohner nicht mit den Füßen im Wasser stehen.

Die Toiletten sind Bretterverschläge direkt über den Kanälen, Straßen gibt es keine, sondern man balanciert über wacklige Bretter, es gibt keine Stromversorgung und kein Trinkwasser. Die Wohnsituation ist absolut prekär und doch auch dort erstaunlich sauber. Nur in den Kanälen, die die Kloake der Siedlung sind, ist es richtig eklig.

Wir wurden mitten im Viertel von einem älteren Herrn aufgegriffen „Ihr könnt doch nicht alleine hier herumlaufen, ihr kennt Euch doch nicht aus!“ und schon zeigte und erklärte er uns alles. Nach einer Weile gesellte sich auch der Vorsitzende des Jugendrates des Viertels zu uns, in der Annahme, wir seien eine NGO und könnten helfen. Das Konzept „Tourismus“ ist weder hier noch in Sierra Leone bekannt: wer kein Einheimischer ist, kommt entweder im Rahmen eines Hilfsprojektes oder um Geschäfte zu machen. Wir klärten die Situation und die beiden redeten sich trotzdem ihren Frust von der Seele: etwa 10.000 Menschen leben dort zwischen stinkigen (Ab-) Wasserkanälen, es gibt nur eine Handpumpe für Trinkwasser und diese ist auf dem „Festland“. Da es keine Straßen gibt, muss jeder Liter Wasser mühsam über die wackligen Bretter bis ins hinterste Haus geschleppt werden.

Weil die Wasserkanäle voll Abwasser sind und die Menschen erkannt haben, dass es nicht gesund ist, aus der Kloake Fische zu essen, hat sich die Gemeinschaft der dort lebenden Menschen eine Art Fischfarm gebaut: in den Boden der Mangroven wurden Becken gebuddelt, die mit benzinbetriebenen Pumpen mit Frischwasser aus der Lagune befüllt werden, um so für frischen Fisch für die Gemeinschaft zu sorgen. Wir waren beeindruckt! Der Fisch wird nicht verkauft, alle packen an, jeder darf Fisch essen, ein „Fischwart“ wird von allen unterstützt, soweit sie können. Im Viertel gibt es eine Kirche und eine Art Kneipe, aber keine Lädchen oder andere Dienstleistungen. Alles muss vom Festland herbeigetragen werden. Trotz ihrer schwierigen Wohnsituation bekamen wir erzählt, dass man auf dem Wasser viel besser lebe als in der Stadt: es geht ein leichter Wind und das viele Wasser kühlt. So kann man es auch sehen. Wieder ein Beispiel für die so positive Einstellung der Menschen in Liberia.

Nach einer Woche verließen wir die für uns nach Bissau bisher liebenswerteste Hauptstadt Westafrikas gen Süden und fuhren durch die größte Kautschukplantage der Welt: die amerikanische Marke Firestone“ hat dort 1926 die Plantage eröffnet, nachdem Liberia dem Unternehmen das Land für 99 Jahre verpachtet hatte. 2005 wurde dieser Pachtvertrag mit neuen Pachtzinsen für weitere 37 Jahre erneuert. Das Unternehmen steht in der Kritik, von den Arbeitern ein so hohes Arbeitspensum zu fordern, dass dies nur dadurch zu schaffen sei, dass Arbeiter ihre Kinder mit an der Arbeit beteiligen und Firestone somit Kinderarbeit fördere. Eine unabhängige Studie fand 2020 zumindest, dass es zu Arbeitsschutzverletzungen, unregelmäßigen Zahlungen der Rentenansprüche ehemaliger Arbeiter und Vergiftung lokaler Oberflächengewässer und Fischsterben gekommen ist. Firestone ist übrigens eine Tochtergesellschaft von Bridgestone, falls Ihr beim nächsten Reifenkauf noch an uns denkt.

Wir waren auf der zweitgrößten Kautschukplantage des Landes zu Gast. Europäisch und nicht amerikanisch, was bedeutet, dass für die EU-Zertifizierung andere Standards als bei den Amerikanern herrschen, was zum Beispiel die Anbaubedingungen betrifft. Kautschuk ist in der Öffentlichkeit nicht so heiß diskutiert wie Palmöl und so wussten wir nur, dass es seit kurzem nicht erlaubt ist, Produkte in die EU zu importieren, für deren Anbau oder Herstellung gerodet wurde. Die von uns besuchte Plantage ist aus den 1950er Jahren und produziert unter anderem für Nokian, Michelin, Continental und andere bekannte Reifenhersteller.

Nach einem schönen Abendessen mit Blick über die Berge wurden wir am nächsten Morgen noch vor Frühstück und Sonnenaufgang abgeholt, um den Prozess der Kautschukherstellung vom Pflänzchen zum exportbereiten Kautschukblock zu erleben. Die Plantage hat ihre eigene Forschungsabteilung, in der diverse Arten an Kautschukbäumen gezüchtet werden. Da es rund 20 bis 40 Jahre dauert, bis man alle Ergebnisse einer neuen Züchtung kennt, steckt die Forschung hier noch in den Kinderschuhen. Manche Arten liefern sehr früh sehr viel Saft, andere sind weniger produktiv, können aber noch im hohen Alter genutzt werden, wieder andere sind weniger anfällig für diese oder jene Krankheit, sodass es sehr vom Standort der Plantage abhängt, wo welcher Baum besonders geeignet ist. Und weil Liberia das Land unter den „Kautschukländern“ ist, in dem es am meisten regnet, kann man keine Forschungsergebnisse anderer Länder zugrunde legen.

Die Plantage kauft zu 20% auch von lokalen Farmern Kautschuk an und verkauft ihnen auch die Jungpflanzen. Hauptsächlich solche, die besonders schnell hohen Ertrag liefern, um die Farmer zu motivieren. Langfristige Planung ist in Afrika recht unbekannt. Kautschukbäume sind Klone, sie werden nicht aus Samen gezogen, sondern aus Stecklingen, die auf einen guten Wurzelstock aufgepfropft werden. Weil das eine Arbeit ist, bei der viel Sorgfalt nötig ist, werden hauptsächlich Frauen dafür ausgebildet, die wir laut schnatternd bei aufgehender Sonne dabei sahen, wie sie sich um die Jungpflanzen kümmern.

Die Jungpflanzen werden dann dort gepflanzt, wo zuvor alte, nicht mehr produktive Bäume gefällt wurden. Ein Kautschukbaum hört ab einem bestimmten Alter einfach auf, Kautschuksaft zu fördern und „fällt trocken“. Ist der Stammumfang, je nach Sorte und Standort nach 5-6 Jahren mindestens 50cm, wird mit dem „Entsaften“ begonnen. Dazu wird mit exakt definierter Schnitttiefe die Rinde der Bäume angeritzt. Tief genug, um die Milchkanäle zu erreichen, aber nicht zu tief, um den Baum zu schädigen. Dann tropft der Latexsaft in Becher, die an den Baum gehängt werden.

In den Bechern befindet sich jeweils ein Tropfen Farbe und ein Tropfen (Ameisen- oder Essig-) Säure. Die Farbe verhindert, dass geklauter Latex an die Firma verkauft werden kann und die Säure führt dazu, dass der Saft fest wird. Im Prinzip wie bei Lab und Käse. Auch geruchlich kommt der Vergleich hin: der Latex riecht nach Rohmilchkäse und ist auch so weiß. Nach einer gewissen Zeit, abhängig vom Alter des Baumes, der Sorte und Jahreszeit, hört das Tropfen auf und die Latexbällchen werden eingesammelt und auf Holzgestellen bis zum Abtransport gelagert. Dort tropft weiterhin Flüssigkeit aus dem Latexbällchen – exakt wie bei der Herstellung von Käse.

In der Fabrik werden dann die Latexbällchen (oder Ballen) weiter gelagert. Dabei wird in hohen Haufen gestapelt, um einerseits Druck auszuüben und mehr Flüssigkeit aus den Bällchen herauszupressen, andererseits verfärbt sich der Latex unter Sonneneinstrahlung und Hitze braun und altert. Je höher der Haufen, desto weniger Alterung und desto mehr Wasser tritt aus. Das Wasser wird aufgefangen und geklärt, bevor es über eine Lagune wieder der Natur zugeführt wird. Nach mindestens 21 Tagen sind die Latexbällchen genug abgetropft und können verarbeitet werden.

Zunächst wird aufwändig gewaschen. Es darf kein Schmutz, keine Erde, kein Sand vorhanden sein. Dazu werden die Latexbällchen in mehreren Waschgängen gespült und in immer kleinere Stücke geschnitten. Per Hand werden auf Fließbändern etwaige Fremdbestandteile wie Plastik von zerbrochenen Bechern oder Transportwannen aussortiert. Das Aussehen ändert sich dabei von Bällen zu Fetakäsebrocken zu Popcorn und letztendlich weißen Spätzle.

Diese „Spätzle“ werden dann, wie bei Käse auch, in Formen gefüllt: unten Sieb, oben offen und mit rechteckigen Edelstahlwänden. Dann wird der „Käselaib“ im Ofen geröstet. Zumindest sieht es so aus: vorne kommen weiße Käsespätzle hinein, hinten karamellfarbene Spätzle wieder raus. Der Ofen ist eigentlich eine Dampfkammer, in der ungefähr 15 Minuten lang die „Käseform“ bedampft wird. Der heiße Dampf erhitzt den Kautschuk, das darin gespeicherte Wasser wird dampfförmig und eine Turbine saugt den Dampf wieder ab. Die „karamellisierten Spätzle“ werden dann aus der Form gelöst.

Ein solcher „Käselaib“ wiegt mindestens 15kg und sieht schon ein wenig nach „Schuhsole“ aus. Die „Käselaibe“ werden dann auf einer Waage zu 35kg abgewogen und in einer letzten Form zu einem dicken Block reinem Naturkautschuk zusammengepresst. Jeder Block wird per Hand nochmal kontrolliert und nochmal gewogen, bevor er verpackt wird. Je nach Kunde gibt es verschiedene Angaben an die Verpackung. Die europäischen Reifenhersteller wie Michelin oder Nokian nutzen riesige Mehrweg-Metallkisten, in die rund 1,3t Kautschukblöcke gestapelt werden. Die Mehrweg-Kisten schicken die Reifenhersteller dann zusammengefaltet wieder per Container zurück.

Jeder Kunde hat natürlich andere Qualitätsvorgaben, die im Labor überprüft werden. Jede Mehrwegbox ist bis zum Reifenwerk nachverfolgbar und wird im Labor aufwändig untersucht, bevor es in den Container geht. Der Kautschuk wird unter anderem auf seine Flexibilität und Beständigkeit unter Druck und Zug und unter künstlichen Alterungsprozessen getestet. Stimmt alles, macht Michelin daraus Reifen und damit fahrt Ihr durch die Gegend.

Der Dampf wird mit dem Holz erzeugt, das beim Erneuern alter Baumbestände anfällt. Ein Teil der Bäume wird verfeuert, ein anderer Teil der Bäume in 3m langen Stücken direkt an Ort und Stelle liegengelassen, um den Boden zu düngen. Das Holz verrottet im extrem feuchten Tropenklima hier sehr schnell. Damit der Boden im nächsten Jahr bepflanzbar wird und der Prozess schneller geht, werden zusätzlich Bodendecker gesät, unter denen das Holz besonders gut verrottet und die zusätzlich Stickstoff im Boden binden. Ein Kreislauf beginnt von neuem…

Die für die Plantage benötigte Elektrizität wird übrigens durch ein eigenes Wasserkraftwerk selbst produziert. Der Tscheche, der dafür hier in Liberia verantwortlich war, arbeitet mittlerweile in Sierra Leone, wo wir ihn kennengelernt haben. Er hat uns von dieser Kautschukplantage erzählt und uns hierher „vermittelt“. Danke an Pavel, Andrea, Sven, Philip und Curtis für die Organisation und Gastfreundschaft!

Am Ende des Tages stanken wir komplett nach Käse: Klamotten, Haut, Haare – alles hatte durch den Dampf in der Produktion den Gestank angenommen. Im Gästehaus der Plantage war dann erstmal „Großwaschtag“ angesagt. Diese Käsestinke durfte nicht ins Gepäck!

Das Internet lässt gerade zu wünschen übrig, deswegen schaut Euch einfach das neueste Video an, bevor wir Euch mehr aus Liberia erzählen. Im Video seht Ihr, wie wir in einer Diamantenmine waren, was wir auf einer Kakaoplantage gesehen und erlebt haben und die kleinen Sträßchen, “bush roads”, die wir in Sierra Leone gefahren sind:

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