Habt Ihr davon schonmal gehört? Gagausien liegt in Bessarabien und Moldawien auch. Gagausien gehört zu Moldawien, aber Bessarabien nicht ganz. Alles klar? War auch für uns verwirrend und so sind wir einfach mal hingefahren, um uns das selbst anzuschauen.

Gagausien ist nur rund 400km von unserer Base in Bulgarien entfernt, aber wir brauchten zwei Tage, denn Ihr kennt uns ja: wir fahren nur schnell Motorrad, im Reisemodus sind wir extrem langsam. Wir kamen erst nachmittags los und schafften es noch bis Bukarest auf den unattraktivsten Campingplatz, den wir kennen: eine Wiese ohne Schatten mit Sanitärhäuschen in der Mitte und „Kuschelcamper“ in Massen. Aber da es rund um Budapest mit Wildcamping schlecht aussieht, waren wir nicht zum ersten Mal dort: solange man abends im Dunkeln kommt und morgens früh wieder fährt, ist das für 10€ in Ordnung. Und die kleine Selbstbedienungs-Bude am See dort kocht guten Fisch für kleinstes Geld.

Nach einem Frühstück in „unserer“ Bäckerei (halt da, wo wir frühstücken, wenn wir auf diesem Campingplatz sind) fuhren wir weiter gen Norden. Es waren nur noch 275km bis zur Grenze, aber das erschien uns viel zu weit für einen Tag, sodass wir uns unterwegs noch das Städtchen Brăila in Rumänien anschauten. Traurig und heruntergekommen, obwohl die gesamte Innenstadt unter Denkmalschutz steht. Das las sich in der Beschreibung wesentlich besser…

Die Landschaft rund um Brăila ist ein Naturschutzgebiet mit Bergen, in dem Campen verboten ist. Außerhalb des Naturschutzgebietes ist plattes Agrarland und weil die Felder schon alle abgeerntet sind, völlig ohne Sichtschutz. Wir fanden Gott sei Dank einen unglaublich süßen „Campingplatz“ im Obstgarten eines noch viel süßeren älteren Herrn: kleinere Campingfahrzeuge (und Hans ist ein Winzling!) dürfen bei ihm im Garten unter Obstbäumen stehen. Er hat einfache sanitäre Anlagen gebaut und man darf so viel Obst essen, wie man will.

Wir wurden außerdem von einem zahlreichen, vierbeinigen Empfangskomitee begrüßt und fühlten uns sofort wohl. Als es dunkel wurde, schaltete der Herr kleine Lichterketten in seinen Bäumen an (und auch wieder aus, als alle im Bett waren), sodass sein Garten romantisch beleuchtet war und nicht wie ein Campingplatz von grellen Stadion-Strahlern „erhellt“ wurde. Es gab kein Kuschelcamping und wir wünschten uns, dass jeder Campingplatz so wäre. 10€ waren hier bestens investiert.

 

Morgens gab’s einen Becher Kaffee vom Gastgeber und wir pflückten Obst für unser Frühstücksmüsli. Ein Ort zum Bleiben, aber wir wollten ja nach Gagausien. Und nach Moldawien. Und in die Ukraine. Und Bessarabien. Und das alles in kurzer Zeit, weil wir am 3.9. schon nach Ägypten fliegen und vorher noch Besuch aus Deutschland kommt. Wir fuhren los, zur Grenze nach Moldawien war es nicht weit. Man braucht als EU-Bürger kein Visum, aber vom Fahrzeug wollte man allerhand sehen: nicht nur die Fahrzeugpapiere, auch die für Moldawien gültige KFZ-Versicherung, den letzten TÜV-Bericht (der Gott sei Dank im Handschuhfach lag!) und die moldawische Mautvignette (die man online vorher kaufen sollte). Wir hatten alles und verließen Moldawien doch gleich wieder.

93 von 193!

Wie immer, wenn wir in ein neues Land kommen (Moldawien ist übrigens unser beider Land Nummer 92), gibt’s erstmal Bargeld und Simkarten zu besorgen (120 Gb für 7,50€!), dann fuhren wir ein paar Meter weiter zur nächsten Grenze. Um zu unserem Tagesziel in Gagausien zu kommen, könnten wir entweder 70km durch Moldawien einen großen Bogen fahren oder 20km durch die Ukraine, denn das Dorf, in das wir wollten, liegt direkt an der ukrainischen Grenze. Wir entschieden uns für die Ukraine.

Auch da braucht man als EU-Bürger kein Visum und es interessierte von Hans außer den normalen Papieren nur die Versicherung. Soweit die Theorie. Jan war schnell durch, er reist derzeit mit einem recht jungfräulichen Pass. Ich reise derzeit mit dem Pass, der noch dieses Jahr abläuft und in dem befinden sich diverse Stempel und Visa aus Russland. Hans der Passat war auch schon in der russischen (eurasischen) Zollunion und somit wurden wir beide (also der Passat und ich) zu Verdächtigen. Der Zöllner filzte uns besonders intensiv, sodass die Leute hinter uns schon zappelig wurden. Irgendwann, als auch jeder Winkel im Auto durchsucht und auch die Fahrzeugidentifikationsnummer überprüft war, durften auch Hans und ich in die Ukraine. Jan scherzt, dass er mit uns beiden da nicht mehr hinfährt. Das Misstrauen ist aber in der derzeitigen Lage absolut verständlich und der Zöllner hat nur sehr professionell seinen Job gemacht. Grundsätzlich haben sich alle Menschen sehr gefreut, uns Ausländer dort zu sehen. Mein Land Nummer 93, aber so ganz zählt es nicht, denn…

Nach 20km Ukraine kamen wir am dritten Grenzübergang des Tages an. Ein sehr freundlicher (fast strahlender) Ukrainer erklärte uns dort jedoch auf Russisch, dass dieser Übergang nur für Moldawier und Ukrainer sei und nicht für Deutsche. Wir konnten das Dorf, in das wir wollten, schon am Horizont erahnen, aber wir durften nicht aus der Ukraine ausreisen. Also alles wieder rückwärts: Ausreise Ukraine, Einreise Moldawien und den Umweg nach Gagausien gurken um dann auf der anderen Seite der Grenze herauszukommen.

Wir kamen etwas später als geplant bei unserer Gastfamilie an und wurden vom Hausherren auf der Dorfstraße abgefangen und erwartet. Wir waren zu Gast bei einer gagausischen Familie. Unser Gastgeber ist sehr engagiert im gagausischen Kulturverein, unterrichtet Kinder in Kunst und kümmert sich um das Dorfmuseum. Seine Frau Inna tischte gleich gagausisches Abendessen auf: Dolma Biber: mit Reis gefüllte Paprika. Wir fühlten uns wie in Aserbaidschan: das Haus, das Essen, die Sprache, die Atmosphäre – einfach alles. Doch wir waren in Moldawien, beziehungsweise Gagausien.

Das Volk der Gagausier (wird übrigens Gaga-usien ausgesprochen) ist ein Turkvolk, das im südlichen Teil des heutigen Moldawiens siedelt und von Moldawien Autonomiestatus bekommen hat. Gagausien hat eine eigene Regierung mit eigener Premierministerin, eigenem Parlament, eigener Sprache, eigener Verwaltung, eigener Universität etc. Eine Art Staat im Staat Moldawien. Die Autonomie Gagausiens wurde komplett gewaltfrei und friedlich erreicht und gilt als Musterbeispiel einer geglückten Unabhängigkeit einer Ethnie der ehemaligen UdSSR.

Üblicherweise sind Turkvölker muslimisch, doch die Gagausier sind orthodoxe Christen und sehr traditionsbewusst. Sie pflegen ihre Bräuche und Traditionen und sind stolz auf ihre Herkunft und Unabhängigkeit. In Gagausien ist der gemeinsame Nenner für alle „Zugezogenen“ die russische Sprache, denn Gagausisch sprechen nur Gagausier selbst. Nach dem Abendessen liefen wir mit unseren Gastgebern durchs Dorf und wurden von einem älteren Herrn eingeladen, seinen Weingarten zu besichtigen.

Wir wussten, dass „Moldawien“ gleichbedeutend mit „Wein“ ist, aber dieser Mann hatte 50 (fünfzig!) verschiedene Sorten Tafeltrauben in seinem Garten. Eine Sorte schöner als die andere und er hatte zu jeder Traube alle relevanten Daten parat. Wir mussten uns durch die Trauben durchprobieren und waren selbst erstaunt, wie große Unterschiede es allein im Geschmack gibt! Damit er die Trauben nicht alle selbst essen muss, geht er zur Erntezeit jeden Tag auf den Markt in der nächsten Stadt, um seine Bilderbuch-Trauben zu verkaufen. Welch ungewöhnliches Hobby!

Seine Frau, die Bibliothekarin des Dorfes und auch Gagausierin, tischte dann frischen Schafskäse vom Nachbarn und aromatische Tomaten aus dem Garten auf, der „Traubenmann“ legte die schönsten Trauben dazu und goss Tresterschnaps und Likör ein. Natürlich aus seinen eigenen Trauben. Wir saßen unter der Weinlaube, die Hitze des heißen Sommertages flaute gerade etwas ab, um uns herum waren abendliche Dorfgeräusche wie sich in Schlaf gackernde Hühner und vor sich hin blökende Schafe, die Katzen spielten um uns herum und wir fühlten uns einfach nur wohl. So muss Sommer sein! Zu Gast bei Fremden mit einfachsten Leckereien. Selig fielen wir auf dem Schlafsofa der gagausischen Familie in Schlaf.

Zum Frühstück ging’s weiter mit gagausischen Leckereien: Lavash (extrem dünnes Fladenbrot wie in Aserbaidschan), gefüllt mit Smetana und körnigem Frischkäse und dann gebacken. Super! Es war Wochenende und ein Teil der im Westen des Landes lebenden Familie zu Besuch und wir liefen mit der gesamten Familie ins Ortszentrum zum Museum. Unser Gastgeber hatte den Schlüssel und gab uns eine Privatführung über gagausische Kultur, in der er tief verwurzelt ist. Seine Frau als Englischlehrerin übersetzte für uns. Gagausisch können wir kein Wort.

Für uns ist die gagausische Kultur eine bunte Mischung aus Bulgarien, Türkei, Aserbaidschan und ein bisschen Persien. Das meiste, was es im Museum zu sehen bekam, hatten wir entweder selbst im eigenen Haus in Bulgarien oder in der bulgarischen Tradition oder kannten es aus anderen Ländern schon. Jedes Bisschen nicht neu, aber die Kombination zu einem Ganzen dann doch. Besonders gut gefielen mir die Wandbehänge.

Die Gagausier wie auch die Kasachinnen (insbesondere die in der Mongolei) fertigen zur Hochzeit einen kunstvollen Wandbehang an. Wir haben selbst einen solchen kasachischen Wandbehang aus der Mongolei (wo die Kasachen als Turkvolk muslimisch sind), doch dort besticken die Bräute das Kunstwerk in bunten Farben und Motiven, in Gagausien werden die Wandbehänge gewebt. Jede Art Wandbehang wunderschön! Stickereien gehören in Gagausien (und in Moldawien) überall hin. Es gibt kaum einen Haushaltsgegenstand (Handtücher, Bekleidung, Decken, Bettwäsche, Zierborten, Stickbilder, Tischdecken, Vorhänge, Kissen, Tücher…), der nicht bunt bestickt ist. Wunderschön!

Die Bibliothekarin erwartete uns auch schon: ein Nebenraum der Bibliothek war auch eine Art Museum, was durch Zufall entstanden ist: zum Dreh eines Musikvideos brauchte man gagausische Dekoartikel und Alltagsgegenstände für den Hintergrund des Videos. Die Einwohner des Ortes wurden gebeten, für das Video ihre Schätze beizusteuern. Das wurde jedoch so begeistert aufgenommen, dass die gespendeten Gegenstände mehr waren, als man für das Musikvideo brauchte und schon wurde die Idee des „Mini-Museums“ in der Bibliothek umgesetzt. Uns wurde richtig warm ums Herz, wie passioniert die Gagausen die Bewahrung ihrer Kultur betreiben!

Unsere Gastgeber empfahlen uns, ein paar Dörfer weiter nordwärts in ein gagausisches Restaurant zu gehen. „Nur zum Anschauen, nicht zum Essen!“, aber wir haben dann doch eine Kleinigkeit bestellt. Das Restaurant befindet sich in einem traditionellen, mit Reet gedeckten Haus (hier sind viele Häuser mit Reetdach!) mit musealer Einrichtung. Auch die Bedienungen tragen dort Tracht und man fühlt sich bis ins letzte Detail in eine andere Zeit versetzt. Ein guter Tipp, an dem wir sonst vorbeigefahren wären.

Wir verließen Gagausien nur ein paar Kilometer nach Norden und schon änderte sich alles. Die Häuser wirkten nicht mehr „aserbaidschanisch“ auf uns, sondern „ukrainisch-kaukasisch“. In Gagausien ist die Beschilderung Gagausisch und Russisch, im Rest Moldawiens auf Rumänisch. Weil wir kein Rumänisch können (lesen geht ein bisschen), bleibt Russisch jedoch der gemeinsame Nenner und in der nächsten Unterkunft, einem kleinen Hof mit drei Zimmern, kamen die Frau und ich zwar miteinander sprachlich klar, mühten uns aber beide ab, denn ihr Russisch war aus der Schulzeit stark eingerostet und meins ist noch schlechter. Kaum fährt man über die „Grenze“, schon eine andere Welt!

Das einzige freie Zimmer war das Hübscheste: winzig mit Häkeldecke, Stickereien und bunten Teppichen überall, Heiligenbildchen und Holzofen. Wir waren sofort verliebt und die später auftauchende, Englisch sprechende Tochter des Hauses konnte nicht verstehen, wie glücklich wir in dem Kämmerlein mit 1,20er Bett waren. Wir verschweigen den Leuten aber auch immer, dass wir sonst im Passat schlafen und nicht im Bett und dass wir lange in einem VW-Bus und später 2,5 Jahre in Hans dem Passat gewohnt haben. Das zu verstehen ist noch schwieriger! 😊

Wir bekamen Hausmannkost, ich durfte mit der Frau in den Vorratskeller hinunter und sie zeigte mir all ihre Einmachgläser mit Obst, Gemüse, Sauerkonserven und Marmeladen, die alle hübsch beschriftet und aufgereiht waren. Abends wurde im Hinterhof noch getanzt und wir genossen wieder einmal das Leben um uns herum, was man eben so verpasst, wenn man nur im Fahrzeug schlafen würde. Am nächsten Morgen wollte uns die Tochter unbedingt das Dorfmuseum zeigen. Es war Sonntag und sie rief für uns extra jemanden an, der den Schlüssel hatte. Wir konnten sie in ihrem Eifer nicht stoppen und schließlich radelte sie vorneweg, wir mit Hans hinterher.

Das Museum war in der ehemaligen Grundschule und wirklich süß gemacht. Die „Frau mit dem Schlüssel“ entpuppte sich als ehemalige Museumsdirektorin und beide gaben sich unendlich Mühe, uns mit Begeisterung all das zu zeigen und zu erklären, was wir ja selbst in unserer Base in Bulgarien in verzierten Holztruhen und Kisten aufbewahren oder im Weinkeller lagern. Die Begeisterung über ausländische Gäste ist überall im Land unglaublich und überall hören wir, dass es seitdem es im Nachbarland (und dort nicht gerade in direkter Nachbarschaft) knallt, keine Ausländer mehr kommen. Niemand. „Alle haben Angst“. Auch in Bulgarien ist der Tourismus an der Küste eingebrochen, die Deutschen kommen nicht mehr. Aus Angst, weil Russland auch Anrainer am Schwarzen Meer ist. Irrational und für die lokale Bevölkerung ein echtes Problem.

Wir konnten uns irgendwann losreißen, aber nicht bevor die Tochter noch im Nationalmuseum von Gagausien angerufen hatte, um zu erfragen, ob geöffnet sei und es eine Führung auf Englisch gäbe. Es war geöffnet, also fuhren wir zurück nach Gagausien ins Nationalmuseum. Im (lächerlichen) Eintrittspreis von insgesamt 1,50€ für zwei Personen und eine Fotoerlaubnis war eine Führung inkludiert und die gab’s nur in Gagausisch und Russisch. Da die Beschilderung der Ausstellungsstücke selbst auch nur auf Gagausisch war, entschieden wir uns für Russisch. Die liebenswerte Dame war unglaublich süß und schraubte ihr Russisch auf mein Kindergarten-Niveau herunter und versicherte sich immer wieder, ob ich auch verstehe, wovon sie redet: „Regen? Weißt Du, was Regen ist?“ oder „Kirche, Gott, verstehst Du, wovon ich spreche?“.

Am Ende ihrer Führung freute sie sich, dass „wir als Ostdeutsche“ (wir sind allerdings waschechte Wessis!) und sie als Gagausierin wenigstens Russisch als Gemeinsamkeit hätten. Wir ließen sie in dem Glauben. Ihr zu erklären, dass die größte Gemeinsamkeit zwischen ihr und uns in einem Ausstellungsstück des Museums bestand, wäre zu kompliziert gewesen. Dort lagen nämlich tatsächlich genau die Dachziegeln aus den 1930ern im Museum, die wir gerade in Bulgarien vom Dach geholt hatten: die in Bulgarien verhassten Ziegeln aus Gorna Oriahovitsa. Im Museum lagen sie zur Veranschaulichung der engen Beziehungen zu Bulgarien durch Bessarabien-Bulgaren, von denen es heute noch bulgarische Dörfer in Gagausien gibt.

Wir ließen die liebe Dame in ihrem Glauben und fuhren nach Kischinau/Chisinau. Wir hatte eigentlich erwartet, in den Außenbezirken auf ähnlich hässliche Plattenbau-Viertel zu treffen wie in Bukarest oder Sofia. Es gab auch „Platte“, aber ordentlich verputzt und hübsch gestrichen. Je mehr wir sahen, desto verwirrter waren wir. Moldawien, das ärmste Land Europas? Schon in Gagausien beschlich uns das Gefühl, dass es in Bulgarien und Rumänien ärmlicher ist. In der Innenstadt angekommen, waren wir gänzlich sicher: Moldawien ist laut offizieller Statistiken wie BIP etc. sicherlich das ärmste Land Europas, aber wahrscheinlich auch das schlauste Land Europas.

Überall Plaketten von ausländischen Hilfsorganisationen, europäischen Geldtöpfen und NGOs. Die Solaranlage unserer gagausischen Gastgeber war ein schwedisches Hilfsprojekt, sämtliche Infrastruktur im Dorf unserer zweiten Nacht in 40 Jahren norwegischer „Entwicklungshilfe“ aufgebaut (und damit wesentlich besser als in Bulgarien!), Gagausien bekommt viel Geld aus der Türkei, der Rest des Landes aus anderen Töpfen. Große Infrastrukturprojekte sind EU-finanziert und überall parken Autos mit Aufklebern ausländischer Helfer. Wie in Afrika, nur extremer. Mit dem Resultat, dass wir uns arm fühlten, denn Hans unser Passat ist mit wenigen Lada-Ausnahmen das älteste Fahrzeug im Land und wir warten täglich darauf, dass man uns Geldscheine durchs geöffnete Fenster zusteckt.

Für uns „Bulgaren“ ein Kulturschock. Auch im Preisniveau. Wir fanden in Kischinau kein Bett, was wir für uns akzeptabel im Preis fanden und entschieden, vor der Tür des ausgebuchten Hostels im Auto zu schlafen. Wir kamen uns wirklich wie die allerletzten Armen vor, zwischen all den neuen Straßen, herausgeputzten Häusern, protzigen Autos und westeuropäischen Geschäften in einem 31 Jahre alten Auto mit bulgarischen Kennzeichen auf der Straße zu schlafen. In einem billigen Burgerladen trafen wir einen Deutschen, der kein Auto dabeihatte und aus gleichen Gründen keine Unterkunft: er schlief die dritte Nacht auf der Parkbank und war wie wir extrem überrascht von der Infrastruktur im Land.

Am nächsten Morgen saßen wir im Hostel in der Küche und frühstückten zusammen mit zwei Franzosen, die auch nicht verstehen konnten, wie Moldawien das ärmste Land Europas sein kann, wenn alles besser in Schuss ist als daheim. Ja, es gibt ein paar Schotterstraßen zwischen kleinen Dörfern, aber in den Dörfern selbst gibt es nicht wie in Bulgarien verfallenen Leerstand oder vor sich hinbröckelnde Gebäude. Die meisten Familien bekommen Geld aus dem Ausland, da aus jeder Familie mindestens ein Mitglied, meist mehrere, im Westen arbeiten. Im Dorfmuseum erzählte uns die ehemalige Direktorin, zu ihrer Zeit habe die Schule 2000 Schüler gehabt, jetzt seien es nur noch 300. „Alle im Ausland“. Das plus all die EU-Fördermittel, Hilfsprojekte, NGOs und sonstige Unterstützung führt dazu, dass jeder „Westler“, den wir trafen, sein Weltbild ganz schön durchgeschüttelt hatte.

Wir lernten einen Amerikaner kennen, der in Kasachstan als Lehrer gearbeitet hatte, jetzt aber eine Sprachschule gründen wollte. Eigentlich dachte er an Bulgarien, hat sich aber jetzt für Moldawien entschieden, das sei noch einfacher und attraktiver. Wir staunten und staunten. Warum weiß das keiner? Warum bekommen wir alle dieses andere Bild von Moldawien gezeigt? Das gibt es natürlich auch, aber es gibt auch diese ganz andere Seite und wir steckten ziemlich im Kulturschock. Und mit uns alle Westler im Hostel.

Wir schlenderten durch Kischinau und staunten wirklich Bauklötze. Und tranken Kaffee. In Moldawien gibt es an jeder Ecke ein Café oder einen Kaffeestand. Und die Kaffeespezialitäten dort sind alle lecker. Der russische „Raf-Kaffee“ (mit Zitrusschalen), Espresso mit Zitronensaft und Tonic Water oder Pfefferminzblättern, Orangensaft auf Eis mit Espresso,… wir probierten alles. Am späten Nachmittag hatten wir genug von der Hauptstadt gesehen (die uns super gefällt mit ihrem Flair!) und fuhren zum Ausflugs- und Urlaubsziel der Moldawier, wo wir am Strand mit Blick nach Transnistrien am Fluss dinierten.

Während wir auf unser Essen warteten, versuchten wir eine Tour in einem der beiden größten Weinkeller des Landes zu buchen. Die Kellnerin sah das und empfahl uns den „Milestii Mici“ Weinkeller, der sei besonders eindrucksvoll. Wir buchten für den nächsten Morgen und verbrachten unsere zweite Nacht innerstädtisch „stealth“ mit Hans auf dem Parkplatz eines Wendeplatzes für Stadtbusse. Wir Westler mit unserem alten Auto inmitten all der Infrastruktur…

Morgens um 10, als wir zu unserer Weinkeller-Tour am Treffpunkt erschienen, brüllte die Sonne schon bei 35°C und wir schwitzten in langen Klamotten. Alle anderen Besucher trugen luftige Sommersachen. Hatten wir da was falsch verstanden? Nein. Kaum fuhr das Elektrowägelchen los, hieß es „Bitte ziehen Sie jetzt Ihre Jacken an – falls Sie welche haben!“. Haha. Wir hatten. Und froren trotz geliehener Fleecedecke im Fahrtwind.

Das Baumaterial für Kischinau wurde bis in die 1950er Jahre aus Kalksteinstollen gewonnen, sodass ein 200km langes Stollensystem entstand, in dem eine konstante Temperatur von 12°C herrscht. Ideal für Wein! Die Milecii Mici Weinkellerei bezog die Stollen dann zur Herstellung und Lagerung von Wein. Die zweite Weinkellerei in Moldawien, die am anderen Ende Kischinaus ein solches Stollensystem nutzt ist Cricova. In beiden Stollensystemen konnte man früher als Besucher mit dem eigenen Auto fahren, doch die Abgase drangen durch die Holzfässer in den Wein, sodass nur noch Elektrofahrzeuge (oder Fahrräder) dort fahren. Milleci Mici nutzt „nur“ 55km Stollen, wir sahen in der Stunde Führung davon 5km.

Man kann als Privatperson auch ein verschlossenes „Weinfach“ für bis zu 1500 Flaschen anmieten. Für 500€ im Jahr. Allerdings wird nicht geliefert und man muss den Wein persönlich einlagern und abholen. Trotzdem sahen wir viele ausländische Mieter auf den Beschriftungen. Aus Deutschland, Frankreich, sogar USA und China. Und darin Weinflaschen im Wert mehrerer tausend Euro. Krass. Da liegt der Wein sicher und gut, aber was, wenn man ihn trinken möchte?

Wir wollten keinen Wein trinken, aber man konnte im Anschluss an die Tour eine Weinprobe machen. Dazu war alles wunderschön hergerichtet, aber wir hatten mit den im Eintrittspreis inkludierten Flaschen schon mehr als genug und fuhren noch ein letztes Mal nach Kischinau, um „Romanita“ zu besuchen.

„Romanita“ ist ein rundes, sehr „außerirdisches“ Wohngebäude, das 1986 fertiggesellt wurde und auf dessen Dach ein Ufo gelandet ist. Oder so. Zumindest für uns sieht es so aus, denn das Gebilde auf dem Dach des außergewöhnlichen Gebäudes sieht dem schon 1981 eröffneten „Buzludzha“ in Bulgarien sehr ähnlich. Manche finden, „Romanita“ sähe aus wie ein „Etagenblumentopf“ oder könnte, wenn man es bunt anmalt, auch von Hundertwasser sein. Finden wir auch!

Leider haben viele Bewohner die Balkone zugemauert, sodass die ursprüngliche Architektur verlorengeht und das Gebäude dadurch etwas heruntergekommen und „verbastelt“ aussieht. Insbesondere im Vergleich zu den in direkter Nachbarschaft stehenden modernen Apartmentkomplexen und gepflegten Einfamilienhäusern. Wir tranken noch einen Kaffee in der „Mall Dova“ und fuhren aufs Land.

Liuza, eine rumänisch-moldawische Motorradreisende machte gerade Reisepause in einem Dörfchen und wir wollten uns treffen. Das Dorf befindet sich in der Nähe des Kultur-Naturschutzparks Orheiul Vechi, der seit einigen Jahren auf der Tentativliste für UNESCO Weltkulturerbe steht. Am Aussichtspunkt auf Tal und Flussschleife trafen wir zwei ältere Deutsche, die uns Deutsch sprechen hörten und fragten, wie wir hier hergekommen seien. Sämtliche deutsche Reiseveranstalter hätten die Mindestteilnehmerzahl für Moldawien-Reisen nicht zusammenbekommen und ihnen jedes Mal abgesagt, sodass sie nun alles selbst organisiert hatten (und leider von ihrer Reiseleitung nicht alles im Tal gezeigt bekommen hatten). Da waren wir wieder beim Thea „german angst“ und den Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft völlig unbeteiligter Länder…

In Moldawien gibt es mindestens 53 Felsenklöster und eines dieser vielen Köster (die meisten sind allerdings längst aufgegeben) befindet sich in der Steilwand des Flusses und man kann es durch einen kleinen Tunnel betreten. Wir hatten eigentlich kunstvoll bemalte Felswände und Höhlen wie in den Ivanovo Felsenklöstern Bulgariens oder Lalibela in Äthiopien erwartet, aber es war doch recht „schlicht“. Die Aussicht über das Tal von der Felsplattform war toller als das Klösterchen selbst.

Wir fuhren weiter zum „Tartarenbad“ beziehungsweise dessen Ruinen. Das Bad war eher ein Hamam nach türkischem Stil und wurde gerade (von der EU) restauriert, sodass wir nur von der Straße Fotos machten und dann über den Fluss ins Dörfchen fuhren, um uns mit Luiza zu treffen. Der Abend wurde sehr sehr lang, die Nacht dementsprechend kurz, aber wenn sich Langzeitreisende treffen, gibt es immer viel zu erzählen. Gleicher Lebensstil, gleiche Herausforderungen, ähnliche Erlebnisse, viele gemeinsame Bekannte. Die Familie der Langzeit-Motorradreisenden ist einfach schön! Wer weiß, in welchem Land wir uns als nächstes treffen?!

Wir fahren dann mal weiter und erkunden weiter Bessarabien und später auch Transnistrien. Bis dahin könnt Ihr das letzte Video aus unserer „Tunesien-Trilogie“ anschauen:

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