Während ich diese Zeilen schreibe, sitze ich im Kittymobil, unserem VW Bus, in Armenien. Es kam alles anders als geplant und all das hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, immer flexibel zu sein, nicht zu viel zu planen und sich nicht auf diese oder jene Art des Reisens zu versteifen.
Unser letzter Blogpost endete damit, dass wir nach einem Monat in Armenien und aufgrund der langen Wartezeit auf den neuen Motor unter Zeitdruck stehen, um rechtzeitig zur Einreise nach China in Kirgistan zu sein. Am 19.8. treffen wir uns in Tash Rabat mit der Reisegruppe, mit der wir 7 Wochen durch China reisen wollen.
Der neue Motor von Pet war schnell montiert, sprang jedoch nur mit Anschieben an. Wir dachten, es liege nur an der Einstellung des Vergasers und wollten dies während der Fahrt nach und nach einstellen. Also fuhren wir los. Dass die Kupplung nicht trennte und der Öldruck aufgrund eines falsch montierten Simmerrings zu niedrig war, hatten wir schon bemerkt. Der Simmerring war schnell getauscht, bevor es los ging.
Doch wir kamen nicht weit. Schon nach 50m beim Abbiegen auf die Hauptstraße fehlte mir Leistung. Auf den folgenden Kilometern gelang es mir nur mit viel Mühe, einen altersschwachen Opel Astra zu überholen oder auf der Autobahn 80km/h zu erreichen. Wir hielten an, um zu sehen, was die Ursache sein könnte.
Jan war immer noch der Meinung, dass es am Vergaser liege, ich war überzeugt, das schlechte Anspringen und die fehlende Leistung liege an mangelnder Kompression. Ich konnte Jan davon überzeugen, am Feldrand stehend „mal eben schnell“ den Kopf des Motors abzunehmen, um nicht ewig dumm am Vergaser herumzudoktern, wenn es doch etwas Ernsteres ist?
Ich lag mit meinem Gefühl richtig: 3 von 4 Ventilen schlossen nicht dicht. So konnte der Motor nur schlecht anspringen und keine Leistung haben! Was tun? China ist weit, rückte aber in immer größere Ferne. Wir riefen den armenischen „ADAC“ und brachten Pet zurück zu Arthur, dem Motorenbauer der Dreamriders in Eriwan. Unser Plan: über Nacht die Ventile neu einschleifen, um rechtzeitig am Fährhafen in Aserbaidschan zu sein, um die Fähre nach Kasachstan zu erwischen. Die Fähre, die wir schon 3x verpasst hatten, weil Spediteure und Luftfracht in Deutschland nicht mehr das sind, was sie sein sollten und für was man sie teuer bezahlt.
Als Arthur Ventile und Kopf sah, war er entsetzt: die Ventile waren samt Ventilsitzen falsch eingeschliffen, die Nockenwelle mit tiefen Riefen durch die Härteschicht hindurch verschlissen, die Kipphebel deutlich eingelaufen, der Kupplungskorb hatte tiefe Kerben und war so falsch montiert, sodass die Kupplung gar nicht trennen konnte. Gegen Mitternacht beschlossen wir: der alte Motor musste her, denn dort drin waren 400km alte Ventile, eine gute Nockenwelle, eine top Kupplung und ein neu bearbeiteter Kopf. Doch der alte Motor reiste schon auf einem Iveco Daily Richtung Deutschland!
Es war nach Mitternacht, als wir ins Bett in einem Hostel fielen und von den Deutschen in ihrem Iveco erfuhren, dass sie noch samt dem alten Motor in Armenien waren. Also ist Jan am nächsten Morgen dem Iveco hinterher gejagt, um den alten Motor als Ersatzteilspender für den neuen Motor zu holen.
Als wir gegen Mittag zurück bei Arthur waren, hatte der sich die Sache schon weiter angeschaut und war entsetzt, was für ein Pfusch da in Deutschland am Motor begangen worden war! Wir begannen, aus zwei Motoren einen zu machen, tauschten Kupplung, Ventile, Nockenwelle, Kipphebel und Zylinderkopf von meinem Motor mit dem vom Händler angeblich neu überholten Motor aus und entdeckten immer mehr am „neuen“ Motor, was nicht zu der Aussage des Händlers passte, der ihn uns verkauft hatte.
Es war spät abends, als Arthur uns anschaute und fragte „Wollt Ihr wirklich wissen, was ich gerade festgestellt habe?“ Wir wollten das wissen. Arthur hatte gesehen, dass der Kolben für einen 350ccm Motor ungewöhnlich groß aussah und hat dann beim Drehen der Kurbelwelle gemerkt, dass der Kolben im Zylinder kippelt. Da wir den alten Motor zum Vergleich da hatten, war schnell klar: das sind keine 350ccm, sondern wahrscheinlich ganze 400ccm!
So konnte der Vergaser natürlich nicht richtig laufen und wir würden ihn auch mit der vorhandenen Bedüsung und ohne Möglichkeit, an Teile für die richtige Bedüsung zu kommen, nie vernünftig abstimmen können. Und so in den Himalaya auf über 4500m fahren? Arthur fand den kippelnden Kolben viel tragischer und meinte, dass er der Meinung sei, der Motor könne so vielleicht noch 10.000km halten, vielleicht aber auch weniger. Wir brauchten allein durch China 10.000km, zuzüglich Anreise von 4500 und Weiterreise bis in die Mongolei oder Russland! Arthur schüttelte den Kopf: nicht mit diesem Motor!
Ziemlich niedergeschlagen fielen wir wieder nach Mitternacht ins Bett: 2 Wochen Wartezeit auf den Motor, 2 Tage Schrauben bis in die Nacht, viel, viel Geld für den Motor und all das war umsonst! China rückte in unerreichbarer Ferne. Doch wir hatten eine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen und in den Versicherungsbedingungen stand, dass wenn die Anreise scheitert, die Versicherung zahlt. Und wir waren ja schließlich auf der Anreise, oder?
Am nächsten Morgen, unserem Hochzeitstag, die nächste Ernüchterung. Die Reiserücktrittversicherung der Allianz beschließt, dass wir uns nicht auf der Anreise zur gebuchten und versicherten Chinareise befinden. Nein? Liegt Armenien etwa in China? Aber wundern tut uns das nicht: Versicherungen zahlen eh nie. Somit mussten wir eine Lösung finden, um rechtzeitig an der chinesischen Grenze zu ein, um die gebuchte und bezahlte Gruppenreise anzutreten.
Warum Gruppenreise? Wer China mit dem eigenen Fahrzeug bereisen möchte, der darf das nur mit einem Guide. Dieser Guide ist nicht billig, denn er braucht natürlich auch Fahrzeug, Unterkunft und Verpflegung. Man kann das natürlich alles selbst zahlen – oder man tut sich dazu mit anderen Reisenden zu Reisegruppen zusammen, um die Kosten zu teilen. Es gibt auf Facebook dazu Gruppen, in denen sich Monate vor der Einreise nach China die Zweckgemeinschaften finden. Die meisten dieser Reisenden fahren nur von Kirgistan nach Pakistan. Das dauert 5 Tage, von denen man 3 Tage wegen Papierkram (chinesische Zulassung, chinesischer Führerschein etc.) mit Warten verbringt. 5 Tage China bedeuten also, dass man nichts sieht und nur Papierkrieg hat. Das wollten wir nicht. Wennschon China, dann richtig!
Konrad Fobbe von Special Adventure, den ich über einen gemeinsamen Freund aus Kanada kennen gelernt habe, lockte uns schon letztes Jahr mit einem attraktiven 4-wöchigen Reiseprogramm durch China. Doch seine geplante Reise endete in Hongkong mit der Verschiffung der Reisefahrzeuge nach Deutschland. Für uns keine Option, was sollen wir in Deutschland? Gegen Weihnachten 2018 hatte Konrad sich entschieden: er fährt weiter bis in die Mongolei, wenn wir zusammen bleiben! An Silvester kippten wir daher schnell unsere Reisepläne und beschlossen, den Pamir Highway und die „Stans“ auf 2020 zu verschieben und uns Konrads Reisegruppe anzuschließen! 7 Wochen China mit den Motorrädern! Die Route würde über Tibet den Himalaya entlang bis Hongkong, dann nach Peking und bis nach Ulan Batar führen. Einmalig! Wir sagten zu, zahlten den für uns unüblich hohen Reisepreis eines knapp einjährigen Reisebudgets und schlossen daher auch die Reiserücktrittsversicherung ab. Umsonst, wie sich nun herausstellte. Um das viele Geld nicht zu verlieren, musste ein Ersatzfahrzeug her – und das schnell!
Ein Anruf beim Motorradhändler, der den Motor mit angeblich 350ccm und in „super Zustand, kürzlich komplett überholt“ verkauft hatte ergab, dass er den Motor zurücknimmt. Das hilft uns aber in Hinblick auf China gar nichts, denn so oder so haben wir keinen funktionstüchtigen Motor, um mit den Motorrädern nach China zu kommen. 4 Wochen Wartezeit in Armenien für nichts als wieder Ärger mit deutschen Tugenden wie Ehrlichkeit und Verlässlichkeit, die schon lange der Vergangenheit angehören! Wir saßen ratlos in Eriwan. Woher jetzt so schnell das „eigene Fahrzeug“ bekommen, um die teure Chinareise anzutreten?
Plötzlich die Idee: wir nehmen Kittymobil, unseren 23 Jahre alten VW Bus! Der stand in Krefeld in der Garage und war eigentlich nur unser europäisches Haus auf Rädern. Und Krefeld ist mit 4500km auch nicht gerade um die Ecke… Aber was blieb uns anderes übrig? Auf China verzichten und das viele, viele Geld abschreiben? Auch keine Option. Nach ein paar Anrufen in China war klar: Kittymobil kann chinesische Zulassung bekommen! Am späten Nachmittag buchten wir einen Flug nach Düsseldorf, keine 12 Stunden später saß ich im Flieger. Jan blieb in Eriwan, denn um es noch rechtzeitig bis zur Grenze zu schaffen, müssten wir durch Russland fahren. Das Russlandvisum gibt es nur im Heimatland, aber eine Agentur in Eriwan versprach, das für uns vor Ort lösen zu können. Also gaben wir unsere Pässe ab. Wir haben drei Pässe und das ist trotzdem nicht genug, denn ein Pass liegt in Bishkek und wartet mit dem chinesischen Visum auf uns. Der andere Pass liegt in Deutschland, um ein russisches Jahresvisum in Anschluss an China zu beantragen und mit dem dritten Pass waren wir in Armenien eingereist. Um das russische Transitvisum zu beantragen, musste jedoch auch dieser Pass zur Botschaft und theoretisch hätte keiner von uns ausreisen können, um Kittymobil zu holen.
Doch glücklicherweise hatte ich im Juni mit den Ersatzteilen meinen Drittpass in den Iran fliegen lassen, denn ich wollte aufgrund von Visaangelegenheiten die Pässe tauschen. Ich hatte dadurch zufällig den Drittpass da, den ich der Agentur für das russische Transitivum überlassen und trotzdem mit dem Zweitpass ausreisen konnte. Jan blieb ohne Pass zurück in Eriwan, ich flog nach Düsseldorf.
Dort angekommen, fuhr ich mit dem Taxi zu unserer Garage in Krefeld, stieg in Kittymobil ein, drehte den Schlüssel um, machte noch ein paar Besorgungen, erledigte die Papiere für die chinesische Zulassung und besuchte kurz Freunde, dann fuhr ich am Mittwoch um 5 Uhr früh los gen China. Am ersten Tag durchfuhr ich auf kürzestem Weg Deutschland, um das Land der zahlungsunwilligen Versicherungen, unverlässlichen Motorradhändler und betrügerischen ebay Kleinanzeigen Verkäufer (siehe letzter Blogpost) nach 23 Stunden wieder bei Dresden gen Prag zu verlassen.
In Prag kaufte ich schnell bei Decathlon ein Mosquitonetz und fuhr weiter, bis ich nach 1300 Tageskilometern auf dem Supermarktparkplatz in Budapest ankam, auf dem wir im Januar bei -10°C schon im Kittymobil geschlafen hatten. Am nächsten Morgen ging es zu Sonnenaufgang weiter, über Rumänien nach Bulgarien. Theoretisch hätte ich dort auf der Autobahn weiter gen Türkei rollen können, doch über Landstraße nach Idilevo zu fahren machte insgesamt nur 15km mehr aus, allerdings deutlich mehr Zeit. Ich entschied mich, in Idilevo etwas Nestwärme zu tanken und hielt nach 1000 Tageskilometern vor dem Motocamp Bulgaria.
Die meisten Freunde im Dorf waren leider gerade ausgeflogen, aber Polly freute sich sehr, Andreas auch und Norbert, mit dem wir noch gerade in Armenien zusammen gecampt hatten, saß auch in der Laube! Andreas hatte Grillfleisch besorgt, Peachy kam vorbei und ich verbrachte einen wunderschönen Abend unter lauter lieben Menschen, von denen es schwer fiel, mich zu verabschieden.
Auf den letzten Metern hatte Kittymobil abends Quietschgeräusche gemacht. Ich war unsicher, vermutete Radlager und wusste nicht, was ich tun sollte. Aber rund um Idilevo bin ich mittlerweile eigentlich zu Hause, sodass auch das kein Problem war. Ein Anruf bei Chris, der eine Landrover Werkstatt betreibt, löste meine Sorgen! Er wartete pünktlich um 6 Uhr früh auf mich, um den Grund für das mittlerweile natürlich wieder verschwundene Quietschen zu suchen. Er stellte fest, dass nach 250.000km und 23 Jahren die Radlager trocken waren und am Ende eines langen Fahrtages, insbesondere über holprige rumänische und bulgarische Landstraßen, warm und quietschend wurden. Sein Urteil: Weiterfahren, aber vor Kasachstan zur Sicherheit austauschen.
Ich fuhr weiter gen Türkei und konnte mich kaum von Bulgarien trennen. Das Gefühl des Zuhauseseins, die Sonnenblumenfelder der dampfende Dorfsee zu Sonnenaufgang, die Bergwelt und die besten Tomaten der Welt machten den Abschied schwer. Die Einreise in die Türkei war schnell erledigt, ich fuhr nach Istanbul zu IKEA, denn Jan fand in Eriwan keine erschwinglichen Bettlaken, um die Motorräder bis zu unserer Rückkehr aus China in Armenien zugedeckt abzustellen. Außerdem sprang ich noch schnell zu Decathlon, ein paar Sandalen kaufen, denn im Kittymobil hatte ich nur Winterstiefel und dicke Sneaker, sodass ich bis Istanbul barfuß fuhr, denn bei der Sommerhitze waren Winterschuhe „unpassend“. Ja, in Deutschland war es ganz bestimmt viel heißer als im Rest der Welt und trotz Klimaanlage waren in Deutschland die ärmsten Menschen, die es jemals durch Hitze gegeben hat, denn in anderen Ländern dieser Erde gibt es schließlich niemals 40 Grad und mehr…
Kittymobil hat übrigens keine Klimaanlage, aber das macht nichts, denn die richtige Einstellung im Kopf, ein nasses Handtuch und ein Blumensprüher helfen fantastisch, wenn man bei Sommerhitze über den Balkan und die Türkei fährt. Nach nur 700 Tageskilometern wegen Werkstattbesuch bei Chris, Shopping in Istanbul und Stau durch verunfallte türkische Raser fiel ich kurz nach Sonnenuntergang ins Bett.
Der nächste Tag war besonders nervig: entlang der Küste war die Strecke zur georgischen Grenze über 200km kürzer als durchs Inland, also entschied ich mich, dort lang zu fahren. Eine Fehlentscheidung. Die Küste ist wie fast jede Küste der Welt völlig zugebaut, eine Stadt schließt sich der nächsten an, es gibt weder Landschaft noch groß Blick aufs Wasser, nur Moloch, Ampeln, viel Verkehr und kein Vorwärtskommen. Kurz vor der georgischen Grenze bog ich ab Richtung Berge und dann wurde es richtig schön, denn die Straße wand sich in einer steilen Schlucht sehr schnell in große Höhen. Als die Sonne unterging lagen 1250 Tageskilometer hinter mir.
Ich wachte noch vor dem Weckerklingeln auf, denn es war eisig kalt. Nach 4 Tagen im fahrenden Gewächshaus richtig angenehm! Ich kochte heißen Tee und Porridge, zog mir warme Sachen an und genoss die Weiterfahrt durch die Bergwelt, während in den Tälern unter mir Wolken und Morgennebel waberten.
Der Grenzübergang nach Georgien war problemlos und 50 staubige Pistenkilometer später reiste ich auch nach Armenien ein. Das dauerte lange, denn man darf als Ausländer ohne Wohnsitz in Armenien nur ein Fahrzeug kostenfrei temporär importieren. Kittymobil war Fahrzeug Nummer zwei und man wollte ganz schön viel Geld. Gut, dass die einzige englischsprachige Person eine ahnungslose Frau war, die mir glaubte, dass Kittymobil ja sooo alt sei und gar nichts mehr wert sein könne, da ich ja vor 11 Jahren schon nur 2400€ gezahlt hatte. Die Frau war überzeugt und erklärte ihrem Kollegen, dass er nur den Mindestfahrzeugwert von 1000$ als Grundlage für seine Berechnungen nehmen solle. So waren die Gebühren absolut erträglich und ich fuhr mit meinem urplötzlich wertlosen VW Bus lächelnd bis Eriwan, um Jan abzuholen, der in der Zwischenzeit mein Motorrad Pet eingelagert und Radlager und Ersatz-Bremsbeläge für Kittymobil besorgt hatte.
Wir ließen noch prophylaktisch die Radlager tauschen, um auf der langen Reise keine Probleme zu haben – und das war es auch schon an Vorbereitung für China. Nach 4552km Fahrt von Krefeld bis Eriwan waren wir und Kittymobil bereit für die große Reise. Ihr seht: es gibt immer eine Lösung, wenn man will. Auch, wenn wir jetzt auf 4 statt 2 Rädern weiterfahren, bleibt die Reise spannend. Wir freuen uns, dass es nun wirklich weiter geht!
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Hey, wenn auch das Radlager streikt – auf die Einspritzpumpe kannst Du Dich verlassen! 😉
Grüße von der anderen Seite der Erde.
Totti