Der russische Altai ist für mich immer noch die schönste Landschaft Russlands. Im Sommer wie im Winter könnte man Wochen dort verbringen! Ursprünglich war das auch geplant, aber weil unser russisches Visum nur noch 5 Tage gültig war, mussten wir das intensive Erkunden der Region verschieben. Wir kommen ja wieder!
Es war der 6. Januar und das ist in Russland Heilig Abend. Der erste Supermarkt nach der Grenze sah aus, als würde eine mehrtägige Versorgungskrise über das Land hinein brechen: Familien schleiften Einkaufswagen voll Weihnachtseinkäufe zu ihren Autos, die Regale leerten sich und wir fuhren durch eine wirklich weihnachtliche Winterlandschaft.
Wie so oft bei Grenzübertritten ändert sich die Landschaft direkt hinter dem Schlagbaum. Solange wir in der Mongolei waren, lagen die weißen Berge des Altai immer vor uns und jetzt waren wir mittendrin: Kurve um Kurve schlängelten wir uns durch ein Flusstal gen Norden durch glitzernde Schnee- und Eiswelten und ein herrliches Bergpanorama.
Als die Sonne unterging, wurde es Zeit, Unterkunft zu suchen, denn unsere Planar Standheizung war ja immer noch kaputt. Unterwegs sahen wir die Polen wieder und fuhren zu ihrem Stellplatz. Bartek war gerade dabei, seine Eberspächer Standheizung zu zerlegen, er hatte ja dasselbe Problem wie wir und die Nacht zuvor bei -28°C auch ohne Heizung im Auto an der Grenze verbracht. (Warum das so war, lest Ihr hier: Winter in der Mongolei) Er zeigte uns genau, wo das Problem des mongolischen Winterdiesels und der Winteradditive entsteht: im feinen Zerstäubersieb, welches die Eberspächer genauso wie die Planar hat. Er kannte das Problem schon und war vorbereitet, doch wir mussten ohne Ersatzteil bis Barnaul noch ohne Heizung auskommen.
Und dabei kam uns Weihnachten in die Quere. Das nächste Hotel war wegen Weihnachten ausgebucht. Zu Essen bekamen wir auch nichts: geschlossene Gesellschaft. Also weitersuchen. Wir fanden ein Hostel, in dem für kleines Geld sogar noch ein Doppelzimmer frei war und quartierten uns ein. All unsere Lebensmittel waren im Auto tiefer gefroren als in jeder Tiefkühltruhe, sodass wir weiter nach Essen suchen mussten. Wir wurden bei zwei Mädels fündig, die Weihnachten trotzten und uns Pelmeni servierten.
Der Weihnachtsbaum blinkte hinter dem Tisch und mit jedem Pelmen, der warm unsere Bäuche füllte, wurden wir immer müder. Unser ursprünglicher Plan, die russische Weihnachtsnacht in der Dorfkirche im Altai in der mehrstündigen Christmette zu erleben, schwand dahin. Wir wollten nur noch ins Bett. Ins warme Bett, denn die Nacht zuvor hatten wir beide nicht gut geschlafen. Bei -28°C friert der Atem sofort zu Eis auf Bettdecke und Kopfkissen, sodass man sich bei jeder Bewegung ins eigene Eis legt und davon aufwacht.
Doch es war Weihnachten und wir hatten die Rechnung nicht mit den gastfreundlichen Russen gemacht. Ich putze mir gerade die Zähne, um ins Bett zu gehen, als wir eingeladen wurden, mit vier Russen aufs Zimmer zu gehen. Und wir gingen mit. Einer hatte eine Gitarre und sang selbst komponierte Lieder, die anderen sangen bei Schlagern mit und es gab Wodka und Tee. Englisch sprach keiner, aber es wurde trotzdem ein netter Abend, bis wir uns dann doch irgendwann ins Bett fallen lassen konnten.
Am Weihnachtsmorgen hatten wir die Straßen für uns allein. Wir kurvten weiter durch das Flusstal, erklommen zwei Bergpässe, gingen in der märchenhaften Winterwelt spazieren, bis wir zu Eisklötzen gefroren waren und genossen den traumhaften Winter.
Und: hatten Spaß im „upside-down-house“. Ein Haus, das auf dem Kopf steht. Der Spaß entsteht eigentlich erst dann, wenn man das Handy umdreht, mit dem man gerade fotografiert hat. Oder das Video (siehe oben) umdreht. Wir hatten das Haus fast für uns allein, denn trotz Weihnachten (oder wegen?) war wenig los. Wahrscheinlich saßen alle unterm Weihnachtsbaum – der in diesem verrückten Haus von der Decke hing.
Schade nur, dass wir ständig den Zeitdruck im Nacken hatten: nur noch 4 Tage Visum, noch 1500km zu fahren und eine kaputte Standheizung zu reparieren. Und wieder war es schwer, Unterkunft zu finden: ausgebucht, inexistent, zu teuer. Durch einen Zufall landeten wir in der saubersten Unterkunft seit Wochen, direkt neben einem Selbstbedienungsrestaurant, in dem es, typisch Russland, echtes Essen gab: keine Fertiggerichte, keine Tiefkühlprodukte, gute Hausmannskost von Hand aus frischen Zutaten ohne Chemie zubereitet.
Als wir nach drei Tagen in Barnaul ankamen, war immer noch Weihnachten. Der Laden, der Standheizungen repariert, hatte zu und die Hotels waren ausgebucht. Die „Reise nach Jerusalem“ spielten wir ja nun schon zwei Wochen lang: von einer zu anderen Unterkunft ziehen und kein Bett bekommen. Wir waren es so leid! Jan wurde irgendwann übermütig (oder “übermüde”) und gab die Adresse eines mit vielen Sternen dekorierten Hauses ein. Ich wollte gar nicht aussteigen, denn ich ahnte: ausgebucht oder unerschwinglich. Doch wir hatten Glück: es gab noch ein Zimmer mit Bad auf dem Gang für ganz kleines Geld!
Und so zogen wir in unser ungewohnt luxuriöses Domizil ein. Das Gemeinschaftsbad auf dem Flur waren einzelne Bäder im Stile des Sterne-Hauses und wir ernteten komische Blicke an der Rezeption, als wir unser Bettzeug aufs Zimmer schleiften: es war ja seit unserer Nacht an der Grenze immer noch gefroren! (Davon haben wir hier erzählt: im Winter durch die Mongolei) Nach wochenlangem „Genuss“ von Hammelfleischgerichten in der Mongolei träumten wir schon lange von einer Pizza. Und eine bei Tripadvisor hoch gelobte Pizzeria war nicht weit. Aber leider geschlossen. Wegen Weihnachten. So langsam ging uns dieses Weihnachten auf die Nerven: keine Unterkunft, kein Essen, keine Standheizung. Tagelang Weihnachten…
Am nächsten Tag war Weihnachten endlich vorbei und wir fuhren sofort zu den Standheizungs-Spezialisten. Die kannten unser Problem schon (im Gegensatz zu europäischen Fachhändlern), setzten uns ein neues Sieb ein, überprüften die gesamte Heizung auf dem PC-gesteuerten Prüfstand, verkauften uns Ersatzteile und rieten dringend, auch in Russland nur bei Gazprom oder Rosneft zu tanken. Ein Ratschlag übrigens, den wir dort, wo unsere Heizung eingebaut wurde, auch bekommen hatten. Die schlauen Sprüche aus Europa, dass russische Technik ja wohl jeden Diesel vertrage, können wir nicht mehr hören. „Den“ russischen Diesel „an sich“ gibt es ja schonmal gar nicht, wie der Screenshot klar zeigt.
Endlich hatten wir wieder eine funktionierende Heizung, endlich mussten wir nicht mehr stundenlang nach Unterkunft suchen, endlich konnten wir wieder in unserem „Haus“ wohnen, endlich wieder selbst kochen und wesentlich entspannter reisen! Der erste Abend „zurück zuhause“ war wunderschön: wir stellten nochmal den Weihnachtsbaum auf, kochten herrlich nach Zimt duftenden Apple-Crumble und genossen unsere eigenen vier Wände mitten im tiefen Schnee irgendwo zwischen Barnaul und der kasachischen Grenze.
Wir reisten rechtzeitig aus Russland aus und nach Kasachstan ein. In Kasachstan braucht man kein Visum, man kann als Deutscher 3×30 Tage pro Jahr einreisen, ganz entspannt! Wir hatten genug Stress mit Visafristen und großen Distanzen (Iran, Russland, China, Mongolei, wieder Russland, wieder Mongolei, wieder Russland) seitdem der Motor meines Motorrades im Iran „getötet“ wurde (was genau passiert ist, lest Ihr hier: Motorschaden im Iran), sodass wir nun endlich einen Gang herunter schalten konnten.
Nachdem wir überall das große Jammern anderer Reisender über die Strecke von Pawlodar nach Almaty gehört und gelesen hatten, fuhren wir einfach einen kleinen Umweg über Nur-Sultan: bis dort bestens ausgebaute Autobahn und ab dort weitere 900km gute Asphaltstraße. Nur die letzten 300km sind voll Löcher, Spurrillen und Baustelle, aber eigentlich auch gut zu fahren. Warum da alle wild herumjammern, statt einen kleinen Umweg in Kauf zu nehmen, können wir, wie so vieles, nicht nachvollziehen. Ist Drama wichtig auf Reisen?
Als wir letzten Sommer in Kasachstan waren, haben wir uns das KarLag Gulag Museum angesehen. Rund um die heutige Stadt Karanganda waren einige Gulags, in denen schätzungsweise 800.000 Gefangene zu Zwangsarbeit verdammt wurden. Diesmal steuerten wir die Spassk Gedenkstätte an, welche über einem Massengrab von etwa 5000 Menschen unterschiedlicher, teils überraschender Nationen errichtet wurde. Ein Teil der Geschichte, die sich wahrscheinlich immer wieder wiederholen wird, weil die Menschheit nicht aus Fehlern lernt…
Die letzte Nacht, die wir auf dem Weg nach Almaty frei standen, war ungewöhnlich. Ungewöhnlich warm! Es war nur knapp unter -10°C und fühlte sich für uns an wie Hochsommer. Die letzten Monate hatten wir durchweg Temperaturen um die -25°C, ein paar Wochen unter -30°C und sogar 2 Tage knapp -40°C! Was sind dagegen warme -11°C? Sommer! Mal eben an die Fahrerkabine gehen führt nicht zu Schockfrostung, der Toilettengang im Gebüsch darf länger dauern, eine in der Fahrerkabine vergessene Wasserflasche ist nach einer Stunde immer noch kein Eisblock, wir konnten lüften, ohne uns in Wintermäntel und Wolldecke zu verkriechen und – die 2Kw Standheizung wurde uns zu warm. Das waren Temperaturen, bei denen hatten wir früher keine Standheizung genutzt, weil wir gar keine hatten!
Und weil hier (fast) immer die Sonne scheint, änderten sich auch die Straßenverhältnisse: da, wo die Sonne lange drauf „knallen“ konnte, war der Asphalt komplett eisfrei. Und die Pisten leider auch. Und da bedeutet „eisfrei“, dass das Wasser, was mal Eis war, sich mit dem Untergrund zu einer ekligen Matschepampe verbindet, deren Temperatur 0°C betragen muss: gerade flüssig genug, um unseren T4 “Kittymobil” herum rutschen zu lassen und überall herum zu spritzen, aber so kalt, dass der an Kittymobil haftende Matsch noch fast im Flug wieder gefriert. So entstanden sehr ungewöhnliche „Matschzapfen“ und um die Türen aufzubekommen, musste man sich mit Kraft von innen dagegen werfen, denn der Eismatsch hatte alles rundum dick versiegelt.
Als wir in Almaty ankamen, suchten wir sofort eine Waschanlage auf. Es war eine etwas edlere Anlage für riesige, hochpreisige Geländewagen von Toyota, Lexus, Audi und VW. Groß genug für Kittymobil (hey: noch ein Vorteil von kleinen Reisefahrzeugen: klein genug für Waschanlagen!), aber so, wie die „Waschfrau“ geschaut hat, scheint keiner der Geländewagen jemals so dreckig zur Wäsche erschienen zu sein. Was blieb ihr (und uns?) anderes übrig? Der Eismatsch musste mit warmem Wasser weggespült werden, denn auch Tankdeckel, Schiebetür und Heckklappe waren zugefroren!
Blitzsauber parkten wir Kittymobil im Carport eines Hostels. Es befindet sich in einer Villa mit Garten in einem edleren Viertel von Almaty. Die ersten Nächte schliefen wir dort noch im Kittymobil, jetzt sind wir in ein geräumiges Doppelzimmer mit Abstellkammer gezogen. In der Abstellkammer befindet sich all unser Hab und Gut (ganz schön viel!), denn Kittymobil hat sich einen Aufenthalt auf einer “Beautyfarm” wirklich verdient. Seit unserer völlig überstürzten, unvorbereiteten Abfahrt aus Deutschland vor 35.000km (Wieso? Weshalb? Warum? Erklären wir hier: Fahrzeugwechsel) hat Kittymobil uns nie wirklich im Stich gelassen. Abgesehen vom Sicherungsring, für den es nichts kann und die defekte Hupe in Peking. Mit einem so zuverlässigen und günstigen Fahrzeug waren wir beide noch nie unterwegs. Und weil wir uns bei Ankunft in Lhasa „Kittymobil forever“ geschworen haben und in Kasachstan so viele wunderschöne T4 Busse herumfahren, ist nun der Zeitpunkt gekommen, Kittymobil aufzuhübschen.
Eine Bekannte von uns, die aus Almaty stammt (Hallo Alla!) und die mit uns unseren Hochzeitstanz einstudiert hat, konnte uns an einen besonders guten „Schönheitschirurgen“ vermitteln. Dieser wird bei Kittymobil ein paar „Falten“ ausbügeln, „Altersflecken“ beseitigen und dafür sorgen, dass Kittymobil am Ende schöner ist, als es war, als ich es vor 12 Jahren als klapprigen Postbus ohne TÜV und grün vor Moos, gekauft habe. Bis dahin könnt Ihr ja unseren Hochzeitstanz anschauen. 😊
Und wir nutzen die Zeit für viele Dinge, die auch dann getan werden müssen, wenn man nicht reist, für die aber die letzten Monate keine Zeit war: die Steuererklärung zum Beispiel. Zum Friseur gehen. Eine neue Matratze kaufen. Zum Zahnarzt gehen. Eine neue Hose kaufen. Den Sommerurlaub mit der Familie planen. Und das Foto- und Videomaterial der letzten Monate sichten, sortieren und zu Alben und Videos verarbeiten. Und, und, und… Und vor allem machen wir: Pause!
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Danke für diesen sehr interessanten Artikel. War sehr informativ. Weiter so.