Wir haben auch in Russland die asphaltierten, ausgetretenen Pfade aller Schnellreisenden verlassen und uns auf Nebenstraßen fortbewegt. Was wenig Russland- und „in die Mongolei-Reisende“ wissen: Zwischen Baikalsee und Mongolei siedeln „Altgläubige“ und nicht nur Burjaten. Burjaten sind eine mongolisch stämmige Ethnie in der russisch-mongolischen Grenzregion. Aufgrund ihres klar mongolischen Aussehens sind sie auch für „Durchrasende“ zu erkennen. Aber Altgläubige?
Wer weiß, woran man altgläubige Dörfer erkennt, sieht das auch– aber eben auch nicht an der Hauptstraße Richtung Mongolei, sondern nur entlang kleiner Nebenstraßen: die sonst schlichten sibirischen Holzhäuser mit ihren blauen Fensterläden werden von den Altgläubigen in Knallfarben angemalt. Zum Beispiel rote Hauswand, grüner Zaun, blaue Läden und dazu noch bunte Blumen überall drauf gemalt. Je bunter, desto besser. Unser VW Bus „Kittymobil“ passt in solch bunte Dörfer wunderbar! Doch wer sind diese „Altgläubigen“?
Die „Altgläubigen“ spalteten sich ab 1667 nach Reformen von der russisch-orthodoxen Kirche ab. Da die Altgläubigen aufgrund ihrer Abspaltung verfolgt und getötet wurden, zogen sie sich in abgelegene Gebiete Russlands (oder ins Ausland, z.B. USA) zurück und siedeln bis heute dort. Die Unterschiede zur heutigen orthodoxen Kirche erscheinen uns heutzutage als nicht relevant dafür, um eine Glaubensgemeinschaft zu töten und zu vertreiben, aber zu damaliger Zeit waren es wohl unüberwindbare Hindernisse: beispielsweise das sich mit drei statt zwei Fingern Bekreuzigen, geänderte Formulierungen im Glaubensbekenntnis und neuere Schreibweisen von z.B. Jesus („Isus“ vs. „Iisus“) Noch heute werden komplizierte, für uns altmodisch anmutende Regeln befolgt. Wer zum Beispiel sein Kind taufen lassen möchte, muss vor der Taufe eine bestimmte Diät halten, um für den Ritus „rein“ zu sein.
Man kann von Ulan-Ude aus natürlich Touren buchen, bei denen man in ein solches Dorf gekarrt wird um bunte Holzhäuser zu fotografieren, doch wir waren ganze drei Nächte in einem solchen Dorf und bei Altgläubigen am Kaffeetisch. Das Dorf heißt Bitschura, ist über eine 50km Schottertrasse ab der Mongolei oder einen 20km Schotterpass ab Chita/Ulan-Ude zu erreichen und ist weniger für die bunten Holzhäuser der Altgläubigen bekannt als für seinen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde für die längste Dorfstraße der Welt! Von Kreuzung zu Dorfende 14km, von Anfang bis Ende insgesamt 17km lang! 17km bunte Holzhäuser! Über 500 Stück, denn die höchste Hausnummer ist 555.
Uns brachte der Zufall ins Dorf. Weil uns in der Mongolei auf den letzten Pistenkilometern ein LKW den rechten Scheinwerfer zerschossen hatte, brauchten wir Ersatz und parkten vor einem Autoteilegeschäft, als gerade neben uns ein Ehepaar in ihr Auto stieg. Und wieder ausstieg, als sie unser Kennzeichen sahen. Sie stellten sich als Bodo und Tatiana vor. Bodo ist Deutscher und Tatiana hat in Weihenstephan studiert. Beide betreiben im Dorf mit der längsten Dorfstraße der Welt einen Biohof und luden uns ein. Drei Wochen blieben wir locker über Instagram in Kontakt, dann trafen wir uns in Ulan-Ude in einem Café wieder und fuhren gemeinsam auf ihren Hof.
Kittymobil parkte vor der Banja und wir verbrachten einen ersten, sehr langen gemeinsamen Abend rund um den Ofen eines traditionellen sibirischen Holzhauses. Der Ofen befindet sich in der Mitte dieser Häuser und die Räume sind ohne Türen rundherum angegliedert, sodass jeder Raum eine warme Ofenwand hat. Traditionell wird auch auf dem Ofen in einer dafür vorgesehenen Nische geschlafen, aber als es fast schon wieder Morgen war, krabbelten wir in unsere eigenen Betten. Es war unter -30°C und unsere Standheizung war aus. Nicht die beste Tageszeit, um nach dem Fehler zu suchen! Bodo und Tatiana haben zwar kein fließendes Wasser und nur ein Plumpsklo über dem Hof, aber sie haben Strom. Unser kleiner Heizlüfter tat sein Bestes, doch als wir ein paar Stunden später aufwachten, war alles im Auto eingefroren. Nur wir nicht. Was war los mit der Standheizung? Gut, dass wir Garantie haben und gut, dass wir nicht in Deutschland gekauft haben!
Tatiana und Bodo haben jetzt im Winter nur 250 Legehennen, ab dem Frühjahr werden es 1000 sein. Ihre Eier sind streng nach russischen bio Richtlinien zertifiziert und werden ihnen aus den Händen gerissen. Die viel zu wenigen Eier werden in den Bioläden in Ulan-Ude in kürzester Zeit verkauft, die Nachfrage im Dorf hat die anfängliche Skepsis überwunden. Und dabei haben die beiden erst in diesem Jahr mit ihrem Hühnerhof begonnen!
Bodo ist eigentlich Fachmann für Schafe und Ziegen und so wird der Biohof nächstes Jahr um viele „Pelztiere“ und das Angebot um Ziegenkäse erweitert. Langfristig sollen Gästezimmer, ein Hotel und Restaurant entstehen und alles aus eigenem bio-Anbau versorgt werden. Dazu sollen Einheimische in biologischer Landwirtschaft ausgebildet werden und langfristig Arbeitsplätze finden. Was für ein tolles Projekt! Wir bekamen alles gezeigt und haben uns von der Begeisterung der beiden anstecken lassen.
Tatianas Familie sind Altgläubige, wie fast alle im Dorf und so saßen wir bald samt Oma, die die altgläubigen Traditionen noch sehr pflegt und ihre Enkelin per Telefon gerne zu deren Einhaltung ermahnt, im Wohnzimmer der Eltern und aßen von Muttern Selbstgebackenes mit schwarzem Beerenpüree, dessen Namen wir schon wieder vergessen haben. Oma verschwand dann in der Banja, denn es war Samstag und das ist auch in Sibirien Badetag. Also wurde auch Bodos und Tatianas Banja angeheizt und nachdem wir Pfannkuchen mit Eiern von glücklichen und handzamen kuscheligen Biohühnern gegessen hatten, schwitzen wir uns sauber. Dusche gibt es traditionell in Sibirien nicht, man nutzt den im letzten Blogpost beschriebenen Waschbottich. Schnell noch am Ofen die Haare trocknen und ab ins Bett bei -35°C. Unsere Standheizung tat immer noch nichts und unser kleiner alter Heizlüfter hatte sich für immer die Seele aus dem Leib gepustet. Der russische Turbo-Heizer aus dem Plumpsklo verschaffte uns trotzdem eine warme Nacht im Kittymobil.
Für mich war die Nacht kürzer als für Jan, denn ich stand mit den Hühnern, Bodo und Tatiana auf, um auf einer Ranch in der tief verschneiten Steppe ein Lamm zu kaufen, denn es war Schlachttag. Die Ranch liegt inmitten der Taiga und weil alles tief verschneit war, hatte Tatianas Vater Schwierigkeiten, in der weißen Fläche die Feldwege zu finden. Auch auf der Rückfahrt suchten wir lange nach unserer eigenen Autospur von der Herfahrt! Pisten-Navigation im Schnee ist gar nicht so einfach! Für mich ein erster Vorgeschmack auf das, was uns in der Mongolei erwarten würde.
Auf der Ranch waren 300 Lämmer, dazu ein alter Cowboy (heißt der bei Schafen dann „Sheepboy“?) mit wunderschönem Pferd und ein weiterer Altgläubiger, dem die Tiere gehörten. Er wählte ein Schaf aus, Bodo kontrollierte am Gebiss sein jugendliches Alter (9 Monate) und verfrachtete es in den Kofferraum. Sobald wir zurück auf dem Hof waren, fiel schon der Kopf und die Männer machten sich an die Arbeit. Tatiana verschwand in der Küche, Jan leistete ihr am Küchentisch Gesellschaft und nur ich war dabei und half, dem Lamm den „Wintermantel auszuziehen“ und es zu zerlegen.
Die Männer lachten viel und machten viele Witze über die Burjaten, welche das Fett der Tiere als besonders lecker erachten (wer schon in der Mongolei bei Nomaden essen war, weiß, was gemeint ist). Hier freute sich Hofhündin Svetja über speckige Leckereien. In den letzten vier Wochen in Burjatien hatten wir gelernt, dass streng zwischen „Russen“ und „Burjaten“ unterschieden wird. Als Durchreisender fällt einem das wenig auf, doch nach einem Monat intensiven Erfahrungen mit Russen und Burjaten (die natürlich auch einen russischen Pass haben), fällt auf, dass es sich um Parallelgesellschaften handelt, in denen die beiden Bevölkerungsgruppen nur wenige gemeinsame Berührungspunkte haben und streng unter sich bleiben und ihre eigenen Gesetze und „Kungeleien“ haben. Was uns bei Ankunft im Dorf neu war: es wird noch weiter unterschieden! Ich wollte wissen, ob ein Mann, über den gesprochen wurde, Russe oder Burjate sei und die Antwort war „ein Altgläubiger!“. Nach über 350 Jahren grenzen sich die Altgläubigen immer noch bewusst von den Russen ab!
Die Hausschlachtung fand ihr Ende darin, dass kleinere Stücke Fleisch im Suppentopf landeten und der Rest im Schuppen sauber auf dem Tisch aufgereiht zum Tiefgefrieren ausgelegt wurde. Die Tür des Tiefkühlschrankes steht offen, er müsste ja sonst beheizt werden, um auf -19°C zu kommen! Wir löffelten mit den Eltern, Bodo und Tatiana die frische Lammsuppe und gingen früh zu Bett, denn wir hatten wegen unserer Standheizung im 200km entfernten Ulan-Ude einen Termin in der Werkstatt.
Wir fuhren vor Sonnenaufgang los und rumpelten mit den ersten, pastellfarbigen Sonnenstrahlen über den Schotterpass im tiefsten Schnee und freuten uns an der Natur – und unseren Winterreifen. Wir hatten mittlerweile gelernt, dass europäische Winterreifen in Sibirien wenig taugen, da sie für nassen Pappschnee und nicht für trockenen Eisschnee gemacht sind. Die Winterlandschaft Sibiriens begeistert uns sehr! In Ulan-Ude freuten sich alle in der Werkstatt, uns wieder zu sehen und man fand auch schnell das Problem: Wasser (also: Eis) in der Leitung! So konnte kein Diesel zur Heizung gelangen und die Heizung auch nicht funktionieren. Wahrscheinlich ist das Wasser über schlechten Diesel in die Leitung geraten, sodass wir den dringenden Rat bekamen, nur noch bei Rossneft zu tanken. Jetzt wussten wir auch, warum dort immer lange Warteschlangen sind! Da wir im Sommer 2018 schon extrem schlechtes Benzin in Russland im Motorradtank hatten, können wir den Ratschlag nachvollziehen. Zusätzlich sollen wir noch ein wasserbindendes Diesel-Additiv für den Wintereinsatz verwenden.
Gesagt, getan, nach einer weiteren (von mittlerweile ungezählten!) Nacht auf “unserer” Insel im Fluss von Ulan-Ude, einem Besuch in „unserer“ Wäscherei und „unserem“ Baumarkt machten wir uns auf den Rückweg Richtung Mongolei. Vanlife ist nicht immer das, was man auf Fotos gezeigt bekommt. Auch wir erzählen Euch lieber von den schönen Stellplätzen, aber auch blöde Übernachtungsplätze kommen vor und wir sind schon mehrmals in den letzten knapp zwei Jahren aus dem Bett wieder aufgestanden, um einen besseren Stellplatz für die Nacht zu finden.
Als es dunkel wurde, hielten wir an einem Truckstop. Wenn die Wälder und Wege tief verschneit sind, ist das die einzige Möglichkeit, außerhalb von Städten einen Übernachtungsplatz zu finden. Diese Truckstops sind in Russland manchmal sehr luxuriös mit Banja, WiFi, 4* Duschen, Wäscherei etc., manchmal aber auch nur ein geräumter Platz mit Plumpsklo. In letztere Kategorie fiel der Platz dieser Nacht. Das Problem: er lag in einer Talsenke, in die die -24°C kalte Luft von den umliegenden Hügeln hinein fiel. Dies führte bei absoluter Windstille dazu, dass die Abgase unserer Standheizung nicht weg wehen konnten, sondern sich unter dem Auto sammelten und somit ins Auto zogen. Wir sind dem TriGasAlarm sehr dankbar, dass er uns nach Mitternacht mit schrillem Piepen weckte, als sich unser Schlafzimmer mit Abgas füllte. Ohne den Gasalarm hätten wir das nicht bemerkt und wären nie wieder aufgewacht! Kauft Euch bitte so ein Ding mit bitte zwei Sensoren!
Und nun? Was tun? Umparken zwecklos, Talsenke blieb Talsenke, Windstille blieb Windstille. Ohne Heizung schlafen hieße, dass unser Frischwassertank samt Pumpe (und alle Vorräte) in kürzester Zeit tiefgefrieren würden, denn wir hatten Schiebetür und Heckklappe weit geöffnet, um die Abgase aus dem Wohnraum zu lüften. Schon während des Lüftens war das Restwasser im Waschbecken blitzschnell zu Eis gefroren. Ohne Heizung macht zwar uns nichts aus, aber wegen der Wasserproblematik hatten wir die Heizung ja angeschafft! Drei Stunden suchten wir mal hier, mal dort nach einem besseren Stellplatz, bis wir ihn morgens um 5 auf einem Hügel fanden: hier fand ein Luftaustausch statt, wir fanden noch etwas Schlaf. Vanlife ist also nicht immer so romantisch, wie Campingurlauber denken!
Wir hatten entschieden, nochmal bei Bodo und Tatiana zu einer Tasse Tee vorbei zu fahren, um dann die Schotterpiste Richtung mongolische Grenze in Angriff zu nehmen. Und die ist so viel schöner als die Strecke, die auf Asphalt zur großen Transitroute gen Westen/Osten führt! Wir erlebten einen flammenden Winterhimmel über sibirischem Kiefernwald und fanden einen traumhaften Schlafplatz mitten im Wald zwischen Kiefern und Schneeglitzer. Die Vanlife-Welt war wieder in Ordnung.
Und weil zur Adventszeit auch ein guter Stollen gehört, habe ich einen gebacken. Weihnachtsbäckerei im Auto? Na klar, warum nicht? Wir können in unserem Haus auf Rädern alles, was auch im Haus aus Stein geht – und noch viel mehr! Natürlich gibt es in Sibirien nicht alle Zutaten, die man für einen richtigen Stollen braucht, aber Jan beschwert sich trotzdem, dass ich nur scheibchenweise Stollen rationiert als Nachtisch ausgebe. Wir genießen es wirklich, die Adventszeit in den eigenen vier Wänden zu verbringen und jederzeit perfektes Winterwetter vor dem Fenster zu haben!
Mittlerweile sind wir zurück in der Mongolei. Die Winterlandschaft dort ist ganz anders als in Russland. Jan formulierte das gestern so: „Sibirien im Winter ist wunderschön, Mongolei im Winter ist für die Seele“. Und so ist es auch. Wir gehen morgen offline in ein ganz besonderes Winterabenteuer in einer ganz besonders abgelegenen Ecke der Mongolei. Seid gespannt!
Und wer Russisch kann, hat vielleicht Freude am Artikel über uns aus der Dorfzeitung von Bitschura. Nachdem so ziemlich jede Spitzengardine im Dorf gewackelt hat, wenn Kittymobil die Dorfstraße entlang fuhr, rief die Dorfreporterin an und bat um einen Artikel. Bis auf die Sache mit dem Buch stimmt auch alles so, wie es gedruckt wurde 🙂
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