Wir sind zurück in Nigeria! Nigeria? Moment. War das nicht das Land, das menschlich so furchtbar schwierig, so anstrengend, so nervenzerreißend, so unglaublich strapaziös, mühsam und ermüdend war? Das Land, aus dem wir nach einem Monat froh waren, ausreisen zu können? Das Land, in dem wir tagtäglich nach Highlights gesucht, aber die letzten drei Wochen keine gefunden haben? Genau das Land.
Es ist nämlich auch das Land, welches uns in der ersten Woche völlig begeistert, verzaubert und in sich hineingerissen hat. Das Land, was unglaublich märchenhaft und spektakulär begonnen hatte, wo wir direkt in die fast sagenhafte Welt der Emire eingetaucht sind – mit all den Turban tragenden Männern in bunten, aufwändig verzierten Gewändern, den reich geschmückten Pferden und der Magie uralter islamischer Traditionen einer Jahrtausende alten Handelsstadt aus Zeiten des Transsahara-Handels: Kano. Und genau dort sind wir wieder.
Nach unserem leider nur zweiwöchigen „Urlaub“ in Sao Tome & Principe (unglaublich einfach zu bereisen, 14 Tage visafrei, gute Infrastruktur und leckeres Essen!) machten wir Zwischenstopp in Douala, Kamerun. Die Stadt und dortige Seemannsmission hatten wir uns als „Basis“ ausgewählt, weil wir mit einem halbjährigen Visum zur Mehrfacheinreise sehr flexibel in der Region reisen können und man von Douala aus gut überall hinkommt: nach Äquatorialguinea, dann Sao Tome und nun Nigeria.
Wir hatten leider mal wieder mit Peace Air gebucht. Nigerias größter Fluggesellschaft – mit interessantem Hintergrund. Von unseren vorherigen Flügen mit der Fluggesellschaft wussten wir schon: die fliegen nie, wann sie sollen, sondern immer am Ende eines Tages und nie mit dem auf dem Ticket vermerkten Flugzeug. Und wenn man online bucht (was wir beim ersten Mal getan hatten), werden die Kreditkartendaten missbraucht (ist uns auch passiert). Wir hätten besser vor dem Buchen recherchiert, statt erst auf dem Flughafen, denn nun wissen wir es: die Fluggesellschaft ist eine nigerianische Geldwaschmaschine, mit der ranghohe nigerianische Regierungsmitglieder Petroldollar sauber waschen. Dazu werden einfach ganz viele Tickets an Geisterpassagiere verkauft und ein paar Tickets an echte Menschen wie uns. Diese echten Menschen reichen aber nur, um maximal 1x täglich einen Flieger zu füllen. Also lässt man alle diese Menschen einfach den ganzen Tag auf dem Flughafen sitzen, bis alle zu ihren jeweils unterschiedlich gebuchten Uhrzeiten da sind und schickt dann einen Flieger um alle abzuholen.

Nicht passt zusammen: Safety Card von einer Embraer in einer Boeing.
In unserem Fall hatten nur drei echte Passagiere (inklusive wir beide) für den Flug von Douala nach Lagos gebucht und dafür lohnt es nicht, den Check-In-Schalter zu öffnen. Dafür müsste man ja an den Flughafen Handling – Gebühren zahlen – und das muss man ja nicht unbedingt, wenn man nur pro Form Fluggesellschaft spielt. Man kann auch mit den bereits vorbereiteten Bordkarten im Büro sitzen und warten, bis die drei Passagiere auftauchen und ihnen gegen ein ordentliches Schmiergeld (50€) die Bordkarten aushändigen. Uns war schlagartig wieder bewusst, warum uns Nigeria so furchtbar genervt hat. Da war ja was: Lug und Betrug am laufenden Band. Irgendwann landeten wir nach einem wunderschönen Landeanflug in Lagos, warteten in der „Visa Lounge“ (ein paar Reihen Metallstühle) auf unser Visum („on arrival“, aber nur mit Kontakten möglich) und überraschenderweise war sogar unser kostenloser Hotelshuttle da! Nigeria ist sehr günstig und wenn man für den Ankunftstag ein Hotelzimmer für 35€ bucht, landet man dann schon quasi in der Luxusklasse, wo solche Services geboten werden. Es war nach 2 Uhr nachts, als wir ins Bett fielen.
Wenn man in ein Land zurückkommt, wo man vorher länger war, weiß man gleich, wie der Hase läuft und dass wir einen halben Tag brauchen würden, um zwei einfache Dinge wie Simkarten und Bargeld zu organisieren. Bargeld gibt es nämlich in Nigeria nicht mal auf der Bank (und wir wollten nur umgerechnet 150€), sondern alles läuft digital. Weil wir kein nigerianisches Bankkonto haben, können wir das Spiel mit dem digitalen Geld dank einer App nur ab umgerechnet 10€ mitspielen und das ist hier schwer, auf einmal auszugeben. Deswegen brauchen wir Bargeld. Weil Geldautomaten nur maximal ca. 7€ ausgeben, nützt das auch nichts. Die Simkarten müssen aufwändig registriert werden und weil ich auf meinem Passfoto die Haare offen und an dem Tag die Haare geflochten hatte, musste der Vorgang 3x wiederholt werden. Aber irgendwann war alles geschafft und wir flüchteten vor dem Regen in ein versteckt gelegenes Café & Coworking Space, um das erste Bargeld wieder auszugeben.
Den nächsten Tag verbrachten wir fast ausschließlich auf dem Flughafen. Air Peace mal wieder und natürlich blieb es beim altbekannten System: egal, wann der gebuchte Flieger geht, man sitzt den Tag über auf dem Flughafen und fliegt erst abends. Die restlichen Flieger nach Flugplan sind die Geisterflieger zur Geldwäsche. Wir landeten wie vor drei Monaten wieder zu Sonnenuntergang im Sahel, wie damals standen die schönen Boeing 747 im Gegenlicht, nur diesmal war es nicht kalt, sondern immer noch über dreißig Grad, die als trockener, umschmeichelnder Wind um uns strichen. Im Hotel angekommen fand man uns im System als Stammkunden und gab uns gleich einen schönen Rabatt und ein schönes Zimmer. Im Norden tickt Nigeria anders als im Süden.
Wir sind extra nochmal nach Kano gekommen, weil wir uns im Januar hier so haben verzaubern lassen. Und dabei war damals noch gar nichts los, sondern nur der märchenhafte Alltag rund um den Emir. Beziehungsweise: rund um die zwei Emire. Jetzt, nach Ramadan, beginnt die Festivalsaison und wir waren hier, um die berühmten „Hyänenmänner“ zu sehen, traditionelle Boxkämpfe mitzuerleben und das große Durbar Fest mitzufeiern. Die größte Pferdeparade der Welt mit Reiterspielen findet jedes Jahr in Kano statt. Wir hatten im Januar schon gesehen, wie unglaublich zauberhaft schön die Pferde geschmückt und Reiter herausgeputzt werden und das Märchen wollten wir erleben. Vier Tage lang.
Doch schon in den Wochen zuvor gab es Gerüchte, dass das Durbar Festival in Kano abgesagt werden würde. Kano ist Schauplatz von „Game of Thrones“ in der Realität: ein von der Regierung eingesetzter, vom Volk ungeliebter Emir und ein „blutechter“ Emir, der aber von der Regierung entmachtet wurde, weil er vorher als Finanzminister einen riesigen Korruptionsskandal aufgedeckt hat, was den „hohen Tieren“ nicht gefiel. Als wir Anfang des Jahres in Kano waren, hatte ein Gericht gerade entschieden, dass der echte Emir an der Macht ist und der von der Regierung eingesetzte Emir zurücktreten muss. Wie das so ist unter machthungrigen Menschen, ist der „falsche Emir“ natürlich nicht zurückgetreten und macht dem „echten Emir“ das Leben schwer. Da die Behörden deswegen Angst vor gewalttätigen Auseinandersetzungen hatten, wurde das Durbar Festival einen Tag vor Salah dann abgesagt. Wir sind trotzdem nach Kano geflogen, schließlich gibt es ja noch die Hyänenmänner und Boxkämpfe. Und andere Emirate in der Umgebung, in denen Durbar gefeiert wird.
Das mit den Boxkämpfen wurde leider nichts. Wir hatten unsere Flüge extra so gebucht, dass wir am größten „Kampfwochenende“ in Kano sind, erfuhren aber vor Ort von Einheimischen, von Guides und per Instagram von anderen Reisenden, dass der Eintritt von 60 Cent auf 180€ für Ausländer angehoben wurde, nachdem ein „idiotischer Amerikaner eine Szene gemacht hat“. Was genau passiert ist, wissen wir nicht, aber jeder, den wir fragten, erzählte uns, dass die Leute vom Boxverein äußerst aggressiv auf die 180€ bestehen – auch, wenn man in Begleitung Einheimischer erscheint. Welcome to Nigeria, willkommen im Rassismus, den wir als Weiße in Afrika tagtäglich ertragen. Ärgern bringt nichts, wir handeln stattdessen: das „Boxwochenende“ verbringen wir nun ganz woanders, weil wir unseren Flug umgebucht haben und vor dem Wochenende abreisen.
Aber das mit den Hyänenmännern, das klappte. Die „Hyänenmänner“ im Norden Nigerias „zähmen“ wilde Hyänen und ziehen damit über die Dörfer, um Schaukämpfe zu zeigen und Mutproben zu ermöglichen. Obwohl man keinen Mut braucht, wie wir erklärt bekamen: die Dompteure tragen schließlich Glücksbringer an der Kleidung und die Hyäne bekommt „Kräuterwasser“ zu trinken, damit sie während der Show niemanden beißt. Die Magie wirke hundertprozentig. Baldriantee war das „Kräuterwasser“ sicher nicht, so wild wie die riesige Hyäne war.
Die Hyänen sind die Einkommensquelle dieser Schausteller und leben angeblich mit den Menschen unter einem Dach. Im Gegensatz zu Kutschpferden etc. hatte das riesige Tier, was wir sahen, keine Verletzungen oder Abschürfungen – nicht mal unter dem Halsband, wo jeder Kettenhund sich wund reibt. Uns wurde erklärt, wegen des „Kräuterwassers“ und der Magie bräuchten die Tiere auch nicht an die Kette, weil sie ja nicht gefährlich seien und ihre Besitzer Glücksbringer (Wollbommeln etc.) tragen. Die Zuschauer dürfen die Hyäne anfassen und wer sich traut, darf die Hand in der Nähe des Mauls geführt bekommen. Ich vertraue der Magie und dem Kräuterwasser nicht wirklich, aber habe es trotzdem gewagt.
Anfangs trat die Hyäne mit Maulkorb auf, später ohne. Dann standen Gaukler und Zuschauer ziemlich unter Adrenalin – bis die Hitze Mensch und Tier müde machte und sich alle in den Schatten verzogen. Neben der Hyäne trat noch ein Affe auf, der Kunststückchen vorführte und mit den Kommentaren des Dompteurs die Zuschauer zum Lachen brachte. Wir verstehen kein Hausa, deswegen fanden wir das weniger lustig. Der Affe war es auch, der von den Zuschauern das Eintrittsgeld (ca. 60 Cent) einsammelte. Er griff es ganz zart mit seinen Händchen und brachte es dem Gaukler.
Die Tradition der „Hyänenmänner“ gibt es nur in Nigeria und in abgewandelter Form in Äthiopien. In Nigeria sind die Dompteure auch traditionelle Medizinmänner und beweisen mit ihren Shows die Wirksamkeit ihrer Mittel. Auf unsere Frage, wie oft es vorkommt, dass jemand gebissen wird, ernteten wir nur Verwunderung: „aber die haben doch Magie gemacht und Kräuterwasser gefüttert!“. Ach so, stimmt ja.
Unser Freund Save und seine Familie mit drei kleinen Töchtern war auch da und für die Kinder war es völlig selbstverständlich, dass diese Hyäne nicht gefährlich ist. Angst hatte wirklich niemand – außer wahrscheinlich Jan und mir, die wir genau beobachteten, dass die Leine der Hyäne oft einfach nur lose auf dem Boden lag und wirklich alle der Magie und dem Kräuterwasser vertrauten.
Dabei ist Save in London aufgewachsen! Wir unterhielten uns später darüber. Er erzählte, dass als er als junger Erwachsener nach Nigeria zurückkam, hielt er all das auch nur für Scharlatanerie. Jetzt, nach so vielen Jahren und Erfahrungen im Land, sei er sich da nicht mehr sicher. Aber man könne ja beides kombinieren: die europäische Schulbildung und Sozialisierung und den nigerianischen Glauben an solche Dinge, die man nicht wirklich erklären kann. Er hatte nichts dagegen, sein jüngstes Töchterchen, noch ein Baby, auf die Hyäne zu setzen, um sie mit dieser Zeremonie in Zukunft vor bösen Geistern geschützt zu wissen.
Für alle Kritiker: wir wissen selbst, dass die Tierdressur aus europäischer Sicht Tierquälerei ist. Das ist leider in vielen Kulturen weltweit nach unserer westlichen Weltanschauung so, aber auch in Europa gibt es Dompteure, die Löwen statt Hyänen und beispielsweise Pferde, auch Affen und andere Tiere dressieren. Wir können das aber nicht ändern. Wir können nur versuchen, es zu verstehen. Und wenn wir es nicht verstehen, dürfen wir fremde Kulturen nicht wegen unseres persönlichen Unverständnisses arrogant und besserwisserisch verurteilen. Und bitte: wer nicht vegan lebt, hält sich beim Thema „Tierquälerei“ besser ganz zurück. Wir sind davon überzeugt, dass es der Hyäne besser geht, als jeder Hochleistungs-Milchkuh, jedem Mastschwein und jedem Huhn in Legebatterie in Deutschland.
Nach einem schönen Abend bei Save und seiner Familie (es gab einen Eintopf aus Baobab-Blättern) hatten wir Glück: der Hoteldirektor des Hotels, in dem wir schon zur Stammkundschaft gehören, baut derzeit ein zweites Hotel in Zaria – und da wollten wir hin. Er nahm uns mit in ein weiteres, märchenhaftes Erlebnis. Doch dazu nächstes Mal.
Wie erwähnt, haben wir unsere Flüge umgebucht und spontan die Weiterreise um zwei Länder ergänzt. Das Boxwettkampf-Wochenende in Kano findet ohne uns statt, die dadurch gesparten 180€ investieren wir anders. Allerdings wird in den nächsten zwei Wochen unser Reisetempo dem von Urlaubern gleichen: möglichst viel in kurzer Zeit, weil wir nicht alle Flüge und Termine verschieben konnten. Das bedeutet: wir werden mit Blog und Social Media nicht aktuell sein können, weil wir uns lieber auf das Erleben, als auf den PC konzentrieren möchten. Keine Sorge – wir holen alles nach (auch im eigenen Interesse – irgendwann müssen schließlich Fotos und Videos und auch Gedanken sortiert werden!), sodass Ihr in den nächsten Wochen noch weiter virtuell mitreisen könnt, während wir uns schon um die Ersatzteilbeschaffung für die Honda, neuen Pass und sonstige Behördenkriege, Vorsorgetermine und Familienfeiern in Europa kümmern.
Jan hat nach kleiner Pause das nächste Video fertig: unser Einstieg in ein merkwürdiges Land, was nach dem Äquator benannt ist, aber gar nicht am Äquator liegt: Äquatorialguinea und die Hauptstadtinsel Bioko. Da, wo der Pfeffer wächst:
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