Als wir letzten Freitag aus Lhasa heraus fuhren, waren wir schon etwas traurig, denn die Stadt war uns mittlerweile ans Herz gewachsen. Unser neuer Guide, Tatchi, entpuppte sich als Kittymobilfan. Er zog direkt ein und saß mit uns gerne auf dem Sofa zu Kaffee und Keksen und hatte auch schnell raus, wo was verstaut ist, was man so braucht: Regenschirm, Einkaufstasche, Mülltüten. Ein richtiger Mitbewohner! Besser konnten wir es nicht treffen.
Die Route unseres ersten gemeinsamen Tages war gähnend langweilig. Eine Landschaft zwischen Schwarzwald und Alpenvorland im Regen. Unser Tagesziel Nyingchi nach 380 öden Kilometern war eine Garnisionsstadt, maximal 50 Jahre alt und das Hotel wie immer ohne Charme. Das Highlight des Tages war eine uigurische Nudelküche, die wir durch Zufall fanden und wo wir wahrscheinlich die einzigen nicht muslimischen Gäste zum Abendessen waren.
Obwohl die Strecke so einschläfernd langweilig war, schlief Tatchi als erster Guide nicht ein und wir hatten den ganzen Tag Zeit, uns kennen zu lernen. Er staunte nicht schlecht, als er erfuhr, was wir alles nicht gesehen hatten. Zunächst dachte er, unser Permit sei dafür nicht gültig, doch da er Chinesisch lesen (und sprechen) kann, las er uns unser Permit für Tibet vor. Orte, die wir noch nicht gehört hatten und an denen wir nicht waren! Und Sehenswürdigkeiten, in deren Orten wir zwar geschlafen, aber nichts gezeigt bekommen hatten – obwohl wir immer PhuPhu gefragt haben. So sind uns 3 interessante Klöster durch die Lappen gegangen. Wir waren sauer. Sauer, dass das Grundübel, das Phuphu zu uns geführt hat, mal wieder, in Deutschland lag. Der Agentur in China ist nichts vorzuwerfen, die konnte uns daraufhin nur Restposten schicken. Aber nun waren wir weit von den Klöstern entfernt und wer weiß, ob und wann wir jemals wieder nach Tibet kommen?
Die Stimmung war also grundsätzlich nicht sooooo die Beste, aber ein guter Guide kann das retten. Und Tatchi ist ein guter Guide. Also schlug er vor, er kenne ein Kloster, das uns gefallen würde, keinen Eintritt koste und nicht von Touristen besucht werde. Die Region sei auf unsrem Permit und der Umweg zu schaffen. Also los!
Tatchi hatte mit dem Kloster einen Volltreffer gelandet! Klein und auf einem Berg gelegen, bewohnt von hauptsächlich Nonnen und aktiv belebt. Im Eingangstor befanden sich riesige, bunt bemalte Gebetsmühlen, die jede von jeweils einer uralten Nonne auf wackligen Holzschemeln gedreht wurden und in jeder Runde je ein Mal eine Glocke schlugen. Das Knarren der Holzgestellte, das Bimmeln der vier Glocken und dazu das Lächeln der uralten Nonnen waren schon magisch!
Das Hauptgebäude war zwar klein, aber von einem bunten Blumengarten umgeben, richtig malerisch und kunterbunt! Im Kloster selbst liefen ein paar Gläubige auf Socken herum und wir schlichen uns dazu. Vom Dach aus konnte man schön in die Landschaft schauen und Tatchi erklärte uns anhand der bunten Wandgemälde den Buddhismus.
Im Nebengebäude saßen Nonnen und Mönche in langen Reihen an Tischen, jeder hatte ein „Buch“ (im Buddhismus ein Paket länglicher Zettel) vor sich liegen und es wurde gesungen und laut oder murmelnd vorgelesen. Wir standen auf Socken wie die Mäuse still an der Tür und sogen das in uns auf. Ein Singsang aus vielen Stimmen, der Geruch der Butterkerzen, Gläubige, die sich dazu auf den Boden legten und bunte Farben überall.
Dieses Kloster hat zwar so gar keine Geschichte, ist wahrscheinlich nicht über die Dorfstraße hinaus bekannt und wurde sicherlich nicht von berühmten Künstlern gestaltet und doch war es für uns etwas ganz Besonderes: völlig authentisch, lebendig und rein. Wir waren verzaubert und Tatchi dankbar, dass er damit versucht hat, zu retten, was Phuphu versaut hatte.
Im Laufe der Fahrt erfuhren wir außerdem: Phuphus Guide Lizenz war wohl gefälscht, denn wer offiziell als Guide arbeiten möchte, muss eine schriftliche Prüfung auf Chinesisch ablegen und vorher 4 Wochen zur Schulung gehen. Phuphu konnte kein Chinesisch und hatte behauptet, es gäbe keine Schulungen, jeder könne Guide sein. Trotzdem hatte er einen Ausweis umhängen. Wie wir ja wissen: hier leben die Weltmeister im Kopieren!
Nicht nur das Kloster war spektakulär, auch die Landschaft entlang der gesamten Fahrtstrecke zum Ranwu See! Tiefe Schluchten und ein Gebirgspass nach dem anderen! Wir kurvten und kurvten uns durch den Himalaya, blickten in tiefe Schluchten und auf tosende Flüsse, schlängelten uns durch eine enge Klamm und über grüne Hochebenen. Nur die schneebedeckten 7- und 8000er Berge hielten sich versteckt. Dafür ist die falsche Jahreszeit. Die sieht man nur im April bis Mai. Nun gut, vielleicht sollten wir wirklich wiederkommen: im Frühling, mit den Motorrädern und dann auch noch zu den drei unterschlagenen Klöstern fahren!
Tatchi verstand nicht ganz, warum wir in einem neu gebauten, charakterlosen chinesischen Hotel untergebracht wurden, er wäre gerne mit uns in ein kleines, traditionelles Hotel in einem Bergdorf gefahren, welches von einer Familie geführt wird, die er seit 10 Jahren kennt. Wir waren erstaunt: dürfen wir das als Touristen in Tibet denn? Ja, meinte Tatchi, wenn der Guide die Touristen bei der nächste Polizeidienststelle registriert, sei auch das möglich. Nächstes Mal…
Das Dorf jedenfalls besteht aus 2 Teilen: ein für chinesische Touristen gebautes neues Dorf um einen künstlich angelegten See und das alte Dorf aus urigen, traditionellen Häusern mit kleinen Pensionen und Gästehäusern. Wir fuhren zu Tatchis Bekannten und aßen Momos (Teigtaschen) und gebratenes Schweinefleisch (samt Speck) von glücklichen Dorfschweinen. Tatchi verstand, was wir mögen!
Am dritten gemeinsamen Tag kam Kittymobil zu Fahrspaß: es ging von 2712m auf 4750m hoch und das in 77 Kehren! Und Kittymobil schnurrte Kehre um Kehre nach oben, brachte uns zügig 2km höher und schnaufte nichtmal. Tatchi war restlos begeistert. Und das mit einem Auto, das älter ist als 20 Jahre! Entlang der Strecke gab es überall Wasserschläuche, um damit die Kühler aufzufüllen und mit denen die LKW Fahrer ihre wassergekühlten Bremse erfrischten. Doch Kittymobil zog einfach vorbei…
Auf dem Pass oben regnete es und wir saßen gemütlich in Kittymobil auf dem Sofa und es fühlte sich an wie eine WG. Tatchi erklärte uns, dass es kein chinesisches Auto gäbe, was mit über 20 Jahren noch führe und dass er begeistert sei von deutschen und japanischen Autos. Er war komplett von Kittymobil überzeugt und streichelte während der Fahrt immer wieder über das Armaturenbrett.
Wir kannten Kittymobil ja schon, daher begeisterte uns die Landschaft mehr: schroffe Berglandschaft mit etwas grün dekoriert, wieder tiefe Schluchten und auch satte grüne Wälder, sobald wir unter 2500m Höhe kamen. So ganz anders als der Westen Tibets! Keine Wildesel, keine Antilopen, kleinere Yaks. Und immer wieder wurden wir selbst zur Attraktion und fotografiert. In Lhasa hatten wir einige wenige nicht chinesische Touristen gesehen, die Wochen zuvor und nun im Osten keine einzige „Langnase“.
Unser vierter gemeinsamer Tag war unser Abschied von Tibet. Doch bis da hin hatten wir noch 4 Pässe zu überwinden, davon ein allerletzter über 5000m. Nach knapp 3 Wochen war es für uns völlig normal, uns in 5km Höhe aufzuhalten und es tat uns irgendwie leid, herunter zu fahren, denn wo sonst kann man sich wochenlang und über viele tausend Kilometer in solchen spektakulären Höhen aufhalten? Kittymobil ließ sich feiern. Von Wildfremden. Wildfremde, die plötzlich hinterm Steuer saßen und sich aus dem Fenster winkend in Kittymobil fotografieren ließen. Wildfremde, die von Tatchi sofort erklärt bekamen, wie alt Kittymobil ist und wie gut die deutsche Qualität sei. Ein echter Fan. Er hätte so einige Bullis an den Mann bringen können!
Auf einer Hochebene hatten Nomaden in der Nähe der Straße ihr Zelt aufgeschlagen und waren dabei, ihre Yaks zu melken. Wir hielten an und durften ins Zelt schauen, Yaks streicheln, beim Melken zuschauen und Yakbabies kuscheln. Ich war überrascht, wie weich diese zotteligen Tiere sind! Ich dachte, nur das Unterfell sei seidenweich, aber auch das struppig aussehende Fell ist so watteweich!
Ein Yakbaby nuckelte an meinen Fingern und als ich die Hand weg zog, schnappte es sich wieder meine Finger und nuckelte weiter. Ich kenne das von Kälbchen, aber auch das war anders: Yaks haben eine ganz weiche, schwarzlilafarbene Zunge und einen „riffelfreien“ Gaumen. Als ich irgendwann meine vom Yakbaby vollgesabberte Hand wieder hatte, war ich allerdings ganz schön froh, dass wir fließend Wasser an Bord haben…
Der Fahrtag war unendlich lang. Fast 400km holperten wir vier Pässe hoch und wieder runter. Obwohl die Landschaft natürlich spektakulär war, hatten wir irgendwann keine Lust mehr. Es gab einen Ort mit heißen Quellen, in dem Tatchi normalerweise übernachtet, aber wir mussten weiter. Über einen letzten, allerletzten Himalaya Pass. Da oben standen wir dann, schauten vom Himalaya hinunter und fanden es plötzlich komisch, mit unserem „Einkaufswagen Kittymobil“ den Himalaya einmal komplett der Länge nach abgefahren zu sein. Einfach so. Über unzählige Pässe, die meisten zwischen 4500 und 5300m hoch. Und nun waren 3 Wochen Himalaya vorbei. Nicht nur wegen der unterschlagenen Klöster wuchs ein neuer Reiseplan in uns. Wir möchten zurück kommen nach Tibet. Dann aber mit den Motorrädern, das Autofahren überlassen wir langfristig den „echten Overlandern“.
Während wir da so standen und vor uns hin sinnierten, hätte Tatchi schon wieder einen Autozug voll Bullis verkauft. Neben Kittymobil parkte ein Kleinbus chinesischer Qualität und Marke ein, dem das dampfende Wasser aus dem Kühler lief. Der Fahrer war überzeugt, das sei normal, das liege an der Höhe. Tatchi erklärte ihm, dass deutsche Qualitätsautos weder heiß werden noch Wasser verlieren und auch mit über 20 Jahren problemlos den Himalaya der Länge nach durchqueren. Während Jan dem armen Chinesen mit seinem 3 Jahre alten Schrottfahrzeug Wasser aus unserem Wasserhahn abfüllte, sammelte sich eine kleine Menschenmenge aus mittlerweile zwei chinesischen Kleinbussen vor Kittymobil. Plötzlich wollten alle ein Foto mit uns und dem deutschen Qualitätsfahrzeug, das auch in der Höhe nicht kocht und dicht ist! Es war so lustig! Wir hatten bisher noch gar nicht über Kühlwasser nachgedacht…
Ziemlich erschlagen kamen wir nach knapp 400km im Hotel an, von dem man eigentlich den vierten heiligen Berg Tibets sehen sollte. Aber weil es ja die falsche Jahreszeit ist, saßen wir im Regen auf dem Berg und gingen mit Tatchi müde, aber hungrig, Hot Pot essen.
Auch am Aussichtspunkt am nächsten Morgen hatten wir kein Glück und so verließen wir nicht nur den Himalaya, sondern auch Tibet mit einem konkreten Plan für unsere Wiederkehr. Und Tatchi ist Teil des Plans. Der hat nämlich eine eigene Agentur und arbeitet nur ausnahmsweise als Guide für Andere. Dann, wenn Not am Mann ist, so wie bei uns.
Bevor wir zu unserer letzten gemeinsamen Etappe mit Tatchi aufbrachen, liefen wir noch zum Dorfkloster und mit den Gläubigen im Uhrzeigersinn um das Kloster herum. Es war einfach schön, daran teil haben zu können. Auch, wenn wir uns nicht getraut haben, die vielen Gebetsmühlen zu drehen…
Unser Tagesziel hieß Shangri-La, unsere erste „echte“ chinesische Stadt. Nach China eingereist waren wir in der Region Xingjian, welche von den muslimischen Uiguren bewohnt wird. Dann hatten wir uns drei Wochen in Tibet aufgehalten und erst jetzt reisten wir in eine Region ein, in der die Chinesen die Mehrheit bilden. Und es war gleich ganz anders!
Shangri-La ist berühmt für das riesige Kloster, was über der Stadt thront, aber irgendwie waren wir enttäuscht: innen doch sehr chinesisch im Stil, übervölkert von chinesischen Touristen und nicht von Mönchen belebt. Eins hat uns besonders amüsiert: man kann per App Kerzen und Spenden bezahlen!
In China funktioniert alles über WeChat. Damit kann man nicht nur chatten, sondern auch (wie Uber) ein Taxi rufen, Hotels, Flüge oder Zugtickets buchen, Essen liefern lassen, Kleinanzeigen aufgeben – und vor allem: bezahlen. Man scannt einfach den QR Code, der wirklich an jeder noch so kleinen Kasse im Tante Emma Laden oder in der Suppenküche klebt (oder an der Spendenbox im Kloster) und zahlt mit dem Handy. Zack! Kein Bargeld, kein Kartengefummel, keine Wartezeiten. In Deutschland undenkbar.
Dann war es Zeit, uns von Tatchi zu verabschieden, denn er war nur eingesprungen und hatte eine eigene Reisegruppe durch Tibet. Er schenkte uns beiden einen weißen Schal, welcher in Tibet Glück bringt und eingewebte Glückssymbole hat. Kittymobil wurde zum Abschied viel reicher beschenkt als wir: es gab einen glücksbringenden Anhänger für den Rückspiegel und für jeden Außenspiegel auch noch einen weißen Schal! Das hat mich wirklich bewegt, dass jemand nicht nur uns, sondern auch Kittymobil beschenkt und eine gute Weiterreise wünscht! Tatchi war mehr Freund als Guide und da schon der Abschied von Jeff schwer fiel, war es mit Tatchi nicht leichter…
Wir liefen durch die Altstadt von Shangri-La, doch weil diese 2014 fast komplett abgebrannt ist und „neu alt“ wieder aufgebaut wurde, gefiel sie uns nicht besonders. Einzig, als um 19 Uhr die Lautsprecher auf dem Hauptplatz angingen und sich alle zur allabendlichen „Tanzgymnastik“ trafen, fühlten wir uns wohl. Mit einem ungewissen Gefühl krochen wir ins Bett. Durch China werden wir mit Audrey als Guide reisen. Ich habe Vorbehalte gegenüber Frauen und wir beide zweifelten daran, ob irgendwer Jeff und Tatchi das Wasser reichen kann…
Ob Audrey das kann, erfahrt Ihr im nächsten Blogbeitrag. Und der handelt dann von China. Schaut Mal auf der Karte, wie weit östlich wir schon sind! Laos ist um die Ecke, Thailand ganz nah und wir sind einfach so hier her gefahren! Wir staunen selbst…
Und bis wir uns wieder melden, schaut Euch im letzten Video nochmal die Magie Tibets in bewegten Bildern an…
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