Zugegeben: bis wir Suleymanya verlassen haben, waren wir von der Landschaft des Nordirak nicht wirklich beeindruckt. „Nett“ halt, aber da hatten wir schon Besseres gesehen. Doch für die Weiterfahrt schlängelten wir uns entlang der türkischen Grenze Pässe hoch und wieder herunter und wurden mehrfach belohnt.

Unsere Gastgeber Harry und Alina hatten uns empfohlen, mit der Seilbahn auf den Mount Korek zu fahren, da gäbe es eine tolle Aussicht vom Restaurant aus. Dem war auch so, aber irgendwie ist ein Skiresort im Sommer immer etwas komisch. Inklusive Plastik-Schneemänner und Sommerski-Bahn. Aber das Essen war lecker.

Gleich um die Ecke liegt der Rawandiz Canyon und durch ihn zu fahren oder von oben zu Sonnenuntergang hineinzugucken, war schon etwas besser als „nett“. So langsam machte sich der Nordirak doch noch schön für uns und wir kamen auf den Geschmack!

Doch zunächst brauchten wir einen Übernachtungslatz. Und den gab es mal wieder nicht. Die Landschaft entweder komplett zersiedelt, sodass jeder Feldweg am Ende doch zu einem Gehöft oder Dorf führt. Oder es ist so steil, dass man dort kein Haus hin bauen kann und eben auch kein Auto zum Schlafen parken. Wir endeten in einem Hotel, das uns ob der späten Uhrzeit einen großzügigen Rabatt gab. Der Zimmerpreis war für unsere Verhältnisse mit rund 30€ zwar recht hoch, aber wir sollten dafür auch ein ganzes Apartment mit Küche und Wohnzimmer bekommen. Leider stellte sich das als ziemliches Decksloch heraus: das Bad super siffig (Toilette undicht und das Waschbecken seit Einbau nie geputzt) und die Bettwäsche dreckig. Es gab „neu“ Bettwäsche, die sich nach dem Beziehen als „ungewaschene Wäsche aus dem Nachbarzimmer“ entpuppte. Bei erneuter Anfrage war die Wäsche dann tatsächlich auch frisch, allerdings nicht die Kissenbezüge, die wir dann aber innerhalb der diversen Betten des Apartments so lange durchtauschen, bis wir das Gefühl hatten, darauf schlafen zu können.

Am nächsten Morgen war Stromausfall und wir verließen das „Etablissement“, denn in Hans haben wir ja Strom und somit auch Klimaanlage. Also mehr, als in dem überteuerten Drecksloch ohne Strom. Wir fuhren über einen ziemlich, ziemlich steilen Pass (das mit den supersteilen Straßen können die Türken übrigens auch toll) quasi die gerade Wand hoch und auf der anderen Seite die Wand wieder hinunter nach Akre. Akre liegt „in die Wand geklebt“ und hat uns an Mardin in der Türkei erinnert. Wunderschön anzuschauen, aber da es im Irak keinen wirklichen Tourismus gibt, gab es kein wie von uns erträumtes nettes Café oder Teehaus, um die Aussicht zu genießen.

Also fuhren wir weiter nach Lalesh. Lalesh ist die heiligste Stadt mit dem größten Heiligtum der Jesiden. Quasi das „Glaubenszentrum“ aller Jesiden weltweit. Dort wohnt auch das geistliche Oberhaupt der Jesiden, wenn er nicht gerade in Düsseldorf nicht ins Hyatt Hotel einchecken darf, weil er einen Irakischen Pass hat. (Quelle: ntv)

Man darf den Ort nur barfuß betreten, denn Schuhe würden den heiligen Ort beschmutzen. Irgendwie logisch, fanden wir und stiegen barfuß aus. Wir kamen vielleicht 5m weit, dann hatte ich Tränen in den Augen und Jan eine Brandblase unter dem Fuß. Wenn es im Schatten schon über40°C heiß ist, wie heiß ist dann wohl der Asphalt? ZU heiß. Ein Polizist half uns noch und empfahl, von Schatten zu Schatten zu hüpfen, aber ich hüpfte nur noch zurück ins Auto, den Tränen richtig nahe. Das tat unglaublich weh und man kann ja nicht plötzlich vom Boden abheben, wenn einem die Füße gerade verbrennen!

Der Polizist wusste eine Alternative: Socken anziehen! Eine deutschsprachige Passantin (Jesidin aus Bielefeld) empfahl, mindestens zwei Paar Socken übereinander zu ziehen, um es auszuhalten. Okay, mit der Variante klappte es besser. Unsere Socken waren auch frisch gewaschen, seit Monaten tragen wir keine mehr. Wir tapsten also auf Socken, bemüht möglichst viel Schatten zu erwischen, in den Ort, wo wir nur sehr wenig verstanden. Wir hatten uns auf der Fahrt wirklich gut ins Jesidentum eingelesen, aber da es kein Schriftstück wie z.B. Bibel oder Koran gibt, ist auch nicht alles herauszubekommen. Wir wurden zumindest von einem Tempelwächter ins Innerste des größten Heiligtums geführt, aber mangels gemeinsamer Sprache wurden die Rätsel nur mysteriöser: warum muss man bunte Tücher im Tempel 3x auf- und wieder zuknoten? Warum ein anderes Tuch maximal 3x mit geschlossenen Augen auf einen Schrein werfen? Warum 3x um ein Grab laufen?

Im Tempelinneren standen an den Seiten viele Tonkrüge. Die Jesiden glauben, dass sie aus einem Samenkorn entstanden sind, welches Adam in einen Tontopf gelegt hat. Daher die Tonkrüge, so viel haben wir dann doch verstanden. Und die Tonkrüge werden von Pilgern mit Öl gefüllt, mit dem dann Öllampen brennen und die Wände des Tempelinnersten rabenschwarz rußen. Frauen müssen in Lalesh übrigens Kopftuch tragen. Meins fiel auf und ich wurde angesprochen, ob ich eine Muslima aus dem Iran sei. Äh, nein? Das sei logisch: Jesiden haben helle Kopftücher, Muslima dunkle. Meins ist schwarz. Und nur Iranerinnen tragen ihr Kopftuch so, wie ich es trage. Also war ja klar, wo ich herkomme. Das Missverständnis klärte sich dann doch recht schnell auf. Als Christin aus Deutschland sei ich natürlich auch herzlich Willkommen.

Wir verließen Lalesh mit dem Gefühl, etwas ziemlich Mystisches erlebt zu haben. Man konnte spüren, dass dort wirklich etwas Besonderes vor sich ging, die Luft hat fast geknistert vor lauter Mystik. Wir müssen auch nicht alles verstehen. Wir waren schon positiv überrascht, dass wir als Christen ins Innerste des heiligsten Heiligtums hineindurften. Bis auf eine heilige Quelle hat man uns alles gezeigt. Unsere Füße brannten, jeder Schritt war unangenehm. Auch, als wir wieder im Auto saßen. Wir machten uns auf an den Ort, wo die Heiligen Drei Könige herkamen: Amide.

Der Weg nach Amide schraubte sich wieder durch die Berge mit tollen Ausblicken – aber keinerlei Stellplätzen für die Nacht: zu steil, zu besiedelt. Wie immer. Wir waren ziemlich frustriert und dachten „dann nehmen wir halt wieder ein Zimmer“. Kann ja nicht immer so mies sein. Doch, kann es. Nachdem wir drei Dreckslöcher für 35€ besichtigt hatten, entschieden wir uns für das, wo wenigstens das Bettlaken gewaschen war. Wir haben ja eigene Kopfkissen im Auto mit frischen Bezügen. Und saubere Handtücher. Und auch Toilettenpapier. Und, wie sich am nächsten Morgen wieder herausstellte: im Hans haben wir, ganz im Gegensatz zum Drecksloch, sogar Strom und Klimaanlage! Also morgens ab ins Auto und weiter durchs Land, das aufgrund der Übernachtungssituation leider gerade einen etwas bitteren Beigeschmack bekam.

Das Städtchen Amide liegt auf einem kleinen Bergplateau und wurde schon in der Bronzezeit besiedelt. Früher führte nur eine enge, steile, in die Steilwand gehauene Treppe auf das Plateau. Man kann sich also sehr gut vorstellen, wie die Heiligen Drei Könige mit ihren Geschenken für das Jesuskind die Treppe hinunterliefen, um sich nach Bethlehem zum Stall aufzumachen. Auch Amide gehört zu den Städten im Irak, die nur von der Ferne touristisches Potential haben. Unsere Idee, auf dem Plateau einen Frühstücksimbiss samt Tee oder Kaffee einzunehmen, misslang. Es gibt dort nichts. Wir frühstückten um 2. Mal hintereinander Pistazien und Cola.

Irgendwie sank die Stimmung, obwohl die Landschaft uns wirklich Spaß machte. Die Berge waren wirklich toll und wir hätten uns gerne irgendwo gehockt, Tee getrunken und die Landschaft genossen. Das war nicht mal wirklich mit unserer eigenen Bordküche möglich, weil Berge = überall steile Hänge. Aber dann zauberte der Irak ein echtes Highlight für uns aus dem Hut: das Flusstal bei Deraluk! Man musste eigentlich Eintritt zahlen, aber der Eintrittskartenverkäufer lud uns ein. Bitte keinesfalls weiterlaufen als bis zum Wasserkanal, danach sei es sehr gefährlich! Am Wasserkanal waren Picknickplätze mit Grill direkt am Fluss, der auch dort schon richtig schön war: klares Wasser, Steine mit grünen Algen und klitzekleine Fische überall.

Doch ich hatte Bilder gesehen, die an Krka in Kroatien erinnern: türkisblaues Wasser in kleinen Kaskaden. Der Kioskverkäufer zeigte uns auch Fotos davon auf seinem Handy. Man müsse aber wandern. Jan war es zu heiß zum Wandern (obwohl die Temperaturen auf kühle 40 Grad abgekühlt hatten), ich lief alleine los. Zunächst ging es steil bergauf. Oben angekommen, saß ein älterer Man und warnte mich: gefährlich! Nicht weiter gehen! Naja, ich bin dann doch mal gucken gegangen. So weit, wie ich mich getraut habe, bin ich auf dem äußeren Betongrat des Bewässerungskanals über dem Abgrund balanciert. Als Felsen mit Überhang den „Weg“ versperrten, wollte ich umdrehen.

Ein junger Iraki, der mich vorher überholt hatte, erklärte, ich könne auch im Bewässerungskanal unter dem Felsen durch, wenn ich den schwimmen könne. Okay, schwimmen kann ich gut, also bekam er mein Handy auf die andere Seite des Felsens gereicht und ich sprang ins Wasser. Die Strömung war ziemlich stark in entgegengesetzte Richtung, aber ich konnte mich mit den Händen im Felsen vorwärts ziehen. Tja, ohne ihn kam ich nicht mehr zurück, also balancierte ich weiter auf dem schmalen Betonsims. Es war ja keiner dabei, der sich Sorgen um mich machen konnte 😊

Jan saß derweil doch etwas in Sorge am Picknickplatz und auch ich hatte nicht gewusst, dass die kleine Wanderung in Wirklichkeit 1,8km Balanceakt am Abgrund auf dem Bewässerungskanal bedeuten und man das nicht „mal eben schnell“ läuft. Irgendwann waren der Iraker und ich da und es hatte sich absolut gelohnt: eine türkisblaue, glasklare Lagune fiel in kleinen Kaskaden talabwärts: wun-der-schön! Da ich mir mittlerweile schon ausmalte, dass Jan aufgrund meines langen Wegbleibens doch in Sorge war, verzichtete ich auf das große Baden und es stellte sich heraus: der Iraker war nur da, um sicherzustellen, dass ich die Lagune auch finde! Also packte er mein Handy wieder ein und wir machten uns auf den Rückweg. Doch statt nur den einen Felsen zu umtauchen und auf dem Grat zu balancieren, beschloss ich, soweit möglich, mich von der Strömung im Bewässerungskanal mitreißen zu lassen. Das war ein riesiger Spaß, wie im Spaßbad im „Strömungskanal“. Aufgrund der Strömung war das „Bremsen“ vor Felsen nicht immer sanft, aber was sind schon angeschlagene Füße und aufgeschrammte Knie gegen so ein Erlebnis? Der Iraker konnte nicht schwimmen und fand das wesentlich gefährlicher als den Weg auf der Kante. War mir auch recht so, denn so kam mein Handy ja wieder trocken zurück.

Jan war ziemlich froh, mich nach 1,5 Stunden wiederzusehen. Er wurde zwar von seinen Picknick-Nachbarn gut mit Grillfleisch und Salat versorgt, aber aufgrund der Warnung des Ticketverkäufers war er doch etwas besorgt. Und dann entschieden wir: mit diesem Highlight im Herzen wollen wir den Irak verlassen. Nicht noch ein überteuerstes Drecksloch, sondern eine schöne, erholsame Nacht „zuhause“ in unserem Passat Hans, im eigenen Bett, mit sauberer Bettwäsche und ohne Stromausfall. Auf dem Weg zur Grenze tat es uns dennoch leid: der Nordirak, die autonome Region Kurdistan (RKI), hat uns sehr gefallen. Insbesondere die Berglandschaften der letzten Tage und all die lieben Menschen. Und genau davon standen zwei an der Grenze und begrüßten uns herzlichst: die beiden „Tourismusbeauftragten“, die wir bei der Einreise kennengelernt hatten. Es wurde uns dann doch schwer ums Herz, wir verließen ein Land mit vielen lieben Menschen, leckerem Aprikoseneintopf, reicher Kultur und neuen Freunden. Irgendwann kommen wir wieder – und dann beantragen wir vorher ein Visum und Carnet de Passage, um auch außerhalb der RKI das Land bereisen zu können. Doch erstmal freuten wir uns auf eine Nacht zuhause. Warum daraus wieder nichts wurde, lest Ihr im nächsten Beitrag 😊

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