Nach einer intensiven Arbeitswoche am PC haben wir am Wochenende Gambia gen Süden verlassen. Bei der Ausreise stellten wir erstaunt fest: fast ein Monat Gambia! Das ging richtig schnell! Aber wir haben so viele Tiere und Dinge gesehen und erlebt und fast 1000km in dem winzigen Land, das nur 48km breit ist, gefahren, da verfliegt die Zeit doch irgendwie schneller, als man denkt.
Der Teil Senegals, der südlich von Gambia liegt, heißt „Casamance“. Wir hatten überall gelesen, dass man sich dort fühle, als sei man nicht im selben Land, das man nördlich von Gambia verlassen hat. Und irgendwie ist das auch so. Die Ausreise aus Gambia war extrem entspannt, die Einreise in den Senegal an einem Grenzposten unter einem riesigen Mangobaum ebenso. Warum so viele Menschen Respekt vor Grenzübergängen haben, können wir nicht nachvollziehen. Wenn man alle Papiere hat (in unserem Fall: Reisepass, Fahrzeugpapiere, Carnet de Passage, mehr dazu hier: Papierkram) und die in Ordnung hält, gibt es eigentlich keine Probleme. In weniger als einer Stunde hatten wir die Länder gewechselt und rollten nach Ziguinchor. Das Fotoalbum zu Gambia ist schon online. Ihr findet es hier: Fotoalbum Gambia
Die letzten Kilometer vor der Stadt fährt man durch Mangroven, teilweise auf einem gepflasterten Damm direkt durch die spiegelglatte Wasserfläche voll Vögel. Die Stadt selbst hat zwar über 200.000 Einwohner, aber den entspannten Charme einer Kleinstadt am Fluss. Wir fanden eine günstige, familiäre Unterkunft direkt an der Uferstraße und gönnten uns ein Abendessen am Strand. Leider teuer und nicht so lecker, aber das Ambiente war wunderschön. Leider ist es meistens so: wo es für europäische Touristen aufgehübscht wurde, ist die Küche europäisch: qualitativ unterirdisch und überteuert. Werden wir wahrscheinlich nie lernen…
Am letzten Abend landeten wir daher als “Testgäste” in einer Berufsschule für Gastronomie. Im “Restaurant” und “Arbeitsraum” (Schulküche) übten die Schüler, Gäste zu bewirten, inklusive Tresen für die Abrechnung, wie hier üblich. Wir hatten unseren Spaß, denn schon die Bestellung war lustig. Auf halbem Weg zur Küche fiel dem “Kellner” nämlich noch ein weiteres Gericht ein, was wir essen könnten und er rannte zurück, um uns das auch noch anzubieten. Wir wurden sehr gut beraten, ein uns unbekanntes Getränk aus Moringabaumblättern zu bestellen und dann warfen sich die Kochschüler in Schale: weiße Arbeitskittel und, ganz wichtig, riesige Kochmütze. Die “Köchin”, die unseren “Saft” zubereitete, kam persönlich zu unserem Tisch und erkundigte sich, ob es schmeckt und zum Nachtisch kam die angehende Konditorin und bot uns von ihrem Erdmandel-Erdnusskuchen an. Alles sehr lecker! Die Schüler nahmen alles sehr ernst, der Lehrer leitete an (man hatte uns vor lauter Eifer vor mit Kronkorken verschlossenen Flaschen sitzen lassen) und kontrollierte die sorgfältige Rechnungsstellung und wir hatten selten ein so spaßiges Abendessen. Wir wussten ja vorher, dass nicht alles klappt!
Ziguinchor ist Ausgangspunkt diverser Touren in die Mangroven, doch das hatten wir im Norden Senegals schon gemacht und für uns war die Stadt nur ein kurzer Organisationsstopp: wir brauchten Bargeld, denn Geldautomaten sind auf dem Land nicht vorhanden und selbst in der Stadt haben wir 8 Geldautomaten erfolglos probiert, bis wir endlich Bargeld bekamen. Entweder hatten die Automaten kein Geld mehr oder die Internetverbindung dahinter war nicht fix genug oder der Apparat war ganz kaputt oder vorübergehend „out of service“. „Bargeld abheben“ kann dann schonmal nen halben Tag dauern. Mit Karte kann man seit südlich Marokko übrigens nichts bezahlen. Einheimische zahlen hier mit mobilen Wallets, aber die werden von EU Banken nicht unterstützt. Man kann nicht Mal in CFA (das ist der westafrikanische Euro mit festgelegtem Wechselkurs und in 14 Ländern gültig) von einem EU-Konto überweisen. Egal, welches unserer vier EU-Bankkonten… Da sind wir wieder beim Thema, wie Europa Afrika an der extrem kurzen Leine hält. Denn wie kann Westafrika mit Europa Geschäftsbeziehungen aufnehmen, wenn nicht mal Banküberweisungen von europäischer Seite gestattet werden? Senegalesen mit Familie in Europa singen uns abendfüllende Lieder davon! Auch Onlineplattformen wie AirBnb bleiben den Westafrikanern verwehrt, wenn sie nicht zufällig einen Verwandten oder Bekannten mit Euro- oder Dollarkonto haben. Begründet wird das von europäischer Seite mit der „Sicherheit“, was aber eine Ausrede ist, da der CFA fest an den Euro gebunden ist. Es ist einfach von Europa nicht gewollt und macht uns und allen Westafrikanern das Leben nicht einfach.
In der Casamance gibt es zwei charakteristische Architekturstile: die „Case à Etage“, zweigeschossige Lehmbauten mit Säulen und die „Case à Impluvium“ mit runden, nach innen geneigten Dächern, von denen das Regenwasser in der Mitte des Daches in den Innenhof fließt. Das Gebäude der Alliance Francaise in Ziguinchor hat eine tolle moderne Interpretation eines solchen „Impluviumhauses“ aus Beton gebaut. Absolut sehenswert! Außerdem gibt’s im Garten ein Café-Restaurant, in dem es echten Kaffee gibt. In Afrika wächst zwar Kaffee, aber der wird exportiert und als ekliger Nescafé wieder importiert. Einen echten Kaffee aus Kaffeepulver und nicht aus Instantkrümeln zu finden, ist richtig schwer. Wir hatten einen Monat keinen und so war das doppelter Genuss!
Wir verließen Ziguinchor mit der Idee, ein „echtes“ Impluviumhaus zu sehen, nachdem uns der Betonbau schon neugierig gemacht hatte. Mit Google Satellitenansicht fanden wir ein paar Dörfer, in denen es einige solche Häuser gibt. Der nette Mann von der Touristeninformation beschrieb uns auch wortreich, wo eine Familie wohne, die Besucher in ihr solches Haus lasse. Nur fanden wir das nicht. Nach Umherirren im Dorf standen wir zwar vor einem solchen runden Haus, aber es hatte ein Blechdach und gehörte auch keiner Familie, sondern der katholischen Kirchengemeinde. Die Frauen im Pfarrgarten lachten alle und baten an, als Sozia wegweisend mitzufahren. Leider ist eine Honda CRF300L nicht mal für kleine gelenkige Menschen wie mich soziustauglich. Eine typische afrikanische „Mamma“ passt schon schwer alleine zwischen Gepäcktasche und Tank. Der Pfarrer sollte es erklären. Tat er auch, aber er verwechselte rechts mit links und so landeten wir zwar wieder bei einem solchen Haus, aber wieder nicht bei der Familie. Macht nichts! Hinter uns war ein Mofa und der Fahrer lud uns ein, das Haus zu besichtigen, er sei “verantwortlich”.
Das Impluviumhaus war zu einer Unterkunft umfunktioniert. Kaum dass wir den Innenhof betraten, waren wir verliebt. Statt uns die Erklärungen erst anzuhören, fragten wir sofort nach dem Preis. Wir waren erst 22km gefahren und hatten nie geplant, dort im Nirgendwo zu übernachten, aber warum nicht? Der Preis stimmte und wir zogen ein, um das Impluviumhaus nicht nur zu besichtigen, sondern auch darin zu schlafen. Besser kann man funktionierende Tropenarchitektur nicht kennenlernen!
Das nach innen geneigte Dach kanalisiert den Wind wie durch einen Trichter ins Innere des komplett aus Naturmaterialien gebauten Hauses in einem Wirbel. Sich verjüngende Türöffnungen sorgen wie Windkanäle für eine Luftbewegung. Die Fenster sind dauerhaft offen durch ihre Konstruktion aus Grasgeflecht ohne Glas. So herrscht immer ein kühlender Luftzug im Haus. Das strohgedeckte Dach liegt nicht auf den Räumen auf, sondern befindet sich einige Meter darüber, sodass auch dort Luft zirkulieren kann – und Flughunde den Tag verschlafen.
Zur Regenzeit leitet das zum unbefestigten Innenhof geneigte Dach das Wasser in die Erde, welche die Feuchtigkeit zur Trockenzeit wieder abgibt und durch die dadurch entstehende Verdunstungskälte zur Kühlung beiträgt. Draußen waren es an dem Tag 41°C und im Haus selbst herrlich angenehm. Nachts wurde es sogar so kühl, dass ich eine Decke brauchte! Dass die Dusche aus dem Eimer stattfand und es kein Leitungswasser gab, war nicht schlimm, denn das Haus steht am Dorfbrunnen und wir saßen stundenlang unterm riesigen schattigen Mangobaum und wurden vom Dorf beim Wasserholen freundlich begrüßt.
Das Impluviumhaus hat Solarzellen im „Vorgarten“ und somit Strom und einen Fernseher. Es lief Champions League und unter dem Fernseher wurden in einer Mehrfachsteckdose die Telefone, Powerbanks, Radios und Taschenlampen der Dorfbewohner und Fernsehzuschauer geladen. Auch wir legten unsere Telefone und Akkus zum Kabelsalat dazu. Das ist das Afrika, was wir kennen und lieben: einfach, aber herzlich. Und erstaunlicherweise extrem sauber. Warum, haben wir auch erst diese Woche gelernt: es hat religiöse Gründe.
Als wir letztes Wochenende von Gambia aus nach Ziguinchor fuhren, freuten wir uns, dass es dort so „sauber und ordentlich“ aussieht. Viel sauberer und ordentlicher als im Norden des Senegals. Wir freuten uns (auch an der Weihnachtsdeko überall in der Stadt), dachten uns aber nichts dabei. Am zweiten Morgen lernten wir in unserer geleckt sauberen Unterkunft beim Frühstück eine seit vielen Jahren in Dakar wohnende, ältere Holländerin kennen. Ihr erzählten wir davon und sie zeigte nur auf das Regalbrett oberhalb Vitrine des Wohnzimmerschrankes, in dem uns die Porzellan-Madonna erst jetzt auffiel. „Christen“ war ihre Antwort. Echt jetzt? Als tolerante Reisende, denen die Religion unseres Reiselandes egal ist, hätten wir jetzt „Diskriminierung!“ und „Rassismus“ rufen müssen und die Holländerin sah unsere Skepsis. Sie bat uns, darüber nachzudenken, wo im Senegal wir schon waren, wie es dort aussah und welche Religion dort vorherrscht. Und das taten wir: Als wir bei Millie auf unser Paket warteten, waren wir zu Gast in einem christlichen Haushalt. Sehr christlich, uns fast zu katholisch. Und das war die bis dahin klinisch reinste und liebevollste Unterkunft Westafrikas.
Dann waren wir in Joal, wo Kirchenglocken läuten und 70% Christen sind. Auch da: klinisch rein, kein Müll. Weiter nach Ziguinchor, wo uns die Holländerin darauf aufmerksam machte und wo noch vor 100 Jahren 100% der Einwohner katholisch waren. Abends saßen wir im Impluvium Haus in einem winzigen Dorf an einer Staubstraße und erinnerten uns an die Holländerin: das Dorf war müllfrei und wirkte sehr aufgeräumt. Dass auch hier Katholiken wohnen, war klar, seitdem wir fälschlicherweise im Pfarrhof gelandet waren. Morgens konnten wir ausschlafen, ohne vom Muezzin geweckt zu werden. Eine absolute, wohltuende Seltenheit für nötigen Schlaf. In der Casamance gibt es auch sehr wenige Anhänger der islamischen Bruderschaften, die im Norden Senegals extrem auffällig sind und mit ihren Muridengesängen aus Lautsprechern von Fahrzeugen für Dauerbeschallung 24/7 sorgen. Bitte nicht falsch verstehen, aber es ist in Senegal so offensichtlich, dass wir uns wundern, es nicht selbst in Zusammenhang gebracht zu haben. Da sind wir wohl zu weltoffen und tolerant dazu. Ob das eine senegalesische Eigenart ist? Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen ist, dass hier alle Religionen absolut friedlich miteinander umgehen, sich sogar Friedhöfe teilen und es keine Animositäten gibt. Überall werden wir von stolzen Senegalesen auf diese “Normalität, wie sie weltweit sein sollte” hingewiesen. Und dann denken wir an unser ach so zivilisiertes Europa, wo wir bei der Anreise nach Afrika wegen unserer bulgarischen Kennzeichen in Nordmazedonien so alles andere als “tolerante” oder “friedliche” Erfahrungen voll Hass und Diskriminierung machen mussten. Und dort leben hauptsächlich Christen…
Da wir nun eine Nacht in einem Impluviumhaus zu Gast waren, wollten wir das auch in einem Haus des anderen für die Casamance typischen Architekturstil: dem Case à Etages, zweistöckigen Lehmbauten. Der Mann vom Touristenbüro hatte uns da auch eine Adresse gegeben und diesmal fanden wir das Haus auch ohne Irrfahrt. Es war alt und traditionell und hatte ein paar einfache Zimmer mit Blick in einen wunderschönen Garten. Die Betreiber offensichtlich Katholiken, denn Kreuze und Madonnen gehörten zur Dekoration des Anwesens. Leider war dort gerade eine Gruppe französischer Ärzte einquartiert, sodass wir leider nicht bleiben konnten. Doch sie schickte uns zu einer anderen „Case à Etages“, wo man Zimmer mieten konnte.
Die Wegbeschreibung war für Fußgänger und endete an der Rückseite des Hauses, wo wir die Motorräder nicht durch ein schmales Loch im Zaun fahren konnten. Die Vorderseite des Hauses im Gewirr aus Trampelpfaden durch das Dorf zu finden, war nicht ganz so einfach, aber man musste uns schon erwartet haben, denn zwei Motorräder, die ums Haus irren, machen Krach. Bloß dass die Dame keine Lust hatte. Der Hof wirkte ungepflegt, es lag Müll herum, die Toiletten waren teilweise zerbrochen und kommunikativ war die Dame auch nicht. Wir könnten ein Zimmer haben. Der Preis passte, aber mit oder ohne Frühstück? Sie wählte eine Nummer, meckerte ins Telefon und drückte mir das dann in die Hand. Am anderen Ende jemand, der sagte, es lohne sich nicht, für zwei Gäste Frühstück zuzubereiten und falls wir Abendessen wollten, sollen wir irgendwo in ein Restaurant gehen, da schmecke es besser. Okay, wir verstanden und liefen zu den Motorrädern. Doch die Dame war mit unserer Abfahrt nicht einverstanden und rief nochmal jemanden an, der mich zum Bleiben überreden sollte. Aber was sollen wir auf dem Dorf ohne Essen? Im Zimmer den Kocher auspacken? Genau gegenüber, keine 100m entfernt, fanden wir hinter einem schön bemalten Hoftor ein weiteres Impluvium Haus. Sauber wie aus dem Einrichtungskatalog, motivierte Mitarbeiter, liebevoll dekoriert – mit Weihnachtsbaum und Kruzifix. Wir dachten an die Holländerin…
Das Essen war auch super, das Internet gut und so entschieden wir spontan, zwei statt eine Nacht zu bleiben. Leider haben wir immer noch nicht den riesigen Berg Arbeit, der sich im Prinzip seit Mauretanien (wo es fast kein Internet gab) angestaut hat, vollständig abgearbeitet und leider kommt immer mehr Neues dazu. Während Ihr das hier lest, sind wir unterwegs zu einem Ort, an dem wir hoffentlich Seekühe sehen werden. Da wollten wir schon längst gewesen sein, aber Pläne halten bei uns selten länger als der Weg vom Frühstückstisch zum Motorrad…
Das Video unseres Abenteuers „mit den Motorrädern im Holzboot durchs Delta“ ist online. Schaut es Euch an:
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