Wer den Film „Blutdiamanten“ gesehen hat, der weiß: Sierra Leone hat riesige Vorkommen an den besten, reinsten Diamanten der Welt. Und wir haben einen solchen, großen Rohdiamanten hier in Sierra Leone in der Hand halten dürfen. Beeindruckend. Und ganz bestimmt keine Glasscherbe.
Auf dem Weg in die Region der Diamanten nahmen wir ja die kürzere Strecke, weil die Honda mal wieder zickte. Die Strecke führte über staubige Dschungelpisten (garniert mit umfahrbaren Matschlöchern und Pfützen) wunderschön durch das tiefe Grün, was uns schon seit Tagen begleitet. Wir fuhren durch kleine Dörfchen, winkten fröhlich winkenden Einheimischen zurück und genossen die wunderschöne Landschaft Sierra Leones.
In Kenema gönnten wir uns ein Hotel mit Klimaanlage und sogar heißer Dusche. Seitdem wir die Berge Guineas verlassen haben, sind wir in den feuchten Tropen angekommen und da treibt der Fahrtwind einem nur feuchte, schwere, schwüle Luft an den Körper und wenn man das (wasserdichte) Gepäck öffnet, schlägt einem die Feuchtigkeit nur so entgegen. Um Schimmel vorzubeugen, ist Klimaanlage auch gut für unsere Ausrüstung. Und für guten Schlaf, besonders für Jan, der das Klima weniger gut verträgt als ich. Wir suhlten uns geradezu im Luxus und als es draußen kühler wurde, machten wir uns daran, das Problem der Honda CRF300L zu lösen.
Ab ungefähr 4200 Umdrehungen stotterte sie und hatte keine Leistung mehr: nicht genug Sprit. Doch wo bleibt er stecken? Hondas hatten in der Vergangenheit der 1990er Jahre gerne ein Problem mit der Benzinpumpe. Deswegen habe ich eine Pumpe als Ersatz dabei, die wir dann getauscht haben, jedoch ohne Erfolg. Zweiter Verdächtiger: der Power Commander EJK. Doch ein Abklemmen (Danke an Joshua für’s Mitdenken!) brachte auch keine Besserung. Da die Probleme erst rund um Neujahr auftraten und mit jedem Meter staubiger Pisten schlimmer wurde, war die nächste Idee (Danke an Telefonjoker Bernd!) die Tankentlüftung. Und tatsächlich: die Praktikanten von Honda haben die Tankentlüftung mit einem langen Schlauch direkt hinter das Vorderrad verlegt, sodass das Vorderrad den Dreck direkt in das Kugelventil am Ende des Schlauches schaufelt. Entweder der nächste Beweis dafür, dass die CRF300L keine Enduro ist oder eine weitere Dämlichkeit von Honda. Aus welchem Grund auch immer hatte ich in meinen Ersatzteilen noch einen „Tankentlüftungs-Schnüffel“ aus dem Offroadbereich herumfliegen und weil der direkt auf dem Tankverschluss sitzt, kann dort auch kein Vorderrad Deck hineinschaufeln. Ich frage mich, wie viele Kilometer es noch dauert, bis wir an diesem Ding alle konstruktionsbedingten Fehler gefunden und ausgemerzt haben…
Beim Frühstück lernten wir ein Vater-Sohn Reiseteam aus dem Schwarzwald kennen und schlossen uns ihnen und einer Amerikanerin an auf der Jagd nach Diamanten. In Kenema beginnt die Region Sierra Leones, wo die Diamantenminen die reinsten und größten Diamanten der Welt zutage fördern, und wir wollten sehen, wie. Sierra Leone gehört zu den 10 größten Diamantenförderländern der Welt (Russland fördert übrigens weltweit am meisten, nicht Südafrika oder Namibia!) und schon an Weihnachten hatten wir einen salonischen Bergbauingenieur kennengelernt, der mir (Dipl. Geo) erklärt hat, wie im Land die industrielle Förderung der Diamanten stattfindet.
Die Diamanten kommen hier vor allem in Kimberlit Gestein vor: vulkanisches Gestein, das sich in Schloten oder Gängen gebildet hat. Großkonzerne bauen riesige Stollen in rund 50m Tiefe, um in Kimberlit Gesteinsgänge zu gelangen und bauen dort in großen Doppelschnecken mit riesigen Maschinen industriell ab. Die Diamanten werden letztendlich wie beim manuellen Abbau ausgewaschen und aufgrund ihrer physikalischen Eigenschaften (Lichtbrechung und wasserabweisend) maschinell sortiert und je nach Reinheit und Größe entweder sofort zur Produktion von z.B. Werkzeugen in Säcke verpackt und zu Kilopreisen verkauft, oder auf internationalen Diamantenbörsen, hauptsächlich in Antwerpen, Stück für Stück versteigert. Ein riesiges Geschäft, in dem Menschen ausgebeutet werden. Eine solche Mine zu besuchen ist als Ausländer unmöglich. Überhaupt: um Blutdiamanten vorzubeugen, ist der Handel mit Diamanten in Sierra Leone streng geregelt und wir als Ausländer ohne von der Regierung ausgestellte Lizenz dürfen eigentlich weder Minen besuchen noch Diamanten sehen oder gar kaufen.
Über einen Mittelsmann gelangten wir jeweils zu zweit auf einem Mototaxi nach einer wilden Fahrt ins Gebiet der kleinen Diamantenminen. Doch wir hatten Pech: in dem Chiefdom (das Land ist in Chiefdoms, kleinere Regierungs- und Verwaltungsbezirke gelgliedert) war gerade „community day“, ein Tag, an dem man nicht zum eigenen Vorteil arbeiten darf, sondern sich für die Gemeinschaft engagieren muss. Angeblich werden an dem Tag „unser Dorf soll sauber/schöner werden“ Aktionen veranstaltet, aber wir sehen trotzdem noch große, religiös abhängige Unterschiede in der Sauberkeit der Orte. Fakt war jedenfalls: keine der Diamantenminen war an dem Tag aktiv.
Nach ein paar wilden Dschungelpisten im Dreimannbetrieb auf den kleinen Motorradtaxis und Diskussionen unseres Mittelmanns mit der Lokalbevölkerung wurde für uns ein Team Diamantenschürfer motiviert, uns vorzuführen, wie sie Diamanten schürfen: In der Region, in der wir uns befanden, findet man Kimberlit Gesteinsbrocken im Lockergestein und man sucht (und findet) Diamanten durch Waschen, ähnlich wie Gold. Das Lockergestein wird mit der Schaufel (oder wenn vorhanden: Bagger) abgegraben und dann in eine Rüttelmaschine gefüllt, in der mit Wasser zunächst ein Brei entsteht, mit jedem Liter Wasser mehr aber die Erde ausgewaschen wird, bis nur noch Steine übrigbleiben.
Auf dem Rüttelgerät sitzen Männer, die mit geschultem Blick mit ihren Händen die Steine sortieren. Die Rüttelmaschine sortiert nach Größe und die Männer sortieren die „unverdächtigen“ Gesteine aus. Ob sie eine vielversprechende Fuhre Erde erwischt haben, erkennt man schnell an den sogenannten Leitmineralien: Mineralien, die ähnliche Entstehungsbedingungen wie Diamanten haben und im selben Gestein (dem Kimberlit) vorkommen. Einer der Diamantenschürfer zeigte sie uns. Leider zu schnell, um als Dipl. Geo. die Mineralien mit Sicherheit zu bestimmen, aber wenn ich mir das Foto ansehe, kann ich vermuten: Olivin (mit ziemlicher Sicherheit das grüne „Steinchen“), dann eventuell ein Pyroxen (schwarz, hinter dem Olivin) und dann Rutil oder vielleicht Granat. Findet man diese Mineralien, ist der Diamant garantiert nicht weit.
Haben die Männer auf der Rüttelmaschine aus der Erde alle Steine herausgewaschen, die großen Steine per Hand und mit geschultem Blick aussortiert, geht es an das manuelle Waschen der übriggebliebenen kleineren Steine. Das funktioniert ähnlich wie beim Goldwaschen mit schwungvollen, kreisenden Bewegungen im Wasser stehend, allerdings mit großen Sieben und nicht mit Pfannen oder Kalebassen. Da Diamanten wasserabweisend sind und einen charakteristischen Glanz haben, erkennt ein Diamantenschürfer dann während des Waschens den Diamanten unter all den anderen „Kieselsteinchen“.
Die Diamanten werden dann in „Diamantenbüros“ an Händler verkauft, die für die Steine mit der Schürflizenz des Verkäufers offizielle Papiere erstellen, ohne die Diamanten international nicht gehandelt werden dürfen. Ohne Herkunftszertifikat geht an den internationalen Diamantenbörsen nichts, um illegalen Handel und Blutdiamanten vorzubeugen. Natürlich geht hier auch viel unter der Hand: wird ein Diamant im Land verkauft oder als Zahlungsmittel genutzt, braucht man natürlich kein Zertifikat und dementsprechend üblich ist in der Region, dass größere Investitionen mit Diamanten statt Bargeld finanziert werden.
Das deutsche Vater-Sohn-Gespann reiste weiter, ich lief am nächsten Tag mit der Amerikanerin durch die Stadt auf der Suche nach wenigstens einem kleinen Rohdiamanten, denn wir hatten beide noch keinen gesehen. Wir hatten schon im Hotel mit den Angestellten gesprochen, weil es ja irgendwie möglich sein musste, doch jeder erklärte uns: Ihr seid Ausländer ohne Lizenz, Ihr dürft das nicht. Die Diamantenhändler saßen vor ihren fest verschlossenen Türen und mauerten ebenfalls. Ausländer dürfen das nicht. Entweder Ihr habt eine Lizenz, oder Ihr geht wieder. Vor einer Tür sprach mich ein Händler dann an, fragte nach meiner Telefonnummer und sagte, er werde versuchen, mir einen Blick auf einen Rohdiamanten zu ermöglichen und mich anrufen. Die Amerikanerin reiste weiter, mein Telefon blieb still.
Jan und ich verbrachten den Tag arbeitend am PC, weil das Hotel zu allem Luxus wie Klimaanlage und Warmwasser auch noch gutes WiFi hatte. Völlig versunken an den Bildschirmen, vergaßen wir die Zeit und erschreckten uns richtig, als es abends, es war mittlerweile eigentlich schon längst Feierabend und dunkel draußen, an der Zimmertür klopfte: der Portier des Hotels brachte uns den Diamantenhändler aufs Zimmer, der die Tür von innen schloss und sagte, er wolle einen Rohdiamanten zeigen. Dann pfriemelte er ein gefaltetes Stück Papier aus der Hosentasche und legte den darin eingewickelten Rohdiamanten auf Jans Laptop.
Es war kein kleines Steinchen, sondern ein Rohdiamant von über einem Karat in wunderschöner, natürlicher Kristallstruktur. Wir hatten gehört, dass Diamanten einen charakteristischen Glanz haben, an dem die Schürfer ihn sofort erkennen können und nun lag dieser Rohdiamant dort bei uns auf dem Zimmer und glänzte genau den Glanz, der Diamanten von Glasscheiben unterscheidet. Da der Diamant die höchste mineralische Härte hat, muss er nicht poliert werden, um so zu glänzen. Er wird nur später von Juwelieren geschliffen, um zu funkeln, zum Beispiel im klassischen Brillantschliff.
Während der Diamant bei uns auf dem Bett lag und der Diamantenhändler sprach, strahlte das kleine Stück Kohlenstoff irgendetwas aus, das uns die Faszination rund um Diamanten plötzlich verstehen ließ. Wir haben keine Ahnung von Diamanten und fragten, was dieser Stein hier kosten würde. Für 2000$ würde er ihn uns verkaufen, sagte der Mann. Für uns uninteressant, weil wir den Stein nicht weiterverkaufen könnten (mangels Schürfrecht und Zertifikat), aber später googelten wir, dass ein Diamant dieser Größe und bei angenommener hoher Reinheit mit Zertifikat als Brilliant für bis zu 30.000$ auf der internationalen Diamantenbörse gehandelt wird. Ähm, ja. Wir haben die Telefonnummer des Händlers, falls jemand von Euch…
Beim Abendessen lernten wir Daniel kennen, einen Deutschen, der hier Kakaobohnen in zertifizierter Bioqualität von Kleinstbauern aufkauft und nach Europa verschifft. Er bot uns an, uns am nächsten Tag zu den Kakaobauern mitzunehmen, da er sowieso dorthin müsse, um mit seinen in der letzten Woche mühsam geschulten Mitarbeitern einen Testlauf des jährlichen Audits zur EU-Biozertifizierung zu machen. Und so bekamen wir am nächsten Morgen zunächst das Lagerhaus gezeigt, in dem die Kakaobohnen sortiert und für den Export vorbereitet werden.
Die Kakaofrüchte werden von den Kleinstbauern geerntet und binnen drei Tagen zur Zentrale gebracht, wo die Bohnen aus der Frucht gelöst und zum Fermentieren in Behälter gefüllt werden. Nach einer Woche ist der Fermentierungsprozess abgeschlossen und das weiße Fruchtfleisch (was man lecker lutschen kann) hat die Bohne (unfermentiert eher lilafarben) braun fermentiert. Dann müssen die Bohnen in der Sonne gut trocknen, bevor sie ins Lagerhaus verfrachtet werden.
Dort sitzen dann Sortierer auf großen Planen und sortieren die Bohnen: die guten, prallen Bohnen gehen in den Export, die schrumpeligen, runzeligen Bohnen werden auf dem lokalen Markt weiterverkauft. Die Exportbohnen werden dann in Säcke zu genormten Gewichtseinheiten gefüllt und nach Europa exportiert, wo dann leckere Schokolade aus ihnen hergestellt wird. Langfristig möchte Lizard Earth, die Firma des Deutschen, in Sierra Leone eine Schokoladenmanufaktur eröffnen, um nicht nur Rohstoffe nach Europa zu schicken, sondern die Wertschöpfung des Endproduktes hier im Land zu ermöglichen. Das ist weder einfach noch billig, denn Schokolade muss bei den hiesigen Temperaturen konstant gekühlt werden. Dazu braucht man Strom. Und den gibt es ganz einfach nicht. Und selbst wenn: ein Kühllaster müsste die Schokolade dann zu einem Kühlschiff fahren und die Tafeln müssten mit dem Kühlschiff bis zu uns geschippert werden: Kosten, die eine solche Schokoladentafel teurer machen, als Ihr dafür zahlen möchtet. In Ghana ist die Infrastruktur besser (es gibt Strom!), sodass es dort tatsächlich jemanden gibt, der vor Ort Schokolade produziert und zum Preis einer handelsüblichen Bio-Schokolade in Deutschland vertreibt: fairafric
Wir folgten dann dem Pickup der Firma, der prall gefüllt mit den neuen Mitarbeitern war, die zeigen sollten, dass sie die Überprüfungen der Bio-Vorgaben durch Interviews und Begutachtung der Felder vor Ort eigenständig umsetzen können. Wir bekamen die Unterlagen auch zur Hand und lernten viel über die Vorgaben, die zur Zertifizierung erfüllt werden müssen. Wir wurden der Dorfgemeinschaft im Vorfeld vorgestellt und machten bei zwei Begehungen von Kakaogärten mit. Es war für uns das erste Mal, dass wir Kakao wachsen sahen (und die frischen Früchte probierten) und es war spannend zu sehen, wie Kleinstbauern wirtschaften und der Zertifizierungsprozess ablief. Wer mehr über das tolle Projekt erfahren möchte, als hier Platz dafür ist, liest hier weiter: Lizard Earth
Ein wenig erinnerte mich die ganze Aktion an meine Zeit in Äthiopien, wo ich im Rahmen des Biodiversity Conservation Projektes der gtz damals auch an Feldbefragungen (hauptsächlich von Imkern) teilgenommen habe und es sehr ähnlich ablief. Ohne in Details zu gehen: TIA (This Is Africa). Aber am Ende schmeckt die Schokolade (der äthiopische Honig allerdings nicht). Auch wir haben an dem Tag viel gelernt und fuhren mit neuem Wissen im Kopf zurück zum Hotel, wo wir immer und immer wieder verlängerten, weil wir einfach nicht dazu kamen, die Tage wie geplant zum Arbeiten zu nutzen. Aber wenn man die Chance auf Diamanten und Kakao hat, warum sollte man dann nicht die Arbeit verschieben? Wir sind ja flexibel.
Wir blieben insgesamt eine Woche in Kenema. Das Internet war gut, das libanesische Essen lecker und das Hotel komfortabel. Eines Abends fuhren drei portugiesische Bleischwer-Reiseenduros in den Hof. Bis oben mit Gepäck überladen. Das Gepäck blieb auch zwei Tage auf dem Motorrad, denn im (Tank-) Rucksack war offensichtlich alles, was man im Alltag so braucht. Wozu der Rest Gepäckberg war, wissen wir nicht. Wir kamen ins Gespräch mit den drei, die wichtige Team-Shirts und Team-Kappen „Westafrica 2024“ trugen und lernten: die drei waren erst 13 (kein Tippfehler: dreizehn!) Tage zuvor daheim aufgebrochen und wollten in ihren 40 Tagen Urlaub noch bis Nigeria und – zurück! Da bekamen wir schon Schnappatmung, aber es ging noch besser: die Rückfahrt soll durch Mali und Burkina Faso führen. Wer sich nur ein klitzekleines bisschen in der Weltpolitik auskennt, würde nicht auf diese Route kommen. Es ist derzeit auch extrem schwierig, für Mali Visa zu bekommen. Man möchte in der derzeitigen Lage eigentlich keine Ausländer im Land. Aber die drei wussten es scheinbar besser – oder wahrscheinlich nicht, wie die meisten anderen Overlander.
Wir konnten nur staunen, obwohl wir solche Reisende eigentlich dauernd hier in Westafrika treffen: Eine Deutsche, die mit einem bereits entwerteten Visum nochmal ins Land einreisen will, ein Algerier, der trotz Warnung wegen illegalem Grenzübertritt festgenommen wurde, die zwei Briten, die in ihren 14 Tagen Urlaub in 10 Tagen nach Ghana fahren, die Deutsche, die uns erklärt, in Westafrika gäbe es keine Tiere und Afrika beginne in Namibia, ein anderer Deutscher, der erklärt, „Regenzeit bedeutet ab und zu Mal ein paar Tropfen“, Spanier, die meinen, man könne auch ohne Visum einreisen und „das an der Grenze aussitzen“… wir fühlen uns oft ziemlich einsam unter Menschen. Aber wir haben gelernt: wir halten uns an Backpacker. Die sind da, weil sie genau da hinwollten und nicht, weil „es auf dem Weg liegt“ und man da „durchmuss“. Backpacker sind meist genau informiert, kennen sich aus im Land und reisen, um zu entdecken und nicht, um „es gemacht“ zu haben. Mit dem Auftauchen der drei Portugiesen wurde uns wieder bewusst, wie groß der Unterschied ist und dass wir eher Backpacker (und keine Overlander) sind, die ihr Minimalgepäck auf ein Motorrad statt auf den Rücken schnallen. Wir verzogen uns auf unser Zimmer, statt uns mit den Portugiesen weiter zu unterhalten. Die Basis fehlte einfach.
Nach einer Woche in Kenema sattelten wir auf und fuhren noch zum Ortsschild des Nachbarortes „Ida“ (wie meine Uroma und Nichte). Ein Mototaxi Fahrer sah uns und hielt an für einen kleinen Abschiedsschwatz: wir kannten uns, er hatte uns mal gefahren. Das Signal war klar: wenn sich Routinen entwickeln, man im Laden anschreiben lassen kann oder im Restaurant keine Bestellung mehr aufgeben muss, wenn man auf der Straße Bekannte trifft, dann ist es Zeit, weiterzuziehen. Wir wollten an dem Tag nur 200km weit. Ich hatte eine schöne Piste auf der Karte entdeckt und in der Satellitenansicht sah es super aus: eine leicht durch die Landschaft geschwungene Piste für extra Fahrspaß, kleine Dörfchen und Flüsse fürs Auge. Bloß dass es in der Realität eine völlig zerbombte, nach der Regenzeit über viele Jahre nicht gepflegte Strecke war, die sich weder spaßig noch flüssig fahren ließ. Ein schneller Blick auf Karte und GPS: es gibt eine Alternative auf Asphalt!
Wir drehten um und erreichten den Asphalt. Meine Honda lief bis dahin normal, hatte sich dann aber wieder das Zicken überlegt und war nur mit hoher Drehzahl halbwegs fahrbar. Wir waren mittlerweile auf die Idee gekommen, dass die Einspritzdüse verstopft oder verharzt sein könnte. Die Honda ist Euro 5 und das bedeutet, eine im Vergleich zur z.B. 250er CRF eine überarbeitete Einspritzung mit noch feinerer Düse. Je feiner, desto anfälliger für eventuelle Rückstände, aber das interessiert nicht, denn die Europäer wollen die Welt mit Abgasnormen retten und Honda will Wegwerfprodukte verkaufen, um Geld zu verdienen. Ich las nach, dass man regelmäßig einen Zusatz ins Benzin kippen soll, der solche Rückstände löst. Nur gibt es solche Zusätze hier nicht. Die reine Existenz solcher Mittelchen ist den Betreibern von Autoteile-Läden hier nicht mal bekannt. Zur Erinnerung: wir befinden uns in einem Land, in dem bis heute Menschen hungern und schlimm unterernährt sind.
Wir saßen an der wohl besten Tankstelle des Landes (die auch nur Öl und Bremsflüssigkeit verkauft) und ich wurde gleich 3x mit Itchy Boots verwechselt. Das passiert fast täglich und ich fange schon bei jedem schiefen Blick an zu sagen „It’s not me!“. Die Kunden der Tankstelle lernten, dass Itchy Boots schon lange nicht mehr in Westafrika ist und wir lernten, dass die von uns vor 100km spontan geplante Alternativroute auch nicht machbar sei. Selbst ein Mototaxifahrer, die sonst jede üble Dschungelpiste fahren, winkte ab. Alle waren sich einig: nochmal 100km Umweg! Machte ab der Tankstelle genau 170km am späten Nachmittag. Der Tankwart meinte „zu weit für heute“, aber wir gaben Gas. Beziehungsweise: ich gab Gas, denn die blöde Honda lief ja nur unter Volllast halbwegs. 170km sind für uns eigentlich mehr als eine Tagesetappe, aber da wir bis zu dieser Reise Langstrecken-Rallyes gefahren sind (und sowieso gerade Dakar-Zeit ist), können wir natürlich auch noch spätnachmittags 170km abreißen. Ohne Autobahn natürlich…
Der Tag wurde lang und anstrengend. In Sierra Leone ist es auch nicht ganz einfach, unterwegs Trinkwasser zu bekommen. Die in anderen Läden üblichen Dorflädchen fehlen oder verkaufen nur Waschmittel und Sardinendosen, man trinkt aus dem Brunnen. Wir trinken nicht aus dem Brunnen und so fahren wir schweißgebadet manchmal lange, bis wir jemanden sehen, der aus einer Kiste Wasserbeutel verkauft. Es war spät, als wir am Tagesziel ankamen: das Gästehaus einer Schule für Hörgeschädigte. Wir waren die Stars auf dem Schulhof und wurden von unglaublich vielen winkenden Kindern begrüßt – bis sie weggescheucht wurden, damit wir in Ruhe absatteln können. Die Schüler lernen hier nicht nur den ganz normalen Schulstoff, sondern auch Gebärdensprache, Lippenlesen und handwerkliche Fähigkeiten wie Friseur, Schneidern, Schreinern, Gärtner und Landwirtschaft: die Schule hat eine Schulfarm außerhalb der Stadt, die die Schulkantine versorgt, Schüler ausbildet und auf dem Gemüsemarkt Einkommen erwirtschaftet. Eigentlich werden die Gäste, die mit ihrer Übernachtung in den Gästezimmern die Schule mitfinanzieren auch verpflegt, denn die Schule ist ein Internat, aber es war zu spät, die Köchin war schon gegangen. Wir kümmerten uns eh erstmal um die Honda.
Die Einspritzdüse auszubauen, erschien uns zu riskant, da man dabei leicht die O-Ringe verletzen kann (Danke an Bernd für diese Warnung!) und eine undichte Einspritzung, aus der mit ein paar Bar Benzin auf den Krümmer tropft, ist ein größeres Übel als ein extrem schlechter Motorlauf. Da es in Sierra Leone keine noch so simplen Ersatzteile oder Arbeitsmaterialien wie Bremsenreiniger gibt (es gibt nicht mal genug Essen für alle!), ist hier nicht der richtige Ort für solche Experimente. Also konnten wir nur eins tun, was wir trotz Wechsel aller Filter, der Pumpe, der Tankentlüftung und Stecker noch nicht getan hatten: bei 14.500km die Zündkerze tauschen. Das Motorrad treibt mich in den Wahnsinn und ich wünschte, ich hätte eine EXC350 von KTM gekauft. Um aus dem Fehlern zu lernen, ist es nun zu spät, aber in zwei Jahren sind wir in Südafrika und da kann ich dann bei Alfie Cox einkaufen – oder habe bis dahin aus der Honda ein haltbares Etwas gebaut. Bis dahin muss ich mit dem Misthaufen klarkommen.
Wir sind jetzt auf dem Weg zurück nach Guinea. Es gibt dort nach der Explosion des Treibstoffdepots immer noch kein Benzin, aber wir bringen von Sierra Leone 65 Liter mit. Das sollte uns bis “Mitte Liberia” bringen, wo es dann hoffentlich wieder welches gibt. Warum wir nicht direkt von Sierra Leone nach Liberia einreisen? Weil wir mit Guinea noch nicht “fertig” waren. Das Land ist schließlich riesig und wir waren erst vier Wochen dort und sind vor drei Wochen nur deshalb ausgereist, weil es kein Benzin mehr gab und wir einen Botschaftstermin in Freetown hatten. Wir verlassen Sierra Leone nach drei Wochen wirklich traurig. Das Land hat uns sehr gefallen, wir haben es ähnlich ins Herz geschlossen wie Guinea-Bissau: die Menschen sind unglaublich herzlich und ehrlich, die Landschaft wunderschön. In Guinea sind wir mit den Menschen (zu viel Lug und Betrug, Koranschulen und Müll) nicht richtig klargekommen, haben aber die Natur sehr genossen. Wir sind gespannt, was wir bei unserem zweiten Besuch dort erleben – vielleicht sind die Menschen in dem Teil des Landes, der noch vor uns liegt, anders? Im neuesten Video seht Ihr, wie das mit dem Benzin und der Krise war, als wir aus Guinea aus- und nach Sierra Leone eingereist sind:
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