Es tat uns richtig leid, die Region Fouta Djallon zu verlassen, doch wir wussten ja: „der Wald“ von Guinea, wie der Landesteil Richtung Elfenbeinküste genannt wird, soll auch schön sein!
Nach unseren „Wandertagen“ waren wir bis Dalaba gefahren, wo uns Mr. Koffi herzlich in einem seiner vier extrem sauberen Gästezimmer willkommen hieß. Jedes Zimmer hat zwar ein Bad mit Toilette, Dusche und Waschbecken, aber ohne Leitungswasser, sodass es Eimerdusche und „Pöttchenspülung“ gab. Nicht anders als in Mauretanien, nur dass es in Guinea Toilettenpapier zu kaufen gibt und unser mitgebrachter Vorrat (aus Transnistrien!) noch gut bestückt ist.
Dalaba liegt noch in den Bergen und war zu Kolonialzeiten ein Kurort mit Sanatorium, Wochenendhäusern und Villen. Noch heute scheinen viele Städter dort ihre Ferienhäuser zu haben. Das Klima soll das angenehmste des Landes sein: tagsüber um die 30°C, nachts im Winter gerade noch zweitstellig. Leider wurde in den vergangenen Jahren sehr viel in der Umgebung abgeholzt, sodass es nun heißer und trockener ist. Ein Mann erzählte uns, dass als er Kind war, die Stadt jeden Wintermorgen im Nebel lag. Den gibt es heute nicht mehr.
Mr. Koffi betreibt sein Gästehaus seit rund 20 Jahren und wir glauben, eigentlich wollte er Koch werden und nicht Hotelier, denn er bot uns an, Abendessen zu machen. Was er dann in seiner Garage (keine Küche!) zauberte, war so ziemlich das beste Huhn Guineas. „Kein Importhuhn!“, das war ihm sehr wichtig. Uns ist das auch wichtig, denn wir mögen den EU-Hühnermüll nicht. Die EU entsorgt in Westafrika ihre Fleischabfälle und untergräbt mit Schrott-Preisen den lokalen Markt. Weil die Kühlkette natürlich nicht gegeben ist, sind wir oft Vegetarier, um dem zu entgehen. Auch das Frühstück von Mr. Koffi war super und so gestärkt konnten wir uns die Sehenswürdigkeiten des Örtchens anschauen.
Miriam Makeba, die „Mama Afrika“ hat in Dalaba gewohnt. Berühmt wurde sie einerseits durch ihren Song „Pata Pata“, andererseits war sie eine bekannte Aktivistin, die für Menschenrechte und gegen die Apartheid kämpfte. Deswegen wurde ihr ihre ursprüngliche, südafrikanische Staatsbürgerschaft aberkannt und sie bekam die von Guinea, wohnte aber in den USA. Dem FBI gefiel aber ihre Ehe mit dem Black-Panther Aktivisten Carmichael nicht und nach einer Auslandsreise durfte sie nicht mehr in die USA einreisen und lebte ab dann in Dalaba in Guinea.
1985 zog Makeba nach Belgien, aber 1990 bat Nelson Mandela sie um Rückkehr nach Südafrika und seitdem steht ihr Haus in Dalaba leer. Nach ihrem Tod 2008 kam ihr Enkel, der in den 1980ern nach dem Tod von Makebas Tochter mit seiner Schwester von der Sängerin wie eigene Kinder aufgezogen worden war, ein Mal nach Guinea, schaute nach dem Haus und bat Makebas ehemaligen Koch, der den Schlüssel hatte, sich weiter um das Haus zu kümmern – und verschwand.
Dieser Koch, ein mittlerweile wirklich alter Mann, hat immer noch den Schlüssel zu Makebas Haus und zeigt es Besuchern. Er und sein damaliger, bereits verstorbener Kollege, bekochten in dem Haus diverse Staatsoberhäupter und Berühmtheiten und servierten am noch heute vorhandenen Esstisch.
Der alte Mann führte uns von Raum zu Raum und schimpfte über die in den USA lebenden beiden Enkel, die ja schließlich wie eigene Kinder von Miriam Makeba gewesen sein und die kein Interesse am Haus haben und ihn damit allein lassen. Mittlerweile ist im eigentlichen Hauseingang die kunstvolle Deckenverkleidung heruntergefallen, sodass man durch die Hintertür durch die Küche das Haus betritt. Er sei alt und könne das nicht in Ordnung bringen. Außerdem gebe ihm niemand Geld (wir haben ihm welches gegeben) und seitdem er nicht mehr für die Sängerin kocht, hat er auch gerade nur genug Geld zum Leben. Es kämen immer wieder Delegationen von Botschaften oder anderen „wichtigen Organisationen“, aber niemand habe Interesse daran, sich um den Erhalt des Hauses zu kümmern.
Er habe Miriam Makeba versprochen, sich um ihr Haus zu kümmern, aber wenn er stirbt, und das sei vielleicht morgen, wer nimmt dann den Schlüssel? Wer macht weiter? Der Enkel sei öfter mal in Conakry aus den USA zu Besuch. Davon erfahre er nur aus der Presse und schaut zu, wie das Haus langsam verfällt, Schimmel einzieht und die Feuchtigkeit der vielen Regenzeiten Schäden hinterlässt. Auch wir fanden es traurig, dass es scheinbar international nicht möglich ist, vielleicht über eine Stiftung über beispielsweise einen Fanclub, etwas zu unternehmen, um das Haus als Museum zu erhalten. Andererseits: welcher Tourist, welcher Reisender schaut sich das an? Wer hält in Dalaba an auf der Hatz durch Westafrika? Welche Reisenden interessieren sich für Menschenrechte, Apartheid und Musik?
Wir verabschiedeten uns von dem alten Mann mit seiner Plastiktüte voll Fotos und Dokumenten aus jener Zeit, die er uns gezeigt hatte und fragten uns, ob wir wohl die letzten Touristen waren, die das Glück hatten, diesen Menschen noch kennenzulernen und seinen Geschichten zuzuhören. Geschichten über eine Frau, die er bis heute vergöttert. Geschichten von damals, als noch keine Kühe durch den Garten des Hauses streiften, sondern zwei Wächter dafür sorgten, dass nicht jeder einfach bei Miriam Makeba hereinspazieren konnte. Damals, als er den Staatsmännern Afrikas in diesem Haus leckeres Essen kochte. Denn „Musik und Essen, das mochte sie sehr…“
Dalaba hat noch eine weitere Sehenswürdigkeit: die „Case a Palabre“: ein Rundbau, erbaut während der französischen Kolonialzeit, der architektonisch den traditionellen Häusern der Region nachempfunden ist. Nur wesentlich größer und mit Blech- statt Strohdach, aber mit Lehmwänden und Lehmböden. Ein Guide erklärte uns alles rund um das Gebäude.
In der Casa a Palabre wurden politische Versammlungen abgehalten und wichtige Entscheidungen getroffen. Dazu versammelten sich die Dorfchefs, Vertreter der Regierungsbezirke, Adel, Geistliche und, je nach Quelle, auch französische Kolonialherren in konzentrischer Sitzordnung im Rundbau. Der Mann, der uns das Gebäude zeigte und ausführlich erklärte, erwähnte die Kolonialherren nicht. Im Reiseführer steht dazu auch nichts, aber diverse Einheimische auf Facebook erklärten, das Gebäude sei von den Franzosen errichtet worden, „um uns besser kontrollieren zu können“.
Was auch immer stimmt: das Gebäude ist gut in Schuss und die kunstvollen Verzierungen in den traditionellen Lehmwänden und auf dem Fußboden sind super erhalten. Einzig die kürzlich installierten Klimaanlagen stören das Gesamtbild. Der Rundbau samt benachbarter Villa aus der Kolonialzeit ist heute als Veranstaltungsort für Hochzeiten, Konzerte und andere Feierlichkeiten zu mieten.
Von Heike, einer in Guinea lebenden Deutschen, die wir über Facebook kennengelernt hatten, erfuhren wir noch von einer dritten Sehenswürdigkeit Dalabas: auf einer Klippe steht ein riesiger Baum, um den herum eine Terrasse gebaut worden ist, von der aus man den Sonnenuntergang über den Bergen beobachten und genießen kann. Diese kitschigen, afrikanischen Klischee-Sonnenuntergänge aus dem Reisekatalog.
Das fanden nicht nur wir toll, sondern auch die Dorfjugend, die sich unter dem Baum mit einer Boombox zum Tanzen verabredetet hatte. So wurde unser „romantisches Date“ von Jan und mir nicht ganz so romantisch wie gedacht, aber der Sonnenuntergang und der Blick über die Berge war trotzdem toll. Es war unser Abschied vom Fouta Djallon. Einer Region, in der wir uns ganze zwei Wochen aufgehalten hatten und wahnsinnig viel erlebt haben. Eine Region, die sich dank ihrer spektakulären Natur tief in unsere Erinnerungen verankert hat.
Eigentlich hätten wir auf der in der Nähe des Baumes liegenden Terrasse des besten Hotels des Ortes auch romantisch mit sehr ähnlichem Blick zu Abend essen können, aber wir waren pleite. Wir hatten noch 8€ bis zum Erreichen des nächsten Geldautomaten in 70km Entfernung. In Westafrika läuft alles mit Bargeld oder mit Handyzahlung. Wir können unsere EU-Bankkonten leider nicht mit afrikanischen Handy-Bezahlapps koppeln (Datenschutz, Datenschutz, Datenschutz…) und so müssen wir immer wenn es einen Geldautomaten gibt, genau vorher ausrechnen, wie weit uns das Geld bringen soll: Unterkunft, Verpflegung, Ausflüge, Benzin, Eintritts- und Trinkgelder, dazu ein paar Puffertage und schon ist man mehrfacher Millionär. Der größte Geldschein entspricht hier etwa 2€ und Ihr könnt Euch vorstellen, wie groß das Bündel Geld ist, wenn wir am Automaten stehen und mit Maximalbeträgen von 80€ das Budget für die nächsten Wochen organisieren…
Diesmal waren wir hier und dort die eine oder andere Nacht länger geblieben und hatten daher nur noch 8€ übrig. Ein Gericht auf der Hotelterrasse war für unter 10€ nicht zu bekommen, aber der Kellner hatte Verständnis und bot uns an, er könne für je 3€ ein Sandwich zubereiten lassen. Dankbar nahmen wir das Angebot an und kamen so dann doch noch zu unserem „Sunset Dinner“. Als Getränk nuckelten wir später bei Mr. Koffi jeder ein Päckchen Wasser aus, bevor wir uns in die wohl sauberste und weißeste Bettwäsche des Landes legten.
In Westafrika gibt es Trinkwasser in 400 oder 500ml Päckchen. Wie früher die Milchbeutel, nur halt kleiner und mit Wasser. Ein Päckchen kostet 5 Cent und stellt somit eine sichere Trinkwasserquelle für die Bevölkerung dar. Man beißt eine Ecke auf, nuckelt das Wasser und hat am Ende wesentlich weniger Plastik als bei den sonst weltweit üblichen Plastikflaschen. Kleiner Nachteil: manchmal schmeckt das Wasser auch ein wenig nach „Plastiktüte“.
Am nächsten Morgen frühstückten wir mit Mr. Koffi zusammen sein super fluffiges Omelette und unterhielten uns über unsere unterschiedlichen Lebensentwürfe. Er spricht Englisch, sodass Jan auch endlich mal mitreden konnte und Mr. Koffi sichtlich Freude an uns als seine Gäste hatte. Nachdem er (schmatzend…) seinen letzten Bissen Brot geschluckt hatte, schaute er uns über seine Tasse an und wollte wissen: „Seid Ihr Moslems oder Christen?“. Aufgrund der extremen Sauberkeit von Bettwäsche und gesamtem Haus wussten wir seine Antwort schon, aber antworteten höflich „Christen – und Sie?“. Er strahlte: „Ich bin auch Christ – und das ist so selten in diesem Land!“. Ja, ist es. Und es ist auch richtig selten, wie bei ihm nicht im Morgengrauen zwangsgeweckt zu werden…
Ein wenig wehmütig verließen wir die Oase des Mr. Koffi, der sich noch sorgenvoll erkundigt hat, ob unser Geld und Benzin noch bis zur nächsten Stadt mit Geldautomaten reichte und kämpften uns weiter in Schlangenlinien um Schlaglöcher und im Staub der Streckenabschnitte, auf denen der Asphalt aus welchen Gründen auch immer verloren gegangen war. Für die ersten 28km brauchten wir eine quälende Dreiviertelstunde. Und dann gab es plötzlich guten, chinesischen Asphalt! Warum Europa den Straßenbau den Chinesen überlässt (moralisch Gründe oder Doofheit?), darüber spekulieren wir schon länger.
Wir rollten dank des chinesischen Straßenbaus recht entspannt bis Kindia, das Zentrum des Obstanbaus im Land. Derzeit ist Orangenernte, aber die hiesigen Orangen sind eher für Saft gedacht (sie haben eine sehr feste und bittere weiße Haut), nur gibt es niemanden, der Saft daraus macht. Denn der „Saftladen“, von dem ich gelesen hatte, war mittlerweile eine Ruine. In der Nähe dieses ehemaligen Saftladens gab es ein Hotel. Mit 35€ die Nacht nicht gerade unsere Preisklasse, aber wir wollten nicht mehr zurück ins Getümmel der Stadt und der Rezeptionist verführte uns mit dem Wort „Leitungswasser“.
Es gab nicht nur Leitungswasser, sondern auch warmes Leitungswasser, darüber hinaus Strom aus der Steckdose (und nicht vom USB Stecker des Solar-Ladereglers oder der Autobatterie), deswegen auch eine Klimaanlage und ein so sauberes Ambiente in der gesamten Hotelanlage, dass der Gang zum Abendessen nicht wie sonst zu Dreckfüßen führte, mit denen man nicht ins Bett steigen kann. Wir genossen den Luxus extrem. Es fühlte sich nach Urlaub an. Im Hotelrestaurant gab es sogar echten Obstsaft (Spezialität: Ananas und Ingwersaft, letzterer extrem scharf) und wir tankten unsere Batterien auf. Die Zeit in den Bergen war wirklich unvergesslich, aber die dortige Infrastruktur, der ewige Staub überall, die ewig dreckigen Klamotten, staubigen Füße und Hände, die ohne fließend Wasser nicht „mal eben schnell“ wider sauber wurden, die geringe Verfügbarkeit von 220V Strom und überhaupt Steckdosen, das ständige frühe Aufwachen zur Morgendämmerung durch Zwangsbeschallung,… wir brauchten Pause und dieses Hotel war ein guter Anfang.
Guineas Hauptstadt Conakry war genau 111km entfernt, aber wir brauchten zwei Stunden durch den wuseligen Verkehr, bis wir in unserem über Airbnb gemieteten Apartment von Fanta empfangen wurden. So eine süße Person! Unsere Ferienwohnung bot zwei entscheidende Ausstattungsmerkmale, die extrem selten sind: WiFi und eine Waschmaschine! Und vier Balkone, zwei Bäder, zwei Schlafzimmer, ein riesiges, gemütliches Wohnzimmer, Küche, Essecke und die gute Seele Fanta, die einfach meine Motorradstiefel putzte, weil das dringend nötig war.
Genauso dringend nötig waren diverse Intensivwaschgänge mit unseren Motoradklamotten, unserer Wanderbekleidung, auch unseren Schuhen, dem Rucksack, den Helmen – allem! Wir waren durch die vielen Pisten und Outdoor-Abenteuer so dermaßen dreckig und unsere Ausrüstung stand buchstäblich vor Staub und Schweiß und Dreck. Die Waschmaschine lief im Dauerlauf und wir selbst weichten uns ein unter der heißen Dusche. Das ist doch ein echter Luxus, im Gegensatz zu auf 1500m eiskalter Eimerdusche!
Wir waren in Conakry, um 1000 Dinge zu erledigen. Wir mussten das „Entry Visum“ von Guinea bei der Immigration zu einem 30 Tage Touristenvisum umwandeln lassen, wollten es um weitere 30 Tage verlängern, mussten das Visum für die Elfenbeinküste beantragen und wollten das Visum für Liberia erfragen und gegebenenfalls beantragen. Außerdem musste ich zum Zahnarzt (meine Knirscherschiene war gebrochen), wir wollten ein paar Dinge (wie WD-40 etc.) kaufen und ein wenig die Annehmlichkeiten der Hauptstadt genießen.
Wie zum Beispiel Frozen Yoghurt und Pizza. Die Landesküche Guineas hat sich bisher als sehr langweilig entpuppt. Die hiesige Erdnuss-Sauce schmeckt halt einfach nur nach Erdnuss, wohingegen sie im Senegal eine Geschmacksexplosion voll Gewürze ist. Die guineische Variante des Kassava-Gemüses ist zwar weniger (Palm-) ölig als in Gambia, aber auch weniger (gar nicht!) gewürzt. Die seit der Casamance allgegenwärtigen, würzig-scharfen unendlichen Variationen von Shrimps fehlen naturbedingt natürlich auch. Wir trafen uns mit Murat, einen deutsch-jordanisch-thailändisch-türkischen Motorradreisenden zum indisch Essen. Schon in Bissau hatten wir zusammen (Pizza) geschlemmt. Indische Restaurants sind für uns weltweit eine Offenbarung, wenn wir mal wieder „Essen mit Geschmack“ brauchen. Wie auch in Mauretanien.
Unsere „Visa-Geschäfte“ liefen gut. Das Visum für die Elfenbeinküste ging von einem auf den anderen Tag, die Zahnärztin hatte gleich am zweiten Tag in der Hauptstadt Zeit für mich und der Beamte von der Immigration ließ sich von mir erfolgreich Honig ums Maul schmieren, als ich ihm erklärte, wir bräuchten dringend eine Visumsverlängerung, weil sein Land so unglaublich schön sei (und das ist nicht gelogen!) und ich ihm dann aufzählte, wo wir schon alles waren. Er stempelte uns tatsächlich ganze drei Monate extra ein! Kostenlos. Insgesamt hatten wir dann drei Monate und drei Wochen, die wir aber wegen der uns ständig im Nacken sitzenden nächsten Regenzeit nicht nutzen werden.
Das Visum für Liberia dauerte von Freitag bis Montag und wir hatten extra noch in einem Blechbüdchen auf der Straße einen neuen Stapel Passfotos machen lassen. Wir fragen uns: was machen Botschaften eigentlich mit den ganzen Papierstapeln voll Passfotos, Passkopien, Hotelbuchungskopien, Impfzertifikaten und mehr? Bei der Botschaft der Elfenbeinküste kam zum ersten Mal unser Gelbfieber-Impfzertifikat zum Tragen und der nette Herr Fanny kopierte das eine oder andere interessante Visum aus unseren Pässen auch gleich noch, um den Papierstapel zu erhöhen. Interessant ist übrigens, dass unser 10 Jahre USA-Visum als Türöffner funktioniert. Jeder Afrikaner weiß, wie schwer das zu bekommen ist und auch wir mussten dazu nach fünf Monaten Wartezeit zum persönlichen Interview. Sobald dieses Visum entdeckt wird, glätten sich die Gesichtszüge diverser Botschaftsmitarbeiter. Ob das der Konsul von Bissau in Istanbul ist, Herr Fanny von der Elfenbeinküste oder der gemütliche Herr der Botschaft von Liberia: sobald diese Seite sichtbar ist, gibt es keine Unsicherheiten mehr.
Teuer ist der Spaß trotzdem. Das Visum für Liberia kostet 100$ (in bar, schöne Scheine bitte) pro Person, Elfenbeinküste 58€ bitte am Vortag online zu zahlen, Guinea 83€ mit dem online-Antrag per Kreditkarte zu zahlen und Guinea-Bissau 75$ in neuen Scheinen. Eben wegen dieser teuren „Eintrittskarten“ wundern wir uns doch sehr über Reisende, die durch all diese Länder im Rekordtempo durchpreschen: eigentlich eine ziemliche Geldverschwendung.
Wirkliche Sehenswürdigkeiten hat Conakry nicht. Aufgrund der „Vorkommnisse“ (der Mann im Telefonladen nannte es „Coup“) vor ein paar Wochen kann man den auf Foto interessant aussehenden Präsidentenpalast nicht mal aus der Ferne sehen. Ansonsten gibt es noch die größte Moschee des subsaharischen Afrikas, aber die soll trotz großzügiger Finanzspritze aus Saudi-Arabien innen in bemitleidenswerten Zustand und ohne Strom sein. Außerdem ist es eine moderne Moschee aus den 1980er Jahren, die garantiert nicht mit all den Moscheen aus dem Iran mithalten kann. Wir sahen sie nur von außen.
Was wir jedoch von innen sahen, war die Zirkusschule. Ursprünglich ein UNICEF Projekt, trägt sich die Schule heute (allerdings sehr mühsam) selbst. Sie hat zum Ziel, Kindern aus schwierigen Verhältnissen Schulbildung zu ermöglichen, ihnen im Anschluss eine handwerkliche Ausbildung mit auf den Weg zu geben und sie als Zirkusartisten auszubilden. Jedes Kind wählt, was ihm liegt: Schlangenmensch, Clown, Jongleur, Trapezkünstler, Akrobat, … Die Schüler sind in diesem Metier so gut, dass Talent-Scouts diverser international berühmter Zirkusse wie der Cirque du Soleil aus dieser Zirkusschule Artisten rekrutieren. Wer später nicht hauptberuflich Künstler wird, hat eine gute Schulbildung und einen Handwerksberuf in der Tasche.
Als wir zur Schule kamen, war nur die „D-Truppe“ vor Ort. Eine Gruppe war gerade auf nationaler Tournee, eine andere auf der gerade stattfindenden Kulturmesse und die dritte Truppe hatte an dem Tag eine Show im Stadtzentrum bei einer Veranstaltung gegen illegale Migration. Die Akrobaten sollten zeigen, dass man auch als Künstler legal ins Ausland emigrieren kann. Zum Beispiel nach Kanada zum Cirque du Soleil. Die verbliebenen Jungs zeigten uns trotzdem mit viel Motivation und Eifer ihr Können (zugegeben: teilweise wirklich vierte Wahl) und einer der älteren Schüler hatte richtig Freude daran, uns alles über die Schule, das Projekt und die Message dahinter zu erzählen. Ich kenne mich in der Zirkus- und Varieté-Welt nicht aus und kann daher weder Namen von Compagnien noch Künstlern wiedergeben, die der junge Mann aufgezählt hat und bei denen Schulabgänger dieser Zirkusschule unter Vertrag sind.
Waren wir nicht in Sachen Behörden, Zahnarzt, Botschaften und Visa unterwegs, genossen wir den Luxus unseres Airbnbs. Nicht nur die Waschmaschine, den Strom und das (heiße) Leitungswasser, auch eine so saubere Umgebung, dass man den ganzen Tag barfuß laufen kann, ohne nach drei Schritten schon wieder Füße schrubben zu müssen. Eine Oase der Ruhe mit Internet, das zum Arbeiten, Datensichern und auch mal einen Film streamen geeignet war. Leider lag das Apartment aufgrund falscher Ortsangabe bei Airbnb (da wären wir wieder beim Thema Ehrlichkeit und warum wir hier mit dem Großteil der Menschen nicht so gut auskommen) „weit weg vom Schuss“ (was absolute Nachtruhe auch über das Morgengrauen hinaus bedeutet), sodass wir für jede Kleinigkeit irgendwo hinfahren mussten. Erst dachten wir, wir erledigen das mit unserem Nachbarn, dem Mototaxi Fahrer, aber weil man hier in der Hauptstadt nur zu zweit auf einem Motorrad sitzen darf, wäre das zu teuer als Langzeitlösung. Jan schulte daraufhin um, wurde auch Mototaxi Fahrer, lieh sich dazu meine Honda (weil die Soziusrasten hat) und nahm immer brav nur eine Kundin mit. Mich. Ich glaube, wir haben so mehr als 100km im übelsten Stadtverkehr abgerissen.
Conakry sollte, so hatten uns andere Reisende gewarnt „furchtbar“ sein. Aber das sollte Dakar auch schon sein (und uns gefiel Dakar wirklich), also gaben wir der Stadt eine Chance. Nun ja. Furchtbar ist übertrieben. Aber es gibt einfach keine nette Altstadt wie zum Beispiel in Bissau. Es gibt keine Flaniermeile, Promenade, Mall oder sonst irgendetwas Nettes, wo man sich aufhalten könnte. Es gibt keinen ÖPNV, weswegen die Straßen dauerhaft verstopft sind und man viel Zeit und Geduld braucht, um von A nach B zu kommen. Das kann Reisende überfordern und abschrecken, denn es ist um ein Vielfaches chaotischer als Nouakchott und wer Afrika-Neuling ist, kann da schon ein wenig… Abneigung empfinden. Nach zwei Tagen in Conakry, die wir immer dachten „das ist hier doch wie in…“ fiel es uns ein: wie in Addis! Addis Abeba ist auch ziemlich chaotisch, laut, staubig, ohne nette Flaniergegenden, ohne echte Altstadt und nennenswertem ÖPNV. Und weil wir beide lange (und/oder: oft) in Addis waren, konnte Conakry uns nicht schocken. Es ist einfach eine typische, afrikanische Großstadt mit viel Entwicklungspotential.
Und dann flog in der Nacht von Sonntag auf Montag das einzige Treibstoffdepot des Landes in die Luft und die gesamten Benzinvorräte des Landes verbrannten. Die Feuerwehr konnte noch einen Teil des Schweröls retten, der für das Elektrizitätswerk zur Stromherstellung für das gesamte Land benötigt wird und ein wenig Diesel. Unsere Motorräder fahren weder mit Schweröl noch mit Diesel und somit stehen wir vor einem Problem: wir sind gefesselt. Um Preisspekukationen vorzubeugen, hat die Regierung sofort alle Tankstellen schließen lassen und der Schwarzmarkt ist entweder leergefegt oder inexistent. Der Verkehr kam zum Erliegen, es wurden vorzeitig Weihnachtsferien an Schulen beschlossen und wir verließen unser AirBnb und fuhren mit den restlichen Litern Benzin im Tank in einen Vorort von Conakry zu einer Deutschen, die uns zu sich eingeladen hatte. Dort versuchten wir und sie und all ihr soziales Umfeld ebenfalls, für uns ein paar Liter Benzin aufzutreiben, doch vergebens.
Wir nutzten die Zeit für einen “kleinen Service” an den Motorrädern: die staubigen Ölfilter auswaschen, Jan hat einen Ölwechsel gemacht und sich einen manuellen Schalter für den zweiten Kühlerventilator gebastelt, um im Stadtverkehr bei hohen Lufttemperaturen die Motortemperatur besser unter Kontrolle halten zu können. Wir rechneten hin und her: um das Land wie geplant Richtung Elfenbeinküste zu verlassen, bräuchten wir 60l Benzin. Die könnten wir sogar tanken, denn wir haben beide große Tanks und zusätzlich Benzinsäcke, ohne die wir nicht durch Mauretanien gekommen wären. Damit hätten wir eine Reichweite von je Motorrad 900km. Allerdings gibt es keine 60l Benzin. Die zweite Option wäre, ins Nachbarland Sierra Leone zu fahren, dort zu tanken und mit vollen Tanks wieder nach Guinea einzureisen, um weiter zur Elfenbeinküste zu fahren. Diese Variante kostet uns 250€ an zusätzlichen Visagebühren und wir bräuchten auch dafür noch mindestens 3l Benzin, die wir derzeit auch nirgends auftreiben können. Verrückt, aber wahr: es scheitert an mickrigen 3l Benzin.
Immerhin gut, dass wir es geschafft haben, unsere Visa zu verlängern, denn sonst hätten wir am 26.12. das Land verlassen müssen. Wie es jetzt weitergeht, wissen wir nicht. Bei Heike ist es zwar richtig schön, aber die Lebensmittelsituation wird auch prekärer: um von ihr aus auf den Markt zu kommen, brauchen wir ein Fahrzeug. Und das Fahrzeug fährt mit… richtig. Und auch die Marktfrauen brauchen Fahrzeuge, um ihre Lebensmittel zum Markt zu transportieren. Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Die erzwungene Auszeit sinnvoll zum Arbeiten etc. zu nutzen ist auch nicht wirklich möglich, denn es gibt im Haus keinen Internetempfang. Man muss dazu auf das Dach des benachbarten Rohbaus klettern und dort ohne Strom arbeiten, oder dort ein Handy als Hotspot platzieren und sich vor den Rohbau setzen, um dort mit Verlängerungsschnur aus dem Haus im Freien zu arbeiten – bei ungünstigen Lichtverhältnissen und unter 1000 Kollegen namens “Mücken”. WENN es Internet gibt, denn das ist seit Monaten im Land eingeschränkt nutzbar (außer, man nutzt einen VPN) und ab und zu wird das gesamte Telefonnetz abgeschaltet.
Ach ja, Weihnachten. Wie das bei uns sein wird, wissen wir nicht. Dieses Jahr hatten wir das Weihnachtfest tatsächlich mal geplant, weil wir die vergangenen Jahre in muslimischen Ländern keine wirklich schönen Feiertage hatten und es diesmal besser haben wollten. Aber ohne Benzin kommen wir dort nicht hin und mussten alles stornieren. Wir hoffen, Euer Weihnachten verläuft nach Plan und wir wünschen Euch so richtig schöne Feiertage. Drückt uns die Daumen, dass wir vom Christkind Benzin bekommen!
Jan hat das nächste Video aus der wunderschönen Region des Fouta Djallon fertig. Guinea ist landschaftlich einfach absolut bezaubernd!
https://youtu.be/s2rymkrZRu4?feature=shared
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