Eigentlich war die Idee, uns mit Dieter zur Fußball WM in Russland zu verabreden. Wir wollten das Spiel Deutschland-Schweden in Sotschi zusammen anschauen, Dieter wollte mit seinen Kindern Jens und Lici, meinem Patenkind anreisen und wir alle wollten ins Stadion. Leider haben Jan und ich aber keine Karten bekommen. Zumindest nicht für Sotchi. Da aber mit dem Kauf einer Fußballkarte ein fast zweimonatiges multiple entry Visum in Form der „Fan ID“ inklusive ist, brauchten wir ein Ticket. Zufällig erfuhr ich, dass Leo, ein ehemaliger Kommilitone aus Mannheim, in der gleichen Situation war und spontan ein Ticket für Uuguay vs Saudi Arabien in Rostov am Don gekauft hatte. Nach einem Telefonat mit Leo war klar: dann treffen wir uns einfach in Rostov im Stadion! Sehr cool!
Ein weiterer Fahrtag geradeaus brachte uns nach Rostov am Don. Unser schon im März gebuchtes Hostel lag mitten im Markt, direkt im Gebäude des Fleischmarktes. Was zunächst komisch klingt, ist mehr als super: wir sind mitten im Leben, wo die Bewohner der umliegenden Platten Lebensmittel kaufen, sich treffen und ihrem Alltag nachgehen. Wir saugen die Atmosphäre auf und sind froh, dass ich bei der Buchung nicht auf die Lage der Unterkunft geachtet hatte, sondern nur auf den Preis, der dank der WM das Ausschlaggebende sein musste. Im Hostel selbst gibt es keinen Gast, der nicht Fußballfan ist: Urugayer, Saudi Arabier, Mexikaner, Brasilianer, ein kunterbuntes Durcheinander! Wir teilen unser Zimmer mit einem fußballbegeisterten Pakistani und Ecuadorianer. Beide sind da, obwohl sich ihre Länder gar nicht qualifiziert haben!
Nach der ersten Nacht in Rostov arbeiten wir mit unserem sensationellem mobilen Datenvolumen (es gibt hier bis 30GB/Monat! Armes Deutschland…) einiges ab, was uns aus Deutschland immer noch verfolgt: die Vollkaskoversicherung zweifelt trotz Polizeibericht den Garagendiebstahl von Januar immer noch an, die Krankenversicherung zahlt die billigen bulgarische Zahnarztrechnungen nicht, weil wir keinen Kostenvoranschlag haben machen lassen, unsere Bank kennt „Lukoil“ nicht als Ölkonzern und will daher den Rabatt nicht zahlen, jemand hat unser traveLove Logo „geklaut“, sodass wir das eintragen und schützen lassen müssen, das Finanzamt Krefeld schafft es erst nach 4 Monaten, den richtigen Steuerbescheid zu erstellen,… Ach ja, ich arbeite auch noch!
Am frühen Nachmittag treffen wir endlich Leo und Miguel, die aus Moskau angereist kamen. Wann Leo und ich uns zuletzt in Deutschland gesehen haben, wissen wir nicht, unsere letzten Treffen waren in Frankreich und Luxemburg, jetzt halt in Russland. Weltenbürger treffen sich unterwegs statt daheim auf dem Sofa! Enttäuschender Weise war in Rostov nichts von der WM zu spüren. Keine große Straßendeko, kaum Fahnen, keine Fußball-Schaufensterdeko. Nur am Spieltag selbst Fans ins Trikots auf den Straßen oder Fußballgäste mit Fan ID um den Hals in Bussen und Bahnen, die man mit der Fan ID an den Spieltagen auch kostenlos nutzen kann.
Das Stadion fasst 46.000 Zuschauer und trotz der Masse lief alles sehr entspannt und ohne Anstehen ab. Beim Eintritt ins Stadion gibt es eine Sicherheitskontrolle, die strenger ist als am Flughafen: man muss sogar sein Handy einschalten! Unsere Plätze waren super, genau mittig und hoch genug, um das gesamte Spielfeld zu überblicken. Leider saßen wir nicht im feiernden Fanblock Uruguays, sondern inmitten verhaltener Russen und ein paar Saudi Arabiern, die in kleinsten Grüppchen über das Stadion verteilt saßen. Das war echt schade, dass da bei der Sitzplatzverteilung nicht auf Fanzugehörigkeit geachtet wurde! Die Russen feierten zwar auch, weil der Sieg Uruguays ihnen den vorzeitigen Einzug ins Achtelfinale sicherte, aber das war nichts gegen die Party, die die Uruguayos lieferten!
Trotzdem war es natürlich obercool, bei einem Spiel der Fußball WM in Russland dabei zu sein und die Atmosphäre im Stadion aufzusaugen, obwohl das Spiel selbst eher langweilig war. Wie erwartet siegte Uruguay. Mit Leo und Miguel sind wir dann zur Uferpromenade des Dons gelaufen, an der viele Cafes, Bars und Restaurants aufgereiht sind und Straßenkünstler auftreten. Obwohl es Mittwoch war, flanierte die ganze Stadt dort auf und ab und genoss den lauen Sommerabend. Rostov mag zwar sonst eine langweilige Stadt sein, aber die Uferpromenade macht es wirklich lebenswert!
Kurz nach Mitternacht trennten wir uns und sausten mit 80km/h in einem Uber Taxi durch die Stadt zurück in unsere Betten. Es war für mich das erste Mal, dass ich Uber genutzt habe. Leo ist Fan davon auf Reisen und wir jetzt auch! Einfacher geht es nicht! Man gibt in der App über eine Karte mit GPS Ortungsfunktion Abholort und Ziel ein, dann wird der Fahrpreis angezeigt. Bucht man die Fahrt, ist das Taxi schneller da, als ich es jemals mit „normalen“ Taxis erlebt habe. Dem Taxifahrer wird das Fahrtziel auf seinem Handy genau auf der Karte angezeigt und er fährt die angezeigte Route ab, die man selbst auch auf dem Handy mitverfolgen kann. So weiß man immer, wo man ist, dass der Fahrer keine Umwege macht, muss nicht um Fahrpreise feilschen oder ohne Fremdsprachenkenntnisse Fahrtziele erklären und man hantiert auch nicht mit Bargeld (und „fehlendem“ Wechselgeld) herum, da der zuvor angezeigte Preis einfach von der Kreditkarte abgebucht wird. Unser Uber Taxi in Rostov war in Uber Lackierung, in der Woche darauf war unser Uber Taxi ein normales Standarttaxi, welches einfach zusätzlich über Uber Fahrten durchführte.
Nach dem Ausschlafen fuhren wir einen Großteil der Strecke, die wir nach Rostov gekommen waren, wieder zurück, um nach Sotchi zu kommen. Langweiliger geht es nicht! Und geradeaus natürlich. Da auf dem platten Land kaum Bäume, Haine oder gar Wälder sind, heizt es sich extrem auf, sodass Pets Außentempertatursensor an einer Tankstelle 40°C anzeigte. Ein Härtetest der anderen Art für unsere Klamotten, den sie auch bestanden!
Gegen Abend wurde es schwer, einen Übernachtungsplatz zu finden. Mehrere Versuche scheiterten, jedes Mal endete der Weg an einem Hof, einem Fabrikgelände, vor einer Schranke oder einem Zaun. Irgendwann fanden wir einen extremst verspurten Waldweg, den wir so lange hinein fuhren, bis wir mitten auf dem Weg eine halbwegs ebene Fläche fanden, auf der man irgendwie zwei Isomatten hinlegen und das Innenzelt drumherum platzieren konnte. Immerhin war es angenehm temperiert im Wald und bis auf ein Reh, das nachts völlig panisch um unser Zelt herum rannte, verbrachten wir eine ruhige Nacht.
Auf unserer Landkarte (aus Papier, jawohl!) gab es eine alternative Route zu der Hauptverbindung über den Bergkamm, der die Küste vom Hinterland trennte. Auch in meinem Handy gab es die Straße, aber Jans GPS wollte auf gar keinen Fall auch nur irgendeine Route über diesen Bergpass anzeigen. So fuhren wir nach Karte und meinem Handy eine wunderschöne Strecke durch Dörfchen, Wälder und kleine (!) Felder und genossen die langgezogenen Kurven, welche gefühlt kilometerweit im Voraus angekündigt wurden. Und dann wussten wir, warum Jans GPS partout keine Route über diesen Pass zeigen wollte: er war nur geschottert. Macht nix, macht Spaß!
Ziemlich staubig kamen wir an der Schwarzmeerküste aus den Bergen und hatten uns auf eine schöne Küstenstraße gefreut. Doch leider verläuft die Straße meist außer Blickweite vom Meer, sodass wir das Meer auf den 120km bis Sotchi vielleicht 3x zwischen den Bäumen hervorblitzen sahen. Der Wald, durch den wir fuhren, ist übrigens subtropisch, richtig urwaldähnlich! Leider stellt diese Küstenstraße die einzige Hauptverkehrsachse zwischen Russland und Abchasien dar und ist der einzige Zubringer nach Sotchi. Streckenweise fuhren wir nur im ersten oder zweiten Gang, da viele LKW die Steigungen nur im Kriechgang schafften und die Straße zu eng ist, um überall zu überholen. Der Spaß, nach dem es auf der Karte aussah, stellte sich nicht ein.
Spontan bogen wir in einem Örtchen ab und folgten den „Strand“ Schildern. Der „Strand“ war eine Ansammlung Kies um die Mündung eines Flusses herum. Wir fanden später heraus, dass auf russischer Seite des Schwarzen Meeres eigentlich alle Strände so sind. Wir waren verwöhnt von Bulgariens Sandstränden und hatten ähnlich Schönes erwartet! Doch wir fanden eine sehr süße Strandbude, an der es ein undefinierbares Eisgetränk gab, was jeder bestellte. Musste ich probieren. Schmeckte nach BASF. Jan ist seit Georgien Fan von Estragonlimonade, die er bei jeder Gelegenheit bestellt. Klingt komisch, ist aber wirklich nicht schlecht! Nach einer guten Stunde Pause am Strand mit Blick auf eine ganze Reihe Tanker und andere Frachtschiffe, quälten wir uns weiter die Küstenstraße bis Sotchi entlang.
Unsere Unterkunft hatte ich im März nur nach der Nähe zu der von Dieter gemieteten Ferienwohnung reserviert und sie war goldrichtig: Pet und Oskar parkten sicher im Innenhof, Minimarkt, georgische Bäckerei und Bushaltestelle um die Ecke, absolut ruhige Lage und sogar Meerblick! Unser Zimmer mit Esstisch, Sofa, Privatbad, drei Schlafplätzen und riesiger Fensterfront. Das alles für 20€! Sicher hatte ich bei der Buchung vor einem Vierteljahr einen höheren Zimmerpreis in Kauf genommen, denn der Rubel befindet sich im freien Fall und seitdem wir hier sind, ist schon alles billiger geworden. Das Bärenfell war vom Inhaber selbst erlegt…
Nach dem Duschen sind wir schnell an die Marina gefahren, wo das FIFA Fan Fest war, auf dem Familie Zimmermann beim Public Viewing auf uns wartete. Dieter war aus Georgien nach Sotchi geflogen, seine Kinder Jens und Lici, mein Patenkind, mit ihren jeweiligen Partnern dazu gekommen. Und wer meint, ich sei 1995 mit 18 Jahren „zu jung“ gewesen, um alleine 15 Monate durch Lateinamerika zu reisen, wer meint, die Welt sei böse und gefährlich, wer meint, seine Kinder „zur Sicherheit“ reglementieren zu müssen, der nehme sich ein Beispiel an Lici: mit ihren 17 Jahren war sie 5 Monate alleine in Europa unterwegs! Zwar habe ich damit rein gar nichts zu tun, aber ich bin unendlich stolz, dass sich aus dem kleinen blonden Mädchen, das fast jeden Sommer ihrer Kindheit bei uns im Elsass war, ein Erwachsener entwickelt hat, wie ich mir immer eine eigene Tochter erträumt habe. Ich glaube, Lici hat mir das nicht geglaubt, als ich ihr das gesagt habe, aber wenn sie das hier liest: ja! Das ist so! 😊
Sotchi ist eine entspannte, lebenswerte Stadt. Man nennt die Region „russische Riviera“ und das nicht ohne Grund: die Gebäude der vielen Sanatorien und Hotels sehen aus wie in Nizza, überall Palmen, gepflegte Grünanlagen, Blumen, eine edle Marina, eine Promenade zum Bummeln entlang des Meeres,… Die Stadt gefiel uns allen gut! Zum Thema „sauber“: während jedes Fußballspiels, welches wir auf dem FIFA Fan Fest anschauten, liefen unentwegt Leute zwischen den Zuschauern herum, die Müll, Papierchen und Zigarettenstummel aufsammelten! Auch in Sotchi gibt es, ähnlich wie in Rostov, eine nette Flaniermeile entlang des Flusses, an der wir alle zusammen zu Abend aßen. Richtiges Sommerurlaubsfeeling!
Der nächste Tag startete mit heftigem Dauerregen. In Sotchi fällt 3x so viel Niederschlag wie bei uns und wir bekamen die beste Vorstellung davon. Das viele subtropische Grün kommt nicht von ungefähr! Wir verbrachten den Tag auf dem Zimmer, bis wir gegen Abend zum FIFA Fan Fest fuhren, um dort das Spiel Deutschland – Schweden zu schauen. Die Zimmermänner samt Anhang waren nach Adler gefahren, im Gegensatz zu uns hatte sie vier Tickets für das Stadion bekommen. Ärgerlich, dass Deutschland in einem kleineren Stadion spielte als letzte Woche „unser“ Spiel Uruguay gegen Saudi Arabien! Deutschland hat es dann doch noch ohne unsere Anwesenheit im Stadion geschafft… Und wir haben es kurz vor dem nächsten Starkregegenereignis ins Bett geschafft.
Nach so viel Regen kann nur Sonne kommen und so liefen wir bei ziemlich großer Hitze mit allen zusammen am Sonntag zu Stalins „Datscha“ hoch. Der Begriff „Datscha“ ist fehl am Platz, es ist eher eine beeindruckende „Sommerresidenz“. Leider bekommt man für die 4€ Eintritt fast nichts. Man muss einer „hochmotivierten“ russischen Matrone durch wenige Räume des Hauses folgen, während sie eine Endloskassette Text abspult, obwohl geschätzte 80% der Besucher kein Russisch konnten. Man erfuhr also gar nichts, denn es gab auch keine Beschilderung, kein Infoheftchen, kein gar nichts. Wir hatten alle mehr erwartet!
Den Rest des Nachmittages verbrachten wir am Strand (Kieselsteine an einer Flussmündung) in einer Strandbude und bestellten mit 7 Leuten einiges die Speisekarte hoch und runter. Später, zurück im Zentrum, flanierten wir herum, ich erstand einen Blumenkranz, den viele russische Frauen zur WM im Haar trugen. Allerdings nicht für mich, sondern für Pet, die den Kranz seit dem stolz über ihrer Lampenmaske trägt, mein „kleines russisches Blumenmädchen“…
Die „Kinder“ fuhren in die Ferienwohnung, wir „Erwachsenen“ klönten noch den Rest des Abends in der Stadt, bevor wir uns verabschiedeten. Bis zum nächsten Mal, irgendwo in dieser Welt, irgendwann auf dieser Reise!
Die Fußball WM war für uns damit zu Ende, wie auch wenige Tage später für die deutsche Mannschaft. Es war toll, dabei zu sein, im Stadion ein Spiel zu schauen, eine top organisierte Veranstaltung mitzuerleben, Leo wieder zu sehen, Dieter, Jens und Lici zu treffen und mit ihnen allen die Weltmeisterschaft zu erleben. Jetzt nutzen wir den visumfreien Aufenthalt noch etwas aus, um diese Region Russlands noch zu bereisen.
Falls das hier jemand liest, der auch Fotos schaut, der muss sich gedulden: seit über 2 Wochen haben wir nirgends vernünftiges WiFi. Das mobile Internet ist für mich zum Arbeiten reserviert. Videos gibt es auch – aber auch erst, wenn wir WiFi haben!
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